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Verkehrsunfall – Auffahrunfall nach einem Spurwechsel des Vorausfahrenden

LG Verden – Az.: 5 O 139/18 – Urteil vom 15.10.2019

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 1.778,63 € nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.03.2018 zu zahlen.

2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verpflichtet, die Klägerin von den ihr per Kostenrechnung vom 05.04.2018 (Rechnungs-Nr. ###) in Rechnung gestellten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ihres Prozess-bevollmächtigten Rechtsanwalt S. (Kanzlei S.; B.) in Höhe von 255,85 € freizustellen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin zu 70 % und die Beklagten zu 30 %.

5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.Die Klägerin kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheits-leistung in Höhe von 120 % des gegen sie aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Beklagten zuvor Sicherheit in Höhe von 120 % des durch sie jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

6. Der Streitwert wird festgesetzt auf 5.928,76 EUR.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagten als Gesamtschuldner auf Ersatz ihrer materiellen Schäden aus einem Verkehrsunfall in Anspruch, der sich am 12.03.2018 auf der Bundesautobahn A 1 im Bereich Achim ereignete.

Die Klägerin ist Eigentümerin des Fahrzeuges Mitsubishi ASX 1.8 mit dem amtlichen Kennzeichen ###, das zum Unfallzeitpunkt von der Zeugin B. G. geführt wurde. Der Beklagte zu 1. war zum Unfallzeitpunkt Fahrer der polnischen Sattelzugmaschine mit dem amtlichen Kennzeichen ###, die über die Beklagte zu 2. haftpflichtversichert ist.

Am Abend des 12.03.2018, gegen 18:30 Uhr, befuhr der Beklagte zu 1. die Autobahn A1 in Fahrtrichtung Münster. In Höhe der Kilometrierung 100,9 im Bereich Achim, vor der Einmündung der Autobahn 27 auf die Autobahn A1, stockte der Verkehr auf der Autobahn. Die Zeugin G. befuhr zunächst die A27 und wollte sich von dort nach links auf die A1 einfädeln. Hierzu setzte sie sich mit dem Fahrzeug der Klägerin etwa 600 Meter vor der Einfädelung in linke Richtung vor die Sattelzugmaschine des Beklagten zu 1. Im Zusammenhang mit diesem Fahrtvorgang, dessen genauer Ablauf zwischen den Parteien streitig ist, kollidierte die Sattelzugmaschine des Beklagten zu 1. beim Anfahren mit dem klägerischen Fahrzeug und verursachte dort Sachschaden vorrangig im hinteren linken Seitenbereich.

Die Klägerin ließ zur Feststellung des an ihrem Fahrzeug entstandenen Schadens von dem Kfz-Sachverständigenbüro S. in S. ein Schadensgutachten erstellen. Hierfür wurden der Klägerin am 19.03.2018 brutto 767,00 € in Rechnung gestellt (Bl. 15 d. A.). Ausweislich des Gutachtens beziffern sich die Reparaturkosten zur Beseitigung der Unfallschäden am klägerischen Fahrzeug auf netto 4.636,76 € bei Zugrundelegung einer Wertminderung des Fahrzeugs von 500,00 €. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das Privatgutachten des Sachverständigen M. S. vom 19.03.2018 (Bl. 4 ff. d. A.) Bezug genommen.

Die mit der Schadensregulierung beauftragte Versicherung hat die Regulierung per Schreiben vom 28.03.2018 abgelehnt.

Verkehrsunfall - Auffahrunfall nach einem Spurwechsel des Vorausfahrenden
(Symbolfoto: Von tommaso79/Shutterstock.com)

Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin stellten dieser ihre außergerichtliche Tätigkeit per Kostenrechnung vom 05.04.2018 (Bl. 16 d. A.) mit 571,44 € in Rechnung.

Mit vorliegender Klage begehrt die Klägerin den Ersatz materieller Schäden auf der Grundlage einer vollständigen Haftung der Beklagten für das streitgegenständliche Unfallereignis in Gesamthöhe von 5.928,76 €, bestehend aus den Nettoreparaturkosten (4.636,76 €), einer Wertminderung ihres Fahrzeugs (500,00 €), den Kosten für die Beauftragung des privaten Gutachters (767,00 €) sowie einer Kostenpauschale in Höhe von 25,00 €.

