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Verkehrssicherungspflicht bei Tauwetter – Aussteigen aus Pkw auf einer Glatteisfläche

AG Bad Segeberg, Az.: 9 C 327/14, Beschluss vom 15.07.2015

Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsverpflichtung unter Beiordnung … für den Klageantrag zu Ziff. 1) aus der Klageschrift vom 19.11.2014 mit der Maßgabe bewilligt, dass die Beklagte verurteilt werden soll, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, höchstens aber 400,00 € nebst Zinsen hierauf in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 06.09.2014 zu zahlen.

Im Übrigen wird der Antrag der Klägerin vom 19.11.2014 auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen.

Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; eine Kostenerstattung findet nicht statt.

Gründe

I.

Verkehrssicherungspflicht bei Tauwetter - Aussteigen aus Pkw auf einer Glatteisfläche
Symbolfoto: Von Albina Tiplyashina /Shutterstock.com

Die Klägerin begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ihre Klage vom 19.11.2014, mit der sie von der Beklagten die Zahlung von Schmerzensgeld sowie die Feststellung der Übernahme etwaiger Kosten für eine Verhinderungspflege begehrt.

Die Klägerin befuhr mit ihrem Pkw am 03.02.2014 den Kundenparkplatz einer Filiale der N… in der …straße … in … . Die Beklagte hatte vertraglich die Verkehrssicherungspflicht für das Parkplatzgelände übernommen. An diesem Tag herrschten Temperaturen um 0 °C bis +2 °C. Sämtliche Straßen und Wege an diesem Tag waren vollständig geräumt. Die Straßen waren trocken. Etwa gegen 08.20 Uhr stellte die Klägerin ihren Pkw auf den linken der beiden dort ausgewiesenen Behindertenparkplätze ab, um mit ihrem schwerbehinderten Sohn einkaufen zu gehen. Links neben dem Parkplatz befand sich ein zusammengeschobener Schneehaufen, den die Klägerin beim Einfahren auf den Kundenparkplatz gesehen hatte. Im Bereich der Behindertenparkplätze fällt das Parkplatzgelände in Richtung eines hinter den Parkplätzen in der Fahrgasse befindlichen Abflussgitters leicht ab. Das weitere Geschehen steht zwischen den Parteien im Streit.

Mit Schreiben vom 14.08.2014 forderte die Klägerin die Haftpflichtversicherung der Beklagten vergeblich unter Fristsetzung bis zum 05.09.2014 auf, einen Schmerzensgeldbetrag in Höhe von 2.000,00 € zu zahlen. Die Haftpflichtversicherung der Beklagten bot der Klägerin mit Schreiben vom 24.09.2014 „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und ohne präjudizierende Wirkung“ an, eine Entschädigung in Höhe von 750,00 € zu zahlen. Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 09.10.2014 legte die Klägerin nochmals dar, dass sie ein Schmerzensgeld zwischen 1.500,00 € und 2.000,00 € für angemessen halte und zudem die Kosten einer etwaigen weiteren Verhinderungspflege Berücksichtigung finden müssten.

Mit ihrer am 21.11.2014 bei Gericht eingegangenen Klage vom 19.11.2014 begehrt die Klägerin von der Beklagten die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes, das sie mit mindestens 2.000,00 € beziffert. Ferner hat sie ursprünglich Feststellung begehrt.

