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Verkehrsunfall –  Anspruch auf Hinterbliebenengeld

OLG München – Az.: 24 U 5354/20 – Urteil vom 05.08.2021

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 13.08.2020, Az. 35 O 1590/19, abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

3. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

5. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die am 05.04.2018 geborene Klägerin ist die leibliche Tochter des Herrn T. R. (im Folgenden: der Getötete), der am … 2017 bei einem von einem Versicherungsnehmer der Beklagten verursachten Verkehrsunfall tödlich verletzt wurde. Mit der Klage macht sie einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld sowie den Ersatz der Kosten einer Nachlasspflegschaft geltend, die ihr und ihren beiden Miterben entstanden sind.

Verkehrsunfall -  Anspruch auf Hinterbliebenengeld
(Symbolfoto: Mr.Exen/Shutterstock.com)

Die Beklagte hat ihre Haftung zu 100 % für die Folgen des Unfalls, der von ihrem – inzwischen ebenfalls verstorbenen – Versicherungsnehmer bei einer Fahrt als Geisterfahrer auf der Autobahn A8 im Bereich von L. verursacht wurde, bereits durch Schreiben vom 13.06.2018 dem Grunde nach anerkannt. Sie leistet Ersatz für den Unterhaltsschaden der Klägerin gemäß § 844 Abs. 2 BGB und hat sowohl an die Mutter der Klägerin, die mit dem Getöteten zusammengelebt hatte, als auch an die beiden Halbbrüder der Klägerin Hinterbliebenengeld geleistet. Die mit Schriftsatz des Klägervertreters vom 20.03.2019 geforderte Zahlung von Hinterbliebenengeld für die zum Unfallzeitpunkt noch nicht geborene Klägerin lehnte die Beklagte ab.

Das Amtsgericht Aichach hatte Rechtsanwältin J. S. als Nachlasspflegerin bestellt und für sie mit Beschluss vom 19.03.2019 eine Vergütung aus dem Nachlass von 20.941,62 € festgesetzt.

Das Landgericht Memmingen hat der Klage auf Erstattung dieser Vergütung an die aus der Klägerin und ihren beiden Halbbrüdern bestehende Erbengemeinschaft stattgegeben, da die Anordnung der Nachlasspflegschaft die unmittelbare Folge des Todesfalls und erforderlich gewesen sei, weil die Erbengemeinschaft aus zwei minderjährigen Kindern und der beim Todesfall noch nicht geborenen Klägerin bestehe.

Ein Anspruch auf Zahlung von Hinterbliebenengeld stehe der Klägerin dagegen nicht zu, da der Nasciturus vom Schutzbereich des § 844 Abs. 3 BGB nicht umfasst sei. Eine tatsächlich gelebte besonders enge Verbindung zum Getöteten könne im Unfallzeitpunkt nicht bestanden haben, da die Klägerin beim Tod ihres Vaters noch nicht geboren gewesen sei. Dass § 844 Abs. 2 S. 2 BGB hinsichtlich des Unterhaltsschadens eine Anspruchsberechtigung des gezeugten, aber noch nicht geborenen Kindes vorsehe, spreche nicht dafür, dass eine Anspruchsberechtigung des Nasciturus auch beim Hinterbliebenengeld anzunehmen sei. § 844 Abs. 3 BGB enthalte gerade keine dem § 844 Abs. 2 Satz 2 BGB entsprechende Regelung.

Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt.