Die Klägerin behauptet, die Zeugin G. sei, als der Beklagte zu 1. im Einfädelungsbereich staubedingt habe halten müssen, in eine Lücke vor die von ihm geführte Sattelzugmaschine gefahren. Der Beklagte zu 1. habe die bereits längere Zeit vor ihm stehende Zeugin übersehen und sei von hinten auf das stehende Fahrzeug der Klägerin aufgerollt, als der Verkehr sich wieder in Bewegung setzte.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass der Beklagte zu 1. das Unfallereignis allein verursacht habe, indem dieser schuldhaft auf das bereits vor ihm stehende Fahrzeug der Klägerin aufgefahren sei. Sie meint daher, ihre unfallbedingten Schäden vollumfänglich von den Beklagten ersetzt verlangen zu können.

Die Klägerin beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 5.928,76 € nebst Jahreszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.03.2018 zuzüglich 571,44 € an vorgerichtlichen Kosten zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Sie behaupten, das Fahrzeug der Klägerin habe zum Unfallzeitpunkt nicht vor der von dem Beklagten zu 1. geführten Sattelzugmaschine gestanden. Vielmehr habe die Zeugin G. im stockenden Verkehr versucht, sich auf die A1 einzufädeln und ihr Fahrzeug hierzu nach links vor das bereits im Anhaltevorgang befindliche Fahrzeug des Beklagten zu 1. zu setzen. Hierbei sei sie unterhalb der Sichtlinie des Beklagten zu 1. teilweise in dessen Fahrspur gefahren. Es sei diesem nicht möglich gewesen, das Fahrzeug der Klägerin zu erblicken. Die Kollision habe sich während des noch nicht abgeschlossenen Spurwechsels der Klägerin ereignet, nachdem der Beklagte zu 1. nach kurzer Standzeit wieder angefahren sei. Er habe, auch weil die Einfädelung der A27 auf die A1 erst in etwa 600 Meter Entfernung bevorstand, nicht damit gerechnet, dass sich ein Fahrzeug vor ihn setzen würde.

Die Beklagten sind der Ansicht, die Zeugin G. habe das streitgegenständliche Unfallereignis allein verschuldet, indem sie einen Spurwechsel vorgenommen habe, ohne zuvor einer Gefährdung des bevorrechtigten Verkehrs auszuschließen. Insoweit seien zugunsten der Beklagten auch die Grundsätze des Anscheinsbeweises im Zusammen-hang mit einem Spurwechsel zu berücksichtigen.

Die geltend gemachten Reparaturkosten zur Regulierung des Unfallschadens seien nach Ansicht der Beklagten jedenfalls der Höhe nach weder erforderlich noch angemessen. Außerdem sei die Wertminderung des klägerischen Fahrzeugs unter Berücksichtigung aller wertbildenden Faktoren mit 500,00 € überhöht angesetzt.

Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß der prozessleitenden Verfügung vom 28.06.2018 (Bl. 41 d. A) über den Hergang des Verkehrsunfalles am 12.03.2018 auf der BAB 1 im Bereich Achim durch Vernehmung der Zeugin B.G.. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 24.10.2018 (Bl. 71 ff. d. A.) Bezug genommen. Darüber hinaus hat das Gericht Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 01.11.2018 durch Einholung eines schriftlichen Unfallrekonstruktionsgutachtens. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Dipl.-Ing. N.M. vom 21. Juni 2019 (lose zu der Akte) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

I.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten gemäß §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, betreffend die Beklagte zu 2. in Verbindung mit § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 1.778,63 € auf der Grundlage einer Haftungsquote der Beklagten für den streitgegenständlichen Verkehrsunfall von 30 %.

Die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie deren Umfang hängen nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG bzw. nach § 254 Abs. 1 BGB von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Die danach gebotene Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge ist aufgrund aller festgestellten, d. h. unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalles vorzunehmen.

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Nach Durchführung der Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugin G. und Einholung eines Unfallrekonstruktionsgutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. M. steht mit hinreichender Sicherheit zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Zeugin G. als Führerin des im Eigentum der Klägerin stehenden Fahrzeugs den streitgegenständlichen Unfall mit einem überwiegenden Verschuldensanteil durch Vornahme eines Spurwechsels ohne ausreichende Rückschau und Ausschluss einer Gefährdung der bevorrechtigten Verkehrsteilnehmer, zu denen auch der Beklagte zu 1. gehörte, verursachte.

