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Verkehrsunfall – abwarten auf höheres Restwertangebot der gegnerischen Versicherung

AG Gießen – Az.: 41 C 279/16 – Urteil vom 27.10.2016

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.220,00 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.04.2016 zu zahlen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 120 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt restlichen Schadensersatz im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall.

Am 18.04.2016 wurde das Fahrzeug der Klägerin infolge eines Verkehrsunfalls in „…“ beschädigt. Die Einstandsverpflichtung der Beklagten für das Unfallereignis steht dem Grunde nach zwischen den Parteien nicht in Streit.

Nach dem Ergebnis des von der Klägerin noch am gleichen Tag in Auftrag gegebenen Schadensgutachtens beliefen sich die zur Schadensbeseitigung erforderlichen Reparaturkosten auf einen Betrag in Höhe von 10.309,70 Euro brutto und der Wiederbeschaffungswert auf 6.100,00 Euro (differenzbesteuert). Zusätzlich wies das Schadensgutachten drei Restwertangebote namentlich benannter Autohändler aus der Region aus. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf das Schadensgutachten der Deutschen Gesellschaft für Begutachtungen mbH vom 20.04.2016 Bezug genommen (Bl. 6 ff. d.A.).

Mit anwaltlichem Schreiben vom 20.04.2016, der Beklagten am 21.04.2016 zugegangen, übermittelte die Klägerin das Schadensgutachten. Am 22.04.2016 nahm die Klägerin das sich auf 600,00 Euro belaufende Höchstgebot an und veräußerte ihr Fahrzeug.

Mit Schreiben vom 28.04.2016 rechnete die Beklagte gegenüber der Klägerin ab und übermittelte unter anderem ein Restwertangebot über einen Betrag in Höhe von 1.820,00 Euro. und regulierte den auf dieser Grundlage ermittelten Wiederbeschaffungsaufwand.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.220,00 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten seit dem 28.04.2016 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, der Klägerin bereits mit Schreiben vom 18.04.2016 mitgeteilt zu haben, dass die Beklagte den Restwert des Fahrzeuges prüfen werde und unter Umständen ein besseres Angebot werde unterbreiten können. Sie vertritt in diesem Zusammenhang die Auffassung, die Klägerin müsse sich das höhere Restwertangebot im Sinne der Schadensminderungspflicht anspruchsmindernd entgegenhalten lassen. Zudem müsse dem Versicherer gemäß § 14 VVG die Möglichkeit gegeben werden, einen Schadensfall zu prüfen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet.

Die grundsätzliche Haftung der Beklagten für das streitgegenständliche Verkehrsunfallereignis steht zwischen den Parteien nicht in Streit.

Aufgrund dessen kann die Klägerin gemäß § 249 BGB den ihr entstandenen Fahrzeugschaden auf der Basis eines wirtschaftlichen Totalschadens abrechnen. Diesen Schaden hat die Beklagte nicht vollständig reguliert, da sie den der Klägerin entstehenden Wiederbeschaffungsaufwand auf der Grundlage des von ihr übermittelten Restwertangebotes zu Unrecht um 1.220,00 Euro gekürzt hat.

Der Geschädigte genügt dem Gebot der Wirtschaftlichkeit regelmäßig dann, wenn er die Veräußerung seines beschädigten Fahrzeuges zu demjenigen Preis vornimmt, den ein von ihm beauftragter Schadensgutachter unter Zugrundelegung konkreter, namentlich benannter Angebote auf dem regionalen Markt ermittelt hat (BGH, U.v. 01.06.2010 – VI ZR 316/09). So liegt der Fall auch hier. Die Klägerin hat ihr Fahrzeug entsprechend den seitens des Schadensgutachters formal korrekt ermittelten Restwertangeboten zum Höchstpreis veräußert.

