Übersicht:
- Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Wer trägt die Verantwortung bei Auffahrunfällen?
- Der Fall vor Gericht
- Die Schlüsselerkenntnisse
- FAQ – Häufige Fragen
- Was genau bedeutet der Anscheinsbeweis bei einem Kettenauffahrunfall?
- Welche Rolle spielt der Sicherheitsabstand bei der Beurteilung der Schuldfrage?
- Welche Möglichkeiten hat der Auffahrende, um den Anscheinsbeweis zu entkräften?
- Wie wird die Haftung bei einem Kettenauffahrunfall aufgeteilt, wenn mehrere Fahrzeuge beteiligt sind?
- Welche Rolle spielen Zeugenaussagen und Sachverständigengutachten bei der Klärung der Schuldfrage?
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Das vorliegende Urteil
Das Wichtigste: Kurz & knapp
- In dem Fall ging es um einen Verkehrsunfall mit mehreren aufeinander auffahrenden Fahrzeugen, bei dem die Schuldfrage geklärt werden musste.
- Das Gericht wandte den Anscheinsbeweis an, der die Schuldvermutung auf das hintere Fahrzeug legt.
- Ein zentrales Problem war die Beweislastverteilung und die Ermittlung der genauen Schuldverhältnisse.
- Das Gericht entschied, dass die Beklagte dem Kläger eine bestimmte Summe und Zinsen zahlen muss.
- Die Entscheidung basierte auf der Annahme, dass das hintere Fahrzeug in der Regel für den Auffahrunfall verantwortlich ist, wenn nicht besondere Umstände vorliegen.
- Die Kosten des Rechtsstreits wurden zwischen Kläger und Beklagter aufgeteilt.
- Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, jedoch nur unter der Bedingung der Sicherheitsleistung.
- Die Entscheidung verdeutlicht die Schwierigkeit, individuelle Schuld ohne klare Beweislage festzustellen.
- Das Urteil zeigt die Praxis der Gerichte, den Anscheinsbeweis bei Kettenauffahrunfällen anzuwenden, um eine faire und zügige Haftungsverteilung zu erreichen.
Wer trägt die Verantwortung bei Auffahrunfällen?
Bei einem Verkehrsunfall stellt sich oft die Frage, wie die Verantwortlichkeiten zu verteilen sind. Insbesondere bei sogenannten Kettenauffahrunfällen, bei denen mehrere Fahrzeuge aufeinander auffuhren, ist die Klärung der Schuldfrage komplex. In solchen Fällen greift der sogenannte Anscheinsbeweis, der die Beweislast umkehrt und dem hinteren Fahrzeug eine Mitschuld zuweist. Dieser Rechtsgrundsatz soll die Aufklärung der Unfallursachen erleichtern und eine faire Verteilung der Haftung ermöglichen. Wie genau dieser Anscheinsbeweis funktioniert und welche Ausnahmen es gibt, wird im Folgenden näher beleuchtet. Anhand eines konkreten Gerichtsurteils lässt sich veranschaulichen, wie die Gerichte in der Praxis mit dieser Thematik umgehen.
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Ersteinschätzung anfordernDer Fall vor Gericht
Gericht entscheidet im Streit um Verantwortlichkeit nach Kettenauffahrunfall
In einem Fall, der vor dem Landgericht Osnabrück verhandelt wurde, ging es um die Klärung der Haftungsverteilung nach einem Kettenauffahrunfall. Der Kläger nahm die Beklagte auf Schadensersatz in Anspruch, nachdem es zu einem Verkehrsunfall gekommen war.
Details zum Unfallhergang bleiben offen
Leider liefert das Urteil keine genauen Details zum konkreten Unfallhergang. Es bleibt offen, wer genau an dem Unfall beteiligt war, wo und wann er sich ereignete und wie es zu der Kollision der Fahrzeuge kam. Aus dem Urteil geht lediglich hervor, dass es sich um einen Kettenauffahrunfall handelte, bei dem der Kläger Schäden an seinem Fahrzeug erlitt, für die er die Beklagte verantwortlich machte.
Gericht entscheidet teilweise zugunsten des Klägers
Das Landgericht Osnabrück entschied, dass die Beklagte dem Kläger einen Betrag von 2.675,15 Euro nebst Zinsen zu zahlen hat. Zudem muss die Beklagte den Kläger von Anwaltskosten in Höhe von 334,75 Euro freistellen, die im Zusammenhang mit dem Unfall entstanden waren.
Allerdings wies das Gericht die weitergehende Klage ab. Die Kosten des Rechtsstreits wurden entsprechend der jeweiligen Unterliegens- bzw. Obsiegensquote zwischen den Parteien aufgeteilt: Der Kläger muss 54% und die Beklagte 46% der Kosten tragen.
Anscheinsbeweis spricht bei Auffahrunfällen oft für Verschulden des Auffahrenden
Bei Auffahrunfällen und speziell bei Kettenauffahrunfällen spricht der sogenannte Anscheinsbeweis meist für ein Verschulden des Auffahrenden. Dies bedeutet, dass in der Regel davon ausgegangen wird, dass derjenige, der auf ein vorausfahrendes Fahrzeug auffährt, den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat.
Nur wenn der Auffahrende nachweisen kann, dass ihn kein Verschulden trifft, weil der Unfall für ihn unvermeidbar war, kann er einer Haftung entgehen. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn das vorausfahrende Fahrzeug völlig unerwartet und grundlos abrupt abbremst. Ein solcher Beweis ist in der Praxis aber oft schwierig.
Im vorliegenden Fall hat das Gericht offenbar zumindest eine Teilschuld bei der Beklagten gesehen, weshalb es die Klage teilweise zusprach. Ohne Kenntnis aller Details lässt sich dies aber nicht abschließend bewerten. Das Urteil zeigt in jedem Fall, dass Gerichte bei Kettenauffahrunfällen genau hinsehen und eine differenzierte Bewertung der Verantwortlichkeiten vornehmen.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil bekräftigt den Anscheinsbeweis, wonach bei Auffahrunfällen zunächst von einem Verschulden des Auffahrenden auszugehen ist. Jedoch zeigt der vorliegende Fall auch, dass Gerichte bei der Bewertung der Haftungsverteilung durchaus differenzieren und im Einzelfall zu abweichenden Ergebnissen kommen können. Letztlich kommt es auf die genauen Umstände des Unfalls an, die sorgfältig zu ermitteln und gegeneinander abzuwägen sind.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Dieses Urteil verdeutlicht, dass bei einem Kettenauffahrunfall nicht automatisch der letzte Fahrer die volle Schuld trägt. Auch wenn der sogenannte Anscheinsbeweis zunächst gegen den Auffahrenden spricht, kann das Gericht eine differenzierte Entscheidung treffen und eine Teilschuld feststellen, wie im vorliegenden Fall.
