LG Magdeburg – Az: 10 O 299/10 – 072 – Urteil vom 28.09.2010
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag von 7.460,52 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 7.228,52 Euro seit dem 10. November 2009 und aus 232 Euro seit dem 13. März 2010 zu zahlen.
2. Der Beklagte wird verurteilt, an die Prozessbevollmächtigten der Klägerin die außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 555,60 Euro nebst Umsatzsteuer zu bezahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Beklagte zu vier Fünfteln und die Klägerin zu einem Fünftel.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Die Klägerin darf die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der Streitwert wird auf 9.325 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin verlangt vom beklagten Landkreis Schadensersatz und Schmerzensgeld aus einem Verkehrsunfall, der sich am 17. August 2009 gegen 12.20 Uhr auf der Ortsverbindungsstraße zwischen G und O ereignet hatte.
Die im nahe gelegenen B wohnhafte Klägerin befuhr mit ihrem Fahrzeug die Straße von G nach O. Zu dieser Zeit fanden im gesamten Straßenverlauf über einen längeren Zeitraum Reparaturarbeiten an der Fahrbahnoberfläche statt, bei welcher auf schadhafte Stellen der Fahrbahn eine Bitumenemulsion und Edelsplitt der Körnung 2/5 mm aufgetragen wurden. In einer Rechtskurve geriet die Klägerin ins Schleudern und kam nach links von der Fahrbahn ab, wo sie sich mit ihrem Fahrzeug überschlug. Die Klägerin erlitt bei dem Unfall eine 4 cm lange klaffende Kopfplatzwunde, welche genäht werden musste. Das Fahrzeug erlitt bei dem Unfall einen Totalschaden.
Nach der Ortsausfahrt von G und in einer Entfernung von ungefähr 2 Kilometern vor der Unfallstelle war das für die Klägerin sichtbare Verkehrszeichen 116 („Achtung, Rollsplitt“) aufgestellt.
Die Klägerin macht einen Wiederbeschaffungswert von 7.375 Euro abzüglich eines Restwertes von 100,00 Euro, Mietwagenkosten von 290,00 Euro, Gutachterkosten von 160,65 Euro, eine Kostenpauschale von 25 Euro, pauschale An- und Abmeldekosten von 75,00 Euro sowie den Zeitwert für die beim Unfall entzwei gebrochene Brille von 500,00 Euro, mithin 8.325,65 Euro, geltend. Darüber hinaus begehrt sie ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 500 Euro.
Die Klägerin behauptet, die Straße sei von dem Hinweisschild bis zu der Unfallstelle gesäubert gewesen. In der Kurve habe Rollsplitt gelegen, und zwar etwa ab dem Anfang der Kurve. Sie ist der Ansicht, das Verkehrszeichen hätte vor der beginnenden Kurve wiederholt werden müssen, um sie, die Klägerin, auf den Rollsplitt und die damit einhergehende Gefahr aufmerksam zu machen.
Sie beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 8.325,65 Euro sowie ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz auf 8.535,65 Euro seit 10. November 2009 sowie 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz auf 290,00 Euro seit Rechtshängigkeit zu bezahlen und die Beklagte zu verpflichten, an die Prozessbevollmächtigten der Klägerin die außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 583,70 Euro nebst Umsatzsteuer zu bezahlen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte tritt der Behauptung der Klägerin, die Straße sei gesäubert gewesen, entgegen. Er ist der Ansicht, dass eine Wiederholung des Hinweisschildes nicht erforderlich gewesen sei. Die Klägerin habe rechtzeitig erkennen und sich darauf einstellen können, dass Straßenarbeiten durchgeführt wurden.
Am 6. Mai 2010 und am 31. August 2010 hat jeweils Termin zur mündlichen Verhandlung stattgefunden. Zum Inhalt und zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsprotokolle verwiesen (Bl. 39, 76 d.A.).
Der Beklagte macht sich die Bekundung des gehörten Zeugen S zu Eigen, wonach vor der Unfallstelle ein Schild, welches auf eine Baustelle hingewiesen habe, und ein Schild, welches eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h angeordnet habe, aufgestellt gewesen seien.
Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Klage ist überwiegend begründet.
1.
Der Klägerin steht ein Anspruch auf materiellen Schadensersatz und Schmerzensgeld aus Amtshaftung gem. § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG in Höhe von 7.460,52 Euro zu.
