Der Geschädigte muss nach einem Totalschaden nicht auf ein höheres Restwertangebot der Versicherung warten, bevor er das Fahrzeug verkauft. Wenn er das Fahrzeug auf Grundlage eines Sachverständigengutachtens zum ermittelten Restwert veräußert, genügt er seiner Schadensminderungspflicht.
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Übersicht:
- ✔ Das Wichtigste in Kürze
- Totalschaden: Kein Abwarten auf höheres Restwertangebot erforderlich
- Der Fall vor dem Landgericht Hannover im Detail
- ✔ FAQ zum Thema: Regulierung von Totalschäden
- Was versteht man unter einem Totalschaden und welche Optionen hat der Geschädigte?
- Welche Pflichten hat der Geschädigte bei der Schadensabwicklung nach einem Unfall?
- Wie wird der Restwert eines Fahrzeugs nach einem Totalschaden bestimmt?
- Was sollte man beachten, wenn man ein Restwertangebot der Versicherung erhält?
- § Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- ➜ Das vorliegende Urteil vom Landgericht Hannover
✔ Das Wichtigste in Kürze
- Der Geschädigte ist nicht verpflichtet, nach Vorlage des Sachverständigengutachtens ein höheres Restwertangebot der Versicherung abzuwarten.
- Es liegt kein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht vor, wenn der Geschädigte sein Fahrzeug nach Gutachtenvorlage unverzüglich zum Restwert veräußert.
- Ein Abwarten des Geschädigten kann nur verlangt werden, wenn ihm keine wirtschaftlichen Nachteile (z.B. Mietwagenkosten) drohen.
- Die Versicherung muss dem Geschädigten verbindlich mitteilen, in welcher Frist nach Gutachtenvorlage ein höheres Angebot folgt und er abwarten soll.
- Kosten für Privatgutachter müssen vollständig erstattet werden, wenn Anspruch wirksam an Geschädigten zurückabgetreten wurde.
- Auch die Restanwaltskosten für den Mehraufwand hinsichtlich des unterschiedlichen Restwertes sind zu erstatten.
Totalschaden: Kein Abwarten auf höheres Restwertangebot erforderlich
Verkehrsunfälle gehören leider zum Alltag auf unseren Straßen. Wenn es zu einem solchen Ereignis kommt, stehen die Geschädigten oft vor vielen offenen Fragen.

Wie lässt sich der entstandene Schaden rechtlich und finanziell am besten abwickeln? Welche Ansprüche können geltend gemacht werden? Und was bedeutet eigentlich ein Totalschaden?
In solchen Fällen ist es wichtig, die eigenen Rechte zu kennen und die korrekte Vorgehensweise zu verstehen. Denn die Abwicklung von Verkehrsunfällen, insbesondere wenn ein Totalschaden vorliegt, unterliegt einer Reihe komplexer rechtlicher Bestimmungen. Nur wer diese Zusammenhänge durchschaut, kann eine faire Entschädigung und eine reibungslose Regulierung des Schadens sicherstellen.
Im Folgenden wird ein aktuelles Gerichtsurteil vorgestellt, das wichtige Erkenntnisse zur Abrechnung von Totalschäden liefert. Dieses Urteil bietet wertvolle Orientierung für alle, die sich in einer ähnlichen Situation befinden.
Der Fall vor dem Landgericht Hannover im Detail
Geschädigter muss Restwertangebot der Versicherung nicht abwarten – Urteil zum Totalschaden
Das Landgericht Hannover hat in einem aktuellen Fall entschieden, dass ein Geschädigter nach einem Verkehrsunfall mit Totalschaden nicht verpflichtet ist, ein höheres Restwertangebot der Versicherung abzuwarten, bevor er das Fahrzeug verkauft. Der Kläger in diesem Fall hatte sein Fahrzeug nach Vorlage eines Sachverständigengutachtens zum ermittelten Restwert veräußert, obwohl die Versicherung später ein höheres Angebot vorlegte.
Die zentrale Frage in diesem Rechtsstreit war, ob der Kläger durch den sofortigen Verkauf gegen seine Schadensminderungspflicht verstoßen hat. Die Beklagte (Versicherung) argumentierte, dass der Kläger durch das Abwarten des Restwertangebots der Versicherung einen höheren Verkaufspreis hätte erzielen und somit den Gesamtschaden reduzieren können.