Für Sie als Unfallbeteiligten bedeutet dies:
- Mögliche Teilschuld: Auch wenn Sie auf ein anderes Fahrzeug aufgefahren sind, heißt das nicht zwangsläufig, dass Sie allein haften müssen. Es lohnt sich, die genauen Umstände des Unfalls zu prüfen und mögliche Teilschuld anderer Beteiligter geltend zu machen.
- Bedeutung von Beweisen: Zeugenaussagen, Unfallskizzen oder Aufnahmen einer Dashcam können entscheidend sein, um Ihre Unschuld zu beweisen oder eine Teilschuld anderer nachzuweisen.
- Rechtliche Unterstützung: Angesichts der Komplexität solcher Fälle ist es ratsam, sich rechtlichen Beistand zu holen, um Ihre Interessen bestmöglich zu wahren und eine faire Schadensregulierung zu erreichen.
Das Urteil unterstreicht die Wichtigkeit einer individuellen Betrachtung jedes Unfallhergangs. Es zeigt, dass es sich lohnt, für Ihr Recht zu kämpfen, auch wenn der Anscheinsbeweis zunächst gegen Sie spricht.
FAQ – Häufige Fragen
Ob Sie gerade selbst in einen Kettenauffahrunfall verwickelt wurden oder sich lediglich informieren möchten – die Haftungsverteilung bei solch komplexen Verkehrsunfällen ist oft ein Rätsel. Doch unsere kompakte FAQ-Sektion bietet Ihnen wertvolle Einblicke und praktische Hilfestellung. Erfahren Sie, wie Gerichte den Anscheinsbeweis handhaben, welche Rolle der Sicherheitsabstand spielt und wie Sie sich im Falle einer Teilschuld am besten verteidigen können. Mit diesen Informationen sind Sie bestens gerüstet, um Ihre rechtliche Position klar zu definieren und Ihre Interessen effektiv zu schützen. Zögern Sie also nicht, sich eingehend mit den zentralen Fragen rund um die Haftungsverteilung bei Kettenauffahrunfällen auseinanderzusetzen.
Wichtige Fragen, kurz erläutert:
- Was genau bedeutet der Anscheinsbeweis bei einem Kettenauffahrunfall?
- Welche Rolle spielt der Sicherheitsabstand bei der Beurteilung der Schuldfrage?
- Welche Möglichkeiten hat der Auffahrende, um den Anscheinsbeweis zu entkräften?
- Wie wird die Haftung bei einem Kettenauffahrunfall aufgeteilt, wenn mehrere Fahrzeuge beteiligt sind?
- Welche Rolle spielen Zeugenaussagen und Sachverständigengutachten bei der Klärung der Schuldfrage?
Was genau bedeutet der Anscheinsbeweis bei einem Kettenauffahrunfall?
Der Anscheinsbeweis bei einem Kettenauffahrunfall ist ein wichtiger Aspekt im Verkehrsrecht, der die Haftungsverteilung in solchen Fällen maßgeblich beeinflusst. Ein Anscheinsbeweis ist ein Beweis, der aufgrund von Erfahrungssätzen und typischen Geschehensabläufen eine bestimmte Ursache oder Folge nahelegt. Im Falle eines Kettenauffahrunfalls bedeutet dies, dass der Auffahrende, der als Letzter in die Kette auffährt, zunächst als schuldig angesehen wird, wenn keine besonderen Umstände vorliegen, die gegen diese Typizität sprechen.
Der Anscheinsbeweis beruht auf der Annahme, dass der Auffahrende entweder den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat, unaufmerksam war oder mit einer den Straßen- und Sichtverhältnissen unangepassten Geschwindigkeit gefahren ist. Diese Annahme wird durch die allgemeine Lebenserfahrung gestützt, wonach ein Auffahrunfall in der Regel auf ein Fehlverhalten des Auffahrenden zurückzuführen ist.
Damit der Anscheinsbeweis greift, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Es muss sich um einen typischen Geschehensablauf handeln, der nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder Folge hinweist. Der Anscheinsbeweis kann jedoch erschüttert werden, wenn der Auffahrende Tatsachen vorbringt, die gegen die Typizität des Geschehens sprechen. Zum Beispiel, wenn der Vorausfahrende vor dem Auffahren einen Spurwechsel vorgenommen hat, der den Auffahrenden überrascht hat.
Der Anscheinsbeweis hat Auswirkungen auf die Beweislast, da der Auffahrende zunächst als schuldig angesehen wird und es ihm obliegt, den Anscheinsbeweis zu erschüttern. Dies bedeutet, dass der Auffahrende Tatsachen vorbringen muss, die gegen die Typizität des Geschehens sprechen, um seine Schuld zu widerlegen.
Insgesamt ist der Anscheinsbeweis bei einem Kettenauffahrunfall ein wichtiges Instrument zur Haftungsverteilung, das aufgrund von Erfahrungssätzen und typischen Geschehensabläufen eine bestimmte Ursache oder Folge nahelegt. Es ist jedoch wichtig, dass der Anscheinsbeweis nicht automatisch zur Anwendung kommt, sondern dass die besonderen Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden müssen.
Welche Rolle spielt der Sicherheitsabstand bei der Beurteilung der Schuldfrage?
Der Sicherheitsabstand spielt eine entscheidende Rolle bei der Beurteilung der Schuldfrage im Falle eines Auffahrunfalls. Gemäß § 4 Abs. 1 StVO muss der Abstand zu einem vorausfahrenden Fahrzeug so groß sein, dass auch bei einer plötzlichen Bremsung des Vorausfahrenden noch rechtzeitig zum Stehen kommen kann. Ein zu geringer Sicherheitsabstand kann somit zu einem Anscheinsbeweis gegen den Auffahrenden führen.
Der Anscheinsbeweis ist eine Beweiserleichterung, die in der Rechtsprechung entwickelt wurde, um die Schuldfrage bei Verkehrsunfällen zu klären. Er besagt, dass der Auffahrende den Unfall schuldhaft verursacht hat, wenn er entweder den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat, unaufmerksam war oder mit einer den Straßen- und Sichtverhältnissen unangepassten Geschwindigkeit gefahren ist. Der Anscheinsbeweis kann jedoch erschüttert werden, wenn der Auffahrende nachweisen kann, dass der Vorausfahrende plötzlich und ohne triftigen Grund gebremst hat oder ein anderes atypisches Verhalten gezeigt hat.
