LG Hamburg – Az.: 319 O 91/17 – Urteil vom 09.03.2018
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger macht gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 19.1.2016 geltend, der sich im H. Steindamm Höhe Hausnummer … in H. ereignete.
Der Kläger war Eigentümer des Fahrzeugs Audi, amtliches Kennzeichen … (Anlage K 4). Unfallgegner war der Beklagte zu 2) als Fahrer des LKW Scania mit dem amtlichen Kennzeichen …, der bei der Beklagten zu 1) versichert war. Der Beklagte zu 2) fuhr am Unfalltag den H. Steindamm in Richtung H1.
Der Kläger trägt vor, er sei aus einer Parklücke aus dem parallel zur Fahrbahn verlaufenden Parkstreifen halb herausgefahren und habe angehalten, da vor ihm Fahrzeuge vor einer roten Ampel hielten. Er habe bei Herausfahren aus der Parklücke den Blinker betätigt. Der Beklagte zu 2) sei erst danach angefahren gekommen und habe ebenfalls angehalten. Als die Ampel auf grün umgesprungen sei, sei der Beklagte zu 2) losgefahren und gegen das stehende Fahrzeug des Klägers gefahren, so dass es zur Kollision gekommen sei.
Der Kläger macht folgende Schäden geltend:
Wiederbeschaffungsaufwand:
- Wiederbeschaffungswert netto 14.985,00 €
- abzüglich Restwert von 8.100 €
- 6.985,00 €
- Abschlepposten 200,00 €
- Standgebühren 300,06 €
- Nutzungsausfall 14 Tage à 65 € 910,00 €
- Kostenpauschale 20,00 €
- Gesamt 8.415,06 €
Des weiteren verlangt der Kläger die Freistellung von den Sachverständigenkosten in Höhe von 1.283,85 € sowie den Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten von € 808,13 €.
Der Kläger beantragt,
1. die Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 8.415,06 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.06.2016 zu zahlen;
2. die Beklagten zu verurteilen, den Kläger von Sachverständigenkosten in Höhe von 1.283,85 € freizustellen;
3. die Beklagten zu verurteilen, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 808,13 € freizustellen.
Die Beklagten beantragen, Klagabweisung.
Die Beklagten bestreiten, dass der Kläger Eigentümer des PKW gewesen ist. Sie tragen vor, als sich der Beklagte zu 2) mit seinem LKW nahezu auf Höhe des Kläger-PKW befunden habe, habe der Kläger plötzlich sein Fahrzeug aus der Parklücke in den fließenden Verkehr gezogen. Der Beklagte zu 2) habe den Kläger vor der Kollision nicht gesehen. Der PKW des Klägers sei zum Zeitpunkt der Kollision in Bewegung gewesen.
Die Beklagten bestreiten den Schaden auch der Höhe nach. Das Fahrzeug habe in erheblichem Umfang Vor- bzw. Altschäden gehabt. Die Beklagten bestreiten mit Nichtwissen, dass diese sach- und fachgerecht behoben worden seien. Die Altschäden hätten Einfluss auf die Reparaturkosten und den Wiederbeschaffungswert.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin S. H. sowie durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. S. S.. Wegen des Beweisthemas und des Beweisergebnisses wird auf das Sitzungsprotokoll vom 19.9.2016 (Bl. 54 ff. GA), den Beweisbeschluss vom 6.10.2016 (Bl. 60 ff. GA) sowie das schriftliche Sachverständigengutachten vom 30.10.2017 (Bl. 86 ff. GA) verwiesen. Das Gericht hat außerdem den Kläger und den Beklagten zu 2) persönlich angehört. Auf das Sitzungsprotokoll vom 26.8.2016 (Bl. 42 ff. GA) wird verwiesen.
Zur Ergänzung des Vorbringens der Parteien wird auf ihre Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Dem Kläger steht gegen die Beklagten kein Anspruch auf Schadensersatz nach §§ 7 Abs. 1, 17, 18 StVG, 823 BGB, 115 VVG zu.