Soweit die Klägerin meint, zu Lasten des Beklagten zu 1. seien wegen des Vorliegens eines Auffahrunfalles die Grundsätze des Anscheinsbeweises zu berücksichtigen mit der Folge, dass eine tatsächliche Vermutung für die Verursachung des Verkehrsunfalles durch den Beklagten zu 1. bestehe, kann das Gericht dem nicht folgen. Denn nach den Regeln des Anscheinsbeweises kann vorliegend gerade nicht auf ein Verschulden des Beklagten zu 1. geschlossen werden. Zwar geht das Gericht nach dem Vortrag der Parteien davon aus, dass der Beklagte zu 1. von hinten auf das Fahrzeug der Klägerin – wenn auch nicht typischerweise auf das Heck, jedenfalls aber auf den hinteren linken Seitenbereich – auffuhr. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist ein gegen den Auffahrenden (hier: den Beklagten zu 1.) sprechender Erstanschein aber dann ausgeräumt, wenn der Vordermann (hier: die Zeugin G.) in zeitlich und örtlich nahem Zusammenhang mit dem Unfall einen Fahrstreifenwechsel vorgenommen hat. An einem solchen Zusammenhang hat das Gericht nach Durchführung der Beweisaufnahme keine Zweifel. Denn soweit die Klägerin behauptet hat, dass die Zeugin G. nach Durchführung des Spurwechsels bereits vor dem Beklagtenfahrzeug stand und dieser anschließend auf das stehende Klägerfahrzeug aufgefahren ist, ist dieser Vortrag durch das Ergebnis des eingeholten Sachverständigengutachtens widerlegt. Der Sachverständige Dipl.-Ing. M. hat nämlich nach Auswertung der Fahrzeugschäden und Analyse von Crashversuchen in Bezug auf den vorliegenden Unfallhergang ausgeführt, dass beide unfallbeteiligten Fahrzeuge zum Kollisionszeitpunkt mit nahezu gleicher, wenn auch geringer, Geschwindigkeit in Bewegung gewesen sind. Dagegen wären, sofern das klägerische Fahrzeug gestanden hätte, selbst bei minimaler Kollisionsgeschwindigkeit eine deutlich höhere Längenausdehnung der Schadenszone zu erwarten gewesen.

Das Gericht hat sich den ohne Einschränkung technisch nachvollziehbaren und plausiblen Angaben des Sachverständigen Dipl.-Ing. M. nach eigener kritischer Würdigung angeschlossen. Der Sachverständige hat die von ihm gefundenen Ergebnisse widerspruchsfrei und verständlich begründet. Es bestehen keine Zweifel an der Fachkunde des Sachverständigen. Diesem Ergebnis steht es daher auch nicht entgegen, dass die Zeugin G. im Rahmen ihrer Zeugeneinvernahme im Termin zur mündlichen Verhandlung am 24.10.2018 den Vortrag der Klägerin dahingehend bestätigt hat, zum Unfallzeitpunkt gestanden zu haben. Dieser Vortrag ist mit dem Ergebnis des Sachverständigen nicht in Einklang zu bringen, wobei den technisch begründeten Ausführungen des Sachverständigen zur Überzeugung des Gerichts ein höherer Beweiswert zukommt. Zudem hat dieser nachvollziehbar begründet, dass aufgrund der geringen Kollisionsgeschwindigkeiten für die Zeugin G. durchaus der Eindruck des Stillstandes entstanden sein kann, ohne dass ein solcher jedoch vorgelegen hat.

Damit liegt, legt man nach den obigen Ausführungen den Fahrtvorgang der Zeugin G. während der Kollision zugrunde, ein vom typischen Auffahrunfall abweichender Geschehensablauf vor. Aus der festgestellten Fahrtbewegung der Zeugin G. kann bei schräger Fahrzeuglage nur der Schluss gezogen werden, dass diese in Übereinstimmung mit dem Klägervortrag noch im Begriff war, die Spur zu wechseln, wobei aufgrund der Kollisionsstelle am Fahrzeug der Klägerin davon auszugehen ist, dass es sich um einen Spurwechsel nach links auf die Fahrbahn des Beklagten zu 1. handelte. Eine Vermutung für die Unfallverursachung durch den Beklagten zu 1. besteht nach alledem nicht (OLG Celle, Urteil vom 11.04.1991 – 5 U 308/89, BeckRS 1991, 188; Urteil vom 07.11.2002 – 14 U 56/01, BeckRS 2002, 30292).

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und der Anhörung des Beklagten zu 1. ist zur Überzeugung des Gerichts vielmehr ein überwiegendes Verschulden der Zeugin G. als Fahrerin des Klägerfahrzeugs für die Kollision belegt.