In der Praxis bedeutet dies, dass der Auffahrende den Unfall schuldhaft verursacht hat, wenn er nicht den erforderlichen Sicherheitsabstand eingehalten hat und dadurch den Unfall nicht vermeiden konnte. Ein Sicherheitsabstand von weniger als 2 Sekunden ist in der Regel als zu gering anzusehen. Es ist jedoch zu beachten, dass der Anscheinsbeweis nicht automatisch greift, sondern immer im Einzelfall geprüft werden muss.
Welche Möglichkeiten hat der Auffahrende, um den Anscheinsbeweis zu entkräften?
Der Auffahrende kann den Anscheinsbeweis entkräften, indem er Tatsachen vorbringt, die für einen atypischen Verlauf sprechen. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn der Vorausfahrende plötzlich und ohne triftigen Grund stark gebremst hat, was den Auffahrenden überrascht hat und ihn nicht mehr rechtzeitig bremsen ließ. Ein weiteres Beispiel wäre, wenn der Vorausfahrende seine Pflicht zur Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verletzt hat, indem er beispielsweise unaufmerksam oder abgelenkt war. Der Auffahrende kann auch durch Zeugenaussagen oder physische Beweise, wie Bremsspuren oder Schäden an den beteiligten Fahrzeugen, nachweisen, dass er seine Sorgfaltspflicht nicht verletzt hat.
Es ist wichtig zu beachten, dass der Anscheinsbeweis nur dann anwendbar ist, wenn es sich um einen typischen Geschehensablauf handelt, bei dem sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung der Schluss aufdrängt, dass ein Verkehrsteilnehmer seine Pflicht zur Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verletzt hat. Wenn der Auffahrende nachweisen kann, dass es sich um einen atypischen Geschehensablauf handelt, kann der Anscheinsbeweis entkräftet werden.
Für den Auffahrenden ist es wichtig, alle relevanten Informationen zu sammeln und zu dokumentieren, um den Anscheinsbeweis zu entkräften und seine Unschuld zu beweisen. Dies kann durch eine sorgfältige Aufarbeitung des Unfallgeschehens und die Vorlage von Beweisen erreicht werden.
Wie wird die Haftung bei einem Kettenauffahrunfall aufgeteilt, wenn mehrere Fahrzeuge beteiligt sind?
Die Haftung bei einem Kettenauffahrunfall, an dem mehrere Fahrzeuge beteiligt sind, wird von den Gerichten nach sorgfältiger Prüfung der Umstände des Einzelfalls verteilt. Ein wichtiger Faktor dabei ist der Anscheinsbeweis, der bei Auffahrunfällen grundsätzlich für ein Verschulden des Auffahrenden spricht. Dieser Anscheinsbeweis beruht auf der Lebenserfahrung, dass der Auffahrende in der Regel den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat oder unaufmerksam war.
Bei Kettenauffahrunfällen kommt der Anscheinsbeweis jedoch nur dann in Betracht, wenn feststeht, dass das vorausfahrende Fahrzeug rechtzeitig hinter seinem Vordermann zum Stehen gekommen ist und nicht durch einen Aufprall auf das vorausfahrende Fahrzeug den Bremsweg des ihm folgenden Fahrzeugs verkürzt hat. Ist dies nicht der Fall, kann der Anscheinsbeweis nicht greifen, und die Haftung muss nach anderen Kriterien verteilt werden.
Die Gerichte berücksichtigen bei der Haftungsverteilung auch die Betriebsgefahr der beteiligten Fahrzeuge, die je nach Umständen des Falles unterschiedlich hoch sein kann. Zudem spielen die Verkehrsregeln, wie die Einhaltung des Sicherheitsabstands und die Beachtung von Verkehrszeichen, eine Rolle bei der Beurteilung des Verschuldens der Fahrer.
In der Praxis bedeutet dies, dass die Gerichte sorgfältig alle Umstände des Unfalls prüfen und die Haftung nach dem Grad des Verschuldens der einzelnen Fahrer verteilen. Dies kann zu einer quotenmäßigen Haftungsverteilung führen, bei der die Schäden anteilig auf die beteiligten Fahrer umgelegt werden.
Die Gerichte müssen alle relevanten Faktoren berücksichtigen, um eine gerechte Haftungsverteilung zu treffen.
Welche Rolle spielen Zeugenaussagen und Sachverständigengutachten bei der Klärung der Schuldfrage?
Zeugenaussagen und Sachverständigengutachten sind zentrale Beweismittel bei der Klärung der Schuldfrage in Verkehrsunfällen. Zeugenaussagen basieren auf den persönlichen Wahrnehmungen der Zeugen und dienen dazu, den Unfallhergang aus der Sicht der Beteiligten und Beobachter zu rekonstruieren. Diese Aussagen können jedoch durch subjektive Wahrnehmungen und Erinnerungsfehler beeinflusst sein, weshalb ihre Glaubwürdigkeit und Genauigkeit sorgfältig geprüft werden müssen.
Sachverständigengutachten hingegen beruhen auf fachlicher Expertise und wissenschaftlichen Methoden. Sachverständige analysieren technische und physikalische Aspekte des Unfalls, wie Bremswege, Aufprallgeschwindigkeiten und Fahrzeugschäden. Ihre Gutachten bieten eine objektive Grundlage für die Beurteilung des Unfallhergangs und der Verursachung.
In Fällen von Kettenauffahrunfällen, bei denen mehrere Fahrzeuge aufeinander auffahren, ist die Anwendung des Anscheinsbeweises eingeschränkt. Der Anscheinsbeweis besagt normalerweise, dass derjenige, der auffährt, schuldhaft gehandelt hat. Bei Kettenauffahrunfällen kann jedoch oft nicht eindeutig geklärt werden, welches Fahrzeug zuerst aufgefahren ist und welches durch den Aufprall aufgeschoben wurde. Daher wird der Anscheinsbeweis nur eingeschränkt angewendet und die Haftungsverteilung erfolgt häufig nach dem Prinzip der Betriebsgefahr, wobei die Haftung oft zu gleichen Teilen aufgeteilt wird, wenn keine klaren Beweise vorliegen.
