Übersicht:
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Benötigen Sie Hilfe?
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Welche Sorgfaltspflichten gelten beim Ausparken aus einer Parklücke?
- Was bedeutet „volle Haftung“ im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall beim Ausparken?
- Wie wirkt sich das Blinken beim Ausparken auf die Haftungsfrage aus?
- Welche Rolle spielt die Geschwindigkeit des fließenden Verkehrs bei einem Unfall beim Ausparken?
- Was ist der Unterschied zwischen materiellen und immateriellen Schäden nach einem Verkehrsunfall beim Ausparken?
- Glossar
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Hinweise und Tipps
- Das vorliegende Urteil
Urteil Az.: 39 C 329/21 (19) | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Zum vorliegendenDas Wichtigste in Kürze
- Gericht: AG Hanau
- Datum: 05.06.2023
- Aktenzeichen: 39 C 329/21 (19)
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Die Eigentümerin und Fahrerin eines Pkw, die Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalls fordert. Sie ist der Ansicht, die Gegenseite müsse zu 100% für den Unfall haften.
- Beklagte: Der Fahrer des anderen beteiligten Pkw und dessen Haftpflichtversicherung.
Worum ging es in dem Fall?
- Sachverhalt: Am 16.06.2021 gegen 9:30 Uhr befuhr die Klägerin eine Straße in R. Der andere beteiligte Fahrer parkte zu diesem Zeitpunkt in einer Parkbucht am rechten Straßenrand. Es kam zu einer Kollision der beiden Fahrzeuge. Die Klägerin ließ ein Gutachten über die Schäden an ihrem Fahrzeug erstellen und beziffert ihren Schaden auf 1.418,99 €. Sie forderte die Haftpflichtversicherung des Unfallgegners erfolglos zur Zahlung auf.
- Kern des Rechtsstreits: Es ging um die Frage, wer die Schuld an dem Unfall trägt und wer deshalb für den entstandenen Schaden aufkommen muss. Die Klägerin forderte vollständigen Ersatz ihres Schadens.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung:
- Der Fahrer des anderen Pkw und dessen Haftpflichtversicherung müssen als Gesamtschuldner 1.418,99 € Schadensersatz an die Klägerin zahlen, zuzüglich Zinsen seit dem 23.11.2021.
- Sie müssen ebenfalls die vorgerichtlichen Anwaltskosten der Klägerin in Höhe von 220,27 € erstatten, zuzüglich Zinsen seit dem 13.01.2022.
- Es wurde festgestellt, dass der Fahrer und seine Versicherung als Gesamtschuldner auch für alle zukünftigen materiellen Schäden haften, die der Klägerin noch aus dem Unfall vom 16.06.2021 entstehen.
- Die Kosten des Gerichtsverfahrens müssen der Fahrer und seine Versicherung als Gesamtschuldner tragen.
- Das Urteil kann von der Klägerin vorläufig durchgesetzt werden, wenn sie eine Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils geforderten Betrages hinterlegt.
Der Fall vor Gericht
Gerichtsurteil zu Kollision beim Ausparken

Das Amtsgericht Hanau hat am 5. Juni 2023 ein Urteil in einem Verkehrsunfallverfahren gefällt (Az.: 39 C 329/21 (19)). Im Kern ging es um die Klärung der Schuldfrage nach einer Kollision zwischen einem fahrenden Pkw und einem Fahrzeug, das aus einer Parkbucht auf die Fahrbahn einfuhr. Das Gericht gab der Klägerin vollständig Recht.
Der Unfallhergang aus Sicht der Beteiligten
Am Vormittag des 16. Juni 2021 ereignete sich der Unfall in der …straße in R. Die Klägerin befuhr die Straße mit ihrem Pkw. Gleichzeitig befand sich der Beklagte zu 1) mit seinem Fahrzeug in einer Parkbucht am rechten Fahrbahnrand. Es kam zum Zusammenstoß der beiden Fahrzeuge, als der Beklagte zu 1) aus der Parkbucht auf die Straße fuhr.