Die Klägerin behauptet, dass sich von dem Schneehaufen aus zu dem Bereich der Parktasche hin aufgrund von Tauwasser in einer Mulde des Straßenbelages eine Eisfläche gebildet habe (Beweis: Zeugnis des Herrn R…; Inaugenscheinnahme von Lichtbildern). Auf den von ihr nach dem Sturz angefertigten Lichtbildern sei zu erkennen, dass das Tauereignis mit der eingetretenen Glätteeisbildung nicht erst unmittelbar vor dem Unfallereignis selbst eingesetzt haben kann (Beweis: Sachverständigengutachten). Die Klägerin behauptet weiter, dass sie aus ihrem Pkw ausgestiegen und auf der Eisfläche vor dem Schneehaufen ausgerutscht und gestürzt sei. Sie habe nicht mit Eisglätte gerechnet, weil der Schneehaufen zu einem harten und in seinen Umrissen klar abgegrenzten Schneehaufen zusammengesunken sei (Beweis: Parteivernehmung). Sie sei nach dem Sturz in die vor dem Behindertenparkplatz gelegene Filiale der I… gegangen und habe dort ihren Sturz gegenüber dem Zeugen V… angezeigt und diesen aufgefordert, den Parkplatz zu streuen (Beweis: Zeugnis des Herrn V…). Ferner habe sie ihren Unfall bei dem Leiter der Filiale der N… angezeigt und diesen aufgefordert, die Fläche zu streuen, was dieser dann in ihrer Anwesenheit getan habe (Beweis: Zeugnis des Herrn R…). Wäre bei der Durchführung einer entsprechenden Kontrolle durch die Beklagte geeignetes Streumittel aufgebracht worden, wäre ihr Sturz bei den herrschenden Temperaturen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert worden (Beweis: Sachverständigengutachten). Sie behauptet weiter, dass sie durch den Sturz eine Distorsion der unteren Lendenwirbelsäule, eine Kreuz- und Steißbeinprellung sowie Prellungen und Schürfungen des linken Ellenbogens erlitten habe (Beweis: Zeugnis des Herrn Dr. M…; Zeugnis des Herrn Dr. B…). Bis um 07.02.2014 sei sie aufgrund der Verletzungen erwerbsunfähig gewesen. Ihr behandelnder Arzt habe ihr starke Schmerzmittel und Schonung verordnet. Weiter habe er ihr mitgeteilt, dass sie sich auf einen langwierigen Heilungsprozess einstellen müsse (Beweis: Zeugnis des Herrn Dr. M…). Zur Abklärung weiterer Verletzungsfolgen und weil die Schmerzen auch nach einer Woche unvermindert angehalten hätte, habe sie sich am 13.02.2014 in die Behandlung des Herrn Dr. S… begeben, der eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung der unteren Lendenwirbelsäule festgestellt habe. Herr Dr. S… habe zusätzlich eine Chirotherapie der Lendenwirbelsäule verordnet. Infolge der unfallbedingten Verletzungen habe sie erhebliche Schmerzen im Bereich des Kreuzbeines gehabt, die drei Wochen lang unvermindert angehalten hätten (Beweis: Parteivernehmung). Sie habe starke Schmerzmittel einnehmen müssen. Letztlich sei der Heilungsprozess erst nach gut einem Monat abgeschlossen gewesen (Beweis: Zeugnis des Herrn Dr. M…; Zeugnis des Herrn Dr. B…; Sachverständigengutachten). Während des gesamten Heilungsprozesses sei sie zudem der zusätzlichen Belastung durch die Betreuung ihres schwerbehinderten Sohnes ausgesetzt gewesen, da die Verhinderungspflegekraft nur stundenweise im Einsatz gewesen sei. Sie habe daher noch erhebliche Pflegeleistungen erbringen müssen, die sie nur unter größten Schmerzen habe verrichten können (Beweis: Parteivernehmung). Auch habe sie die Sorge, ob und wann eine endgültige Heilung eintreten würde, sehr belastet. Sie ist der Auffassung, dass sie bereits dadurch ausreichende Vorsichtsmaßnahmen ergriffen habe, als sie mit einem Sicherheitsabstand und nicht direkt neben dem Schneehaufen geparkt habe. Zudem seien aufgrund der gesteigerten Sicherheitserwartungen der Benutzer von Behindertenparkplätzen keine übersteigerten Anforderungen an die Aufmerksamkeit der Verkehrsteilnehmer zu stellen.