Voraussetzung eines Anspruchs ist das Vorliegen einer Amtspflichtverletzung. Dabei handelt es sich um die Pflicht von Bediensteten der öffentlichen Hand, bei hoheitlichem Handeln im gebotenen Umfang Rücksicht zu nehmen und die im Verkehr erforderliche Sorgfalt zu beachten, so dass in den Schutzbereich dieser Pflicht einbezogene Dritte nicht geschädigt werden. Eine solche Pflichtverletzung in der Form der Verletzung einer konkreten Verkehrssicherungspflicht liegt vor. Dies steht zur Überzeugung der Kammer nach Durchführung der Beweisaufnahme fest.
Unstreitig hat sich mindestens 2 Kilometer vor der Unfallstelle ein Hinweisschild befunden, das vorbeifahrende Verkehrsteilnehmer auf die Möglichkeit von Rollsplitt hingewiesen hat. Hierdurch wurde auch der Klägerin vor Augen geführt, dass in dem vor ihr liegenden Streckenabschnitt mit Straßenarbeiten zu rechnen ist, in deren Rahmen die Fahrbahn mit Rollsplitt versehen wird und es zu losem Rollsplitt auf der Fahrbahn kommen kann. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 der Straßenverkehrsordnung darf der Fahrzeugführer nur so schnell fahren, dass er sein Fahrzeug ständig beherrscht. Er hat seine Geschwindigkeit insbesondere den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen sowie seinen persönlichen Fähigkeiten und den Eigenschaften von Fahrzeug und Ladung anzupassen (Satz 2).
Dass es gleichwohl zu einem Unfall gekommen ist, führt die Kammer auf den von Rollsplitt bedeckten Straßenabschnitt im Kurvenverlauf zurück, mit welchem die Klägerin aufgrund eines pflichtwidrigen Fehlverhaltens von Bediensteten der Beklagten aber nicht zu rechnen brauchte.
Die Klägerin ist darlegungs- und beweisbelastet für jene Tatsachen, aus denen sich ein pflichtwidriges Fehlverhalten von Bediensteten der Beklagten ableiten soll. Diesen Beweis sieht die Kammer für erbracht an. Unter Berücksichtigung des Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses der Beweisaufnahme ist die Kammer davon überzeugt (§ 286 Abs. 1 ZPO), dass die von der Klägerin befahrene Fahrbahn zwischen dem Verkehrszeichen 116 („Achtung, Rollsplitt“) und der Unfallstelle gereinigt war und zum Anfang des Kurvenbereichs in einen mit Rollsplitt bedeckten Straßenabschnitt übergegangen ist, ohne dass ein gesondertes Hinweisschild aufgestellt gewesen war.
Der Beklagte hat vorgetragen, dass die Klägerin seit dem Ortsausgang ….. eine ungesäuberte Strecke befahren habe, auf der überall Rollsplitt vorhanden gewesen sei. Bereits behandelte Straßenteile würden keinesfalls gesäubert. Vielmehr verbliebe der Rollsplitt während der gesamten Arbeiten liegen. Nach Abschluss der Flickarbeiten werde die Straße dann in einem Zug gesäubert.
Die Kammer hält dies durch die glaubhaften Bekundungen der Zeugen K für widerlegt. Die Zeugen K haben die Behauptung der Klägerin bestätigt, weshalb die Kammer nach freier Beweiswürdigung von einem schuldhaften pflichtwidrigen Fehlverhalten des Beklagten ausgeht.
