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Verkehrsunfall – Anschein Vorfahrtsverschulden

Oberlandesgericht Hamburg – Az.: 14 U 51/16 – Urteil vom 27.05.2016

1. Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 19.2.2016, Az. 306 O 58/15, wie folgt abgeändert:

a) Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin € 4.027,09 zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 4.6.2014 und weitere € 368,85 zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9.4.2015 zu zahlen.

b) Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, die Klägerin von der Inanspruchnahme vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 413,90 freizuhalten.

Im Übrigen verbleibt es bei der Klagabweisung.

2. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Der Wert der Berufung wird auf € 8.791,88 festgesetzt.

Gründe

I.

Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Im Übrigen wird gemäß §§ 313a Abs. 1, 540 Abs. 2 ZPO auf eine weitere Darstellung verzichtet.

II.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und teilweise begründet. Die Klägerin hat gemäß §§ 7, 17, 18 StVG, 115 Abs. 1 VVG gegen die Beklagten als Gesamtschuldner Anspruch auf Zahlung von € 4.395,94. Das entspricht 50% des geltend gemachten Schadensersatzbetrages.

1. Die Klägerin ist Eigentümerin des streitgegenständlichen Audis und damit aktiv legitimiert. Mit Vorlage der Ankaufsrechnung gemäß Anlage K 7, die von den Fahrzeugdaten mit dem Kostenvoranschlag gemäß Anlage K 2 übereinstimmt, hat sie ihre Eigentümerstellung ausreichend nachgewiesen.

1. Der streitgegenständliche Unfall hat sich gemäß § 7 Abs. 1 StVG beim Betrieb des vom Beklagten zu 1) geführten und bei der Beklagten zu 2) versicherten LKW ereignet. Höhere Gewalt im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG liegt nicht vor. Ein Unabwendbarkeit des Unfalls gemäß § 17 Abs. 3 StVG ist für keine Seite positiv feststellbar. Somit kommt es für die Frage der Haftung der Beklagten maßgeblich auf die Abwägung der Verursachungsbeiträge des Zeugen B. und des Beklagten zu 1) gemäß § 17 Abs. 1 und 2 StVG an, bei der jeweils zu Lasten einer Seite nur unstreitige bzw. bewiesene Umstände berücksichtigt werden können. Diese Abwägung führt nach Auffassung des Senats hier zu einer Haftungsquote der Beklagten von 50%.

1. Auf beiden Seiten ist zunächst die Betriebsgefahr des jeweiligen Fahrzeugs zu berücksichtigen. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sich vorliegend eine etwa von dem LKW der Beklagten ausgehende erhöhte Betriebsgefahr ausgewirkt hat. Darüber hinaus steht auf beiden Seiten ein die Betriebsgefahr weiter erhöhendes unfallursächliches Verschulden sowohl des Zeugen B. als auch des Beklagten zu 1) nicht fest.

1. Die Klägerin hat ein Auffahrverschulden des Beklagten zu 1) nicht bewiesen. Zunächst greift zu Lasten des Beklagten zu 1) kein Anscheinsbeweis ein. Es ist unstreitig, dass die Fahrzeuge des Zeugen B. und des Beklagten zu 1) nicht achsparallel zusammengestoßen sind. Zudem hat das Landgericht fehlerfrei festgestellt, dass auf der Grundlage der Vernehmung der Zeugen B. und S. sowie der Anhörung des Beklagten zu 1) nicht festgestellt werden konnte, dass den Beklagten zu 1) ein Auffahrverschulden trifft. Die Berufung zeigt insoweit keine Fehler bei der Tatsachenfeststellung des Landgerichts auf. Der Senat hat dieses Ergebnis zugrunde zu legen.

1. Die Beklagten haben ein Vorfahrtsverschulden des Zeugen B. ebenfalls nicht bewiesen. Weder greift insoweit ein Anscheinsbeweis ein noch konnte der Inhalt der Beweisaufnahme zu einer entsprechenden Feststellung führen.

a)

Zugunsten der Beklagten wirkt nicht der Anschein eines Vorfahrtsverschuldens des Zeugen B.. Dieser kommt im Ergebnis nur dann zum Tragen, wenn neben dem notwendigen räumlichen auch ein zeitlicher Zusammenhang mit einem Einbiegemanöver auf eine bevorrechtigte Straße gegeben ist. Zwar fand der Unfall unstreitig im unmittelbaren räumlichen Bereich der Einmündung statt. Diesen Bereich hatte der Zeuge B. ersichtlich noch nicht verlassen. Der vor der Ampel herrschende unstreitige Stop-and-Go-Verkehr lässt es jedoch konkret als möglich erscheinen, dass sich der Zeuge B. bereits einige Zeit hinter der gelben Linie auf dem bevorrechtigten Bornkampsweg aufhielt. In diesem Fall wäre von einer Vorfahrtsverletzung nicht auszugehen. Deshalb ist ein etwaiger Anscheinsbeweis hier zumindest erschüttert (vgl. allg. zu den Voraussetzungen eines Anscheinsbeweis und einer möglichen Erschütterung: zuletzt BGH, Urteil vom 15. Dezember 2015 – VI ZR 6/15 –, Rn. 14f, juris).