Ist nämlich – wie hier – ein zeitlich und örtlich naher Zusammenhang zwischen einem Auffahrunfall und einem Spurwechsel zu bejahen, spricht der Beweis des ersten Anscheins für eine unfallursächliche Missachtung der sich aus § 7 Abs. 5 Satz 1 StVO ergebenden gesteigerten Sorgfaltspflichten durch den Spurwechsler (OLG Stuttgart, Urteil vom 14.04.2010 – 3 U 3/10, BeckRS 2010, 12884). Hierauf berufen sich die Beklagten zu Recht. Da sich der Anscheinsbeweis auch auf die Unfallursächlichkeit des Fahrstreifenwechsels bezieht, wären die Regeln über den Anscheinsbeweis nur dann nicht heranzuziehen, wenn die Klägerin den Gegenbeweis hätte führen können, dass eine Unfallursächlichkeit des Spurwechsels gerade nicht vorlag. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Zeugin G., wie von der Klägerin behauptet, bereits geraume Zeit nach dem Spurwechsel vor dem Beklagten zu 1. gestanden hätte und dieser, ohne dass noch ein Zusammenhang zu dem Spurwechsel zu erkennen wäre, auf das vor ihm stehende Fahrzeug aufgefahren wäre. Diesen Nachweis vermochte die Klägerin nach den vorstehenden Ausführungen jedoch gerade nicht zu führen.

Darüber hinaus geht das Gericht auf Seiten der Zeugin G. zusätzlich von einem Verstoß gegen § 7 Abs. 4 StVO aus. Hiernach gilt bei Fahrbahnverengungen, wie die Klägerin selbst vorträgt, das Reißverschlussverfahren. Dem am Weiterfahren gehinderten Fahrzeug (hier: dem klägerischen Fahrzeug) ist der Übergang auf den benachbarten Fahrstreifen nach Maßgabe der genannten Vorschrift in der Weise zu ermöglichen, dass sich die Fahrzeuge unmittelbar vor Verengung jeweils im Wechsel nach einem auf dem durchgehenden Fahrstreifen fahrenden Fahrzeug einordnen können. Nach den unbestritten gebliebenen Angaben des Beklagten zu 1. im Rahmen seiner persönlichen Anhörung im Termin vom 24.10.2018 war die Auffahrt der A27 auf die A1 noch etwa 600 Meter entfernt (Seite 2 des Protokolls, Bl. 72 d. A.), weshalb er mit einem Einscheren anderer Fahrzeuge nicht gerechnet habe. Zur Überzeugung des Gerichts liegt darin ein Verstoß gegen die besonderen Sorgfaltsanforderungen des § 7 Abs. 4 StVO, da ein Einscheren der Zeugin G. erst unmittelbar vor der Verengung gerade nicht vorlag.

Dagegen ist der Klägerin der ihr obliegende Beweis eines Verursachungsbeitrages bzw. eines Verschuldensanteils des auffahrenden Beklagten zu 1. an dem Unfall nicht gelungen. Zwar geht das Gericht nach den Angaben des Beklagten zu 1. und den Ausführungen des Sachverständigen davon aus, dass es dem Beklagten zu 1. grundsätzlich trotz der eingeschränkten Sichtmöglichkeiten im Führerhaus des Fahrzeugs per se nicht unmöglich war, das Fahrzeug der Klägerin zu erblicken. Dies folgt schon aus der Angabe des Beklagten zu 1., dass dieser nach der Kollision „nach unten geschaut“ habe und das Fahrzeug der Klägerin sehen konnte. Hieraus folgt allerdings nicht zwingend, dass oder wann der Beklagte zu 1. in der konkreten Unfallsituation mit einem Einscheren der Zeugin G. rechnen konnte. Der Sachverständige hat insoweit ausgeführt, dass das Fahrzeug der Klägerin sich dem Beklagtenfahrzeug möglicherweise in einer „Tarnzone“ genähert haben könnte. Genaue Angaben im Hinblick auf die Kontaktspuren, den Kollisionswinkel oder die Kollisionsgeschwindigkeit waren dem Sachverständigen in Ermangelung einer Untersuchung des Beklagten-fahrzeugs und ausreichender Unfallspuren nicht möglich. Zu welchem Zeitpunkt das Fahrzeug der Klägerin sich also vor das Beklagtenfahrzeug setzte und welche Reaktionsmöglichkeiten für den Beklagten zu 1. noch bestanden haben, war daher im Ergebnis nicht zu rekonstruieren und aufzuklären. Da die Klägerin für das Vorliegen eines Verschuldensbeitrages des Beklagten zu 1. beweisbelastet ist, gehen die genannten Unsicherheiten in Bezug auf den Unfallhergang einschließlich der Reaktions-möglichkeiten des Beklagten zu 1., die auch durch das Sachverständigengutachten nicht geklärt werden konnten, zu ihren Lasten.

