LG Münster – Az.: 12 O 101/11 – Urteil vom 10.10.2011
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von
110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin macht nach einem Glätteunfall Ansprüche gegen die Beklagte aufgrund einer vermeintlichen Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflicht geltend.
Die Klägerin stürzte am 20.12.2010 im Bereich der Innenstadt der Stadt B und zog sich aufgrund dieses Sturzes diverse Verletzungen zu.
Die Klägerin behauptet, sie sei an diesem Tag im Kreuzungsbereich der X / T und damit im Bereich der Fußgängerzone der Stadt B aufgrund einer Glättebildung gestürzt. Am Tag zuvor habe es viel geschneit. Dennoch habe die Beklagte den Schnee weder weggeräumt noch habe sie Salz oder andere abstumpfende Mittel gestreut. Daher sei es am 20.12.2010 gegen 17.30 Uhr in dem streitgegenständlichen Bereich äußerst glatt gewesen. Sie sei aufgrund dieser Glätte gefallen. Den Sturz habe sie nicht verhindern können, obwohl sie äußerste Vorsicht habe walten lassen und winterfestes Schuhwerk getragen habe.
Durch den Sturz habe sie einen komplizierten Trümmerbruch im oberen Sprunggelenk-Bereich erlitten, der mit einer Platte habe fixiert werden müssen. Später sei festgestellt worden, dass sich der Innenknöchel verschoben habe, woraufhin sie für weitere 4 Wochen eine Gipsschiene habe tragen müssen und sich in keinerlei Weise habe bewegen können.
Sie ist der Ansicht, die Beklagte habe durch das behauptete Vorgehen ihre Verkehrssicherungspflicht in dem streitgegenständlichen Bereich verletzt. Dieser Bereich sei besonders sensibel und gefährlich, da Fußgänger und Nutzer der Fußgängerzone diesen Bereich zum Erreichen eines Parkplatzes nutzen müssten.
Aus diesem Grund habe die Beklagte diesen Bereich nicht nur regelmäßig zu räumen, sondern auch zu bestreuen gehabt. Aufgrund der Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten habe diese ihr ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 10.000,00 Euro zu zahlen sowie ihren Verdienstausfallschaden und den Haushaltsführungsschaden auszugleichen.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 7.517,64 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 2.113,00 Euro seit dem 14.01.2011, aus 3.770,00 Euro seit dem 20.04.2011 und aus 1.634,64 Euro seit dem 20.04.2011 zu zahlen, sowie die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.01.2011 zu zahlen, sowie festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr ihren sämtlichen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der aufgrund des Unfalles vom 20.12.2010 im Kreuzungsbereich T / X der Stadt B entstanden ist und künftig entstehen wird, sowie die Beklagte zu verurteilen, an sie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 837,52 Euro zu zahlen, hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, sie freizustellen von den Rechtsanwaltsgebühren der Rechtsanwälte S und Partner, C-Straße, D in Höhe von 837,52 Euro, die im streitgegenständlichen Zusammenhang außergerichtlich entstanden sind.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie bestreitet die konkreten Umstände des Unfalls, dessen Hergang sowie die Unfallfolgen mit Nichtwissen.
Nachdem die Beklagte zunächst behauptet hatte, im streitgegenständlichen Kreuzungsbereich der X mit der T sei am 20.12.2010 zweimal geräumt, jedoch nicht gestreut worden, behauptet sie nun, in diesem Bereich sei an diesem Tag auch gestreut worden, und zwar Salz.
Sie ist der Ansicht, dass ihr daher eine Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflicht nicht vorgeworfen werden könne.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung der Zeugin C1, I, M, U und H. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll der mündlichen Verhandlung vom 29.08.2011, Blatt 89 ff. der Akte, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schadensersatz und Zahlung eines Schmerzensgeldes aus § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 Abs. 1 GG. Es kann vorliegend offenbleiben, wie es zum Unfall der Klägerin am 20.12.2011 konkret gekommen ist, welche gesundheitlichen Folgen dieser Sturz hatte und welche Schäden der Klägerin dadurch entstanden sind. Denn die Klägerin konnte den ihr obliegenden Nachweis für eine Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten nicht erbringen.
Inhalt und Umfang der Verkehrssicherungspflicht und hier insbesondere der Räum- und Streupflicht richten sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles. Träger der Verkehrssicherungspflicht ist vorliegend die Beklagte. Denn bei der X und auch der kreuzenden T handelt es sich um öffentliche Straßen i.S.d. § 2 StrWG NRW. Gemäß § 9 Abs. 3 StrWG NRW und § 1 StrReinG NRW umfasst die zu erhaltende Verkehrssicherheit auch das Räumen und Streuen bei Schnee und Eisglätte als Winterwartung. Die Beklagte hat die Verkehrssicherungspflicht auch nicht auf Dritte delegiert. Die Klägerin ist nach dem Ergebnis der Parteianhörung vorliegend auf der Fahrbahn gestürzt, nicht auf dem Gehweg.