Die Zeugin …… ist die Cousine der Klägerin und mag deshalb ein Interesse am Ausgang des Verfahrens haben. Gleichwohl hat die Kammer keine Anhaltspunkte dafür gefunden, dass die Zeugin zugunsten der Klägerin eine Aussage getätigt habe. Die Kammer hat den Eindruck gewonnen, dass es der Zeugin um eine möglichst objektive Schilderung des Geschehenen ging und sie die persönliche Verbindung zur Klägerin weitgehend auszublenden versuchte. Die glaubwürdige Zeugin hat bekundet, dass sie nach dem Schild, welches auf Rollsplitt hingewiesen hatte, bis zur Unfallstelle kein weiteres Schild gesehen habe. Für die Wahrheit dieser Behauptung spricht, dass die Zeugin telefonisch über den Unfall der Klägerin informiert worden war. Sie befand sich mit ihrem Ehemann, dem Zeugen ……, auf den Weg der ihr im Einzelnen nicht bekannten Unfallstelle, so dass sie nach Bewertung der Kammer ein besonderes Augenmerk auf die Fahrbahn und den unmittelbaren Straßenrand gelegt hat. Hierfür spricht auch, dass die Zeugin die Straße relativ selten benutzt. Sie wohnt nicht in der Gegend. Die Kammer geht davon aus, dass die Zeugin deshalb mit Aufmerksamkeit den Straßenverlauf verfolgt hat. Wenn es ein weiteres Hinweisschild gegeben hätte, dürfte dieses der Aufmerksamkeit der Zeugin nicht entgangen sein. Hiergegen spricht nicht, dass die Zeugin sich im Fahrzeug mit ihrem Ehemann unterhalten hat. Eine Unterhaltung setzt nicht notwendigerweise einen Blickkontakt der Gesprächspartner voraus, so dass ein Einschränkung der Beobachtungsgabe nicht anzunehmen ist. In dem Gespräch ging es überdies um das eingangs bemerkte Hinweisschild und den von den Zeugen nicht festgestellten Rollsplitt.
Die Bekundung der Zeugin wird bestätigt durch ihren Ehemann, dem Zeuge K, dessen Bekundung die Kammer besondere Bedeutung beimisst. Der Zeuge ……… war ersichtlich bemüht, den Geschehensablauf aus der Sicht und mit dem Erfahrungswissen eines langjährigen Kraftfahrers zu schildern, der sich bislang keinerlei Verkehrsvergehen hat zu schulden kommen lassen. Auf Nachfrage der Kammer, seit wann er den Führerschein habe, reagierte der Zeuge erkennbar entrüstet und antwortete demonstrativ, seit 1963 den Führerschein und keine Punkte in Flensburg zu haben. Der Zeuge K gab ebenfalls an, nach dem besagten Hinweisschild und bis zu der Kurve kein weiteres Schild gesehen zu haben. Da der Zeuge den Straßenabschnitt nur selten befährt, er über eine langjährige Fahrpraxis verfügt und außerdem er eine ihm nur in groben Zügen bekannte Unfallstelle erreichen wollte, ist die Kammer der Überzeugung, dass der Zeuge trotz des mit der Zeugin K geführten Gesprächs ebenfalls den Straßenverlauf besonders aufmerksam verfolgt und die Straßenverhältnisse eingehend beobachtet hat. Wäre ein weiteres Hinweisschild aufgestellt gewesen, hätte es dem Zeugen auffallen müssen.
Die Kammer hält die widersprechenden Angaben des Zeugen ……… dagegen nicht für glaubhaft. Möglicherweise unterliegt der Zeuge einem Irrtum. Denn der Zeuge S, der bei der Straßenmeisterei des Beklagten beschäftigt ist, hat angegeben, dass rund 200 Meter vor der Kurve ein Schild mit dem Hinweis „Achtung Rollsplitt“ gestanden habe. Diese Angabe widerspricht der Bekundung der Zeugen ……. An der Tagesbaustelle werde zu Beginn der täglichen Arbeiten, nämlich morgens gegen 6.45 Uhr, beidseitig ein kombiniertes Schild aufgestellt, auf dem „Achtung Baustelle“ stehe und eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km angeordnet werde. Dieses Schild sei mithilfe einer Stange in einem Markierungspfosten hineingeschoben worden, und zwar im dritten Markierungspfosten vor der Kurve, also rd. 150 Meter vor dem Kurvenbeginn. Das Schild mit dem Hinweis auf Rollsplitt habe sich ein Markierungspfosten weiter weg befunden, d.h. rd. 200 Meter