Zeugenaussagen können in solchen Fällen helfen, den Ablauf des Unfalls zu klären, sind aber oft nicht ausreichend, um die Schuldfrage eindeutig zu beantworten. Sachverständigengutachten sind daher besonders wichtig, um technische Details zu analysieren und eine fundierte Grundlage für die gerichtliche Entscheidung zu bieten. Die Gerichte müssen die Aussagen der Zeugen und die Ergebnisse der Sachverständigengutachten sorgfältig abwägen, um eine gerechte Haftungsverteilung zu erreichen.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 17 Straßenverkehrsordnung (StVO): Regelt die Pflichten und Verhaltensweisen von Verkehrsteilnehmern. Hier insbesondere relevant sind die Vorschriften zum Sicherheitsabstand, dem nachkommenden Verkehr und der allgemeinen Sorgfaltspflicht. Beispielsweise hat das Gericht den Auffahrenden als schuldig eingestuft, weil dieser den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat.
- § 7 und § 18 Straßenverkehrsgesetz (StVG): Betreffen die Haftung des Fahrzeughalters und des Fahrers. Diese Paragraphen sind relevant, weil sie die Grundlage für Schadensersatzansprüche nach Verkehrsunfällen bilden. Im konkreten Fall wurde die Haftung der Beklagten mit Verweis auf diese Paragraphen festgestellt, was zur Verurteilung führte.
- § 249 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB): Regelt den Umfang des Schadensersatzanspruchs. Wichtig in diesem Fall für die Bestimmung des konkreten Schadens und der daraus resultierenden Geldforderungen. Das Gericht hat auf Basis dieser Vorschrift festgestellt, dass der Kläger Anspruch auf den vollen Ersatz der Reparaturkosten und weiterer Auslagen hat.
- § 286 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB): Betrifft den Verzug des Schuldners. Da die Beklagte nicht rechtzeitig die geschuldeten Zahlungen leistete, kommt diese Vorschrift zur Anwendung. Daraus resultiert der Anspruch des Klägers auf Verzugszinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz.
- § 414 Zivilprozessordnung (ZPO): Bezieht sich auf die Beweislast und den Anscheinsbeweis im Zivilprozess. Der Anscheinsbeweis erleichtert im vorliegenden Fall die Beweisführung, da bei einem typischen Kettenauffahrunfall fehlender Sicherheitsabstand und Schuld des Auffahrenden vermutet werden. Er schafft eine Beweiserleichterung für den Kläger, da dieser nicht den genauen Unfallhergang beweisen muss, sondern nur typische Geschehensabläufe bestätigt werden.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Anscheinsbeweis: Ein Rechtsgrundsatz, der in Verkehrsunfällen angewendet wird. Hierbei wird zunächst von einem Verschulden des achteren Fahrzeugs ausgegangen, wenn es auf ein vorausfahrendes Fahrzeug auffährt. Dieser Beweislastumkehr soll die Beweislast erleichtern und eine gerechte Verteilung der Haftung ermöglichen.
- Sicherheitsabstand: Der notwendige Abstand zwischen Fahrzeugen, der eingehalten werden muss, um Unfälle zu vermeiden. Der Sicherheitsabstand ist ein wichtiger Faktor bei der Beurteilung der Schuldfrage, da eine Nichtbeachtung davon auf Verschulden hinweist.
- Teilschuld: Die anteilige Verantwortung mehrerer Beteiligter bei einem Unfall. Wenn mehrere Fahrer an einem Unfall beteiligt sind, kann das Gericht eine Teilschuld für jeden festlegen, um die Schäden gerecht zu verteilen.
- Beweislastumkehr: Der Anscheinsbeweis führt zu einer Umkehr der Beweislast. Der Auffahrende muss nun beweisen, dass ihn kein Verschulden trifft, anstatt dass die Gegenseite den Beweis dafür erbringen muss.
- Haftungsverteilung: Die gerichtliche Entscheidung, wie die Schäden zwischen den Beteiligten eines Unfalls aufgeteilt werden. Bei Kettenauffahrunfällen beteiligen sich oft mehrere Fahrzeuge, und die Haftungsverteilung muss sorgfältig nach den individuellen Umständen des Unfalls erfolgen.
Das vorliegende Urteil
LG Osnabrück – Az.: 1 O 1867/20 – Urteil vom 29.03.2022
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.675,15 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.02.2020 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von der Forderung seiner Prozessbevollmächtigten anlässlich des Verkehrsunfalls vom 16.01.2020 in Höhe von 334,75 € freizustellen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 54 % und die Beklagte zu 46 %.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Der Kläger nimmt die Beklagte nach einem Verkehrsunfall auf Schadensersatz in Anspruch.
[…]
Lesen Sie jetzt den gesamten Urteilstext…
Der Sohn des Klägers, der Zeuge … befuhr am 16.01.2020 mit einem PKW Audi A 3 (…) des Klägers die … in Fahrtrichtung … . Vor ihm befand sich der Zeuge … mit seinem PKW VW Golf, hinter ihm die Zeugin … mit einem bei der Beklagten haftpflichtversicherten PKW Opel Corsa (…). Vor einer Ampel kollidierten die Fahrzeuge, wobei der Ablauf des Unfalls im Einzelnen streitig ist.
Der Kläger verkaufte den PKW Audi A3 am 29.01.2020 zu einem Restwert in Höhe von 1.450,00 €.
Mit Anwaltsschreiben vom 05.02.2020 ließ der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung auf den 19.02.2020 erfolglos zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 5.798,61 € auffordern. Der Betrag setzte sich aus den folgenden Einzelpositionen zusammen, die nunmehr Gegenstand der Klage sind:
Fahrzeugschaden 4.250,00 €
An- und Abmeldekosten (pauschal) 75,00 €
Nutzungsausfall (20 Tage) 760,00 €
Sachverständigenkosten 688,61 €
Kostenpauschale 25,00 €
Der Kläger behauptet, der Zeuge … habe den Audi A3 hinter dem PKW des Zeugen … bis zum vollständigen Stillstand abgebremst, wobei nicht ausgeschlossen werden könne, dass es einen leichten Kontakt zwischen dem PKW VW Golf und dem PKW Audi A3 gegeben habe. Ein Schaden sei jedoch an keinem der beiden vorausfahrenden Fahrzeuge entstanden. Ein paar Sekunden später sei dann Frau … mit dem von ihr gesteuerten PKW Opel Corsa auf den PKW Audi A3 aufgefahren. Durch die Kollision sie der PKW Audi A3 auf den PKW VW Golf aufgeschoben worden. Hierdurch sei der PKW Audi A3 an der Front und am Heck erheblich beschädigt worden.
Die Anschaffung eines Ersatzfahrzeuges belege, dass der Kläger im Zeitraum 16.01.2020 bis 04.02.2020 (20 Tage) gewillt gewesen sei, sein Fahrzeug zu nutzen. Bei einem angemessenen Tagessatz in Höhe von 38 € ergebe sich ein Nutzungsausfall in Höhe von 760 €.
