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Verkehrsunfall – Ausnahme von Sichtfahrgebot

OLG Koblenz – Az.: 12 U 777/21 – Beschluss vom 21.09.2021

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil der Einzelrichterin der zweiten Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 15.04.2021, Az.: 2 O 160/20, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 06.10.2021.

Gründe

Das Landgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen.

Das Landgericht ist nach durchgeführter Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gelangt, dass der Verkehrsunfall dadurch zustande gekommen ist, dass der Kläger absichtlich auf die Fahrbahn getreten ist oder ebenfalls absichtlich so dicht neben der Fahrbahn gelaufen ist, dass ihn das von dem Beklagten zu 1. geführte Fahrzeug erfasst hat. Das Landgericht ist insoweit von einem überragenden Mitverschulden (§ 9 StVG i. V. m. § 254 BGB) des Klägers ausgegangen hinter dem es die von dem Pkw des Beklagten zu 1. ausgehende Betriebsgefahr hat vollständig zurücktreten lassen.

Dies ist von Seiten des Senats nicht zu beanstanden.

Was die durchgeführte Beweiswürdigung angeht, hat der Senat bei seiner Entscheidung die von dem Landgericht festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtig- und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen, § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Dieser Maßstab gilt auch für die Beanstandungen der Beweiswürdigung des erstinstanzlichen Gerichts. Auch insofern müssen mit der Berufung schlüssig konkrete Anhaltspunkte aufgezeigt werden, die Zweifel an den erhobenen Beweisen aufzeigen, so dass sich eine erneute Beweisaufnahme gebietet (OLG Koblenz in r+s 2011, 522). Vorliegend sind keine Fehler des Landgerichts bei der erfolgten Würdigung der erhobenen Beweise erkennbar. Die von dem Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung ist umfassend, nachvollziehbar und in sich widerspruchsfrei. Sie verstößt nicht gegen Denk-, Natur- oder Erfahrungssätze und ist insgesamt auch nach der eigenen Würdigung des Senats in der Sache vollumfänglich zutreffend.

Die Zeugin …[A] hat in der mündlichen Verhandlung vom 11.03.2021 ausgesagt, nachdem es in ihrem Pkw auf der Fahrt zum Bahnhof zu einem heftigen Streit gekommen sei, habe sie angehalten und den Kläger aussteigen lassen. Nachdem der Kläger ausgestiegen sei, habe er dann die ganze Zeit immer wieder angerufen und verlangt, dass sie zurückkomme. Schließlich sei es zu einem Anruf gekommen in dessen Verlauf der Kläger gesagt habe „da kommt ein Auto, da kommt ein Auto“. Sie habe dann einen Schlag gehört und genau gewusst, dass etwas passiert sei. Es sei auch so gewesen, dass sich der Kläger bereits ca. einen Monat vor dem Unfall das Leben habe nehmen wollen. Dies weil sie sich damals von ihm habe trennen wollen. Der Kläger habe sich damals auch „aufgeritzt“ und ihr entsprechende Bilder geschickt, auf denen „der Arm blutig heruntergehangen habe“. Auch habe der Kläger nach dem Unfall ihr gegenüber noch einmal angedroht sich umzubringen. Er habe hierbei angekündigt sich eine Überdosis Insulin spritzen zu wollen. Auch könne sie sagen, dass wenn der Kläger „umgeswitcht“ sei, er dann teilweise nicht mehr gewusst habe, was er tat. Er sei dann überhaupt nicht mehr zu erreichen gewesen und habe nicht mehr vernünftig reagiert. In einem solchen Zustand habe er sie auch einmal bewusstlos geschlagen.

Das Landgericht hat ausführlich, nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, weshalb es die Aussage der Zeugin …[A] als uneingeschränkt glaubhaft angesehen hat. So habe die Zeugin die Geschehnisse des Unfalltages sehr detailreich wiedergegeben und auch Angaben zum Randgeschehen gemacht. Auch habe sich ihre Aussage, die sie vor Gericht gemacht habe, mit der aus der polizeilichen Vernehmung vom 15.04.2019 gedeckt. Dem stehe nicht entgegen, dass sie sich an ihre Aussage auf der Polizeiinspektion, der Kläger habe ihr mitgeteilt, er hätte auf der Straße gelegen und sei dann wieder aufgestanden, nicht mehr erinnern konnte. Es spreche vielmehr gerade für die Glaubwürdigkeit der Zeugin, dass sie unaufgefordert die fehlende Möglichkeit zur Erinnerung eingeräumt habe. Die Aussage der Zeugin habe auch keinerlei Belastungstendenzen erkennen lassen. Die Zeugin sei vielmehr in ihren Aussagen bemüht gewesen, dass der Kläger aufgrund der Trennung nicht zu Schaden komme. Im Ergebnis spreche auch gerade der von der Klägerin gewonnene persönliche Eindruck massiv für deren Glaubwürdigkeit. Der Senat hat keinerlei Anlass an diesen Ausführungen des Landgerichts Anstoß zu nehmen. Somit war folgerichtig den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 21.02.2021, er sei durchgängig am Feldrand und nicht auf der Straße gelaufen, nicht zu folgen.