Darstellung der Klägerin
Die Klägerin schilderte, dass sie sich im fließenden Verkehr befunden habe. Der Beklagte zu 1) sei vom rechten Rand nach links in ihre Fahrspur eingefahren, ohne auf ihr bevorrechtigtes Fahrzeug zu achten. Der Zusammenstoß sei für sie dadurch unvermeidbar gewesen. Sie forderte daher die vollständige Haftung der Beklagtenseite.
Darstellung der Beklagten
Der Beklagte zu 1) und seine Haftpflichtversicherung, die Beklagte zu 2), wiesen die Schuld von sich. Der Fahrer habe das Ausparken durch Blinken angezeigt. Ein anderes Fahrzeug habe sogar hinter ihm gewartet. Er sei bereits vollständig auf der Fahrbahn gewesen, habe 30 bis 35 Meter zurückgelegt und ca. 40 km/h erreicht, als die Klägerin plötzlich links neben ihm auftauchte und gegen sein Fahrzeug prallte – möglicherweise bei einem misslungenen Überholmanöver auf der Spur des Gegenverkehrs. Der Unfall sei für ihn unvermeidbar gewesen.
Die Forderungen der Klägerin
Die Klägerin machte einen Gesamtschaden von 1.418,99 € geltend. Dieser Betrag basierte auf einem von ihr eingeholten Sachverständigengutachten. Zudem forderte sie die Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 220,27 € sowie Zinsen auf beide Beträge.
Feststellung zukünftiger Schäden
Ein wichtiger Punkt der Klage war der Antrag festzustellen, dass die Beklagten auch für alle zukünftigen materiellen Schäden aus dem Unfall haften. Die Klägerin begründete dies damit, dass sie noch nicht sicher sei, ob und wann sie ihr Fahrzeug vollständig reparieren lassen möchte. Möglicherweise könnten später noch weitere unfallbedingte Schäden auftreten.
Die Entscheidung des Amtsgerichts Hanau
Das Gericht verurteilte die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung des geforderten Schadensersatzes von 1.418,99 € nebst Zinsen. Ebenso müssen sie die vorgerichtlichen Anwaltskosten von 220,27 € nebst Zinsen erstatten. Gesamtschuldner bedeutet, dass die Klägerin die gesamte Summe wahlweise vom Fahrer oder von der Versicherung fordern kann.
Volle Haftung der Beklagten
Entscheidend ist, dass das Gericht die volle Haftung für den Unfall bei den Beklagten sah. Die Argumentation der Beklagten, der Fahrer sei bereits vollständig eingefahren und die Klägerin sei schuldhaft aufgefahren, überzeugte das Gericht nicht. Die Kosten des gesamten Rechtsstreits wurden ebenfalls den Beklagten auferlegt.
Zukünftige Schäden abgedeckt
Das Gericht stellte außerdem fest, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche zukünftigen materiellen Schäden zu ersetzen, die aus diesem Unfall resultieren. Damit ist die Klägerin für eventuell später auftretende, unfallbedingte Kosten abgesichert, ohne die Schuldfrage erneut klären zu müssen.
Die wahrscheinlichen rechtlichen Erwägungen des Gerichts
Obwohl die detaillierten Urteilsgründe nicht vorliegen, lässt das Ergebnis klare Rückschlüsse auf die rechtliche Bewertung zu. Beim Einfahren vom Fahrbahnrand in den fließenden Verkehr gelten besonders strenge Sorgfaltspflichten gemäß § 10 Satz 1 der Straßenverkehrsordnung (StVO).
§ 10 StVO: Höchste Sorgfaltspflicht beim Anfahren
Diese Vorschrift verlangt, dass sich der einfahrende Fahrer so verhalten muss, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Kommt es in unmittelbarem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Anfahren zu einer Kollision, spricht der sogenannte Anscheinsbeweis (Prima-facie-Beweis) gegen den Anfahrenden.
Anscheinsbeweis gegen den Einfahrenden
Der Anscheinsbeweis legt nahe, dass der Fahrer, der aus der Parkbucht kam, die erforderliche Sorgfalt verletzt hat. Es wird vermutet, dass er den fließenden Verkehr nicht ausreichend beachtet hat. Dieser Anscheinsbeweis kann nur durch den Nachweis eines atypischen Geschehensablaufs erschüttert werden.