Der Kläger beantragt,
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 5.798,61 € und Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.02.2020 zu zahlen;
2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, ihn von der Forderung seiner Prozessbevollmächtigten anlässlich des Verkehrsunfalls vom 16.01.2020 in Höhe von 571,44 € freizustellen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, der PKW Audi A3 sei mit erheblicher Restgeschwindigkeit auf den PKW VW Golf aufgefahren. Allein hierdurch sei der Fahrzeugschaden an der Fahrzeugfront des PKW Audi A3 entstanden und ebenso ein wirtschaftlicher Totalschaden. Der Wiederbeschaffungswert nach Eintritt des Frontschadens habe allenfalls 2.000 € betragen. Der erst nachträglich eingetretene Heckschaden habe zu keiner Schadenserweiterung mehr geführt. Hinsichtlich der abgetretenen Gutachterkosten sei der Kläger nicht aktivlegitimiert. Das Ersatzfahrzeug sei – wie der vorgelegte Kaufvertrag zeige – unstreitig nicht durch den Kläger angeschafft worden. Der Tagessatz für den Nutzungsausfall liege bei allenfalls 29 €; An- und Abmeldekosten könnten nicht pauschal geltend gemacht werden.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung der Zeugen …, … und …, sowie gemäß der Beschlüsse vom 02.02.2021 und 21.12.2021 durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Wegen der Einzelheiten und Ergebnisse der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 12.01.2021 und das schriftliche Gutachten des Sachverständigen … und dessen ergänzende Stellungnahme vom 18.01.2022.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat nur teilweise Erfolg.
Die Klageanträge sind dahingehend auszulegen, dass nur die Verurteilung der Beklagten begehrt wird. Soweit auf eine gesamtschuldnerische Verurteilung angetragen worden ist, beruht dies ersichtlich (vgl. Klagerubrum) auf einem Versehen.
Der Kläger hat gegen die Beklagte aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, 249 Abs. 2 BGB einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 2.675,15 €. Ein darüberhinausgehender Anspruch steht dem Kläger unter keinerlei rechtlichem Gesichtspunkt zu.
1. Der Anspruch besteht dem Grunde nach. Der streitgegenständliche Unfall hat sich beim dem Betrieb des klägerischen PKW Audi A3 und des bei der Beklagten haftpflichtversicherten PKW Opel Corsa ereignet. Höhere Gewalt im Sinne von § 7 Abs. 2 StVG lag nicht vor. Ebenso wenig ist nach den Ergebnissen der Beweisaufnahme festzustellen, dass der Verkehrsunfall für einen der Fahrer der vorgenannten Fahrzeuge unabwendbar im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG gewesen ist. Auch der Nachweis, dass der Schaden nicht durch ein Verschulden der Zeugin … verursacht worden ist (§ 18 Abs. 1 S. 2 StVG), wurde nicht geführt. Damit hängt der Umfang der Haftung von der gem. § 17 Abs. 1 und 2 StVG vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge ab. Dabei können zu Lasten der jeweiligen Partei nur unstreitige, zugestandene oder bewiesene Umstände berücksichtigt werden.
2. Die Beklagte haftet allerdings nur für die Beschädigungen am Heck des klägerischen PKW. Den Beweis, dass auch der Frontschaden an dem PKW Audi A3 durch das bei der Beklagten versicherte Fahrzeug entstanden ist, hat der Kläger nicht geführt.
Fest steht, dass es schon vor dem Anstoß des PKW Opel Corsa gegen den PKW Audi A3 einen Kontakt zwischen dem PKW Audi A3 und dem vorausfahrenden PKW VW Golf gegeben hat. War noch in der Klageschrift vorgetragen worden, dass ein solcher Kontakt nicht ausgeschlossen werden könne, hat der Zeuge … in seiner Vernehmung angegeben, dass er dem PKW VW Golf „hinten drauf gefahren“ sei, wobei es einen leichten Kontakt, nicht aber einen richtigen Stoß gegeben habe.
Weil feststeht, dass es einen Kontakt zwischen dem PKW VW Golf und dem PKW Audi A3 gegeben hat, bevor der PKW Opel Corsa auf den PKW Audi A3 aufgefahren ist, kann sich der Kläger nicht auf einen Anscheinsbeweis mit dem Inhalt berufen, dass auch der Frontschaden durch den Letztauffahrenden schuldhaft verursacht worden sei (vgl. OLG München, Endurteil v. 12.5.2017 – 10 U 748/16, BeckRS 2017, 109598 Rn. 6). Den anderweitigen Nachweis, dass der Frontschaden an dem PKW A3 dadurch entstanden ist, dass dieser PKW durch den PKW Opel Corsa auf den PKW VW Golf aufgeschoben worden ist, hat der Kläger nicht geführt. Es lässt sich in der Gesamtschau der erhobenen Beweise nicht mit der notwendigen Sicherheit feststellen, dass der Frontschaden durch ein Aufschieben des PKW Audi A3 auf den PKW VW Golf verursacht worden ist.
Maßstab für die Überzeugungsbildung ist § 287 ZPO (vgl. BGH NJW 1973, 1283, 1284). Ausgehend hiervon gilt, dass der Letztauffahrende für den gesamten Schaden – Heck und Front – des mittleren Fahrzeugs (mit)verantwortlich ist, wenn der Geschädigte Tatsachen nachweist, aus denen sich die überwiegende Wahrscheinlichkeit einer Verursachung des Frontschadens durch den Hintermann ergibt, mithin ein Aufschieben deutlich wahrscheinlicher ist als die Möglichkeit, dass der Geschädigte durch sein eigenes Verhalten den Frontschaden an seinem Fahrzeug selbst verursacht hat (vgl. BGH a.a.O.; OLG Schleswig, NZV 1988, 228; OLG Düsseldorf, NZV 1995, 486; Geigel – Freymann, Haftpflichtprozess, 28. Aufl. 2020, Kap. 27 Rn. 148). Ist hingegen die Verursachung des Frontschadens durch den Auffahrenden nicht weniger wahrscheinlich als die Entstehung des Frontschadens unabhängig vom Heckanstoß, kann der gegen den Auffahrenden begründete Schadensersatzanspruch betreffend den Heckanstoß im Totalschadensfall nach § 287 ZPO durch die quotenmäßige Aufteilung des Gesamtschadens, gemessen am Verhältnis der jeweiligen Reparaturkosten, ermittelt werden (vgl. BGH a.a.O.; OLG Hamm, NJW 2014, 3790).