vor Kurvenbeginn. Eine Kontrollfahrt an diesem Morgen habe ergeben, dass das Schild „Rollsplitt“, welches über die gesamte Dauer der Maßnahmen nicht entfernt werde, noch dagestanden habe. Der Straßenabschnitt zwischen ……wurde bis zum Unfalltag aber bereits seit rund zwei Wochen repariert. Der Zeuge S gab an, dass die tägliche Wegstrecke, die von der Kolonne zurückgelegt werde, zwischen 100 und 150 Meter betrage, je nachdem, wie kaputt der Straßenabschnitt sei. Geht man deshalb davon aus, dass sich das vom Zeugen geschilderte Aufstellen und Abnehmen der „Tagesbeschilderung“ täglich mehrfach, nämlich für beide Fahrtrichtungen, wiederholt hat, ist nicht auszuschließen, dass der Zeuge bei seiner Vernehmung nicht eine konkrete Erinnerung an den Unfalltag hatte, sondern schilderte, was sich an einem beliebigen anderen Tag als Teil eines routinierten Tagesablaufes zugetragen hatte. Für einen Irrtum spricht, dass die Zeugen ……. das Hinweisschild „Achtung Rollsplitt“ in viel größerer Entfernung, nämlich geschätzt zwischen 500 Metern bis 4 Kilometer, vor der Stelle aufgestellt gesehen haben, an welcher nach Bekundung des Zeugen S am Unfalltag mit den Straßenarbeiten begonnen worden ist. Dazwischen liegt ein überwiegend gerader Streckenabschnitt, bei welchem der Zeuge ……. und dessen Kollegen der Straßenmeisterei durchaus annehmen konnten, herannahende Verkehrsteilnehmer würden die Tagesbauarbeiten sehen und ihre Fahrweise darauf einstellen. Möglicherweise ist unterblieben, das Schild „Achtung, Rollsplitt“ der Fortbewegung der Tagesbaustelle „nachzuziehen“ und damit so zu versetzen, dass ein Verkehrsteilnehmer bei Wahrnehmung des Schildes unmittelbar mit Rollsplitt rechnen kann. Die Kammer hält es ebenso wenig für ausgeschlossen, dass die „Tagesbeschilderung“ nicht an allen Arbeitstagen aufgebaut gewesen war. Grund könnte sein, dass für unnötig befundener Mehraufwand vermieden wird. Immerhin gab der Zeuge S an, dass die zu reparierende Straße in einem schlechten Zustand gewesen sei. Mit einer zügigen Fortbewegung der Tagesbaustelle war deshalb nicht zu rechnen. Der tägliche Arbeitsfortschritt dürfte damit her nur 100 Meter betragen haben. Bei einem verhältnismäßig geraden und gut einsehbaren Streckenabschnitt mag sich eine größere Gefahr nicht ergeben. Als die Tagesbaustelle aber auf Höhe der Rechtskurve angekommen war, änderte sich die Situation. Fortan war eine zusätzliche Beschilderung mit dem „Tagesschild“ unumgänglich und eine unterlassene Beschilderung besonders gefährlich. Anhaltspunkte dafür, dass der Zeuge …… bewusst ein Geschehen geschildert, dass den Tatsachen widerspricht, sieht die Kammer allerdings nicht. Zwar mag der Zeuge ein Interesse an einer Bekundung haben, aus der sich ein fehlerhaftes Verhalten nicht ergibt. Der Beklagte ist schließlich dessen Arbeitgeber. Die Kammer geht aber davon aus, dass der Zeuge …… lediglich einem Irrtum unterlegen ist und nicht mit dem Willen handelte, etwas Falsches zu sagen.
Die Kammer nimmt weiter an, dass das auf Rollsplitt hinweisende Schild mindestens zwei Kilometer vor der Unfallstelle, möglicherweise aber auch noch weiter entfernt vor dieser gestanden hat. Die Zeugin K sollte die Entfernung schätzen. Sie gab 500 Meter an. Der Zeuge … schätzte die Entfernung mit 3 bis 4 Kilometern. Angesichts der Tatsache, dass der Zeuge ….. lange am Straßenverkehr teilnimmt und ein Schätzen von Entfernungen gerade aus einem sich bewegenden Fahrzeug heraus sehr ungenau sein kann, legt die Kammer gleichwohl eine Entfernung von mindestens 2 Kilometern zugrunde. Die Kammer hält es nahezu für ausgeschlossen, dass sich der straßenverkehrserfahrene Zeuge …… bei seiner Angabe so weit verschätzt haben könnte, dass von einer Entfernung von unter 2 Kilometern ausgegangen werden müsste.