Widerlegung des Anscheinsbeweises offenbar nicht gelungen
Die Beklagten hätten beweisen müssen, dass der Unfall nicht auf einem Fehler beim Einfahren beruhte, sondern auf einem völlig anderen Umstand – etwa dem von ihnen behaupteten fehlerhaften Überholmanöver der Klägerin nach bereits abgeschlossener Integration in den Verkehr. Diesen Beweis konnten sie offensichtlich nicht erbringen. Die Darstellung, bereits 30-35 Meter gefahren zu sein, erschien dem Gericht wohl unglaubhaft oder nicht ausreichend belegt angesichts des Unfallgeschehens.
Bedeutung des Urteils für Betroffene
Dieses Urteil unterstreicht die hohen Anforderungen an die Sorgfaltspflicht beim Einfahren in den fließenden Verkehr.
Für ausparkende Fahrer
Wer aus einer Parklücke, vom Straßenrand oder einem Grundstück auf die Fahrbahn fährt, trägt eine besondere Verantwortung. Es muss absolut sichergestellt sein, dass keine anderen Verkehrsteilnehmer gefährdet werden. Das Setzen des Blinkers allein genügt nicht und verschafft kein Vorrecht. Im Zweifel muss gewartet werden, bis die Verkehrslage ein gefahrloses Einfahren zweifelsfrei zulässt. Die Rechtsprechung legt hier einen sehr strengen Maßstab an.
Für Fahrer im fließenden Verkehr
Fahrer im fließenden Verkehr dürfen grundsätzlich darauf vertrauen, dass Wartepflichtige am Fahrbahnrand ihre Pflicht beachten. Dennoch ist stets Vorsicht geboten, insbesondere wenn Fahrzeuge am Rand stehen und Anzeichen für ein Anfahren erkennbar sind (z.B. Blinker, Motorengeräusch, Fahrer am Steuer). Eine defensive Fahrweise kann helfen, Unfälle zu vermeiden, auch wenn man selbst im Recht ist.
Bedeutung der Feststellungsklage
Der erfolgreiche Feststellungsantrag bezüglich zukünftiger Schäden ist für Geschädigte sehr wertvoll. Er sichert ab, dass die Haftungsfrage geklärt ist, falls später noch unentdeckte Schäden am Fahrzeug oder andere Folgeschäden (z.B. Wertminderung, Nutzungsausfall bei späterer Reparatur) geltend gemacht werden müssen. Dies erspart einen erneuten Prozess über die Schuldfrage.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil verdeutlicht, dass bei Verkehrsunfällen während eines Ausparkvorgangs grundsätzlich eine erhöhte Sorgfaltspflicht für den Ausparkenden besteht, der sich in den fließenden Verkehr einordnet. Wer vom Fahrbahnrand losfährt, muss sich vergewissern, dass kein vorfahrtsberechtigter Verkehr gefährdet wird, wobei die Beweislast für den genauen Unfallhergang bei demjenigen liegt, der die erhöhte Sorgfaltspflicht hat. Von besonderer Bedeutung ist die gerichtliche Anerkennung der Kosten für ein privat beauftragtes Sachverständigengutachten als erstattungsfähiger Schadensposition, was für Unfallopfer einen wichtigen Schritt zur umfassenden Schadensregulierung darstellt.
Benötigen Sie Hilfe?
Unterstützung bei unklarer Haftung nach einem Parkunfall
Nach Unfällen beim Ein- oder Ausparken ist die Frage der Verantwortlichkeit oft schwierig zu beurteilen. Gerade wenn unterschiedliche Schilderungen aufeinandertreffen, entsteht Unsicherheit, welche Pflichten beim Einfahren in den Verkehr oder beim Überholen gegolten haben und wie ein etwaiger Schadenersatzanspruch durchsetzbar ist.