Sie hat ursprünglich beabsichtigt zu beantragen,

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst 5%-Punkten Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit 06.09.2014 zu zahlen;

2. es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr die Kosten für eine weitere Verhinderungspflege im Umfang von bis zu maximal 1.400,00 € zu ersetzen, falls im Kalenderjahr 2014 noch einmal ein Verhinderungsfall eintritt, der einen Anspruch auf Verhinderungspflege nach § 39 SGB XI begründet hätte, wenn nicht bereits eine Verhinderungspflege für einen Zeitraum von zwölf Tagen im Umfang von 1.400,00 € in Anspruch genommen worden wäre.

Ferner beantragt sie, ihr für die Klage Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von … zu bewilligen.

Mit Verfügung vom 25.11.2014 hat das Gericht der Beklagten eine einfache Abschrift der Klageschrift vom 19.11.2014 unter Gewährung einer Stellungnahmefrist von zwei Wochen zugestellt. Dabei hat das Gericht darauf hingewiesen, dass die Zustellung der Abschrift der Klageschrift ausschließlich zum Zwecke des Nachweises rechtlichen Gehörs erfolgt. Die Abschrift der Klage ist der Beklagten am 23.12.2014 zugestellt worden.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass der Prozesskostenhilfebewilligungsantrag der Klägerin zurückzuweisen sei. Sie bestreitet das Vorbringen der Klägerin mit Nichtwissen. Sie behauptet, dass um 07.55 Uhr eine Kontrolle des Parkplatzes stattgefunden habe. Dabei sei leicht mit Granulat vorsorglich um den Schneehaufen herum gestreut worden, mehr sei zu diesem Zeitpunkt nicht notwendig gewesen (Beweis: Zeugnis des Herrn P…; Zeugnis des Herrn S…). Sie ist der Auffassung, dass schon keine Verkehrssicherungspflichtverletzung vorliege, die Klägerin treffe jedenfalls ein 100%-iges Mitverschulden, weshalb eine Haftung der Beklagten ausgeschlossen sei.

Die Klägerin trägt hierzu vor, dass im Unfallzeitpunkt kein Granulat abgestreut gewesen sei (gegenbeweislich: Vernehmung des Herrn R…). Wenn gegen 07.55 Uhr eine Kontrolle durchgeführt worden wäre, hätten das abgelaufene Schmelzwasser und die Eisgefahr erkannt und der Gefahr angemessen begegnet werden müssen (Beweis: Sachverständigengutachten).

Mit Schriftsatz vom 11.03.2015 hat die Klägerin die Hauptsache bezogen auf den Klageantrag zu Ziff. 2) für erledigt erklärt.

II.

Der zulässige Antrag der Klägerin vom 19.11.2014 auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist nur in dem tenorierten Umfang begründet, im Übrigen ist er zurückzuweisen. Die Klage hat lediglich teilweise Aussicht auf Erfolg.

1.

Soweit die Klägerin mit ihrem Klageantrag zu 1) die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes begehrt, das sie in Höhe von mindestens 2.000,00 € für angemessen erachtet, besteht lediglich in dem tenorierten Umfang eine hinreichende Erfolgsaussicht.

a.

Die Beklagte haftet der Klägerin zwar nicht aus §§ 311Abs. 2, 280 Abs. 1,241 Abs. 2 BGB (vgl. hierzu AG Bad Segeberg, Urt. v. 06.03.2014 – 17 C 13/13, juris), weil zwischen der Klägerin und der Beklagten, die durch Vertrag die den Eigentümer treffende Verkehrssicherungspflicht übernommen hat, ein vorvertragliches Schuldverhältnis nicht besteht.