1.
Der Kläger ist aktivlegitimiert. Er hat das streitgegenständliche Fahrzeug mit Kaufvertrag vom 23.7.2015 erworben, Anlage K 4.
2.
Der Verkehrsunfall wurde im Zusammenhang mit dem Eingliedern aus dem ruhenden Verkehr in den fließenden Verkehr durch den Kläger mit seinem Fahrzeug Audi, amtliches Kennzeichen …, allein schuldhaft verursacht, §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, 2 StVG. Der Kläger hat den Unfall durch eine schuldhafte Verletzung der ihm nach § 10 StVO obliegenden Sorgfaltspflicht verursacht. Nach dieser Regelung muss derjenige, der von anderen Straßenteilen auf die Fahrbahn einfahren oder vom Fahrbahnrand anfahren will, sich dabei so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.
Kommt es in unmittelbarem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Anfahren von einem Parkstreifen in den fließenden Verkehr zu einer Kollision mit einem anderen Fahrzeug, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass die Kollision darauf beruht, dass der vom Parkstreifen einfahrende Fahrer die von § 10 StVO verlangte äußerste Sorgfalt nicht beachtet hat. Der Kläger konnte diesen Anschein nicht erschüttern. Dies steht zur Überzeugung des Gerichtes aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme fest.
Der Kläger hat mit seinem PKW zunächst auf dem Parkstreifen parallel zur Fahrbahn gestanden. Kurz nach dem Anfahren von dem Parkstreifen ist es zum Zusammenstoß mit dem von dem Beklagten zu 2) gelenkten LKW gekommen, als der Kläger sich in den fließenden Verkehr eingliedern wollte. Zum Kollisionszeitpunkt bestand noch ein räumlicher und zeitlicher Zusammenhang mit dem Verlassen des Parkstreifens. Es spielt keine Rolle, ob der klägerische PKW den Parkstreifen zum Kollisionszeitpunkt bereits vollständig verlassen hatte oder sich noch teilweise auf diesem befand. Der Eingliederungsvorgang ist erst beendet, wenn sich das Fahrzeug endgültig im fließenden Verkehr eingeordnet hat. Dies ist jedoch nicht der Fall gewesen, da sich der Kläger schon nach seinem eigenen Vorbringen noch schräg auf der Fahrbahn befand, da vor ihm noch Fahrzeuge an der roten Ampel warteten.
Der Kläger hat den gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis nicht entkräftet. Dazu hätte er Umstände darlegen und beweisen müssen, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines anderen, atypischen Geschehensablaufes ergibt (Zöller-Greger, ZPO, 32. Aufl., vor § 284 Rz. 29). Der Kläger hat zwar behauptet, er habe schon geraume Zeit vor der Kollision schräg rechts vor dem LKW des Beklagten zu 2) weitgehend auf der Fahrbahn gestanden. Der Beklagte zu 2) sei erst danach angefahren gekommen und habe ebenfalls angehalten.
Für diese Behauptung sprechen zwar zunächst die Feststellungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. S. S., dass mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der PKW des Klägers zum Kollisionszeitpunkt gestanden hat. Dies hat der Sachverständige in nachvollziehbarer Weise aus dem Verlauf der Reifenspuren und der Tatsache geschlossen, dass sich das von der Glasscheibe der Fahrertür des klägerischen Fahrzeugs stammende Splitterfeld auf einen Punkt bzw. einen engen Bereich entsprechend der Breite der Scheibe konzentrierte und nicht großflächiger verteilt war. Wann der Kläger jedoch diese Position erreicht hat, ließ sich technisch nicht mehr angeben. Der Sachverständige hat ausgeführt, es lasse sich nie ganz ausschließen, dass der PKW des Klägers im Moment des Zusammenstoßes noch mit minimaler Restgeschwindigkeit vorwärts rollte bzw. gerade erst zum Stehen kam und nicht schon geraume Zeit zuvor in die Straße hineinragte. Der Sachverständige konnte außerdem aus technischer Sicht nicht klären, wann der Kläger mit seinem Fahrzeug die Position schräg vor dem LKW des Beklagten zu 2) eingenommen hat, in der es schließlich zur Kollision kam. Es ließ sich im Nachhinein nicht mehr feststellen, ob der PKW in dieser Position schon seit geraumer Zeit stand oder die Position erst im unmittelbaren Zusammenhang mit der Kollision erreichte. Selbst wenn man davon ausgeht, dass das klägerische Fahrzeug im Kollisionszeitpunkt gestanden hat, lässt sich nicht klären, wann er diese Position erreicht hat. Damit ist auch für die sog. Lückenrechtsprechung im vorliegenden Fall kein Raum.