Gericht stärkt Rechte von Geschädigten bei Totalschaden
Das Gericht folgte dieser Argumentation jedoch nicht und gab dem Kläger Recht. Es stellte fest, dass der Geschädigte bei einem Totalschaden die Wahl hat, ob er das Fahrzeug reparieren lässt oder es zum Restwert verkauft. Entscheidet er sich für den Verkauf, so genügt er seiner Schadensminderungspflicht, wenn er das Fahrzeug auf Grundlage eines Sachverständigengutachtens und des darin ausgewiesenen Restwerts veräußert.
Dabei räumte das Gericht ein, dass es in engen Grenzen Ausnahmen von diesem Grundsatz geben kann. So müsste der Geschädigte ein höheres Restwertangebot der Versicherung abwarten, wenn dies ohne größere Anstrengungen möglich wäre und ein bindendes Angebot vorliegt, bei dem das Unfallfahrzeug beim Geschädigten abgeholt wird.
Verbindlichkeit und wirtschaftliche Nachteile entscheidend
Im vorliegenden Fall hatte die Versicherung dem Kläger lediglich in einem allgemeinen Schreiben mitgeteilt, dass sie ihm ein besseres Angebot vermitteln könne, ohne jedoch konkrete Angaben zur Höhe des Angebots oder zum zeitlichen Ablauf zu machen. Das Gericht betonte, dass dem Geschädigten ein Abwarten nur zugemutet werden kann, wenn er keine wirtschaftlichen Nachteile befürchten muss.
Dazu zählen beispielsweise die Kosten für einen Mietwagen oder eine Nutzungsentschädigung, falls der Geschädigte den Kauf eines Ersatzfahrzeugs aufgrund des ausstehenden Restwertangebots hinauszögern muss. Da die Versicherung im vorliegenden Fall keine Bereitschaft zeigte, solche zusätzlichen Kosten zu übernehmen, sah das Gericht keine Verletzung der Schadensminderungspflicht durch den sofortigen Verkauf.
Weitere Ansprüche des Geschädigten erfolgreich durchgesetzt
Neben dem Anspruch auf Abrechnung des Restwerts zum gutachterlich ermittelten Betrag sprach das Gericht dem Kläger auch die Erstattung der restlichen Sachverständigenkosten sowie die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu. Die Versicherung hatte zunächst argumentiert, dass der Kläger hinsichtlich der Sachverständigenkosten nicht aktivlegitimiert sei, da die Ansprüche an den Sachverständigen abgetreten waren. Nach Vorlage einer Rückabtretungserklärung erkannte die Versicherung diesen Anspruch jedoch an.
✔ FAQ zum Thema: Regulierung von Totalschäden
Was versteht man unter einem Totalschaden und welche Optionen hat der Geschädigte?
Ein Totalschaden liegt vor, wenn die Reparaturkosten eines Fahrzeugs dessen Wiederbeschaffungswert übersteigen. Es wird zwischen einem technischen und einem wirtschaftlichen Totalschaden unterschieden.
Bei einem technischen Totalschaden ist eine Reparatur des Fahrzeugs technisch nicht mehr möglich, beispielsweise bei einem stark verzogenen Fahrzeugrahmen. Der Restwert des Fahrzeugs beträgt in diesem Fall null Euro.
Bei einem wirtschaftlichen Totalschaden ist eine Reparatur zwar technisch möglich, aber die Kosten dafür übersteigen den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs. Der Geschädigte hat in diesem Fall mehrere Optionen:
- Das Fahrzeug wird zum Restwert verkauft und der Geschädigte erhält vom Schädiger die Differenz zwischen Wiederbeschaffungswert und Restwert erstattet. Mit dieser Summe kann er sich ein gleichwertiges Ersatzfahrzeug beschaffen.
- Der Geschädigte lässt das Fahrzeug reparieren. Nach der sogenannten 130%-Regel muss die Versicherung des Schädigers die Reparaturkosten übernehmen, wenn diese maximal 130% des Wiederbeschaffungswertes betragen. Der Geschädigte muss in diesem Fall das Fahrzeug mindestens 6 Monate nach der Reparatur weiternutzen.
- Der Geschädigte kann das Fahrzeug auch bei höheren Reparaturkosten instand setzen lassen, muss dann aber die Kosten oberhalb der 130%-Grenze selbst tragen.
Die Berechnung des Wiederbeschaffungswertes und die Feststellung eines Totalschadens erfolgt in der Regel durch einen unabhängigen Kfz-Sachverständigen im Rahmen eines Gutachtens.
Welche Pflichten hat der Geschädigte bei der Schadensabwicklung nach einem Unfall?