Unter Zugrundelegung des klägerischen Vorbringens haftet die Beklagte jedoch gemäß § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht auf Schadensersatz. Nach Auffassung des Gerichts hätte die Beklagte eine Verkehrssicherungspflicht verletzt, wenn sich am 03.02.2014 auf dem Bereich des Behindertenparklatzes durch Tauwasser von dem Schneehaufen, der sich insoweit unstreitig neben dem Behindertenparkplatz befand, die von der Klägerin behauptete Glatteisfläche gebildet hätte. Schiebt der Verkehrssicherungspflichtige Schnee zu einem größeren Haufen an einer Stelle zusammen, die regelmäßig und bestimmungsgemäß von Fußgängern genutzt wird, wie vorliegend auf dem gepflasterten Bereich direkt neben einer Parktasche, muss er Sorge dafür tragen, dass bei Einsetzen von Tauwetter durch abfließendes Tauwasser keine Glatteisflächen entstehen, wie sie auf den von der Beklagten selbst als Anlage B 2 vorgelegten Lichtbildern (Bl. 46-47 d.A.) zu sehen ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn das Tauwasser – wie von der Klägerin behauptet – aufgrund eines leichten Gefälles des Parkplatzgeländes zusammenläuft und sich daher größere Glatteisflächen bilden können. Denn durch das Zusammenschieben des Schnees zu einem Haufen wird aufgrund des bei Tauwetter abfließenden Wassers eine besondere Gefahrenquelle geschaffen.

Soweit die Beklagte sich darauf beruft, dass die Klägerin den Schneehaufen nach ihrem eigenen Vorbringen vor dem Aussteigen gesehen und sich gleichwohl auf den direkt neben dem Schneehaufen befindlichen Parkplatz gestellt, statt den – nach dem Vorbringen der Beklagten – ebenfalls freien danebenliegenden Parkplatz zu nutzen, betrifft dies nicht das Vorliegen einer Verkehrssicherungspflichtverletzung durch die Beklagte, sondern die Frage des Mitverschuldens (§ 254 Abs. 1 BGB).

b.

Das Vorbringen der Klägerin ist entgegen der Auffassung der Beklagten schlüssig und bedarf auch keiner weiteren Substantiierung (s. hierzu die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs: „Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung genügt eine Partei ihrer Darlegungslast, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen, wobei unerheblich ist, wie wahrscheinlich diese Darstellung ist. Erfüllt das Parteivorbringen diese Anforderungen, so kann der Vortrag weiterer Einzelheiten oder die Erklärung für einen gehaltenen Vortrag nicht gefordert werden. Es ist vielmehr Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls Zeugen nach weiteren Einzelheiten zu befragen. Die Nichtberücksichtigung eines als erheblich angesehenen Beweisangebots stellt demgegenüber eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung dar.“: BGH, Urt. v. 13.03.2012 – II ZR 50/09, ZIP 2012, 1197 ff., juris Rn.17; BGH, Urt. v. 29.02.2012 – VIII ZR 155/11, NJW 2012, 1647 f., juris Rn. 16; BGH, Beschl. v. 21.07.2011 – IV ZR 216/09, VersR 2011, 1384 ff., juris Rn. 6; BGH, Urt. v. 22.04.2010 – VII ZR 48/07, NJW-RR 2010, 1176 ff., juris Rn. 27; BGH, Beschl. v. 19.11.2008 – IV ZR 341/07, RuS 2010, 64, juris Rn. 3; BGH, Beschl. v. 29.10.2008 – IV ZR 272/06, VersR 2009, 517, juris Rn. 7; BGH, Urt. v. 21.11.2007 – IV ZR 129/05, VersR 2008, 382; BGH, Beschl. v. 21.05.2007 – II ZR 266/04, NJW-RR 2007, 1409, juris Rn. 8; BGH, Urt. v. 25.07.2005 – II ZR 199/03, WM 2005, 1847; BGH, Urt. v. 21.01.1999 – VII ZR 398/97, NJW 1999, 1859).

Soweit die Beklagte meint, das Vorbringen der Klägerin sei widersprüchlich, vermag sich das Gericht dem nicht anzuschließen. Die Klägerin hat bereits ihrer Klageschrift vorgetragen, dass es zu Glatteisbildung infolge von Tauwasser gekommen sein soll. Ferner hat die Klägerin schon in ihrer Klageschrift vorgetragen, dass Temperaturen um die 2 °C geherrscht hätten. Entscheidungserhebliche Widersprüche in dem Vortrag der Klägerin vermag das Gericht daher nicht zu erkennen. Etwaige Widersprüche im Vortrag der Klägerin würden aber jedenfalls nicht dazu führen, dass eine Beweiserhebung entbehrlich ist. Eine Partei ist nicht gehindert, ihr Vorbringen im Laufe des Rechtsstreits zu ändern, insbesondere zu präzisieren, zu ergänzen oder zu berichtigen. Dabei entstehende Widersprüchlichkeiten im Parteivortrag können allenfalls im Rahmen der Beweiswürdigung Beachtung finden (vgl. BGH, Urt. v. 01.07.1999 – VII ZR 202/98, NJW-RR 2000, 208; BGH, Beschl. v. 06.02.2013 – I ZR 22/12, juris Rn. 11 m.w.Nachw.).