Unsere Kanzlei prüft sorgfältig die rechtliche Ausgangslage und begleitet Sie bei der Durchsetzung oder Abwehr von Ansprüchen. Im Fokus stehen dabei eine sachgerechte Bewertung des Geschehens sowie die nachhaltige Absicherung Ihrer Interessen.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Welche Sorgfaltspflichten gelten beim Ausparken aus einer Parklücke?
Beim Ausparken aus einer Parklücke, egal ob vorwärts oder rückwärts, gelten besonders hohe Sorgfaltspflichten. Das liegt daran, dass Sie vom ruhenden Verkehr in den fließenden Verkehr einfahren und damit eine potenzielle Gefahrenquelle für andere darstellen.
Die Straßenverkehrsordnung (StVO) legt in § 10 fest, dass sich derjenige, der beispielsweise vom Fahrbahnrand anfährt (wozu auch das Ausparken zählt), so verhalten muss, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Das ist die zentrale Regel, die Sie beachten müssen. Der fließende Verkehr hat grundsätzlich Vorrang.
Was bedeutet das konkret für Sie beim Ausparken?
- Umfassende Verkehrsbeobachtung: Sie müssen den Verkehr vor, neben und hinter Ihrem Fahrzeug äußerst sorgfältig und ununterbrochen beobachten – nicht nur kurz vor dem Losfahren, sondern während des gesamten Ausparkvorgangs. Dazu gehört der Blick in alle Spiegel und der unverzichtbare Schulterblick. Wenn Sie die Verkehrslage nicht vollständig überblicken können, zum Beispiel weil die Sicht durch andere Fahrzeuge oder Hindernisse eingeschränkt ist, müssen Sie sich von einer geeigneten Person einweisen lassen. Auf technische Hilfsmittel wie Rückfahrkameras allein dürfen Sie sich nicht verlassen, sie dienen nur der Unterstützung.
- Deutliches Anzeigen der Absicht: Sie müssen Ihre Absicht auszuparken rechtzeitig und deutlich durch Blinken ankündigen, damit sich andere Verkehrsteilnehmer darauf einstellen können.
- Äußerst langsames und vorsichtiges Einfahren: Das Ausparken muss sehr langsam, schrittweise und mit äußerster Vorsicht erfolgen. Tasten Sie sich buchstäblich in den fließenden Verkehr hinein. Fahren Sie nur wenige Zentimeter bis Zentimeter vor bzw. zurück, beobachten Sie erneut den Verkehr und setzen Sie das Manöver nur fort, wenn Sie sicher sind, niemanden zu gefährden.
- Vorrang des fließenden Verkehrs beachten: Der fließende Verkehr hat immer Vorrang. Das bedeutet, Sie müssen warten, wenn sich andere Fahrzeuge, Fahrradfahrer oder Fußgänger nähern. Sie dürfen diese weder behindern noch gefährden. Sobald eine mögliche Gefährdung entsteht, müssen Sie Ihr Ausparkmanöver sofort stoppen.
Die entscheidende Pflicht: Ausschluss jeglicher Gefährdung
Die wichtigste Regel lautet: Eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer muss absolut ausgeschlossen sein. Sie tragen die volle Verantwortung dafür, dass beim Ausparken niemand auch nur gefährdet wird.
Kommt es in unmittelbarem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Ausparken zu einem Unfall, gehen die Gerichte in der Regel davon aus, dass der Ausparkende seine hohen Sorgfaltspflichten verletzt hat. Dies nennt man den Beweis des ersten Anscheins. Das bedeutet, im Streitfall müssten Sie beweisen können, dass Sie alle genannten Sorgfaltspflichten beachtet haben und die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer tatsächlich ausgeschlossen war oder der Unfall für Sie gänzlich unvermeidbar war. Dies ist in der Praxis oft sehr schwierig. Seien Sie sich daher der hohen Verantwortung beim Ausparken stets bewusst.
Was bedeutet „volle Haftung“ im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall beim Ausparken?
„Volle Haftung“ bedeutet im Kontext eines Verkehrsunfalls beim Ausparken, dass die Person, die den Unfall hauptsächlich verursacht hat, grundsätzlich für alle Schäden aufkommen muss, die durch diesen Unfall entstanden sind.