Der Geschädigte hat nach einem Unfall die Schadensminderungspflicht gemäß § 254 BGB. Dies bedeutet:
- Er muss angemessene Maßnahmen ergreifen, um den Schaden so gering wie möglich zu halten. Dazu gehört beispielsweise, das beschädigte Fahrzeug vor Weiterschäden zu schützen oder eine provisorische Reparatur durchführen zu lassen.
- Er darf jedoch keine unverhältnismäßigen wirtschaftlichen Nachteile auf sich nehmen. Die Schadensminderung muss für ihn zumutbar sein.
- Er sollte zur Beweissicherung unverzüglich einen unabhängigen Kfz-Sachverständigen beauftragen, der den Schaden dokumentiert und bewertet. Die Kosten hierfür sind vom Schädiger zu erstatten.
- Er muss der gegnerischen Versicherung die Reparatur ankündigen, braucht aber nicht deren Zustimmung einzuholen.
- Er ist nicht verpflichtet, Vergleichsangebote anderer Gutachter einzuholen, solange das eigene Gutachten plausibel und nachvollziehbar ist.
- Bei Streitigkeiten mit der Versicherung des Schädigers ist es ratsam, sich anwaltlich vertreten zu lassen, um die eigenen Rechte durchzusetzen.
Die Schadensminderungspflicht dient dazu, eine übermäßige finanzielle Belastung des Schädigers zu vermeiden. Ihre Verletzung kann zu Leistungskürzungen führen. Ein qualifiziertes Sachverständigengutachten ist daher unerlässlich.
Wie wird der Restwert eines Fahrzeugs nach einem Totalschaden bestimmt?
Der Restwert eines Fahrzeugs nach einem Totalschaden wird in der Regel durch einen unabhängigen Kfz-Sachverständigen im Rahmen eines Gutachtens ermittelt. Dabei werden folgende Punkte berücksichtigt:
- Restwertangebote einholen: Der Gutachter holt mindestens drei verbindliche Restwertangebote von Autoverwertern oder Restwertbörsen ein. Diese Angebote geben an, welchen Preis Verwerter für das beschädigte Fahrzeug zahlen würden.
- Fahrzeugzustand bewerten: Der Sachverständige bewertet den Zustand des Fahrzeugs vor dem Unfall anhand von Laufleistung, Baujahr, Ausstattung und Erhaltungszustand. Dies fließt in die Restwertbemessung ein.
- Verwertbare Teile berücksichtigen: Für viele Komponenten wie Motor, Getriebe oder Felgen gibt es einen Gebrauchtteile-Markt. Der Gutachter schätzt den Erlös aus verwertbaren Bauteilen ein.
- Marktpreise vergleichen: Durch Vergleich mit Verkaufsangeboten für vergleichbare Unfall- und Gebrauchtfahrzeuge wird ein realistischer Restwert ermittelt.
- Höchstwert festlegen: Der Restwert kann maximal dem Wiederbeschaffungswert abzüglich der Reparaturkosten entsprechen.
Der so ermittelte Restwert ist bindend für die Abrechnung des Totalschadens durch die Versicherung. Der Geschädigte darf das Fahrzeug zu diesem Preis verkaufen. Die Differenz zum Wiederbeschaffungswert wird ihm von der Versicherung erstattet.
Was sollte man beachten, wenn man ein Restwertangebot der Versicherung erhält?
Wenn der Geschädigte ein Restwertangebot der Versicherung erhält, sollte er Folgendes beachten:
Der Geschädigte ist nicht verpflichtet, das Restwertangebot der Versicherung anzunehmen. Er darf stattdessen auf die Restwertermittlung im von ihm eingeholten Sachverständigengutachten vertrauen und das Fahrzeug zu diesem Preis veräußern.
Ein Restwertangebot der Versicherung muss nur dann berücksichtigt werden, wenn es sofort und zumutbar annahmefähig ist. Das bedeutet, der Geschädigte muss das Angebot beispielsweise durch ein einfaches Telefonat annehmen und das Fahrzeug kostenfrei abgeholt und bar bezahlt bekommen können.
Ist das Restwertangebot nicht sofort annahmefähig oder mit Aufwand verbunden, darf es unbeachtet bleiben. Der Geschädigte muss keine eigene Marktforschung betreiben oder Angebote von weit entfernten Interessenten einholen.