c.

Die Klägerin hat ihr von der Beklagten wirksam bestrittenes Vorbringen hinreichend unter Beweis gestellt, weshalb eine Erfolgsaussicht der Klage bezogen auf das geltend gemachte Schmerzensgeld dem Grunde nach besteht. Dass der Sturz der Klägerin nicht unmittelbar von Zeugen beobachtet worden ist, ist insoweit unerheblich. Die Klägerin hat unter Benennung von Zeugen vorgetragen, sie sei unmittelbar nach dem Sturz zunächst in die Filiale der I… gegangen und habe dort ihren Sturz gegenüber dem Zeugen V… angezeigt sowie diesen aufgefordert, den Parkplatz zu streuen, ebenso habe sie den Unfall bei dem Leiter der Filiale der N…, dem Zeugen R…, angezeigt und diesen aufgefordert, die Fläche zu streuen, was der Zeuge dann auch in ihrem Beisein getan habe. Ferner hat die Klägerin Zeugenbeweis dafür angeboten, dass sie sich am Unfalltag wegen der von ihr behaupteten Verletzungen in ärztliche Behandlung begeben hat. Bei dieser Sachlage hat das Gericht zunächst Beweis zu erheben durch Vernehmung der von der Klägerin angebotenen Zeugen. Ferner hat das Gericht die Klägerin zunächst als Partei anzuhören. Nach Durchführung der Beweisaufnahme wird sodann vom Gericht zu prüfen sein, ob die Durchführung einer förmlichen Parteivernehmung nach § 448 ZPO zu erfolgen hat (s. hierzu AG Bad Segeberg, Urt. v. 30.10.2014 – 17 C 65/14, RuS 2015, 10, juris Rn. 32 ff.). Im Hinblick hierauf können der Klage die Erfolgsaussichten nicht abgesprochen werden.

d.

Soweit die Beklagte sich darauf beruft, dass knapp eine halbe Stunde vor dem behaupteten Unfallereignis eine Kontrolle stattgefunden habe, bei der die Zeugen P… und S… keine Eisgefahr festgestellt und lediglich vorsorglich leicht mit Granulat um dem Schneehaufen herum gestreut hätten, was zu diesem Zeitpunkt ausreichend gewesen sei, schließt dies die Erfolgsaussichten der Klage nicht aus. Unter Zugrundelegung des klägerischen Vorbringens hätte sich der Sturz um 08.20 Uhr und damit innerhalb der zeitlichen Grenzen der Streupflicht, nämlich nach Öffnung der im Bereich des Parkplatzes befindlichen Ladengeschäfte, ereignet. Soweit sich die Beklagte insoweit darauf beruft, dass bei Durchführung der Kontrolle um 07.55 Uhr noch kein Glatteis im Bereich des Schneehaufens gebildet habe, ist die Beklagte beweisbelastet für dieses Vorbringen, weil sie sich in der Sache auf einen Ausnahmetatbestand beruft (vgl. hierzu BGH, 07.06.2005 – VI ZR 219/04, NJW-RR 2005, 1185), nämlich auf eine erst nach Durchführung der Kontrolle plötzlich eingetretene Glatteisbildung. Soweit die Beklagte sich darauf beruft, sie sei ihrer Streupflicht insoweit nachgekommen, als zu diesem Zeitpunkt lediglich ein leichtes Streuen von Granulat um den Schneehaufen herum notwendig gewesen sei, ist die Beklagte ebenfalls beweisbelastet hierfür. Denn wenn die Klägerin innerhalb der zeitlichen Grenzen gestürzt ist, spricht ein Anscheinsbeweis dafür, dass die Beklagte am Unfalltag der ihr obliegenden Räum- und Streupflicht nicht nachgekommen ist (OLG Hamm, Urt. v. 12.09.2012 – 11 U 94/11, juris Rn. 24). Da die Beklagte insoweit beweisbelastet ist, kann aufgrund des Vorbringens der Beklagten die Erfolgsaussicht der Klage nicht verneint werden. Ebenso spricht ein Anscheinsbeweis dafür, dass bei Erfüllung der Streupflicht durch die Beklagte es nicht zu den Verletzungen gekommen wäre (vgl. BGH, Beschl. v. 26.02.2009 – III ZR 225/08, NJW 2009, 3302, juris Rn. 5).