Die Kammer ist zudem überzeugt, dass der Streckenabschnitt zwischen dem Hinweisschild und dem Kurvenbeginn von Rollsplitt gesäubert war und kein Rollsplitt auf dem Fahrbahnabschnitt lag. Das ergibt sich ebenfalls aus den Bekundungen der Zeugen ….. Wann eine Straße „gesäubert“ ist, ist Ansichtssache. Aus Sicht der Zeugen K mag eine saubere Straße bereits dann vorgelegen haben, wenn kein Unrat oder keine größere Mengen an Rollsplitt auf der Fahrbahn liegen. Ein erfahrener Straßenbauarbeiter wie der Zeuge …. beurteilt die Sauberkeit einer Straße ganz anders, weil er seine fachliche Sicht vor Augen hat und die Beurteilung anhand anderer Kriterien vornimmt. Gleichwohl ist die Bekundung des Zeugen ……. nicht geeignet, die Überzeugung der Kammer zu erschüttern. Der Zeuge ….. hat angegeben, dass der Straßenabschnitt Tage vor dem Unfall schon einmal grob gefegt worden sei. Was grobes Fegen bedeutet, ist zwar Ansichtssache. Auf Nachfrage erklärte der Zeuge aber, dass mit einem groben Fegen das Abfahren mit einer Kehrmaschine zu verstehen sei. Sauber sei die Straße danach aber immer noch nicht. Diese Differenzierung vermag der Kammer nicht so recht einzuleuchten. Die Kammer geht davon aus, dass das Abfahren des Streckenabschnitts mit einer handelsüblichen Kehrmaschine unter Verwendung rotierender Bürsten erfolgt ist und die Fahrbahn jedenfalls derartig gereinigt hat, dass loser Rollsplitt großflächig entfernt worden ist. Dass vereinzelt Splittsteine zurückgeblieben waren, steht dem nicht entgegen.
Zu Beginn des Kurvenbereichs hat auch Rollsplitt auf der Fahrbahn gelegen. Das ergibt sich aus dem insoweit unstreitigen Vortrag der Parteien. Es wird durch die Zeugen bestätigt. Die Zeugin ……. sprach von „zentimeterdick“, der Zeuge ….. äußerte den Eindruck, dass er mit seiner vorher gefahrenen Geschwindigkeit von 80 bis 100 km/h – wie die Klägerin – auch von der Fahrbahn abgekommen wäre. Der Zeuge …… hatte Rollsplitt dort für möglich gehalten.
Die Klägerin musste anhand der Beschilderung auf dem zunächst gerade verlaufenden Streckenabschnitt mit Rollsplitt rechnen und sich mit ihrer Fahrweise darauf einstellen. § 3 Abs. 1 StVO verlangt vom Kraftfahrzeugführer, nur so schnell zu fahren, dass er sein Fahrzeug ständig beherrscht. Das Auftreten von Rollsplitt in der später folgenden Kurve liegt im konkreten Fall aber außerhalb dessen, womit die Klägerin nach den Umständen zu rechnen hatte.
Die Reinigung der Fahrbahnoberfläche hat dazu geführt, dass zwischen der Beschilderung und dem tatsächlichen Straßenzustand ein Widerspruch bestand. Nach Ansicht der Kammer konnte ein Verkehrsteilnehmer dadurch den Eindruck gewinnen, die Straße sei bereits repariert, zunächst verstreuter Rollsplitt mit der aufgetragenen Emulsion eine feste Verbindung zur Fahrbahnoberfläche eingegangen und lose gebliebener Rollsplitt schon entfernt worden. Ein Verkehrsteilnehmer konnte deshalb darauf schließen, dass die Entfernung des Hinweisschildes „vergessen“ worden ist und eine Freigabe des reparierten Straßenabschnitts bereits erfolgt war.
Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin gleichwohl mit Rollsplitt rechnen musste, sieht die Kammer nicht. Wäre Rollsplitt lose auf der Fahrbahn, würde allein dieser Umstand den Verkehrsteilnehmer in die Lage versetzen, sich während des Fahrvorgangs an die anfängliche verkehrsrechtliche Anordnung zu erinnern und auch über einen langen Streckenverlauf stets nach dieser zu handeln. Ist aber anzunehmen, dass sich über die gesamte verhältnismäßig gerade Strecke – wie hier – frisch geflickte Fahrbahnstellen befinden, während loser Rollsplitt nicht auf diesem Fahrbahnabschnitt lag, darf ein Verkehrsteilnehmer davon ausgehen, dass bereits eine Reinigung des Fahrbahnabschnitts stattgefunden hat und die angekündigte Rollsplittgefahr gebannt ist.