Welche Schäden sind umfasst?
Diese volle Haftung bezieht sich auf sämtliche unfallbedingten Nachteile des Geschädigten. Dazu gehören insbesondere:
- Sachschäden: Das sind in erster Linie die Reparaturkosten am Fahrzeug des Geschädigten. Aber auch andere beschädigte Gegenstände (z.B. Ladung, Kleidung) oder Kosten für einen Mietwagen oder Nutzungsausfall können darunterfallen.
- Personenschäden: Wenn Personen verletzt wurden, umfasst die Haftung auch deren Heilbehandlungskosten, Verdienstausfall, Schmerzensgeld und möglicherweise weitere Kosten, die durch die Verletzung entstehen (z.B. für eine Haushaltshilfe).
Was passiert bei einer möglichen Teilschuld des anderen Fahrers?
Eine Besonderheit beim Ausparken ist, dass hier besonders hohe Sorgfaltspflichten gelten. Wer aus einer Parklücke in den fließenden Verkehr einfährt, muss sicherstellen, dass niemand gefährdet wird. Die Rechtsprechung geht oft davon aus, dass derjenige, der ausparkt und dabei einen Unfall verursacht, in der Regel die Hauptschuld trägt (man spricht hier von einem „Anscheinsbeweis“).
Das bedeutet: Selbst wenn der andere Verkehrsteilnehmer (der sich bereits im fließenden Verkehr befand) möglicherweise auch einen Fehler gemacht hat – zum Beispiel eine leichte Geschwindigkeitsüberschreitung –, kann die Haftung dennoch vollständig beim Ausparkenden liegen. Dies ist dann der Fall, wenn der Verstoß des Ausparkenden gegen die Sorgfaltspflicht als so schwerwiegend eingestuft wird, dass ein eventuelles Mitverschulden des anderen Verkehrsteilnehmers dahinter vollständig zurücktritt. Die Hauptursache für den Unfall wird dann im gefährdenden Ausparkmanöver gesehen.
Für Sie bedeutet das Verständnis der „vollen Haftung“ in diesem Zusammenhang, dass Fehler beim Ausparken oft weitreichende finanzielle Konsequenzen haben können, da man unter Umständen auch dann für den gesamten Schaden aufkommen muss, wenn der Unfallgegner nicht vollkommen fehlerfrei gefahren ist.
Wie wirkt sich das Blinken beim Ausparken auf die Haftungsfrage aus?
Das Setzen des Blinkers allein befreit Sie in der Regel nicht von der Haftung, wenn es beim Ausparken zu einem Unfall kommt.
Die Rolle des Blinkers
Der Blinker dient dazu, anderen Verkehrsteilnehmern Ihre Absicht anzuzeigen, aus der Parklücke in den fließenden Verkehr einzufahren. Das Blinken ist zwar eine vorgeschriebene Handlung, um Ihr Vorhaben kenntlich zu machen, es ist aber nur ein einzelner Aspekt des Ausparkvorgangs.
Die entscheidende Pflicht: Höchste Sorgfalt
Viel wichtiger für die Haftungsfrage ist die gesetzlich vorgeschriebene Pflicht zur höchsten Sorgfalt, die Sie beim Einfahren in den fließenden Verkehr beachten müssen. Dies ist in § 10 der Straßenverkehrsordnung (StVO) festgelegt. Konkret bedeutet das:
- Sie müssen sich vor und während des gesamten Ausparkvorgangs vergewissern, dass Sie niemanden gefährden oder auch nur behindern.
- Sie müssen absolut sicherstellen, dass die Fahrbahn frei ist und Sie gefahrlos ausparken können. Das erfordert gründliches Beobachten des Verkehrs (Spiegel, Schulterblick, eventuell langsames Hineintasten).
- Im Zweifel müssen Sie warten oder sich von einer anderen Person einweisen lassen.