Wichtig: Nutzt der Geschädigte das beschädigte Fahrzeug nach einem wirtschaftlichen Totalschaden weiter, muss die Versicherung den im Gutachten ermittelten Restwert zugrunde legen – auch wenn ihr Angebot höher ist.
Insgesamt hat der Geschädigte bei der Restwertbestimmung einen großen Vertrauensvorschuss. Die Versicherung kann ihm nur dann ein höheres Angebot entgegenhalten, wenn dieses ohne Weiteres und zumutbar angenommen werden kann.
§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- § 249 BGB – Naturalrestitution: Regelt die Schadensersatzpflicht und besagt, dass der Geschädigte so zu stellen ist, als ob der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Im Fall von Fahrzeugschäden kann dies durch Reparatur oder durch finanziellen Ausgleich für den Totalschaden erfolgen. Relevant, weil der Kläger nach dem Unfall den tatsächlichen Restwert seines Fahrzeugs geltend macht.
- § 254 Abs. 2 BGB – Mitverschulden und Schadensminderungspflicht: Bestimmt, dass Schäden so gering wie möglich zu halten sind. Der Kläger muss demnach prüfen, ob ein höheres Angebot für das beschädigte Fahrzeug realisierbar wäre, ohne dass ihm dadurch Nachteile entstehen. Dieser Paragraph ist zentral, da das Gericht hier feststellt, dass der Kläger seine Schadensminderungspflicht nicht verletzt hat, indem er das Fahrzeug ohne das Angebot der Versicherung verkauft hat.
- § 286 BGB – Verzugsschaden: Dieser Paragraph regelt die Zinsen auf Schadensersatzbeträge bei Verzug. Im vorliegenden Fall wurde der Beklagten eine Zahlungsfrist gesetzt, nach deren Ablauf Zinsen fällig werden.
- § 288 BGB – Verzugszinsen: Spezifiziert die Höhe der Zinsen, die bei Nichtzahlung nach Eintritt des Verzuges zu leisten sind. Dies ist relevant für die Zinsforderung des Klägers.
- § 91 ZPO – Kostentragung im Prozess: Legt fest, dass die unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat. Nach diesem Gesetz muss die Beklagte die Prozesskosten übernehmen, da sie im Rechtsstreit unterlegen ist.
- § 709 ZPO – Vorläufige Vollstreckbarkeit: Erlaubt die vorläufige Vollstreckung eines Urteils gegen Sicherheitsleistung, was bedeutet, dass der Kläger die Durchsetzung des Urteils nicht abwarten muss, bis alle Rechtsmittel ausgeschöpft sind. Dies ist relevant, da das Urteil gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar erklärt wurde.
Diese Gesetze und Paragraphen sind entscheidend für das Verständnis der rechtlichen Grundlagen, die in diesem Urteil zur Anwendung kommen, und erklären die Rechte und Pflichten der beteiligten Parteien im Kontext der Schadensregulierung nach einem Verkehrsunfall.
➜ Das vorliegende Urteil vom Landgericht Hannover
LG Hannover – Az.: 9 O 49/23 – Urteil vom 09.01.2024
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 10.293,88 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 27.2.2023 sowie außergerichtliche Anwaltskosten von 250,61 € zu zahlen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 10.293,88 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die zutreffende Abrechnung eines Verkehrsunfalls auf Totalschadensbasis, wobei die Einstandspflicht der Beklagten für die Unfallschäden zwischen den Parteien außer Streit ist.
Am 15.12.2022 kam es zwischen dem Fahrzeug des Klägers, einem Mercedes-Benz CLS mit dem amtlichen Kennzeichen und dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen … zu einem Verkehrsunfall. Der Kläger beauftragte den Privatsachverständigen … mit der Erstellung eines Gutachtens. In dem Sachverständigengutachten von 6.1.2023 stellte der Sachverständige einen Totalschaden fest und ermittelte den hier streitigen Restwert mit 16.100,00 €. Mit Schreiben vom 16.1.2023 übersandte die Beklagte dem Prozessbevollmächtigten des Klägers ein Restwertangebot der Firma Automobile … zu 25.680,00 €. Der Kläger lehnte das Angebot ab und legte der Beklagten einen Kaufvertrag vom 8.11.2023 über 16.000,00 € vor. Zuvor hatte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 15.12.2022 (Anlage B 2) in dem auf drei Seiten verschiedene Hinweise bzgl. der Abrechnung eines Verkehrsunfalls aufgeführt sind u.a. auch auf folgendes hingewiesen:
„Sollte ein Totalschaden vorliegen beachten Sie bitte:
Verkaufen Sie Ihr beschädigtes Fahrzeug bitte nicht sofort zu dem im Gutachten angegebenen Restwert. Wir können Ihnen sicher ein besseres Angebot vermitteln. Bitte warten Sie unsere Nachricht ab, damit Ihnen keine Nachteile entstehen (vgl. BGH vom 27.9.2016, AZ VI ZR 673/15)…“
Mit Abrechnungsschreiben vom 27.2.2023 akzeptierte die Beklagte den vom Sachverständigen ermittelten Restwert nicht, sondern rechnet des Schaden hinsichtlich des Restwertes mit 25.680,00 € (9.590,00 € Differenz) ab. Darüber hinaus wurden die Sachverständigenkosten von 3.211,69 € nur in Höhe von 2.497,81 € erstattet, so dass sich eine weitere Differenz von 713,88 € ergibt.