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e.

Auch wenn der Klägerin unter Zugrundelegung ihres schlüssigen und hinreichend unter Beweis gestellten Vorbringens ein Schadensersatzanspruch gegen Beklagte und damit gemäß § 253 Abs. 2 BGB auch ein Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld zusteht, fehlt der Klage insoweit die hinreichende Erfolgsaussicht, als die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.000,00 € für angemessen hält. Auch unter Zugrundelegung des klägerischen Vorbringens hält das Gericht ein Schmerzensgeld höchstens in Höhe von 800,00 € für angemessen (§ 287 ZPO).

Das Schmerzensgeld soll in erster Linie dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich bieten für diejenigen Schäden und Lebensbeeinträchtigungen, die nicht vermögensrechtlicher Art sind. Zugleich soll es dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger dem Geschädigten für das, was er ihm angetan hat, Genugtuung schuldet (zur sog. Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion s. BGH, Beschl. v. 06.07.1955 – GSZ 1/55, BGHZ 18, 149, 154 ff.; MünchKomm-BGB/Oetker, 6. Aufl. 2012, § 253 Rn. 10-13 m.w.Nachw.). Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes hat das Gericht alle zur Erreichung einer „billigen“ Entschädigung relevanten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere Art, Intensität und Dauer der erlittenen Rechtsgutverletzung (MünchKomm-BGB/Oetker, 6. Aufl. 2012, § 253 Rn. 36).

Unter Zugrundelegung des klägerischen Vorbringens hat die Klägerin durch den Sturz weder Knochenbrüche noch fort- oder länger andauernde Beeinträchtigungen erlitten. Der Heilungsprozess war nach dem Vorbringen der Klägerin vielmehr nach gut einem Monat abgeschlossen. Soweit die Klägerin nach ihrem Vorbringen über einen Zeitraum von drei Wochen erhebliche Schmerzen im Bereich des Kreuzbeines hatte und starke Schmerzmittel einnehmen musste, erscheint ein Schmerzensgeld höchstens in Höhe von 600,00 € angemessen. Soweit die Klägerin vorgetragen hat, die Sorge darüber, ob und wann eine endgültige Heilung eintreten würde, habe sie sehr belastet, rechtfertigt dies keine Erhöhung des Schmerzensgeldbetrages, weil die bloße Sorge und die damit einhergehende seelische Belastung noch keine gesundheitliche Beeinträchtigung im Sinne einer Verletzung der in § 253 Abs. 2 BGB genannten Rechtsgüter darstellt (vgl. zu sog. Schockschäden BGH, Urt. v. 27.01.2015 – VI ZR 548/12, NJW 2015, 1451 f.).

Allerdings hat die Klägerin, was ebenfalls im Rahmen der nunmehr anstehenden Beweisaufnahme ggf. durch eine Parteivernehmung geklärt werden muss, vorgetragen, sie habe während des Heilungsprozesses zusätzliche Belastungen durch die Betreuung ihres schwerbehinderten erwachsenen Sohnes gehabt. Diese zusätzlichen Belastungen rechtfertigten die Erhöhung des Schmerzensgeldes, weil sie zum einen den Heilungsprozess behindert und zum anderen zu erhöhten Schmerzen bei der Klägerin geführt haben sollen.