Blinken ersetzt keine Vorsicht
Das Blinken verringert diese sehr hohe Sorgfaltspflicht nicht. Selbst wenn Sie korrekt und rechtzeitig geblinkt haben, liegt die Hauptverantwortung für einen sicheren Ausparkvorgang bei Ihnen. Kommt es zu einer Kollision mit einem Fahrzeug im fließenden Verkehr, gehen Gerichte sehr oft davon aus, dass der Ausparkende seine Sorgfaltspflicht verletzt hat. Der Grundsatz lautet: Der fließende Verkehr hat Vorrang und darf darauf vertrauen, dass niemand unvorsichtig aus einer Parklücke ausschert.
Für Sie bedeutet das praktisch: Verlassen Sie sich niemals allein auf das Setzen des Blinkers. Entscheidend ist immer, dass Sie sich umfassend davon überzeugt haben, dass das Ausparken sicher möglich ist, bevor Sie losfahren.
Welche Rolle spielt die Geschwindigkeit des fließenden Verkehrs bei einem Unfall beim Ausparken?
Beim Ausparken aus einer Parklücke in den fließenden Verkehr gelten besonders hohe Sorgfaltspflichten. Wer ausparkt, muss gemäß der Straßenverkehrsordnung (§ 10 StVO) sicherstellen, dass keine anderen Verkehrsteilnehmer gefährdet werden.
Kommt es unmittelbar beim Einfahren in den fließenden Verkehr zu einer Kollision, spricht der erste Anschein (juristisch auch Anscheinsbeweis genannt) gegen denjenigen, der ausgeparkt hat. Das bedeutet, es wird zunächst vermutet, dass diese Person den Unfall hauptsächlich verursacht hat, weil sie ihrer hohen Sorgfaltspflicht nicht ausreichend nachgekommen ist.
Einfluss der Geschwindigkeit des anderen Fahrzeugs
Die Geschwindigkeit des Fahrzeugs im fließenden Verkehr kann die Beurteilung der Haftung beeinflussen, ändert aber oft nichts an der grundsätzlichen Hauptverantwortung des Ausparkenden.
- Hauptverantwortung bleibt meist beim Ausparkenden: Auch wenn das andere Fahrzeug möglicherweise zu schnell unterwegs war, entbindet dies den Ausparkenden nicht von seiner Pflicht, sich äußerst vorsichtig in den Verkehr einzufädeln. Er muss sich so verhalten, dass er den fließenden Verkehr nicht gefährdet – dazu gehört auch, die Geschwindigkeit anderer Fahrzeuge richtig einzuschätzen und genügend Abstand zu lassen.
- Mögliche Mithaftung des Schnellerfahrenden: War das andere Fahrzeug jedoch nachweislich deutlich zu schnell unterwegs (z. B. weit über dem Tempolimit), kann diesem Fahrer eine Mithaftung zugesprochen werden. Die entscheidende Frage ist hierbei: Hätte der Unfall vermieden werden können, wenn der andere Fahrer die zulässige Geschwindigkeit eingehalten hätte? Wenn die überhöhte Geschwindigkeit ursächlich für den Unfall oder dessen Schwere war, kann dies zu einer Teilung der Haftung führen.
Bedeutung für die Schadensregulierung
Eine festgestellte Mithaftung des zu schnellen Fahrers bedeutet, dass dieser nicht den vollen Ersatz seines Schadens erhält. Gleichzeitig muss der Ausparkende dann möglicherweise nicht für den gesamten Schaden aufkommen. Die Haftungsquote (also wer welchen Anteil am Schaden trägt) wird dann anhand der jeweiligen Verursachungsbeiträge festgelegt.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Hauptlast der Verantwortung bei einem Unfall beim Ausparken liegt in der Regel beim Ausparkenden. Eine überhöhte Geschwindigkeit des fließenden Verkehrs kann aber zu einer Mithaftung führen, wenn sie nachweislich zum Unfallgeschehen beigetragen hat.
Was ist der Unterschied zwischen materiellen und immateriellen Schäden nach einem Verkehrsunfall beim Ausparken?
Nach einem Verkehrsunfall, beispielsweise beim Ausparken, können verschiedene Arten von Schäden entstehen. Das Gesetz unterscheidet hier grundsätzlich zwischen materiellen und immateriellen Schäden. Diese Unterscheidung ist wichtig, um zu verstehen, welche Ansprüche Sie als Geschädigter haben könnten.
