LG Kiel – Az.: 1 S 67/18 – Urteil vom 26.02.2019
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Kiel vom 12.03.2018, Az. 116 C 214/17, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 1.168,81 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.07.2017, sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 169,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.08.2017 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Von den Kosten der ersten Instanz tragen die Parteien, die Beklagten als Gesamtschuldner, je 50 %. Von den Kosten der Berufungsinstanz tragen die Klägerin 17 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 83 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das im ersten Absatz genannte Urteil des Amtsgerichts Kiel ist, soweit es aufrechterhalten wurde, ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 1.411,04 € festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Berufung hat in der Sache nur zum Teil, nämlich hinsichtlich eines Teils der geltend gemachten Sachverständigenkosten, Erfolg.
1. Die Kammer ist der Auffassung, dass die vom Amtsgericht angenommene Haftungsquote angemessen ist.
Da der Unfall für keinen der Beteiligten unvermeidbar war (§ 17 Abs. 3 StVG), richtet sich die Haftungsquote nach den jeweiligen Verursachungsbeiträgen (§§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 und 2 StVG).
Danach ist vorliegend von einem gleich hohen Verursachungsbeitrag auszugehen.
Auf Seiten des Beklagten ist bei der Abwägung dessen Vorfahrtsverletzung festzustellen. Die Beachtung der Vorfahrt („rechts vor links” gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO) gehört zu den Grundregeln des Straßenverkehrs. Eine Vorfahrtsverletzung ist generell als schwerwiegender Verkehrsverstoß zu bewerten.
Ist die Vorfahrt an einer Kreuzung – wie vorliegend – nicht besonders geregelt, so stellt sich für jeden Verkehrsteilnehmer, der sich dieser Kreuzung nähert, die Verkehrslage so dar, dass er zwar gegenüber dem von links Kommenden vorfahrtberechtigt, gegenüber Verkehrsteilnehmern von rechts aber wartepflichtig ist. Um deren Vorfahrt beachten zu können, muss er, wie § 8 Abs. 2, S. 1 StVO vorschreibt, mit mäßiger Geschwindigkeit an die Kreuzung heranfahren und sich darauf einstellen, dass er notfalls rechtzeitig anhalten kann. Diese mit „halber Vorfahrt” bezeichnete Situation dient grundsätzlich auch dem Schutz des von links kommenden Wartepflichtigen. Kommt es in dieser Situation der halben Vorfahrt zu einem Verkehrsunfall zwischen einem Vorfahrtsberechtigten und einem von links kommenden Wartepflichtigen, führt dies in aller Regel zu einer Mithaftung des Vorfahrtberechtigten mit 25% (KG, NZV 2010, 255, beck-online; BHHJ/Heß StVO § 8 Rn. 69a, beck-online).
Der Mithaftungsanteil des klägerischen Fahrzeugs ist vorliegend um weitere 25 % erhöht.
Den Zeugen N. traf nämlich eine gesteigerte Sorgfaltspflicht. Ob diese unmittelbar aus § 10 StVO fließt oder aus § 1 Abs. 2 StVO, ist dabei nicht von Bedeutung. So dürfte kein Fall des § 10 StVO anzunehmen sein, wenn der Zeuge N. nicht am Fahrbahnrand, sondern mittig gehalten hat, um das Navigationsgerät zu bedienen. Erfasst werden von § 10 StVO nur Bewegungen vom rechten oder linken Fahrbahnrand. Wer in 2. Reihe hält oder parkt und von dort aus in den fließenden Verkehr startet, wird vom Tatbestand des § 10 StVO nicht erfasst (Scholten in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 10 StVO, Rn. 43). Allerdings muss er sein Fahrverhalten an § 1 Abs. 2 StVO messen lassen, aus dem im Ergebnis nicht geringere Anforderungen abzuleiten sind (Scholten in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 10 StVO, Rn. 43).
Auch aus § 1 Abs. 2 StVO wäre der Zeuge N. vorliegend zu einer besonderen Sorgfalt verpflichtet, weil er damit rechnen musste, dass andere Verkehrsteilnehmer möglicherweise nicht auf sein Anfahren eingestellt waren. Der Vorfahrtsberechtigte darf sich dann nicht auf die Beachtung seiner Vorfahrt verlassen, wenn konkrete Umstände Anlass zu der Befürchtung geben, ein anderer Verkehrsteilnehmer werde die Vorfahrt verletzen (OLG Karlsruhe, NJW-RR 2012, 1491, beck-online). So lag der Fall hier. Der Zeuge N. hatte mit dem klägerischen Fahrzeug zunächst gehalten, um das Navigationsgerät zu bedienen. Andere Verkehrsteilnehmer konnten dadurch den Eindruck gewinnen, er werde nicht unmittelbar in die Kreuzung einfahren. Damit musste der Zeuge N. rechnen und sich darauf einstellen. Dies hat er nicht hinreichend getan.
Ein weitergehender Verursachungsbeitrag ist dem Zeugen N. nicht anzulasten. Weder eine Anwendung des § 1 Abs. 2 StVO noch des § 10 StVO ändert im konkreten Fall etwas an der Vorfahrtsregelung des § 8 Abs. 1 StVO an der konkreten Kreuzung.
2. Nicht überzeugend ist indessen die Schadensberechnung des Amtsgerichts, soweit es die Beklagten zum vollständigen Ersatz der Sachverständigenkosten verurteilt hat.
Sofern auf Grund eines Verkehrsunfalls nur eine quotenmäßige Haftung des Schädigers besteht, hat dieser auch die Sachverständigenkosten nur im Umfang der Haftungsquote zu erstatten, denn die Kosten des Sachverständigengutachtens sind gemäß § 17 Abs. 1 und 2 StVG bzw. § 9 StVG iVm § 254 Abs. 1 BGB nur in Höhe der Haftungsquote durch den Unfallbeitrag des Schädigers verursacht und der zur Wiederherstellung anfallende, die Gutachtenkosten umfassende Geldbetrag damit nur in diesem Umfang gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB erforderlich (BGH, NJW 2012, 1953, beck-online; Geigel, Haftpflichtprozess, 1. Teil Allgemeine Begriffe und Rechtsverhältnisse des Haftpflichtrechts 3. Kapitel. Schadensersatz wegen Beschädigung oder Zerstörung von Sachen Rn. 119, beck-online).
Im Übrigen hält die Kammer in ständiger Rechtsprechung nur eine Unkostenpauschale in Höhe von 20,- € für gerechtfertigt.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 92, 97 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.