Unter Berücksichtigung der vorgenannten Umstände sowie des nach dem Vorbringen der Klägern anzunehmenden fahrlässigen Verhaltens der Beklagten hält das Gericht ein Schmerzensgeld in Höhe von höchstens 800,00 € für angemessen aber auch erforderlich, um der Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes gerecht zu werden.

Allerdings ist zu Lasten der Klägerin ein Mitverschulden zu berücksichtigen (§ 254 Abs. 1 BGB). Denn die Klägerin muss sich auch unter Zugrundelegung ihres eigenen Vorbringens entgegenhalten lassen, dass sie den Schneehaufen bereits beim Befahren des Parkplatzgeländes gesehen hat. In diesem Zusammenhang kann dahinstehen, ob die Klägerin – wie die Beklagte meint – von der Benutzung der Parktasche ganz Abstand nehmen musste. Jedenfalls hätte die Klägerin beim Aussteigen sorgfältig darauf achten müssen, ob sich im Bereich neben dem Schneehaufen durch Tauwasser eine Glatteisfläche gebildet hat. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin selbst in ihrem Schriftsatz vom 11.03.2015 vorgetragen hat, dass an dem Unfalltag Tauwetter herrschte. Ebenso hat sie vorgetragen, dass auf den von der Beklagten vorgelegten Lichtbildern (Anlage B 2, Bl. 46-47 d.A.) die Glatteisfläche deutlich dunkler sei als der Asphalt. Unter Zugrundelegung dessen ist aber davon auszugehen, dass die Klägerin die Glatteisfläche ebenso gesehen hätte, wenn sie vor dem Aussteigen die ihr obliegende Sorgfalt aufgewendet hätte. Soweit die Klägerin meint, dass es insoweit ausreichend gewesen sei, ihr Fahrzeug mit einem „Sicherheitsabstand“ zu dem Schneehaufen abzustellen, dringt sie hiermit nicht durch. Denn gerade bei Tauwasser entstehen Glatteisflächen neben einem Schneehaufen. Die Klägerin hätte also gerade in diesem Bereich mit einer Glatteisbildung durch Tauwasser rechnen müssen. Soweit die Beklagte vorträgt, die Eisglättegefahr sei für sie auch bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt nicht erkennbar gewesen, ergibt sich unter Zugrundelegung ihres eigenen Vorbringens nach dem Gesagten das Gegenteil. Soweit die Beklagte vorträgt, dass der Schneehaufen „in seinen Umrissen klar abgegrenzt“ und „zusammengesunken“ gewesen sei, ergibt sich auch hieraus nicht, dass die Gefahr von Glättebildung für die Klägerin nicht erkennbar gewesen ist. Im Gegenteil ergibt sich gerade aus dem Umstand, dass der Schneehaufen „zusammengesunken“ ist, dass sich Tauwasser gebildet haben kann. Auch insoweit ergibt sich aus dem eigenen Vorbringen der Klägerin, dass sie die Gefahr hätte erkennen und bei Aufwendung der gebotenen Sorgfalt den Sturz hätte vermeiden können. Die Aufwendung der gebotenen Sorgfalt durfte entgegen der Auffassung der Klägerin auch von dem Benutzer eines Behindertenparkplatzes verlangt werden.

Da sich das Mitverschulden der Klägerin vorliegend auf der Grundlage ihres eigenen sowie des unstreitigen Vorbringens ergibt, ist unerheblich, dass insoweit die Beklagte darlegungs- und beweisbelastet ist.