Materielle Schäden: Alles, was Geld kostet
Materielle Schäden sind solche, die Ihr Vermögen direkt beeinträchtigen und sich konkret in Geld beziffern lassen. Es handelt sich um finanzielle Nachteile, die durch den Unfall entstanden sind.
Stellen Sie sich vor, jemand fährt beim Ausparken gegen Ihr Auto. Typische materielle Schäden wären dann:
- Reparaturkosten: Die Kosten, um Ihr Fahrzeug wieder instand zu setzen.
- Abschleppkosten: Falls Ihr Auto nicht mehr fahrbereit ist und abgeschleppt werden muss.
- Mietwagenkosten: Wenn Sie für die Dauer der Reparatur oder bis zur Beschaffung eines neuen Fahrzeugs einen Ersatzwagen benötigen.
- Wertminderung: Auch nach einer fachgerechten Reparatur kann Ihr Fahrzeug weniger wert sein als vor dem Unfall. Dieser „merkantile Minderwert“ ist ebenfalls ein materieller Schaden.
- Sachverständigenkosten: Die Kosten für ein Gutachten, das die Höhe des Schadens feststellt.
- Weitere Kosten: Zum Beispiel Kosten für die Ab- und Anmeldung eines Fahrzeugs oder Nutzungsausfallentschädigung, wenn Sie keinen Mietwagen nehmen.
Kurz gesagt: Materielle Schäden sind alle direkten finanziellen Verluste, die Ihnen durch den Unfall entstanden sind. Ziel des Schadensersatzes ist es hier, Ihr Vermögen so wiederherzustellen, als wäre der Unfall nicht passiert (§ 249 BGB).
Immaterielle Schäden: Der Ausgleich für persönliches Leid
Immaterielle Schäden sind Schäden, die nicht direkt Ihr Vermögen betreffen, sondern Ihre Person – also Ihren Körper, Ihre Gesundheit oder Ihr Wohlbefinden. Sie sind nicht einfach in Geld messbar. Der bekannteste immaterielle Schaden ist der Anspruch auf Schmerzensgeld.
Wenn Sie bei dem Unfall beim Ausparken verletzt wurden, können immaterielle Schäden entstehen. Das Schmerzensgeld soll hier einen Ausgleich für erlittene Schmerzen, Leiden und Beeinträchtigungen der Lebensqualität bieten (§ 253 Abs. 2 BGB).
Beispiele für Situationen, die zu immateriellen Schäden (Schmerzensgeldansprüchen) führen können:
- Körperliche Verletzungen: Prellungen, Knochenbrüche, ein Schleudertrauma oder andere Verletzungen, die durch den Aufprall verursacht wurden.
- Psychische Belastungen: Wenn Sie durch den Unfall unter Angstzuständen, Schlafstörungen oder anderen psychischen Folgen leiden, die ärztlich attestiert sind.
- Dauerhafte Beeinträchtigungen: Narben oder längerfristige gesundheitliche Einschränkungen.
Wichtig zu verstehen: Für einen reinen Sachschaden (also wenn nur Ihr Auto beschädigt wurde, Sie selbst aber unverletzt blieben) gibt es in der Regel kein Schmerzensgeld. Voraussetzung für einen immateriellen Schadensersatz ist eine Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung.
Die Unterscheidung zwischen materiellen und immateriellen Schäden ist somit entscheidend, um nach einem Unfall alle Ihnen möglicherweise zustehenden Ansprüche erkennen und beziffern zu können – sowohl die finanziellen Verluste als auch einen Ausgleich für persönliches Leid.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung ersetzen kann. Haben Sie konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – wir beraten Sie gerne.