Bei der Festlegung der konkreten Inhalte der Verkehrssicherungspflicht ist zu berücksichtigen, um welche Art von Verkehrsweg es sich handelt und ob dieser viel oder wenig frequentiert wird. Ferner kommt es auf die Wichtigkeit und die Gefährlichkeit des Weges an. Der streitgegenständliche Kreuzungsbereich der X / T ist bereits deshalb stark frequentiert, wichtig und gefährlich, da sich diese Kreuzung unmittelbar zwischen der Fußgängerzone der Stadt B und dem angrenzenden Parkplatz befindet, der für Besucher der Fußgängerzone zugänglich ist und vorgehalten wird. Diese können jedoch die Fußgängerzone nicht erreichen, ohne die X zu überqueren. Aus diesem Grund ist der Kreuzungsbereich besonders verkehrsberuhigt und mit einer Erhöhung zur Verkehrsberuhigung ausgeführt.
Die Räum- und Streupflicht besteht in diesem Bereich dennoch nicht uneingeschränkt. Sie steht unter dem Vorbehalt der Zumutbarkeit, auch ist die Leistungsfähigkeit der verpflichteten Gemeinde zu berücksichtigen (BGHZ 112, 74, 75 f.). Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind im Bereich innerhalb geschlossener Ortschaften die Fahrbahnen der Straße an verkehrswichtigen und gefährlichen Stellen bei Glätte zu bestreuen. Für Fußgänger müssen die Gehwege sowie die belebten, über die Fahrbahn führenden unentbehrlichen Fußgängerüberwege bestreut werden. Gesteigerte Anforderungen an die Sicherungspflicht sind dabei an Örtlichkeiten wie Bahnhöfe und Haltestellen zu stellen, bei denen regelmäßig oder zu bestimmten Zeiten starker Fußgängerverkehr herrscht (BGH vom 20.10.1994, III ZR 60/94). Nichts anderes kann für einen Fußgängerüberweg zwischen einem Parkplatz und dem Beginn der Fußgängerzone in unmittelbarer Nähe zu deren Anfang gelten. Die Beklagte war verpflichtet, diesen Bereich aufgrund der Verkehrswichtigkeit zu räumen und auch zu bestreuen, um zumindest stellenweise ein gefahrloses Passieren zu ermöglichen.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts jedoch nicht fest, dass die Beklagte dieses unterlassen hat. Die Klägerin, die die Beweislast für die Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten trägt, konnte nicht beweisen, dass die Beklagte den streitgegenständlichen Bereich nicht bzw. nicht ausreichend geräumt und gestreut hat. Vielmehr hält es das Gericht für bewiesen, dass die Beklagte ihrer Räum- und Streupflicht ausreichend nachgekommen ist.
Die von der Klägerin zur Frage der Verkehrssicherungspflichtverletzung benannte Zeugin U hat in der mündlichen Verhandlung vom 29.08.2011 ausgesagt, dass unmittelbar vor ihrem Geschäftslokal, welches sich an dem streitgegenständlichen Kreuzungsbereich befindet, am frühen Morgen geräumt worden sei. Zwar konnte sich die Zeugin an den konkreten Tag nicht erinnern, wohl jedoch daran, dass im Winter 2010/2011 stets unmittelbar vor ihrem Laden, offenbar durch ein kleines Räumfahrzeug, geräumt worden war. Der Schnee sei von der Hauswand weg zur Mitte der Fußgängerzone geschoben worden. Dadurch habe sich ein ausreichend breiter Gehweg ergeben. Auch im mittleren Bereich der Fußgängerzone sei geräumt
worden. Der Schnee sei ebenfalls zu dem Schnee geschoben worden, der sich bereits zwischen ihrer Hauswand und der Mitte der Fußgängerzone aufgetürmt habe. Abtransportiert worden sei dieser Schnee jedoch nicht. Zu dem Bestreuen des Gehweges bzw. der Fahrbahn der X konnte die Zeugin keine Angaben machen.
Die des Weiteren vernommenen Zeugen C1, I und M haben, auch unter Rückgriff auf das Streubuch der Stadt B, nachvollziehbar und glaubhaft ausgeführt, dass sowohl die T als auch die X im Winter 2010/2011 nach einem Schneefall stets zweimal geräumt worden sei. Der Zeuge I habe nach seinen Angaben und auch nach der Aussage des Zeugen C1 stets die T befahren, um auf dieser den gefallenen Schnee zu räumen. Nach der ebenfalls übereinstimmenden Aussage der Zeugen C1 und M habe zeitlich später der Zeuge M stets die X befahren, um auf dieser den Schnee zur Seite zu räumen. Im Gegensatz zum Zeugen M sei der Zeuge I im Winter 2010/2011 jedoch nicht stets auch mit Streumitteln in seinem Anhänger gefahren.