Entgegen der Auffassung der Beklagten war die Klägerin auch unter Berücksichtigung ihrer Schadensminderungspflicht nicht gehalten, mit dem Verkauf ihres Fahrzeuges abzuwarten, um der Beklagten die Gelegenheit zur Übermittlung eines höheren Restwertangebotes zu ermöglichen.

Zur Geringhaltung des Schadens kann der Geschädigte gemäß § 254 Abs. 2 S. 1 BGB zwar gehalten sein, von einer dem Grunde nach zulässigen Verwertung Abstand zu nehmen, um eine ihm zumutbare bessere Verwertungsmöglichkeit zu ergreifen. Dies setzt jedoch voraus, dass dem Geschädigten eine zumutbare alternative Verwertungsmöglichkeit zum Zeitpunkt der Veräußerung vorlag. Der Geschädigte ist nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung insbesondere nicht verpflichtet, den Haftpflichtversicherer über den beabsichtigten Verkauf zu informieren und ihm Gelegenheit zur Einholung alternativer Verwertungsmöglichkeiten zu geben (BGH, U.v. 23.11.2010 – VI ZR 35/10 – juris: Rn. 12; BGH, U.v. 12.07.2005 – VI ZR 132/04 – ju ris: Rn. 13 f.; KG Berlin, U.v. 06.08.2015 – 22 U 6/15 – juris: Rn. 7; OLG Düsseldorf, U.v. 19.12.2005 – 1 U 128/05; LG Gießen, U.v. 28.01.2016 – 5 O 212/15 – juris: Rn. 26). Anderenfalls würde die dem Geschädigten zustehende Ersetzungsbefugnis unterlaufen. Der Geschädigte ist Herr des Restitutionsgeschehens und darf daher grundsätzlich selbst bestimmen, wie er mit der geschädigten Sache verfährt.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der seitens der Beklagten in Bezug genommenen – unveröffentlichten – Entscheidung des erkennenden Gerichts vom 16.07.2015 (Az.: 41 C 176/15), da in dem dort entschiedenen Fall keine hinreichend verlässliche Restwertermittlung durchgeführt wurde. Auch aus § 14 VVG lässt sich im Hinblick auf die Schadensminderungspflicht der Klägerin keine abweichende Rechtslage herleiten, da sich die Vorschrift bereits dem Wortlaut nach nur auf die Fälligkeit der Eintrittspflicht des Haftpflichtversicherers bezieht, nicht aber auf die schadensrechtliche Dispositionsbefugnis des Geschädigten.

In der hier zu beurteilenden Situation bot sich der Klägerin indessen keine erkennbar wirtschaftlichere Verwertungsalternative, da die Beklagte das höhere Restwertangebot erst mit Schreiben vom 28.04.2016 übermittelt hat. Zu diesem Zeitpunkt war das Fahrzeug der Klägerin bereits verkauft. Es sind auch keine Umstände vorgetragen oder ersichtlich, welche die Verlässlichkeit der Restwertermittlung des Schadensgutachters in Zweifel ziehen könnten.

Etwas anderes mag allenfalls dann gelten, wenn und soweit der Haftpflichtversicherer die zeitnahe Übermittlung eines konkreten, der Höhe nach bezifferten Restwertangebotes verlässlich ankündigt. Dies war hier indessen nicht der Fall, da die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 18.04.2016 lediglich darauf hingewiesen haben will, dass sie den Restwert des Fahrzeuges prüfen und „unter Umständen“ ein besseres Restwertangebot übermitteln könne. Eine derart vage gehaltene Mitteilung reicht schon dem Grunde nach nicht aus, um die vorstehend ausgeführten Rechtslage zu unterlaufen und die Klägerin zum Abwarten zu zwingen (vgl. KG Berlin, U.v. 06.08.2015 – 22 U 6/15 – juris: Rn. 9). Aus Rechtsgründen kann daher offen bleiben, ob der Klägerin eine entsprechende Mitteilung überhaupt zugegangen ist.

Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Verzugszinsen folgt aus den §§ 286, 288 BGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat seine Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 711, 709 S. 2 ZPO.

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