Die Klägerin beantragt: Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Memmingen vom 13.08.2020, Az.: 35 O 1590/19, wird die Beklagte verurteilt, an die Klägerin einen weiteren Betrag in Höhe von 20.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 09.05.2019 sowie weiterer vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von brutto 2.872,18 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Sie ist der Ansicht, aufgrund des Leitbildcharakters des § 844 Abs. 2 S. 2 BGB stehe ein Anspruch auf Hinterbliebenengeld auch dem ungeborenen, aber bereits gezeugten Kind zu. Es genieße bei einer Schädigung seines Körpers im embryonalen Stadium auch den Schutz des § 823 Abs. 1 BGB (vgl. BGH NJW 1972, 1126). Eine Anspruchsberechtigung entspreche der mit § 844 Abs. 3 BGB angestrebten Einzelfallgerechtigkeit. Der Klägerin komme die Vermutung nach § 844 Abs. 3 S. 2 BGB zugute, da sie bereits als Nasciturus Kind des Getöteten gewesen sei. Die Entscheidung des Landgerichts verletze die Menschenwürde der Klägerin. Art. 1 Abs. 1 GG lasse es nicht zu, Demenzkranke, Menschen mit schwerer geistiger Behinderung, Kleinkinder, Säuglinge und den Nasciturus vom Anspruch auf Hinterbliebenengeld auszuschließen, weil sie nicht in der Lage seien, seelisches Leid zu empfinden. Außerdem stünden dem Nasciturus nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Schadensersatzansprüche bei einem Schockschaden zu (BGH NJW 1985, 1390). Die Klägerin müsse ohne Vater aufwachsen und sei dadurch erheblich in der Entwicklung ihrer Persönlichkeit beeinträchtigt.

Demgegenüber meint die Beklagte, § 844 Abs. 2 S. 2 BGB stelle eine nicht analogiefähige Ausnahmeregel im Fall eines Unterhaltsschadens dar. Die Regelung des Hinterbliebenengeldes in § 844 Abs. 3 BGB enthalte keine entsprechende Sonderreglung. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld setze nach der gesetzlichen Regelung ein besonderes persönliches Näheverhältnis zwischen dem Hinterbliebenen und dem Getöteten voraus, das bereits zum Zeitpunkt der Primärschädigung und der Verletzungshandlung bestanden haben müsse. Dies sei hier nicht der Fall, weil die Klägerin ihren Vater aufgrund seines Unfalltodes nicht kennengelernt habe.

Für einen Anspruch auf Erstattung der Kosten der Nachlasspflegschaft gebe es keine rechtliche Grundlage. Ansprüche Dritter im Fall des Todes seien nur in § 844 Abs. 1 BGB für die Bestattungskosten und in § 844 Abs. 2 BGB für den Unterhaltsschaden vorgesehen. Die Kosten der Nachlasspflegschaft fielen weder unter § 844 noch unter § 845 BGB, so dass die Erben als mittelbar Geschädigte nicht anspruchsberechtigt seien. Es habe auch dem Getöteten kein Anspruch auf Erstattung von Nachpflegekosten zugestanden, der in seinen Nachlass gefallen wäre.

Die Beklagte beantragt:

I. die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

II. Das Endurteil des Landgerichts Memmingen vom 13.08.2020, zugestellt am 14.08.2020, Az. 35 O 1590/19, wird insoweit aufgehoben, als die Beklagte verurteilt wurde, einen Betrag in Höhe von 20.941,62 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 15.12.2019 an die Erbengemeinschaft T. R. zu bezahlen.

III. Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Der Senat hat mit den Parteien am 15.07.2021 mündliche verhandelt. Beweise wurden in beiden Instanzen nicht erhoben. Ergänzend wird auf das angefochtene Urteil, die in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen in beiden Instanzen Bezug genommen.

II.

Während die Berufung der Beklagten zulässig und begründet ist, ist die gleichfalls zulässige Berufung der Klägerin nicht begründet.

1. Die Erbengemeinschaft hat keinen Anspruch auf Ersatz der Kosten der Nachlasspflegschaft, den die Klägerin gemäß § 2039 BGB in gesetzlicher Prozessstandschaft geltend machen könnte.

a) Grundsätzlich steht im Deliktsrecht ein Schadensersatzanspruch nur der unmittelbar geschädigten Person zu (BGH, Urteil vom 19. 06. 1952 – III ZR 295/51 –, BGHZ 7, 30-53 m. w. N.; MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020 Rn. 1, BGB § 844 Rn. 1). Ausnahmen von diesem Grundsatz sehen nur die § 844 Abs. 1, 2 BGB bzw. im Bereich der Gefährdungshaftung § 10 Abs. 1, 2 StVG für den Ersatz der Beerdigungskosten und des Unterhaltsausfalls sowie § 845 BGB in der Form der Ersatzansprüche wegen entgangener Dienste vor; hinzugekommen ist seit Inkrafttreten der §§ 844 Abs. 3 BGB und 10 Abs. 3 StVG am 21.06.2017 das Hinterbliebenengeld. Für einen Anspruch der Erben auf Ersatz von durch den Erbfall angefallenen Kosten wie Kosten des Erbscheinsverfahrens oder einer Nachlasspflegschaft fehlt es daher an einer Anspruchsgrundlage. Es handelt sich für die Erben um einen reinen Vermögensschaden, für den das Gesetz keinen Ersatz vorsieht. Die Hinterbliebenen sind insofern mittelbar geschädigt ohne anspruchsberechtigende Schadensersatznorm (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 26. Aufl. 2020, BGB § 844 Rn. 71; Staudinger/Röthel (2015) BGB § 844, Rn. 38).