Das Gericht schließt sich den überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen S. vollen Umfanges an. Der Sachverständige hat die Unfallörtlichkeit besichtigt und vermessen. Er hat anhand der vorhandenen Fotos die Abrieb- und Schleifspuren auf der Straße, die von dem klägerischen PKW stammten und die Glassplitter sowie die Fahrzeugbeschädigungen und Kollisionsstellung ausgewertet und den Unfallhergang rekonstruiert und das Ergebnis in Anlage 14 dargestellt. Der Sachverständigen hat die Grundlagen für die Tatsachenfeststellung ausreichend ermittelt und daraus überzeugende Schlüsse gezogen, die er in nachvollziehbarer Weise begründet hat. Zweifel an der Objektivität und der fachlichen Qualifikation des Sachverständigen sind nicht ersichtlich.
Die Angaben der Zeugin H. waren zu der Frage, ob der klägerische PKW schon vor dem Unfall erkennbar teilweise auf der Fahrbahn stand oder ob der Kläger erst unmittelbar vor dem gerade anfahrenden LKW des Beklagten zu 2) in dessen Fahrbahn hineinfuhr, auch nicht ergiebig. Die Zeugin H. hat ausgesagt, der Kläger habe teils auf der Straße und teils auf dem Radweg gestanden. Sie habe aber nicht gesehen, wie und wann der LKW angefahren gekommen sei. Die Zeugin H. konnte zum eigentlichen Unfallgeschehen nichts sagen, weil sie sich zu dem Zeitpunkt gerade zu ihrer Tochter umgedreht hatte, die sie etwas gefragt hatte. Es bleiben im Rahmen der Abwägung nur die beiden divergierenden Angaben von Kläger und Beklagten zu 2) zum Unfallhergang. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte zu 2) die Unwahrheit gesagt hat. Einen schuldhafter Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO des Beklagten zu 2), weil er das klägerische Fahrzeug erkannt hat oder hätte erkennen können, konnte der Kläger nicht darlegen. Da der Kläger von einem Parkstreifen ausfuhr und nicht etwa aus einer Grundstücksausfahrt oder Tankstellenausfahrt kam, musste der Beklagte zu 2) nicht mit einfahrenden Fahrzeugen rechnen (vgl. KG, Beschluss v. 15.12.2005, NZV 2006, 371). Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass der Beklagte zu 2) vor dem Ampel eine so große Lücke zum vorausfahrenden PKW gelassen hatte, dass sich dem Kläger eine Möglichkeit eröffnet wurde, über die Lücke auf die Straße einzufahren.
Der Kläger konnte keine Umstände darlegen und beweisen, dass sich die seinem Fahrmanöver typischerweise innewohnende erhöhte Verkehrsgefährdung nicht verwirklicht hat. Er konnte den gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis nicht widerlegen.
Der Verstoß gegen die besondere Sorgfaltspflicht beim An- bzw. Einfahren vom Parkstreifen wiegt so schwer, dass dahinter die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Unfallgegners zurücktritt (vgl. OLG Köln, Beschluss v. 16.4.2015 – 19 U 189/14 m. w. N.).
3.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.