Wie das Landgericht geht somit auch der Senat davon aus, dass der Kläger den Zusammenstoß mit dem Pkw des Beklagten zu 1. absichtlich herbeigeführt hat. Hierfür spricht auch massiv der Umstand, dass der Kläger während des letzten Telefonats mit der Zeugin …[A] äußerte „da kommt ein Auto, da kommt ein Auto“. Der Kläger sah somit den Pkw des Beklagten zu 1. herannahen und hatte auch noch Zeit genug mit der Zeugin …[A] zu telefonieren und die oben wiedergegebene Äußerung zu tätigen. Unzweifelhaft wäre es ihm in diesem Zeitraum möglich gewesen, sich vor dem Pkw des Beklagten zu 1. „in Sicherheit zu bringen“. Hierfür hätte erkennbar bereits ein beherzter Schritt zur Seite ausgereicht. In diesen Zusammenhang fügt sich dann auch die Aussage der Zeugin …[A] ein, der Kläger habe in Situationen wie der hier gegebenen nicht mehr vernünftig reagiert. Auch dies macht eine Selbstgefährdung/Selbstschädigung des Klägers nachvollziehbar.

Der Kläger hat damit massiv schuldhaft zu dem Zustandekommen des Verkehrsunfalls beigetragen.

Gemäß den ebenfalls zutreffenden Ausführungen des Landgerichts kann dem Beklagten zu 1. hingegen kein Verschuldensvorwurf gemacht werden. In Betracht käme allenfalls ein Verstoß des Beklagten zu 1. gegen das in § 3 Abs. 1 Satz 4 StVO enthaltene allgemeine Sichtfahrgebot. Hiernach darf nur so schnell gefahren werden, dass innerhalb der übersehbaren Strecke gehalten werden kann. Der Fahrzeugführer muss seine Fahrgeschwindigkeit deshalb so einrichten, dass er jederzeit in der Lage ist, seinen Verpflichtungen im Verkehr genüge zu leisten und das Fahrzeug nötigenfalls rechtzeitig anzuhalten, also nicht auf Hindernisse aufzufahren (OLG Celle 5 U 160/72, Urteil vom 01.03.1972, juris = VersR 1973, 450, Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., § 3 StVO Rdnr. 14). Hierbei muss der Fahrzeugführer grundsätzlich auch damit rechnen, dass sich auf dem nicht für ihn sichtbaren Teil der ihm vorliegenden Fahrbahn Hindernisse wie Personen, Wild oder liegengebliebene Fahrzeuge befinden (OLG Köln 3 U 26/02, Urteil vom 11.10.2002, juris). Begrenzt wird der Sichtgrundsatz allerdings durch den Vertrauensgrundsatz (KG Berlin 12 U 199/01, Urteil vom 20.03.2003, juris; KG Berlin 12 U 2139/00, Urteil vom 01.10.2001, juris; Hentschel/König/Dauer a. a. O.). Gemäß diesem Vertrauensgrundsatz darf der Kraftfahrer unter anderem darauf vertrauen, dass Fußgänger nicht plötzlich auf die Fahrbahn laufen (BGH VI ZR 132/65, Urteil vom 07.02.1967, juris; OLG Köln 11 U 227/95, Urteil vom 14.02.1996; OLG Köln 3 U 26/02, Urteil vom 11.10.2002, juris; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 35. Auflage, § 25 StVO Rdnr. 39). Insoweit muss der Kraftfahrer seine Geschwindigkeit auch nicht auf die stets bestehende Möglichkeit einrichten, dass Fußgänger plötzlich von der Seite in seine Fahrbahn treten (BGH VI ZR 126/99, Urteil vom 27.06.2000, juris; BGH VI ZR 124/97, Urteil vom 12.05.1998, juris; OLG Koblenz 12 U 650/11, Beschluss vom 05.07.2012).

Nach den obigen Ausführungen des Senats ist der (zumal noch dunkel gekleidete) Kläger vorliegend absichtlich, unerwartet und unmittelbar vor oder neben das heranfahrende Fahrzeug des Beklagten zu 1. getreten und hat somit den Verkehrsunfall herbeigeführt. Mit diesem Verhalten musste der Beklagte zu 1. nicht rechnen, auf diesen Verhalten konnte und musste er auch seine Geschwindigkeit nicht ausrichten. Der Beklagte zu 1. hätte vielmehr, selbst wenn er den Kläger zuvor auf dem Feld gehend gesehen hätte, darauf vertrauen dürfen, dass der Kläger nicht bewusst in seinen Fahrweg treten würde. Von einem unfallursächlichen Verstoß des Beklagten zu 1. gegen § 3 Abs. 1 Satz 4 StVO (allgemeines Sichtfahrgebot) konnte somit nicht ausgegangen werden.

Bei der vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge (§ 9 StVG i. V. m. § 254 BGB) waren somit auf Seiten der Beklagten ausschließlich die von dem Pkw des Beklagten zu 1. ausgehende allgemeine Betriebsgefahr, auf Seiten des Klägers hingegen dessen oben festgestelltes massives schuldhaftes Verhalten (insbesondere in Gestalt eines massiven Verstoßes gegen § 25 StVO) zu berücksichtigen. Auch der Senat gelangt hierbei zu einem vollständigen Zurücktreten der Betriebsgefahr des Pkw.

Der Kläger hat damit für die bei dem Unfall eingetretenen Folgen allein einzustehen.

Da die Berufung somit keine Aussicht auf Erfolg hat, legt der Senat aus Kostengründen die Rücknahme des Rechtsmittels nah. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).

Der Senat beabsichtigt den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 8.000,00 € festzusetzen.

 

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