Trotz einer sich nicht wiederholenden Beschilderung brauchte die Klägerin nicht von einem Fortbestehen einer Gefahrenlage ausgehen, d.h. weiterhin mit Rollsplitt rechnen. Die Anordnung eines Verkehrszeichens bleibt im Gedächtnis eines Verkehrsteilnehmers nur dann aufrecht, wenn sich die dem Verkehrszeichen innewohnende Anordnung in regelmäßigen Abständen wiederholt. Dem Verkehrsteilnehmer wird vor Augen geführt, dass eine Anordnung besteht und weiterhin beachtet werden muss. In welchen Abständen eine Wiederholung erfolgen muss, lässt sich generell nicht sagen. Das hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Dieser Zusammenhang zwischen Beschilderung und „sachgedanklichem“ Bewusstsein der Verkehrsteilnehmer wird insbesondere bei Verkehrszeichen deutlich, die eine Geschwindigkeitsbeschränkung anordnen. Bei Geschwindigkeitsbeschränkungen fehlen dem Verkehrsteilnehmer in der Regel physisch wahrnehmbare Kriterien, die seine Erinnerung an die Anordnung über längere Zeit oder eine längere Strecke wach halten. Wird durch Verkehrszeichen auf eine bestimmte Gefahrenlage hingewiesen, ist eine Wiederholung dieses Hinweises durch Verkehrsschild allein deshalb nicht in allen Fällen erforderlich, weil die tatsächlichen Verhältnisse vor Ort den Verkehrsteilnehmer daran erinnern. Bauarbeiten oder ähnliche für den Verkehrsteilnehmer erkennbare Ereignisse bilden wahrnehmbare Kriterien, die zugleich eine hinreichende „Gedächtnisstütze“ sind. Zwar hält die Kammer eine wiederholte Aufstellung eines Hinweisschildes nach einer verhältnismäßig geraden Wegstrecke von 2 Kilometern seit dem letzten Hinweis ohne Hinzutreten weiterer Umstände noch nicht für erforderlich, insbesondere dann nicht, wenn loser Rollsplitt auf der Straße zu sehen gewesen wäre. Die Tatsache, dass zunächst kein Rollsplitt auf der Straße lag und sich ein Hinweisschild nicht wiederholte, konnte aber die Vorstellung begründen, dass eine Reinigung der Straße bereits erfolgt sei. Die Klägerin durfte erwarten, dass bei einem Wechsel zwischen einem mindestens 2 km überwiegend geraden Streckenabschnitt in einen Kurvenabschnitt bei gleichzeitig einsetzendem Rollsplitt auf diese zusätzliche Gefahr (erneut) hingewiesen worden wäre (vgl. auch Landgericht Frankfurt (Oder), NVwZ-RR 2009, 981 – zitiert nach juris).
Der Klägerin steht Schadensersatz gem. §§ 249 ff. BGB zu. Die Höhe des materiellen Schadensersatzes ergibt sich aus den von der Klägerin beigefügten und von dem Beklagten nicht substantiiert angegriffenen Unterlagen. Danach beläuft sich der Wiederbeschaffungswert auf 7.375,00 Euro. Abzüglich eines Restwertes von 100 Euro verbleiben 7.275,00 Euro. Erstattungsfähig sind auch die Kosten für ein Kraftfahrzeuggutachten in Höhe von 160,65 Euro. Ebenso wenig zu beanstanden sind die Kosten für die Abmeldung des alten und die Anmeldung eines neuen Pkw, die mit pauschal 75 Euro angegeben sind. Dasselbe gilt für eine Pauschale über 25 Euro. Erstattungsfähig sind schließlich auch die Mietwagenkosten in Höhe von 290 Euro. Die Kammer geht von einem Nutzungswillen und einer Nutzungsmöglichkeit der Klägerin aus. Ausweislich der Bescheinigung des Klinikums W (Anlage 7, Bl. 14 d.A.) wurde die Klägerin noch am Unfalltag aus dem Krankenhaus entlassen. Das Mietfahrzeug stand der Klägerin in der Zeit vom 25. August 2009 bis 21. Oktober 2009, mithin für fast zwei Monate zur Verfügung. Die dafür entstandenen Kosten sind als niedrig zu bezeichnen und deshalb keinesfalls unangemessen. Außerdem hat die Klägerin Anspruch auf Ersatz der zerbrochenen Brille. Die Klägerin macht hierfür lediglich einen Teilbetrag über 500,00 Euro geltend. Diesem Betrag ist der Beklagte nicht entgegengetreten, so dass die Kammer nach eigener Schätzung (§ 287 BGB) von einem angemessenen Preis-Leistungs-Verhältnis der Ersatzbeschaffung ausgeht.