Nach alledem ist im Rahmen der gebotenen Abwägung nach § 17 Abs. 1 StVG von einem überwiegenden Verschulden der Zeugin G. für den streitgegenständlichen Verkehrsunfall und die hierauf beruhenden Sachschäden auszugehen, die die Klägerin gegen sich gelten lassen muss.

Obgleich bei Unfällen, die im Zusammenhang mit einem Spurwechsel aufgrund einer Fahrbahnverengung entstehen, häufig von einem vollen Verschulden des Spurwechslers für entstandene Unfallschäden ausgegangen wird (vgl. OLG Bremen, Urteil vom 28.11.1995 – 3 U 31/95, BeckRS 2008, 15613; OLG Stuttgart, Urteil vom 14.04.2010 – 3 U 3/10, BeckRS 2010, 12884, jeweils m.w.N.), ist im vorliegenden Fall die schon aufgrund des Ausmaßes und des Gewichts erhöhte Betriebsgefahr der Sattelzugmaschine der Beklagten zu berücksichtigen. Nicht nur birgt die besondere Beschaffenheit dieses Fahrzeugs im Falle einer Kollision mit einem Kraftfahrzeug ein erhöhtes Schadensrisiko. Auch bedingen die baulichen Gegebenheiten, was auch mit den Ausführungen des Sachverständigen einhergeht, im Verhältnis zu Personenkraftwagen verschlechterte Sichtverhältnisse bei sich verringerndem Abstand zum vorausfahrenden oder benachbarten Fahrzeug. Diese von Grund auf erhöhte Betriebsgefahr, die hinter dem Verschuldensanteil der Zeugin G. bei wertender Betrachtung nicht zurücktreten kann, rechtfertigt nach der gebotenen Abwägung eine Haftung der Beklagten für den in Rede stehenden Unfall von 30 %.

Unabhängig von der Haftungsquote ist die von der Klägerin geltend gemachte Schadenshöhe im Ergebnis nicht zu beanstanden. Sowohl die kalkulierten Reparaturkosten von netto 4.636,76 € als auch eine Wertminderung des klägerischen Fahrzeugs von 500,00 € stellen sich nach dem überzeugenden und unangegriffenen Ergebnis des Sachverständigengutachtens als angemessen dar und sind daher, neben den unstreitigen Kosten für die Beauftragung des privaten Sachverständigen in Höhe von 767,00 € und der Kostenpauschale (25,00 €), grundsätzlich ersatzfähig im Sinne des § 249 BGB.

Bei Zugrundelegung einer Haftungsquote der Beklagten von 30 % ergibt sich damit ein für die Klägerin diesen gegenüber ersatzfähiger Schaden in Höhe von 1.778,63 €. Im Übrigen erwies sich die Klage als unbegründet und war daher abzuweisen.

II.

Die der Klägerin in Rechnung gestellten Rechtsanwaltskosten sind der Klägerin von den Beklagten ebenfalls als ersatzfähige Schadensposition im Wege der straßenverkehrs-rechtlichen Haftungstatbestände gesamtschuldnerisch zu ersetzen, wobei sich die zu erstattenden Rechtsanwaltskosten an dem nach den vorstehenden Ausführungen ersatzfähigen Hauptanspruch in Höhe von 1.778,63 € orientieren und sich folglich bei einer 1,3-fachen Geschäftsgebühr (lfd. Nr. 2300 VV RVG) auf 255,85 € belaufen.

Da die Klägerin auch auf das Bestreiten des Beklagten hin weder dargelegt noch unter Beweis gestellt hat, dass sie die ihr in Rechnung gestellten Rechtsanwaltskosten an ihre Prozessbevollmächtigten gezahlt hat, waren die Beklagten entsprechend § 251 BGB zur Freistellung zu verurteilen.

III.

Der Zinsanspruch beruht auf §§ 280 Abs. 1, 2, 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO, die prozessuale Nebenentscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 709 S. 1, 2, 711 ZPO.

 

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