Im Rahmen des Rechtsstreits hat die Beklagte zunächst vorgetragen, dass der Kläger bzgl. des Sachverständigenhonorars nicht aktivlegitimiert sei, da die Ansprüche an den Sachverständigen abgetreten waren. Mit Schriftsatz vom 28.9.2023 hat der Kläger eine Rückabtretung der Sachverständigenkosten vorgelegt (Anlage K 10) und ausgeführt, dass der Betrag von 713,88 € von dem Kläger bezahlt worden sei. Mit der Klage werden neben beiden hier streitigen Beträgen, auch die entsprechenden außergerichtlichen Restanwaltskosten hinsichtlich dieser Mehrbeträge in Höhe von 250,61 € geltend gemacht.
Der Kläger behauptet, dass er sein Fahrzeug am 8.1.2023 für 16.000,00 € an den Zeugen … verkauft habe. Er ist der Ansicht, dass er nicht verpflichtet gewesen sei, ein besseres Angebot der Beklagten abzuwarten. Vielmehr sei er berechtigt gewesen, gleich nach Vorlage des Sachverständigengutachtens den Wagen zu veräußern.
Der Kläger beantragt, wie erkannt.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie behauptet, dass der von dem Kläger vorgelegte Kaufvertrag nur zum Schein abgeschlossen worden sei oder jedenfalls zu einem höheren Kaufpreis. Dies ergebe sich aus der erheblichen Differenz zwischen dem vom Sachverständigen ermittelten Wert und dem von ihr eingeholten Restwertangebot. Sie ist der Ansicht, dass der Kläger bei Zugrundelegung des Kaufvertrages gegen seine Schadensminderungspflicht verstoßen habe, da er unmittelbar nach Vorlage des Gutachtens den Wagen verkauft haben will. Der Kläger sei in dem Schreiben vom 15.12. 2022 darauf hingewiesen worden, dass er ein Restwertangebot abwarten sollte. Hierzu sei er im Rahmen der Schadensminderungspflicht auch verpflichtet.
Das Gericht hat über die Umstände des Verkaufs des PKWs Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen …. Darüber hinaus wurde der Kläger informatorisch angehört. Insoweit wird auf das Protokoll vom 28.11.2023 verwiesen.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
I. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Abrechnung des Verkehrsunfalls hinsichtlich des Restwertes in Höhe des vom Privatsachverständigen ermittelten Restwert in Höhe von 16.100,00 € zu.
1. Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass der Kläger sein Fahrzeug zu einem Kaufpreis von 16.000,00 € an den Zeugen … veräußert hat. Der Kläger hat nachvollziehbar und plausibel geschildert, dass er schon kurz nach dem Verkehrsunfall von mehreren Interessenten auf den Verkauf des Wagens angesprochen worden sei, dies aber erst nach Vorlage des vom Gutachter ermittelten Restwertes beabsichtigt hatte, da ihm gesagt worden sei, dass er zunächst das Gutachten abwarten müsse. Dass der Kläger hierbei von ihm bisher nur flüchtig bekannten Personen angerufen wurde, die den Wagen kaufen wollten, hat er ebenfalls nachvollziehbar geschildert, zumal der hier streitgegenständliche Wagen in … als Liebhaberobjekt einen größeren Interessentenkreis angesprochen haben wird. Die Aussage des Klägers ist schließlich auch von dem Zeugen … bestätigt worden. Der Zeuge hat den Kaufvertrag und seine Umstände detailreich und plausibel geschildert. Er hat die Motive für den Kauf, die Barzahlung und den Umstand, dass der Wagen letztlich nicht den erwarteten Mehrwert für ihn brachte, überzeugend dargelegt, so dass die Kammer von der Richtigkeit seiner Aussage überzeugt ist.