b)

Verkehrsunfall -Anschein Vorfahrtsverschulden
(Symbolfoto: Wirestock Creators/Shutterstock.com)

Auf der Grundlage des Inhalts der Vernehmungen bzw. der Anhörung der Beteiligten lässt sich keine Überzeugung dahingehend bilden, dass der Zeuge B. gegen die Pflichten des § 8 Abs. 2 StVO verstoßen hat. Wie das Landgericht zu Recht festgestellt hat, haben einerseits die Zeugen B. und S. sowie andererseits der Beklagte zu 1) ihre jeweilige Version des Unfallgeschehens bestätigt. Die Angaben des Beklagten zu 1) waren nach diesen Feststellungen nicht weniger glaubhaft als die Angaben der Zeugen B. und S.. Beide Darstellungen waren nach den Erwägungen des Landgerichts in sich schlüssig und können sich so zugetragen haben. Hiervon geht auch der Senat aus.

Die Beklagten zeigen mit der Berufungserwiderung keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür auf, dass allein die Angaben des Beklagten zu 1) glaubhaft waren. Soweit sie nunmehr erstmals darauf abstellen, dass der polizeiliche Aktenvermerk die zeitlichen Dimensionen, die aus den Schilderungen des Zeugen B. und der Zeugin S. hervorgehen, nicht wiedergebe, kann das die Zeugenaussagen nicht derart in Frage stellen, dass hieraus eine Unzuverlässigkeit dieser folgt. Aktenvermerke und Berichte von Verkehrsunfällen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Offensichtlich erschien den Beteiligten, wie auch später noch im erstinstanzlichen Verfahren, der räumliche Zusammenhang wichtiger, so dass in der äußerst kurzen Wiedergabe der Einlassung der Beteiligten nur dieser Erwähnung fand. Entgegen der Darstellung der Beklagten in der Berufungserwiderung ist es auch nicht „vollkommen absurd“, dass der Zeuge B. beim Einfädeln weder den LKW des Beklagen zu 1) noch ein anderes bevorrechtigtes, von links kommendes Fahrzeug auf dem Bornkampsweg trotz Stop-and-Go-Verkehrs bemerkt haben will. Die Lichtbilder der Ermittlungsakte zeigen den Unfallbereich kurz nach dem Geschehen. Auf diesen ist gut zu erkennen, dass zu der fraglichen Tageszeit zwar reger Verkehr herrschte. Jedoch kann diesen nicht entnommen werden, dass sich die Fahrzeuge auf dem Bornkampsweg bis weit hinter die Einmündung zurückstauten. Nur bei einem größeren Rückstau wäre es nicht plausibel, wenn der Zeuge B. „von links niemand“ kommen gesehen haben will.

c)

Dem Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens war nicht nachzugehen. Das Beweisangebot ist nicht geeignet, das Beweisergebnis zu beeinflussen. Die aus den Lichtbildern ersichtlichen Schäden beider Fahrzeuge lassen sich bei beiden Unfallversionen erklären. Sowohl nach der Schilderung des Zeugen B. als auch nach den Angaben des Beklagten zu 1) befand sich auch der Audi des Zeugen beim Zusammenstoß in Bewegung, so dass sich ein „Einhaken“ des Audi beim LKW in jedem Fall erklären lässt. Die Kollisionswinkel sind entgegen der neuen Behauptung der Beklagten in der Erwiderung nach den Versionen der Beteiligten auch nicht unterschiedlich. Der Zeuge B. konnte in der gedachten Verlängerung der Leunastraße nur geradeaus fahren. Der LKW des Beklagten zu 1) musste auf den Rechtsabbieger verschwenken. Soweit die Beklagten nunmehr erstmals von einer „deutlich höheren Geschwindigkeit“ des Zeugen B. ausgehen, ist dieser Vortrag zum einen neu im Sinne der §§ 531, 533 ZPO. Zum anderen findet er keine Stütze in den Angaben des Beklagten zu 1). Dieser hat den sich bewegenden Audi nach seiner Darstellung überhaupt nicht wahrgenommen. Er hat nach dem Zusammenstoß lediglich auf die Bewegung zurückgeschlossen. Es steht daher allein fest, dass sich im Zeitpunkt der Kollision beide Fahrzeuge bewegt haben, und zwar der Zeuge B. relativ langsam, da er nach beiden Versionen erst kurz zuvor angefahren ist.

1. Die Klägerin hat Anspruch auf Ersatz von 50% ihrer geltend gemachten unstreitigen Schäden. Der Sachschaden ist danach mit € 4.027,09 (€ 8.054,18 / 2) und die Sachverständigenkosten mit € 368,85 (€ 737,70 / 2) zu erstatten. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288 Abs. 1 BGB. Daneben hat die Klägerin Anspruch auf Freihaltung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten auf der Grundlage eines Gegenstandswertes von € 4.395,94 (1,3 Gebühr zzgl. Pauschale = € 413,90).

1. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 708 Nr. 10, 711, 713, ZPO.

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