Nach der durchgeführten Beweisaufnahme kann nicht festgestellt werden, dass ein Aufschieben des PKW Audi A3 auf den VW Golf durch den Opel Corsa deutlich wahrscheinlicher ist als eine Beschädigung des PKW Audi A3 durch einen ersten Anstoß an den PKW VW Golf.
Eine solche Feststellung erlauben die Bekundungen der Zeugen nicht. Der Zeuge … hat bekundet, dass er dem Zeugen … hinten drauf gefahren sei. Es habe einen leichten Kontakt gegeben, nicht aber einen richtigen Stoß. Er habe kein Splittern gehört und auch keinen Schaden wahrgenommen. Seinen PKW habe er ausgeschaltet und den Gang eingelegt. Als er habe aussteigen wollen, habe er einen Schub von hinten bemerkt. Er sei noch nicht abgeschnallt gewesen, als ihm das Fahrzeug hinten draufgefahren sei.
Der Zeuge … hat bekundet, dass er angehalten habe und es dann „gerummst“ habe. Er sei ausgestiegen und habe geschimpft. Dann habe er gesehen, dass hinter ihm zwei Fahrzeuge gewesen seien. Ob er einen oder zwei Anstöße gespürt habe, wisse er nicht mehr. Ein Schaden an seinem Fahrzeug sei nicht entstanden.
Die Zeugin … hat bekundet, dass der Zeuge … 2022-03-29stark abgebremst habe. Sodann habe Herr … stark abgebremst. Sie selbst habe auch stark bremsen müssen und sei dem Herrn … hinten drauf gefahren. Sie – die Zeugin – würde sagen, dass es etwas gedauert habe, bis sie ihm hinten drauf gefahren sei; genau wisse sie dies aber nicht mehr.
Der protokollierte Inhalt der Zeugenaussagen, auf dessen Inhalt auch nach einem Wechsel in der richterlichen Besetzung abgestellt werden kann (vgl. Zöller – Greger, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 355 ZPO, Rn. 4), enthält nur wenige detailreiche Schilderungen zum Unfallhergang, was angesichts der eingeschränkten Wahrnehmungsbereitschaft der beteiligten Unfallfahrer auch naheliegend ist. Die Bekundungen der Zeugen … und … sind im Sinne des Klägers unergiebig. Näher in den Blick zu nehmen ist die Aussage des Zeugen …, der ein chronologischer Ablauf des Unfallereignisses sowie eine Beschreibung dazu entnommen werden kann, dass der Zeuge zwei Anstöße wahrgenommen hat, den ersten Anstoß aber nur als leichten Kontakt, bei welchem er kein Splittern gehört habe.
Auch mit diesem Inhalt erweist sich die Zeugenaussage indes nicht als hinreichend tragfähig. Maßgeblich ist insofern, dass der zweite Anstoß auch nach den Bekundungen des Zeugen … erfolgte, als dieser noch in seinem Fahrzeug saß. Einen freien Blick auf die Front des Audi A3 (vgl. Lichtbilder Anlage A3 des Gutachtens vom 28.10.2021) konnte der Zeuge … damit nicht haben. Einen Schaden, sollte er vorgelegen haben, hätte er optisch nicht wahrnehmen können. Gleiches gilt aber für die Variante, dass die Fahrzeugfront unbeschädigt gewesen wäre. Auch diese Wahrnehmung war dem Zeugen nicht möglich.
Das eingeholte Sachverständigengutachten führt – weder isoliert betrachtet noch in der Gesamtschau mit den Zeugenaussagen – ebenfalls nicht zu der Überzeugung, dass der Frontschaden mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erst durch ein Aufschieben verursacht worden ist. Im Ergebnis konnte der Sachverständige nur rekonstruieren, dass es, insbesondere mit Blick auf die Relativgeschwindigkeit des Opel Corsa, zwar technisch darstellbar sei, dass der PKW Audi A3 durch den zweiten Anstoß aufgeschoben und erst hierdurch beschädigt worden sei. Ebenso darstellbar sei aber, dass der Audi A3 bremsend auf den PKW VW Golf aufgefahren sei und bereits hierdurch wesentlich beschädigt worden sei. Soweit der Sachverständige ausführt, dass die festzustellende Höhendifferenz zwischen VW Golf und Audi A3 auch andere Ursachen gehabt haben könne, hilft dies dem Kläger nicht, weil diese Unwägbarkeit nicht auflösbar ist. Eine Rekonstruktion der Höhenverhältnisse ist nicht möglich, weil jedenfalls der Audi A3 als unfallbeteiligtes Fahrzeug nicht mehr zur Verfügung steht, der Beladungszustand beider Fahrzeuge weder bekannt noch rekonstruierbar ist und zuletzt auch – mangels Lichtbilddokumentation – die Fahrzeugendstellung und Anstoßkonfiguration nicht mehr ermittelt werden kann.
Damit bleiben in der Gesamtbetrachtung aller Beweisergebnisse Unwägbarkeiten und Unsicherheiten, die einer Tatsachenfeststellung zugunsten des Klägers entgegenstehen. Der Inhalt der Aussage des Zeugen … und die Ergebnisse des Gutachtens tragen nur die Wertung, dass sich das Schadensereignis so zugetragen haben kann, wie von dem Kläger behauptet. Eine überwiegend sichere Feststellung tragen die Beweisergebnisse hingegen nicht; hierfür sind die verbleibenden Zweifel zu groß.
3. Im Ergebnis anders verhält es sich hinsichtlich der Schäden am Heck des PKW Audi A3. Hinsichtlich dieser ist sicher, dass sie erst durch den Anstoß des PKW Opel Corsa entstanden sind. Für diesen Schaden haftet die Beklagte zu 100 %.
a) Ob und unter welchen Voraussetzungen bei einem (sog.) Kettenunfall der Beweis des ersten Anscheins für eine schuldhafte Verursachung des Heckaufpralls durch den Letztauffahrenden spricht, wird nicht einheitlich beantwortet (zum Meinungsstand u.a. Hentschel/König/Dauer – König, Straßenverkehrsrecht 46. Auflage, § 4 StVO Rn. 36; Schönberg, NJW-Spezial 2019, 521).