Die Zeugen haben eingeräumt, dass in jenem Winter Streumittel rar und nicht über den gesamten Winter ausreichend Streumittel für ein Bestreuen des gesamten Innenstadtbereiches vorhanden waren. Zwar hat sowohl der Zeuge C1 als auch der Zeuge I zunächst behauptet, es sei auf jeden Fall im streitgegenständlichen Bereich durch den Zeugen I auch gestreut worden. Auf konkrete Nachfrage mussten beide jedoch einräumen, dass sie dieses für den 20.12.2010 nicht sicher sagen konnten. Aufgrund der entsprechenden Eintragung im Streubuch der Beklagten gingen beide schließlich vielmehr davon aus, dass zumindest der Zeuge I in diesem Bereich nicht gestreut, sondern ausschließlich geräumt habe, da er nicht mehr über entsprechende Streumittel verfügt haben dürfte. Der Zeuge M hingegen hat ausführlich und gut nachvollziehbar erläutert, dass und warum er stets Salz in seinem Streuanhänger gehabt und dieses im streitgegenständlichen Bereich auch gestreut habe. Er hat ausgeführt, dass er vor dem streitgegenständlichen Bereich stets den Bereich der sogenannten O-/Brücke geräumt und gestreut habe, da es sich bei diesem um einen besonders gefährlichen und glatten Bereich handele. Da dieser stets auf seiner Route gelegen habe, habe er immer Salz in seinen Anhänger geladen. Dies sei über den gesamten Winter 2010/2011 der Fall gewesen. Er sei der einzige Fahrer der Stadt B gewesen, der in diesem Winter stets Salz zur Verfügung gehabt habe, da er diese besonders gefährliche Stelle zu befahren und zu bestreuen gehabt habe. Anschließend sei er auf seiner Route weiter über die X gefahren. Er sei niemals nach dem Bestreuen der O in den Bauhof zurückgefahren, um noch vorhandenes Streumittel aus seinem Anhänger zu entfernen und anderes bzw. kein Streumittel mehr zu laden. Mit dem stets vorhandenen Salz habe er im Kreuzungsbereich der X / T auch immer gestreut, wenn es zuvor geschneit gehabt habe. Trotz der Anweisung des Zeugen C1, nur an besonders gefährlichen Stellen zu streuen, habe er diese Stelle stets bestreut, da sie nach seinem Ermessen eine besonders gefährliche Stelle sei. Aufgrund der Tatsache, dass er nach Schneefall täglich Salz im Anhänger gehabt habe, habe er auch stets Salz, und kein anderes Streumittel, gestreut. So sei dies auch am 20.12.2010 der Fall gewesen.
Diese Aussage des Zeugen M ist glaubhaft. Anhaltspunkte, die gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen sprechen würden, sind nicht vorhanden. Trotz mehrfacher und konkreter Nachfrage ist der Zeuge M bei seiner Aussage geblieben, dass er diesen streitgegenständlichen Bereich bestreut hat. Dieses galt nach seiner Ausführung nicht nur für den streitgegenständlichen Tag, sondern für jeden Schnee-Tag im Winter 2010/2011. Der Zeuge hat auch nachvollziehbar und widerspruchsfrei erklären können, warum er stets über Streumittel verfügte, obwohl diese in der Stadt B geworden waren. Außerdem konnte der Zeuge sich an diverse Details der Streuung erinnern, so zum Beispiel, dass er den Schnee auf der X stets nach links geschoben und die Streubreite seines Fahrzeuges stets auf 5 Meter eingestellt habe. Zudem lässt sich die Aussage des Zeugen M auch mit den Eintragungen im Streubuch der Beklagten gut in Einklang bringen. Darin war verzeichnet, dass am Unfalltag im Bereich der O/Brücke Salz gestreut worden war.
Nach alledem steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der streitgegenständliche Bereich am 20.12.2010 durch die Zeugen I und M zweimal geräumt und bei der zweiten Räumung auch gleichzeitig bestreut worden ist. Weitere Räum- oder Streumaßnahmen waren nicht erforderlich, um der Verkehrssicherungspflicht gerecht zu werden. Diese waren nicht zumutbar. Nach dem eigenen Vortrag der Klägerin hatte es am 19.12.2010 letztmalig geschneit, sodass die Beklagte davon ausgehen konnte, dass durch zweimaliges Räumen des streitgegenständlichen Bereiches und das einmalige Bestreuen das Erforderliche und Zumutbare getan war. Die Klägerin kann nicht verlangen, dass durch die Räumung und Bestreuung sämtlicher Schnee bzw. Schneemast von einer Fahrbahn entfernt wird. Daher kommt es nicht darauf an, ob die Straßenbreite der X mehr als fünf Meter betragen und damit möglicherweise nicht jeder Zentimeter von einer Streuung erfasst worden sein könnte. Erforderlich und dem Verkehrssicherungspflichtigen zumutbar ist lediglich, dass ein so breiter Bereich geräumt und gestreut wird, dass Fußgänger diesen möglichst gefahrlos passieren können. Dies ist mit einer zweimaligen Räumung und einer Streuung mit Salz nach dem letzten Schneefall vorliegend geschehen.
Mangels Hauptanspruches stehen der Klägerin auch keine Nebenansprüche zu.
Die Nebenentscheidungen resultieren aus den §§ 91, 709 ZPO.