b) Der Erbengemeinschaft steht auch kein ererbter Anspruch auf Ersatz der Kosten der Nachlasspflegschaft zu. Grund für die Bestellung einer Nachlasspflegerin war der Tod des Erblassers. Die Kosten der Nachlasspflegschaft sind somit kein Schaden, der dem Erblasser (zu seinen Lebzeiten) durch den Unfall entstanden ist.

2. Der Klägerin steht auch kein Hinterbliebenengeld gemäß § 844 Abs. 3 BGB, §§ 7 Abs. 1, 10 Abs. 3 StVG i. V. m. § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, § 1 PflVG zu.

a) Einem Anspruch aus § 844 Abs. 3 BGB steht entgegen, dass die Klägerin sowohl zur Zeit des schädigenden Ereignisses als auch beim Schadenseintritt noch nicht geboren war.

aa) Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt gemäß § 1 BGB mit der Vollendung der Geburt. Das Gesetz spricht dem zur Zeit der Verletzungshandlung noch ungeborenen Kind nur ausnahmsweise Ansprüche zu, zum Beispiel in § 844 Abs. 2 S. 2 BGB für den Unterhaltsanspruch. Auch bei § 1923 Abs. 2 BGB, der die Erbfähigkeit des bereits Gezeugten fingiert, handelt es sich um eine Ausnahmevorschrift.

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bb) Aus der Rechtsprechung, wonach der Schädiger grundsätzlich auch einem im Mutterleib geschädigten und daraufhin mit einem Gesundheitsschaden zur Welt gekommenen Kind auf Schadensersatz haftet (BGH, Urteil vom 05.02.1985 – VI ZR 198/83 –, BGHZ 93, 351-358 = NJW 1985, 1390), kann ein Anspruch des Nasciturus auf Hinterbliebenengeld nicht hergeleitet werden. In den von dieser Rechtsprechung erfassten Fällen geht es jeweils um einen eigenen körperlichen Schaden des mit einer Schädigung zur Welt gekommenen Kindes, die durch ein Schadensereignis vor seiner Geburt verursacht worden ist. Im vorliegenden Fall lag demgegenüber eine körperliche Schädigung nur bei dem durch Unfall getöteten Vater der Klägerin vor, während für die Klägerin (neben dem unstreitig bestehenden Anspruch aus § 844 Abs. 2 BGB) nur ein immaterieller Schadensersatzanspruch in Betracht kommt.

cc) Einer analogen Anwendung von § 844 Abs. 2 S. 2 BGB zur Begründung eines Anspruchs des ungeborenen Kindes auf Hinterbliebenengeld steht bereits entgegen, dass § 844 Abs. 2 Satz 2 BGB eine Sonderregelung für unterhaltsrechtliche Ansprüche enthält. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Gesetzgeber das ungeborene Kind bei der Einführung des Hinterbliebenengeldes planwidrig übersehen hat, zumal sich die in Betracht kommende Regelung im selben Paragraphen des BGB befindet.

