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Anrechnung der Unfallrente auf den Anspruch auf vermehrte Aufwendungen


vermehrte AufwendungenIm anliegenden Urteil setzte sich der Bundesgerichtshof mit der Frage auseinander, ob und inwieweit eine Anrechnung der Unfallrente auf den Anspruch auf vermehrte Aufwendungen zu erfolgen hat. Konkret ging es dabei um die Ausstattung eines Kraftfahrzeuges im Hinblick auf eine bestehende Schwerbehinderung. Lesen Sie das Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1970 hier im Volltext!


Bundesgerichtshof

Az: VI ZR 5/69

Urteil vom 30.06.1970


Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 16. Oktober 1968 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Revision fallen den Beklagten zur Last.

Von Rechts wegen


Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagten als Fahrer und Halter eines Personenkraftwagens auf Schadensersatz aus einem Unfall in Anspruch, den er am 7. Mai 1962 als 17-Jähriger Mopedfahrer durch das schuldhafte Verhalten des Erstbeklagten erlitten hat. Die Haftung ist dem Grunde nach unstreitig. Der Kläger befand sich seinerzeit in der Maschinenschlosserlehre zur Vorbereitung für das Ingenieurstudium. Infolge der unfallbedingten Verletzungen musste er die Berufsausbildung abbrechen. Er ist seit dem 15. September 1966 bei der Stadtverwaltung G. als technischer Zeichner beschäftigt und bezieht neben seinem Arbeitsverdienst von der zuständigen Berufsgenossenschaft, dem Gemeindeunfallversicherungsverband Westfalen-Lippe eine Unfallversicherungsrente (Verletztenrente). Er kann sich nur an Krücken fortbewegen und fährt seit 1964 einen eigenen Volkswagen (1200 ccm), für dessen Anschaffung er sowohl von dem Gemeindeunfallversicherungsverband als auch von dem Haftpflichtversicherer der Beklagten einen Zuschuss erhielt. Dieser leistete ihm ferner während der Lehrzeit einen monatlichen Beitrag zu den Betriebskosten des Kraftwagens von 65 DM.

Mit der vorliegenden Klage verlangt der Kläger einen Zuschuss für die Unterhaltungskosten seines Fahrzeugs für die Zeit vom 15. September 1966 bis 14. September 1967 mit der Begründung, als 80 %iger Schwerbeschädigter benötige er das Fahrzeug für den Weg zur Arbeitsstelle (16 km) und auch für alle anderen Besorgungen und Unternehmungen. Die Höhe des Zuschusses berechnet er für dieses Jahr auf 2.000 DM. Auf Zahlung dieser Summe nebst Zinsen hat er Klage erhoben.

Das Landgericht hat den Anspruch des Klägers dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Mit der zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.


Entscheidungsgründe

Das Berufungsgericht geht davon aus, dass die mit der Klage geltend gemachte Forderung weder im ganzen noch teilweise nach § 1542 RVO auf den Gemeindeunfallversicherungsverband übergegangen sei. Denn die für die unfallbedingte Verminderung der Erwerbsfähigkeit gewährte Unfallversicherungsrente und die geltend gemachte Mehrbelastung zur Befriedigung des allgemeinen Lebensbedarfs seien nicht deckungsgleich.

Dieser Standpunkt des Berufungsgerichts ist richtig. Was die Revision hiergegen vorbringt, greift nicht durch.

I.

1. Die nach den §§ 555, 558 Abs. 1 Nr. 3, 559 RVO in der zur Unfallzeit gültigen Fassung (vgl. Art. 4 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung vom 30. April 1963 – UVNG – BGBl. I, 241) gewährte Verletztenrente stellt eine gesetzlich geregelte Entschädigung dafür dar, dass der Verletzte infolge des Unfalls in seiner Fähigkeit beeinträchtigt ist, sich einen Erwerb zu verschaffen. Diese Verletztenrente wird abstrakt nach Bruchteilen der vollen Erwerbsfähigkeit im Vergleich damit ermittelt, inwieweit der Verletzte mit den ihm verbleibenden Kräften auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch in zumutbarer Weise in Wettbewerb treten kann. Sie ist ausschließlich auf die Aufhebung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit bezogen und nicht auf Mehraufwendungen des Verletzten, die ihm wegen gesteigerter Bedürfnisse zur Befriedigung des allgemeinen Lebensbedarfs (vgl. § 843 Abs. 1 BGB) erwachsen (Senatsurteile vom 20. Mai 1958 –VI ZR 130/57 – LM RVO § 1542 Nr. 20 = VersR 1958, 454 und vom 19. November 1955 – VI ZR 134/54 – LM AVG § 46 Nr. 1 = VersR 1956, 22).

Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest. Vergeblich beruft sich die Revision auf die Entscheidungen des Senats vom 10. November 1964 – VI ZR 186/63 – VersR 1964, 1307 und vom 23. Februar 1965 – VI ZR 30/64 – VersR 1965, 563 (vgl. auch Urteil vom 13. Januar 1970 – VI ZR 124/68 – LM BBG § 139 Nr. 2), in denen er die sachliche Kongruenz (Gleichartigkeit) des wegen vermehrter Bedürfnisse geltend gemachten Anspruchs mit der nach den Vorschriften des Soldatenversorgungsgesetzes (SoldVG) und des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) wie auch wegen Dienstunfall nach dem Beamtenrecht gewährten Unfallausgleichsrente bejaht hat. Diesen Entscheidungen liegt ein anderer, mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht zu vergleichender Tatbestand zugrunde. Der wesentliche Unterschied liegt darin, dass der verletzte Soldat, Beamte zwei Renten erhalten kann: außer der Grundrente (Dienst- oder Versorgungsbezüge) die Ausgleichsrente (oder den Unfallausgleich), während der bei einem Berufsunfall verletzte Arbeiter nach § 558 Abs. 1 Nr. 3 RVO a.F. bzw. § 547 RVO a.F. lediglich eine Rente erhält. Die Grundrente des § 31 BVG stellt eine Entschädigung für die Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit dar, weil nach den Vorstellungen des Gesetzgebers ein Beschädigter, dessen Erwerbsfähigkeit um wenigstens 25 – 30 % gemindert ist, besondere Mehraufwendungen. oder Ausfälle an wirtschaftlichen Vorteilen außerhalb seines Berufes hat, sie deckt sich daher ihrem Zweck nach mit der Mehrbedarfsrente des § 843 Abs. 1 BGB; dagegen dient die daneben vorgesehene Ausgleichsrente der Sicherstellung des Lebensunterhaltes, entspricht also der Erwerbsausfallrente des § 842 BGB. Auch der nach § 139 BBG gewährte Unfallausgleich wird aus den gleichen Gründen neben den Dienst- oder Versorgungsbezügen geleistet.

2. Allerdings hat der Senat in dem oben erwähnten Urteil vom 20. Mai 1958 aaO bereits dargelegt, dass auch bei der Unfallversicherung ein Rechtsübergang nach § 1542 RVO im Rahmen der Berufsfürsorge (§§ 558 Abs. 1 Nr. 1 und 2, 558 a ff RVO a.F.) in Betracht kommen kann, wenn und soweit der Versicherungsträger gleichgeartete Leistungen erbringt. Die Revision meint nun, bei dem hier begehrten Betriebskostenzuschuss zum Kraftfahrzeug handele es sich um einen solchen Fall der Berufsfürsorge.

Dem ist nicht zu folgen.

a) Die in den §§ 558, 558 a Nr. 2, 558 f RVO a.F. (§§ 547, 567 Abs. 1 Nr. 1 RVO n.F.) geregelte Berufsfürsorge (Berufshilfe) kann sich zwar auch auf die Beschaffung eines Kraftfahrzeugs (vgl. BSG 24, 142, 146), nicht jedoch auf einen Zuschuss zu den Betriebskosten erstrecken. Dies ergibt sich aus der kraft gesetzlicher Ermächtigung (§ 558 g RVO a.F., § 568 RVO n.F.) vom Reichsarbeitsminister erlassenen Verordnung über Krankenbehandlung und Berufsfürsorge in der Unfallversicherung vom 14. November 1928 (RGBl. I S. 387) und den Richtlinien der Berufsgenossenschaft für die Beschaffung von Kraftfahrzeugen für Unfallverletzte vom 11. April 1962 (Anhang Nr. 9 S. 98 bei Lauterbach, Unfallversicherung 3. Aufl. = Berufsgenossenschaft 1962, 182). Danach kann die Berufsgenossenschaft sich zwar an den Kosten zur Beschaffung eines Kraftfahrzeugs beteiligen, wenn dessen Anschaffung u.a. gerechtfertigt ist, weil die Folgen der Verletzung eine Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel unmöglich machen oder besondere Schwierigkeiten bereiten, so dass durch den Gebrauch des Kraftfahrzeugs der Weg nach und von der Arbeitsstätte entweder überhaupt erst ermöglicht oder doch wesentlich erleichtert wird. Die Kosten der Haltung des Kraftfahrzeugs (Steuer, Haftpflichtversicherung, Treibstoff, Öl, laufende Überwachung, Garage) sowie die Kosten von Reparaturen hat der Vorletzte aber selbst zu tragen (§ 10 der genannten Richtlinien).

b) Die Revision behauptet selbst nicht, dass der Kläger von dem Gemeindeunfallversicherungsverband einen Zuschuss für die Betriebskosten seines Fahrzeuges erhalten hätte. Vielmehr meint sie, die Unterhaltung eines Kraftwagens gehöre jedenfalls teilweise – soweit er zu beruflichen Zwecken verwendet werde – in die „Kategorie des Verdienstausfalls“ und sei damit im Rahmen der gewährten Verletztenrente mitabgegolten. Auch dem kann nicht zugestimmt werden.