Der materielle Schaden der Klägerin beläuft sich damit rechnerisch auf 8.825,65 Euro. Die Kammer geht davon aus, dass es sich bei dem Betrag von 8.325,65 Euro im gestellten Klageantrag um ein Schreibversehen handelt. Die Kammer legt dieses Versehen dahingehend aus (§ 308 Abs. 1 ZPO), dass korrekterweise 8.825,65 Euro beantragt seien. Das ergibt sich zum einen daraus, dass die wegen der Berechnung der Zinsforderung notwendige Aufteilung der Klagesumme in 2 Beträge bei Addition dieser Teilbeträge einen Betrag von 8.825,65 Euro ergibt. Zum anderen ergibt die Addition der in der Klagebegründung näher aufgeschlüsselten Einzelbeträge auch diesen Wert.
Außerdem begehrt die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld (§ 253 Abs. 1 BGB). Schmerzensgeld hat die Funktion, den immateriellen Schaden des Geschädigten angemessen auszugleichen. Es hat außerdem Genugtuungsfunktion. Die Kammer hält – auch in Anbetracht der einschlägigen Rechtsprechung bei gleich gelagerten Fällen – ein Schmerzensgeld in Höhe von 500 Euro, welches der Mindestvorstellung der Klägerin entspricht, für gerade noch angemessen. Zu berücksichtigen ist zwar, dass die Klägerin eine Kopfplatzwunde davon getragen hat, glücklicherweise aber im Übrigen unverletzt geblieben ist. Auf der anderen Seite konnte die Klägerin bereits am Tag des Unfalls das Krankenhaus verlassen. Aus der Bescheinigung des Klinikums W geht hervor, dass sich die erforderliche Nachbehandlung der Klägerin auf Wund- und Befundkontrollen erstreckte und eine Entfernung des Nahtmaterials nach 10 Tagen empfohlen worden war. Dem Grad an erlittenen Leid und Schmerzen wird ein Schmerzensgeld in Höhe von 500 Euro gerecht, ein höheres Schmerzensgeld ist aus der Sicht der Kammer dagegen nicht gerechtfertigt.
Allerdings hat sich die Klägerin auf ihren Schadensersatzanspruch (8.825,65 Euro + 500 Euro) ein Mitverschulden nach § 254 BGB anrechnen zu lassen. Dieses bemisst die Kammer in ihrer Abwägung mit 20 Prozent. Das ergibt sich aus der Beteiligung eines Kraftfahrzeugs am Unfallgeschehen und ist in dessen Betriebsgefahr begründet. Die allgemeine Betriebsgefahr ist die Summe der Gefahren, die das Kraftfahrzeug durch seine Eigenart in den Verkehr trägt. Anhaltspunkte dafür, dass das Unfallgeschehen für die Klägerin durch höhere Gewalt im Sinne von § 7 Abs. 2 StVG ausgelöst worden ist, bestehen nicht. Vielmehr sieht die Kammer Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin nicht alles unternommen hat, um den Unfall zu vermeiden. Der Beginn der Kurve war von weitem zu ersichtlich, so dass die Klägerin hätte bremsbereit sein müssen. Wäre es auf der Seite des Beklagten zu einem Schaden gekommen, hätte auch die Klägerin gehaftet. Deshalb muss sie sich die Betriebsgefahr entgegen halten lassen ( Rixecker , in: Geigel, der Haftpflichtprozess, München 2004, S. 50). Anhaltspunkte für ein weitergehendes Mitverschulden sieht die Kammer nicht. Nach alledem beläuft sich die Schadensersatzforderung auf 7.460,52 Euro (80 Prozent von 9.325,65 Euro).
2.
Letztlich hat die Klägerin auch Anspruch, von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten freigestellt zu werden (§ 257 Abs. 1 BGB). Dieser Betrag errechnet sich – ausgehend von einem Betrag von lediglich 7.460,52 Euro – mit 535,60 Euro netto, mit Pauschale (20 Euro) 555,60 Euro netto.
3.
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 280, 286, 288 BGB.
II.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 91, 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.