b) Zudem fehlt es an dem besonderen persönlichen Näheverhältnis, das – wie § 844 Abs. 3 S. 1 BGB ausdrücklich bestimmt – zur Zeit der Verletzung des Getöteten bestanden haben muss (vgl. BGH Beschluss v. 18.05.2020 – 6 StR 48/20, BeckRS 2020, 12822 Rn. 4; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 26. Aufl. 2020, BGB § 844 Rn. 125; HK-BGB/Ansgar Staudinger, 10. Aufl. 2019, BGB § 844 Rn. 15). Insoweit kommt es nicht darauf an, ob ein Embryo im 4. oder 5. Schwangerschaftsmonat bereits in der Lage ist, Stimmen wahrzunehmen. Die allmähliche Entwicklung der Sinnesorgane des Embryos im Mutterleib reicht zur Begründung eines persönlichen Näheverhältnisses zum Vater – im Sinn einer gelebten sozialen Beziehung – vor der Geburt nicht aus. Die Erwartung, dass sich ein solches Verhältnis nach der Geburt entwickelt hätte, kann angesichts der Festlegung des Gesetzgebers auf das Bestehen des Näheverhältnisses zur Zeit der Verletzung nicht berücksichtigt werden, damit auch nicht das Leid des Kindes, das ohne Vater aufwächst.

c) Der Klägerin kommt auch nicht die Vermutung eines besonderen persönlichen Näheverhältnisses nach § 844 Abs. 3 S. 2 BGB zugute.

aa) Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut: Zur Zeit des schädigenden Ereignisses war die Klägerin noch nicht das Kind des Getöteten, sondern noch nicht geboren und damit nicht rechtsfähig. In der Sprache des Gesetzes umfasst der Begriff „Kind“ nicht den Nasciturus.

bb) Die Vermutungsregelung in § 844 Abs. 3 S. 2 BGB hat zum Ziel, soweit wie möglich zu vermeiden, dass diejenigen Hinterbliebenen, die zum Getöteten in einer formalen familienrechtlichen Beziehung standen, die Tatsachen, aus denen sich die Existenz eines besonderen persönlichen Näheverhältnisses ergibt, vor Gericht darlegen und gegebenenfalls beweisen müssen (vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU und SPD, BT-Drucksache 18/11397 S. 14). Sie enthält aber keine Abkehr von dem in Satz 1 enthaltenen grundsätzlichen Erfordernis eines besonderen persönlichen Näheverhältnisses, für das die Intensität der tatsächlich gelebten sozialen Beziehung erheblich ist (vgl. a.a.O., S. 13).

cc) Allerdings nehmen Wagner (NJW 2017, 2641, 2644 und in MüKoBGB, 8. Aufl. BGB, § 844 Rn. 101), Huber (JuS 2018, 744) und Zwickel (in Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 6. Aufl. 2021, Tötung, Rn. 31_195) eine Anspruchsberechtigung des Nasciturus an, der vom Getöteten abstammt. Dieser Ansicht, die in der Literatur überwiegend auf Widerspruch gestoßen ist (vgl. Burmann/Jahnke, Hinterbliebenengeld – viele Fragen und etliche Antworten, NZV 2017, 401, 404; Doukoff in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., § 844 BGB 1. Überarbeitung, Stand: 24.09.2019, Rn. 136; BeckOK BGB/Spindler, 56. Ed. 1.11.2020 Rn. 43, BGB § 844 Rn. 43) folgt der Senat nicht:

(1) Entgegen der Ansicht von Huber kommt § 844 Abs. 2 S. 2 BGB ein Leitbildcharakter nicht zu. Er stellt vielmehr eine nicht analogiefähige Sondervorschrift dar (vgl. oben 2. a, cc).

(2) Der von Huber zitierte Fall des Österreichischen OGH, der den Eltern eines vor der Geburt infolge eines ärztlichen Fehlers verstorbenen Nasciturus ein Trauerschmerzensgeld zuerkannte (Österreichischer OGH, Aktenzeichen 1 Ob 114/16w, abrufbar unter https://rdb.manz.at/document/ris.just.JJT_20160830_OGH0002_0010OB00114_16W0000_000), liegt schon im Ausgangspunkt anders, da die Rechtsfähigkeit der Eltern zur Zeit des schädigenden Ereignisses keinen Zweifeln unterliegt. Eine „intensive[n] affektive[n] Beziehung zwischen den werdenden Eltern und ihrem noch ungeborenen Kind“ und eine „Nähebeziehung zu ihrem ‚Kind’“ mögen mit Blick auf die Eltern bejaht werden. Zu einer affektiven Beziehung auf der Seite des Kindes ist der Entscheidung des Österreichischen OGH allerdings nichts zu entnehmen.