2. Der Kläger war im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht nicht verpflichtet, zunächst ein Restwertangebot der Beklagten abzuwarten. Hierbei verkennt die Kammer nicht, dass der Kläger durch den sofortigen Verkauf nach Vorlage des Gutachtens der Beklagten keine Möglichkeit gegeben hat, einen höheren Verkaufspreis für die Abrechnung zu erzielen und hierbei ihre Schadenszahlung insgesamt zu verringern. Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 30.11.1999 (BGH, Urteil vom 30.11.1999 -VI ZR 219/98 -) ausgeführt, dass bei einem Totalschaden die Ersatzbeschaffung als Variante der Naturalrestitution unter dem Gebot der Wirtschaftlichkeit steht. Diesem Gebot genügt der Geschädigte, wenn er das Unfallfahrzeug auf der Grundlage eines von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens und des darin ausgewiesenen Restwerts verkauft. Ausnahmen hiervon seinen in engen Grenzen unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungsverpflichtung gemäß § 254 Abs. 2 BGB gegeben, so zum einen, wenn der Geschädigte ohne größere Anstrengung einen tatsächlich höheren Preis erzielen kann. Bei einem Restwertangebot der Versicherung sei dies nur gegeben, wenn ein bindendes Angebot vorliegt und der Unfallwagen beim Geschädigten abgeholt wird. Die Frage, ob der Geschädigte ein Angebot der Versicherung nach Vorlage des Sachverständigengutachtens noch abwarten muss, hat der Bundesgerichtshof in dieser Entscheidung nicht erörtert.
Ob und welche Frist der Versicherung für die Vorlage eines Restwertangebotes neben dem Sachverständigengutachten einzuräumen ist, ist nach Ansicht der Kammer davon abhängig, ob der Geschädigte mit dem Abwarten keine wirtschaftlichen Einbußen befürchten muss. Nur in diesem Fall, kann ihm ein abwarten im Rahmen der Schadensminderungspflicht zugemutet werden. Es ist nämlich zum Zeitpunkt des Verkaufs des Wagens in der Regel nicht von vornherein klar, dass die Versicherung auch tatsächlich ein höheres Restwertangebot anbieten wird. Insoweit kann im Rahmen der Schadensminderungspflicht ein Abwarten des Verkaufs zu dem vom Sachverständigen ermittelten Wert nur dann verlangt werden, wenn dem Geschädigten keine weiteren Schäden drohen, die er eventuell nicht erstattet bekommt. Hierzu zählt bei einem späteren Verkauf z.B. die Erstattung von Mietwagenkosten oder die Bezahlung einer Nutzungsentschädigung für Zeitraum, den die Versicherung für die Prüfung eines höheren Restwertangebots braucht, da ein neues Fahrzeug mit dem Kauferlös finanziert werden soll. Da die Versicherung in ihrem allgemeinen Schreiben sich aber nicht bereit erklärt hatte, entsprechende weitergehende Schäden des Geschädigten bei einem Abwarten zu übernehmen, stellt sich für den Geschädigten die Situation, entweder beim Abwarten auf ein höheres Restwertangebot dem Vorwurf eines nicht zügig genug vorgenommen Verkaufs ausgesetzt zu sein, oder aber wie hier nachträglich mit einem höheren Restwertangebot konfrontiert zu werden. Dies zeigt, dass ohne eine verbindliche Erklärung der Versicherung, in welcher Zeitspanne nach Vorlage des Gutachtens auf Kosten der Versicherung mit der Veräußerung gewartet werden darf und soll, keine Verletzung der Schadensminderungspflicht des Geschädigten angenommen werden kann.
II. Darüber hinaus steht dem Kläger ein Anspruch auf Erstattung der weiteren Sachverständigenkosten zu. Die Beklagte hat nach Vorlage der Rückabtretungserklärung den Anspruch nicht weiter in Abrede genommen.
III. Schließlich steht dem Kläger ein Anspruch hinsichtlich der außergerichtlichen Restanwaltskosten zu. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers konnte seine außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten hinsichtlich eines Gesamtstreitwertes in Höhe von 32.834,01 € abrechnen, so dass sich ein weiterer Anspruch in Höhe von 250,61 € ergibt.
Die weiteren Nebenentscheidungen folgen aus §§ 286, 288 BGB sowie §§ 91, 709 ZPO.