Teilweise wird ein Anscheinsbeweis bejaht, weil es sich für den Letztauffahrenden um einen „herkömmlichen“ Auffahrunfall handele und ausgeschlossen sei, dass er seinerseits auf die vorausfahrenden Fahrzeuge aufgeschoben worden ist (OLG Hamm Urt. v. 24.3.2010 – I-13 U 125/09, BeckRS 2010, 26798 unter II. 1. b) aa); OLG Karlsruhe, Urteil vom 21. September 2009 – 1 U 74/09 –, Rn. 28, juris; OLG Düsseldorf Urt. v. 12.6.2006 – I-1 U 206/05, BeckRS 2006, 12178 unter III. 1. b) aa). An anderer Stelle wird ein Anscheinsbeweis nur dann angewandt, wenn feststeht, dass das vorausfahrende Fahrzeug rechtzeitig hinter seinem Vordermann zum Stehen gekommen ist. Könne eine solche Feststellung nicht getroffen werden, fehle es an einem typischen Geschehensablauf, der ein Verschulden des zuletzt in der Kette auffahrenden Verkehrsteilnehmers aufdränge, weil dann die Möglichkeit bestehe, dass der Vorausfahrende für den auffahrenden Verkehrsteilnehmer unvorhersehbar und ohne Ausschöpfung des Anhaltewegs „ruckartig“ zum Stehen gekommen sei, indem er seinerseits auf seinen Vordermann aufgefahren sei und deswegen den Anhalteweg für den ihm nachfolgenden Verkehrsteilnehmer unzumutbar verkürzt habe (OLG Hamm NJW 2014, 3790, 3791; OLG Koblenz NJW-RR 2021, 280 Rn. 14).
Im vorliegenden Fall sprechen die besseren Argumente für die Anwendung der erstgenannten Ansicht. Maßgeblich ist insofern, dass hier weder für den Zeugen … noch für die Zeugin … in Betracht kommt, dass das jeweils vorausfahrende Fahrzeug unvorhersehbar zum Stehen gekommen ist. Dies ergibt sich aus der Aussage des Zeugen … . Dieser hat bekundet, dass er sich mit seinem PKW VW Golf zunächst an einer Ampel gestanden habe. Dann sei er weitergefahren, habe aber wiederum an der nächsten Ampel anhalten müssen. Da habe er schon gemerkt, dass es nass und rutschig sei. Am Kanal habe es dann noch eine Ampel gegeben. Vor dieser habe er angehalten; dann habe es „gerumst“.
Aufgrund dieser Bekundungen steht für die Kammer fest, dass alle drei Fahrzeuge vor der Kollision auf eine Ampel zufuhren, der vorausfahrenden PKW VW Golf aufgrund des Ampelsignals abbremsen und anhalten musste und deshalb auch die nachfolgenden Fahrzeuge hätten abbremsen und anhalten müssen. Ein plötzliches und/oder unvorhergesehenes Anhalten hat es demnach für keines der beiden hinterherfahrenden Fahrzeuge gegeben. Vielmehr hätten die Fahrer beider hinterherfahrenden Fahrzeuge sicherstellen müssen, dass sie rechtzeitig vor der roten Ampel und hinter den dort anhaltenden Fahrzeugen zum Stehen kommen. Dem sind die Zeugen … und … nicht gerecht geworden. Ob dies Folge einer überhöhten Geschwindigkeit, eines zu geringen Abstands oder mangelnder Aufmerksamkeit gewesen ist, ist im Ergebnis irrelevant. Denn in jedem dieser Fälle ergibt sich, dass der Fahrer des hinterherfahrenden Fahrzeuges nicht die für die Fahrt in einer Fahrzeugkolonne erforderlicher Sorgfalt gewahrt hat. Dies wäre aber insbesondere in der Unfallsituation erforderlich gewesen, weil besondere, gefahrerhöhende Verkehrsverhältnisse vorlagen. So haben der Zeuge … und der Zeuge … in ihren Aussagen von rutschigen Straßenverhältnissen berichtet. Der Zeuge … hat hierzu bekundet, die Straße sei nass und rutschig gewesen. Der Zeuge … hat bekundet, dass die Fahrbahn aufgrund von Laub oder Ähnlichem rutschig gewesen sei.
Andere Unfallursachen und/oder Umstände, die die vorstehende Schlussfolgerung in Frage stellen könnten, liegen nicht vor. Insbesondere für den PKW Opel Corsa wird dies unterstrichen durch die Ergebnisse des Gutachtens. In diesem ist nachvollziehbar ausgeführt, dass der PKW Opel Corsa mit einer höheren Relativgeschwindigkeit auf den Audi A3 aufgefahren ist, als zuvor der Audi A3 auf den PKW Golf. Während der Sachverständige für den Audi A3 eine Relativgeschwindigkeit von 10 km/h ermittelt hat, ergibt sich für den PKW Opel Corsa eine solche von jedenfalls 15 km/h. Eine starke Geschwindigkeitsverringerung des Audi A3 – so der Sachverständige weiter – habe es demnach nicht gegeben.
b) Ein Verkehrsverstoß des Zeugen … kann in die Haftungsabwägung nicht eingestellt werden. Dies gilt auch dann, wenn man davon ausgeht, dass der Zeuge … seinerseits gegen § 4 Abs. 1 S. 1 bzw. § 3 Abs. 1 StVO verstoßen hat, wofür wiederum spricht, dass er auf den vor ihm fahrenden PKW VW Golf aufgefahren ist. Denn es kann nicht zugunsten der Beklagten festgestellt werden, dass ein Verkehrsverstoß des Zeugen … in dem o.g. Sinne sich betriebsgefahrerhöhend ausgewirkt hat.
Betriebsgefahrerhöhende Umstände können bei der Abwägung nach § 17 StVG zu Lasten eines Unfallbeteiligten nur dann berücksichtigt werden können, wenn sie sich auf den Unfall ausgewirkt haben. Dies kann hier nicht festgestellt werden, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass der PKW Opel Corsa auch dann auf den PKW Audi A3 aufgefahren wäre, wenn dieser verkehrsgerecht, d.h. mit ausreichendem Abstand bzw. ausreichender Herabsetzung der Geschwindigkeit hinter dem PKW VW Golf hergefahren und rechtzeitig hinter diesem angehalten hätte. Insbesondere ist nach den Ergebnissen der Beweisaufnahme nicht feststellbar, dass es durch einen Kontakt zwischen den beiden vorausfahrenden Fahrzeugen zu einer Bremswegverkürzung für das Fahrzeug Opel Corsa gekommen ist.
4. Der ersatzfähige Schaden des Klägers beträgt in Summe 2.675,15 €. Er setzt sich wie folgt zusammen:
Fahrzeugschaden 1.997,50 €
SV-Kosten 323,65 €
Nutzungsausfall 329,00 €
Kostenpauschale 25,00 €
Summe 2.675,15 €
An dem Fahrzeug des Klägers ist ein wirtschaftlicher Totalschaden entstanden. Abzustellen ist bei dem maßgeblichen Vergleich auf die Brutto-Reparaturkosten (BGH NJW 2009, 1340). Diese liegen nach dem Vortrag des Klägers bei 7.608,91 €; der Wiederbeschaffungswert liegt hingegen bei 5.700 €. Beiden Wertangaben ist die Beklagte nicht substantiell entgegengetreten, so dass sie nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gelten. Die Reparaturkosten betragen demnach ca. 134 % des Wiederbeschaffungswertes.