(3) Der Begründung, der Nasciturus könne sich auf die Privilegierung des § 844 Abs. 3 Satz 2 BGB berufen, da er zu seinen Eltern in gerader Linie verwandt sei (Huber a.a.O. Seite 747), schließt sich der Senat nicht an. Der Nasciturus stammt zwar – vom Zeitpunkt der Zeugung an – aus biologischer Sicht von seinen (genetischen) Eltern ab. Eine rechtliche Verwandtschaft besteht jedoch erst ab dem Zeitpunkt der Geburt (vgl. z.B. Wellenhofer in MüKoBGB, 8. Aufl. BGB, § 1589 Rn. 11). Im Zeitpunkt des Unfalls bestand daher noch keine (rechtliche) Verwandtschaft zwischen dem Getöteten und dem ungeborenen Kind.

(4) Die Argumentation, das Kindschaftsverhältnis zum getöteten Vater reiche aus, um die Aktivlegitimation des Nasciturus zu begründen (Wagner, a.a.O), überzeugt aus Sicht des Senats ebenfalls nicht. Das Kindschaftsverhältnis zum Vater beginnt erst mit der Geburt des Kindes (Wellenhofer a.a.O.). Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass der Getötete – von dem die Klägerin unstreitig biologisch abstammt – im Zeitpunkt seines Todes nicht deren rechtlicher Vater war (§ 1592 BGB). Die rechtliche Vaterschaft wurde erst durch die gerichtliche Feststellung der Vaterschaft nach § 1600 d BGB begründet. Die gerichtliche Vaterschaftsfeststellung bewirkt, dass die Verwandtschaft zwischen Vater und Kind rückwirkend von Geburt an besteht (vgl. Siede in Palandt, BGB, 80. Aufl. 2021, § 1600 d Rn. 19). Ein vorgeburtliches Verwandtschafts- bzw. Vaterschaftsverhältnis wird hierdurch jedoch nicht begründet.

dd) Entgegen der Ansicht der Klägerin verletzt die hier vertretene Auffassung, dass dem erst nach dem Tod des Elternteils geborenen Kind Hinterbliebenengeld nicht zusteht, auch nicht ihre Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG). Anders als (wohl) die von der Klägerin in der Berufungsbegründung zitierte Dissertation von Behr aus dem Jahr 2000 – die also 17 Jahre vor Inkrafttreten des § 844 Abs. 3 BGB erschien – nimmt die gesetzliche Regelung Demenzkranke, Menschen mit schwerer geistiger Behinderung, Kleinkinder und Säuglinge aus dem Kreis der Anspruchsberechtigten gerade nicht aus. Da die genannten Personen durchaus Gefühle entwickeln können und dies selbst bei einer fehlenden Artikulation von Gefühlen kaum zu widerlegen wäre, erschiene es in der Tat bedenklich, dem betroffenen Personenkreis einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld zu verwehren. Demgegenüber widerspricht ein Ausschluss des zur Zeit der Verletzung ungeborenen Kindes vom Hinterbliebenengeld nicht dem Art. 1 Abs. 1 GG und erscheint auch nicht willkürlich. Ausschlaggebend hierfür ist die aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstandende Anknüpfung der Anspruchsberechtigung an das Vorliegen eines im Zeitpunkt der Verletzung bereits bestehenden persönlichen Näheverhältnisses im Sinn einer gelebten sozialen Beziehung. Der Gesetzgeber war verfassungsrechtlich auch nicht gehalten, für das Leid, ohne Vater aufwachsen zu müssen, ebenfalls eine schadensrechtlichen Ausgleich vorzusehen. Insoweit handelt es sich um eine Beeinträchtigung, die sich wesentlich vom Leid des Verlustes eines geliebten Menschen unterscheidet, das durch das Hinterbliebenengeld – soweit möglich – kompensiert werden soll. Dabei ist auch zu sehen, dass die Frage, ob sich zwischen dem im Zeitpunkt der Verletzung noch nicht geborenen Kind und dem Getöteten ein Näheverhältnis (in der Zukunft) entwickelt hätte, häufig nicht mit Sicherheit zu beantworten ist.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

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