Die Entstehungsgeschichte der Reichsversicherungsordnung und des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung vom 30. April 1963, das zeitlich nach den vorgenannten Richtlinien der Berufsgenossenschaften erlassen worden ist, ergibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Verletztenrente auch dem Ausgleich für Aufwendungen zur Befriedigung des allgemeinen Lebensbedarfs dienen soll. Die Verletztenrente ist nur im Zusammenhang mit der Erwerbsunfähigkeit geregelt und bemisst sich nach dem Jahresarbeitsverdienst (§ 559 a RVO a.F. und § 571 RVO n.F.). Sie soll einen Ausgleich für die abstrakte Erwerbseinbuße darstellen und den Schaden ausgleichen, der dem Verletzten dadurch entsteht, dass er infolge der Minderung oder Aufhebung seiner Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine schlechtere Verdienstmöglichkeit hat. Sie wird sowohl dem Grunde wie der Höhe nach unabhängig davon gewährt, ob die Verletzung gerade eine Gehbehinderung zur Folge hatte, so dass der Verletzte auf die Beförderung durch ein Kraftfahrzeug angewiesen ist.

Die Beschaffung eines Kraftwagens, die den Verletzten überhaupt erst in die Lage versetzt, sich frei zu bewegen, damit auch seinen Arbeitsplatz aufzusuchen, gehört zu den typischen Aufwendungen, die unter dem Begriff „Vermehrung der Bedürfnisse“ zusammengefasst sind, wie ihn das Bürgerliche Gesetzbuch in § 845 Abs. 1 neben der Aufhebung oder Verminderung der Erwerbsfähigkeit als zweiten Grund für die Gewährung einer Schadensersatzrente verwendet. Infolgedessen fehlt es bei einem solchen Schadensersatzanspruch wegen vermehrter Bedürfnisse an der erforderlichen Gleichartigkeit mit der dem Versicherten vom Versicherungsträger gewährten Verletztenrente (vgl. Lauterbach aaO § 1542 Bem. 38 S. 1430/1; Dersch/Knoll/Brockhoff, RVO § 1542 Anm. 8 c; Seitz, Die Ersatzansprüche der Sozialversicherungsträger nach §§ 640 und 1542 RVO, 2. Aufl. S. 135; Geigel, Haftpflichtprozess 14. Aufl. Kap. 30 Rdn. 94; Gunkel/Hebmüller, Die Ersatzansprüche nach § 1542 RVO, 2. Aufl. Bd. I S. 71; anders anscheinend Gunkel in KVR von A – Z, Sozialversicherung, Rückgriff aus § 1542 RVO Erl. 3 Bl. 15).

II.

1. Das Berufungsgericht ist rechtsirrtumsfrei davon ausgegangen, dass der Kläger, der sich nach Feststellungen des angefochtenen Urteils ohne Krücken nur schlurfend fortbewegen kann, einen Kraftwagen benötigt. Die Benutzung eines Zweirades, die schon an einen gesunden Menschen wegen der im Verhältnis zu einem Personenkraftwagen schlechteren Straßenlage erhöhte Anforderungen stellt, ist dem schwerverletzten Kläger gerade im Interesse der Verkehrssicherheit nicht zuzumuten.

Insoweit hat auch die Revision nichts erinnert.

2. Die Revision macht jedoch geltend, der Kläger müsse es sich als Vorteil anrechnen lassen, dass er ohne den Unfall in der Zelt vom 15. September 1966 bis zum 14. September 1967, für die er den Betriebskostenzuschuss begehrt, noch in der Ausbildung gewesen wäre, während er mit Hilfe der Zuwendungen des Versicherers der Beklagten und des Gemeindeunfallversicherungsverbandes schon Einnahmen aus seiner Anstellung als technischer Zeichner erhalten habe. Mit diesem Vorbringen kann die Revision keinen Erfolg haben.

Es kann dahingestellt bleiben, ob diese, durch die Umschulung bedingte zeitlich frühere Verdienstmöglichkeit für sich allein betrachtet einen Vorteil darstellt, den sich der Kläger anrechnen lassen müsste. Diese Frage könnte sich allenfalls dann stellen, wenn zu entscheiden wäre, in welcher Höhe der Kläger im Jahre 1966/67 einen Verdienstausfall (§ 842 BGB) erlitten hat, nicht aber hier, wo es um einen Mehrbedarf (§ 843 BGB) geht.


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