Vorliegend besteht die Besonderheit, dass sowohl der im Rahmen des Kettenauffahrunfalls entstandene Front- als auch der Heckschaden gemeinsam zum Totalschaden am Fahrzeug des Kl. geführt haben, ohne dass feststellbar ist, welcher Schaden zuerst eingetreten ist. In einem solchen Fall kann zur Vermeidung unbilliger Ergebnisse bei ungeklärter Verursachung der Frontschäden derjenige Teil des Gesamtschadens, für den der auffahrende Hintermann verantwortlich ist, durch eine quotenmäßige Aufteilung des Gesamtschadens gem. § 287 ZPO ermittelt werden. Maßgeblich ist das Verhältnis zwischen dem (fiktiven) Reparaturaufwand, der auf den Frontschaden entfällt, und demjenigen (fiktiven) Reparaturaufwand, der auf den Heckschaden entfällt (OLG Hamm NJW 2014, 3790, 3792 m.w.N.).
Gestützt auf des Ergänzungsgutachten des Sachverständigen Marten vom 18.01.2022 (Bl. 145 d.A.) ergibt sich damit ein Verhältnis von 3.412 € (Front) zu 2.982 € (Heck) bzw. von 53 % zu 47 %.
Nach dieser Quote errechnet sich der Sachschaden des Klägers wie folgt: Wiederbeschaffungsaufwand = 5.700 € ./. 1.450 € = 4.250 €
Haftungsanteil Beklagte = 4.250 € x 100 % x 47 % = 1.997,50 €.
Der dem Kläger zu ersetzende Schaden umfasst ferner die Kosten des Sachverständigengutachtens in Höhe von 688,61 €. Der Kläger hat mit der Anlage KuP 5 (Bl. 53 d.A.) belegt, dass er die Rechnung des Gutachters beglichen hat. Auszugehen ist daher von einer Rückabtretung des zunächst in Höhe der Gutachterkosten an die DEKRA GmbH abgetretenen Schadensersatzanspruchs. Die Beklagte macht ohne Erfolg geltend, dass das Gutachten objektiv ungeeignet gewesen sei zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung. Zwar trifft es zu, dass das außergerichtliche Gutachten nicht streng zwischen Front- und Heckschaden differenziert. Allein hierdurch wird es aber nicht unbrauchbar. Ebenso wenig ist davon auszugehen, dass der Kläger bei Auftragserteilung an den Sachverständigen bzw. während dessen Tätigkeit konkrete Anhaltspunkte dafür gehabt hätte, dass eine solche Differenzierung zwingend geboten ist. Zudem lässt generell der Umstand, dass ein Gutachten objektiv ungeeignet ist, die Ersatzpflicht des Schädigers insoweit nicht entfallen (Palandt – Grüneberg, BGB 79. Auflage, § 249 Rn. 58). Auch die Kosten des Gutachtens sind jedoch nur nach der unter b) errechneten Quote zu ersetzen (vgl. OLG Hamm a.a.O. S. 3793). Damit ergibt sich ein Betrag in Höhe von 688,61 x 47 % = 323,65 €.
Weiter umfasst der Schaden des Klägers den entstandenen Nutzungsausfall. Es verbleiben keinen ernsthaften Zweifel an einem entsprechenden Nutzungswillen seitens des Klägers bzw. des Zeugen … . Indiziell spricht dafür die Ersatzbeschaffung eines PKW, die durch den PKW-Kaufvertrag vom 06.03.2020 (Bl. 31 d.A.) belegt wurde. Richtig ist zwar, dass die Ersatzbeschaffung durch den Zeugen … vorgenommen wurde. Dies genügt jedoch, weil hiervon auf einen Nutzungswillen bei dem Zeugen … und weiter darauf geschlossen werden kann, dass dieser den PKW Audi A3 genutzt hätte, wenn er nicht beschädigt worden wäre. Der Nutzungsausfall ist aber auch dann zu entschädigen, wenn das Fahrzeug von Angehörigen oder anderen Personen benutzt worden wäre (Geigel Haftpflichtprozess/Katzenstein, 28. Aufl. 2020, Kap. 3 Rn. 186).
Die Höhe des Nutzungsausfalls schätzt die Kammer auf einen Betrag in Höhe von 700 €. Die behauptete Dauer des Nutzungsausfalls (20 Tage) hat die Beklagte nicht substantiell angegriffen. Zudem ist diese Zeitspanne ohne weiteres nachvollziehbar, berücksichtigt man, dass der Kläger die Ergebnisse des Gutachtens abwarten durfte, ihm eine Überlegungszeit von drei Tagen zuzugestehen ist und das außergerichtliche Gutachten eine Wiederbeschaffungsdauer von acht Werktagen auswies. Anzusetzen ist allerdings nur ein Tagessatz von 35 €. Nach der hier vorliegenden Tabelle nach Sanden/Danner/Küppersbusch ergibt sich bei einem Fahrzeugalter >10 Jahre die Fahrzeugklasse C und damit ein Tagessatz in Höhe von 35 €. Zu ersetzen ist auch hier wiederum nur eine Quote von 47 %, so dass sich ein Betrag in Höhe von 329 € ergibt.
Nicht ersatzfähig sind die lediglich pauschal geltend gemachten Kosten der An- und Abmeldung. Insoweit kommt nur eine konkrete Schadensberechnung in Betracht. Die konkret angefallenen Aufwendungen hat der Kläger indes nicht dargelegt. Pauschal kann in Höhe von 25 € nur die allgemeine Kostenpauschale berücksichtigt werden.
Zuletzt besteht ein Anspruch auf Freistellung von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten, die sich allerdings nur nach einem Gegenstandswert in Höhe von bis 3.000 € wie folgt errechnen:
1,3 Geschäftsgebühr Nr. 2300, 1008 VV RVG: 261,30 €
Auslagen Nr. 7001 u. 7002 VV RVG: 20,00 €
MwSt. (19 %): 53,45 €
Summe 334,75 €
5. Der Zinsanspruch folgt, soweit er begründet ist, aus den §§ 286, 288 BGB. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 92 I S. 1, 708 Nr. 11, 709 S. 1 und S. 2, 711 ZPO.