Entgegen der Auffassung der Beklagten führt das Mitverschulden der Klägerin indes nicht zu einem Anspruchsausschluss. Unter Zugrundelegung des von der Klägerin unter Beweis gestellten Vorbringens ist vielmehr davon auszugehen, dass sowohl die Klägerin als auch die Beklagte gleichermaßen den Sturz hätten verhindern können und ihnen gleichermaßen ein Sorgfaltsverstoß zur Last fällt. Nach Auffassung des Gerichts sind die Verursachungsbeiträge gleich zu bemessen. Das Mitverschulden der Klägerin führt daher vorliegend allenfalls zu einem Mitverschuldensanteil von 50 %, nur insoweit fehlt der Klage die hinreichende Erfolgsaussicht. Im Unterschied zu Vermögensschäden, bei denen § 254 Abs. 1 BGB zur Bildung einer Haftungsquote führt, ist das Mitverschulden bei der Bemessung des Schmerzensgeldes zwar integrales Element für die Bestimmung der Angemessenheit (allg.M., s. MünchKomm-BGB/Oetker, 6. Aufl. 2012, § 253 Rn. 46 m.w.Nachw.). Die für den Vermögensschaden gebildete Haftungsquote (vorliegend: 50:50) kann dabei nicht automatisch übertragen werden, da für die Bemessung der Entschädigung andere Umstände maßgeblich sein können, die im Rahmen des § 254 Abs. 1 BGB nicht zu berücksichtigen sind (MünchKomm-BGB/Oetker, 6. Aufl. 2012, § 253 Rn. 46). Dies ist vorliegend nach dem Gesagten allerdings nicht der Fall.

f.

Aus dem Gesagten folgt, dass der Klage insoweit eine hinreichende Erfolgsaussicht fehlt, als die Klägerin einen über 400,00 € hinausgehenden Schmerzensgeldanspruch geltend macht. Schon unter Zugrundelegung des klägerischen Vorbringens ist ein Schmerzensgeld lediglich in Höhe von höchstens 800,00 € gerechtfertigt. Zudem ergibt sich unter Zugrundelegung des klägerischen Vorbringens ein Mitverschulden der Klägerin, das zu einer Anspruchskürzung um 50 % führt. Demnach besteht lediglich insoweit eine hinreichende Erfolgsaussicht für die Klage, als die Klägerin die Zahlung eines Schmerzensgeldes bis 400,00 € begehrt. Der weitergehende Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist zurückzuweisen.

2.

Soweit die Klägerin mit ihrem Klageantrag zu 2) ursprünglich Feststellung begehrt und diesen zwischenzeitlich für erledigt erklärt hat, besteht keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Dies folgt zwar nicht bereits aus dem Umstand, dass die Klägerin die Hauptsache bezogen auf den Klageantrag zu 2) zwischenzeitlich für erledigt erklärt hat. Denn für die Prüfung der Erfolgsaussicht einer Klage im Rahmen eines Antrages auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ist auf den Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenbewilligungsantrages und nicht auf den Erkenntnisstand zum Zeitpunkt der Entscheidung über diesen Antrag abzustellen (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 12.8.1999 – 5 WF 113/99, OLGR 2000, 24; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 19.5.1995 – 25 WF 91/95, JurBüro 1995, 535 OLG Karlsruhe, Beschl. v. 21.12.1993 – 2 WF 65/93,FamRZ 1994, 1123 ff.; AG Oldenburg (Holstein), Beschl. v. 20.12.2007 – 22 C 454/07, juris Rn. 13; in der Sache ebenso OLG Köln, Beschl. v. 19.5.2006 – 4 WF 89/06, JurBüro 2006, 657). Dem liegt der zutreffende Gedanke zu Grunde, dass es dem Antragsteller nicht zum Nachteil gereichen kann, wenn das Gericht nicht alsbald über seinen Prozesskostenhilfebewilligungsantrag entscheidet und sich sodann Umstände ergeben, die die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung in Frage stellen (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 12.8.1999 – 5 WF 113/99, OLGR 2000, 24 – juris Rn. 9).

Vorliegend ist jedoch im Hinblick auf § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfebewilligungsantrages erst nach Ablauf der der Beklagten gewährten Stellungnahmefrist, also am 07.01.2015 eingetreten. Zu diesem Zeitpunkt war der Feststellungsantrag zu Ziff. 2) jedoch bereits unzulässig geworden.

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