Glossar
Juristische Fachbegriffe kurz erklärt
Haftung
Haftung bedeutet im juristischen Sinne, dass jemand für einen entstandenen Schaden einstehen und diesen ersetzen muss. Im vorliegenden Fall geht es um die Haftung für die Schäden, die durch den Verkehrsunfall entstanden sind. Das Gericht hat die volle Haftung bei den Beklagten (Fahrer und Versicherung) gesehen, das heißt, sie müssen alle unfallbedingten Kosten der Klägerin tragen. Die Haftung ergibt sich hier typischerweise aus den Regeln zur unerlaubten Handlung (insbesondere § 823 BGB) und der Gefährdungshaftung im Straßenverkehr (§ 7 StVG), meist verschärft durch den Verstoß gegen Verkehrsvorschriften wie § 10 StVO.
Beispiel: Wenn Sie versehentlich die Vase Ihres Nachbarn umstoßen, haften Sie für den Schaden und müssen die Kosten für eine neue Vase oder die Reparatur übernehmen.
Sachverständigengutachten
Ein Sachverständigengutachten ist die fachliche Beurteilung einer bestimmten Frage durch einen Experten (Sachverständigen). Es dient oft dazu, in einem Streitfall oder vor Gericht Tatsachen festzustellen oder zu bewerten, für die spezielles Fachwissen erforderlich ist. Im Text diente das Gutachten dazu, die Höhe des Fahrzeugschadens (1.418,99 €) objektiv zu beziffern, den die Klägerin geltend macht. Solche Gutachten sind wichtige Beweismittel, um die Schadenshöhe nachzuweisen.
Beispiel: Nach einem Wasserschaden in der Wohnung kann ein Bausachverständiger ein Gutachten erstellen, um die Ursache und die Kosten für die Beseitigung der Schäden festzustellen.
Feststellungsantrag
Mit einem Feststellungsantrag (oft Teil einer Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO) möchte eine Partei gerichtlich klären lassen, ob ein bestimmtes Rechtsverhältnis besteht oder nicht besteht. Dies ist sinnvoll, wenn noch Unsicherheit herrscht, z. B. über zukünftige Ansprüche. Im Text beantragte die Klägerin die Feststellung, dass die Beklagten auch für alle künftigen materiellen Schäden aus dem Unfall haften müssen. Dies sichert sie ab, falls später noch unentdeckte oder Folgeschäden auftreten, ohne dass die Schuldfrage erneut verhandelt werden muss.
Beispiel: Nach einem Arbeitsunfall könnte ein Arbeitnehmer beantragen festzustellen, dass der Arbeitgeber für alle zukünftigen gesundheitlichen Spätfolgen haftet, auch wenn diese erst Jahre später auftreten.
Gesamtschuldner
Gesamtschuldner bedeutet, dass mehrere Personen gemeinsam für eine Schuld haften (§ 421 BGB). Der Gläubiger (hier die Klägerin) kann die gesamte geschuldete Summe nach seiner Wahl von nur einem der Schuldner verlangen, oder auch nur Teile von verschiedenen Schuldnern. Zahlt einer der Gesamtschuldner die gesamte Summe, sind die anderen Schuldner gegenüber dem Gläubiger befreit (der zahlende Schuldner kann aber intern Ausgleich von den anderen verlangen). Im Urteil wurden der Fahrer (Beklagter 1) und seine Haftpflichtversicherung (Beklagte 2) als Gesamtschuldner verurteilt, sodass die Klägerin die volle Summe von einem der beiden fordern kann.
Beispiel: Zwei Freunde mieten gemeinsam eine Wohnung. Sie sind Gesamtschuldner für die Miete. Der Vermieter kann die volle Monatsmiete von nur einem der Freunde verlangen.
Sorgfaltspflichten
Sorgfaltspflichten sind rechtliche Verhaltensanforderungen, die jeder beachten muss, um andere nicht zu schädigen. Im Straßenverkehr gelten besonders detaillierte Sorgfaltspflichten, die in der Straßenverkehrsordnung (StVO) geregelt sind. Im konkreten Fall ist § 10 Satz 1 StVO relevant, der beim Einfahren vom Fahrbahnrand in den fließenden Verkehr höchste Sorgfalt fordert: Eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer muss ausgeschlossen sein. Das Gericht ging davon aus, dass der Beklagte diese Pflicht verletzt hat.
Beispiel: Die Pflicht, im Winter vor dem eigenen Haus zu streuen, um Fußgänger vor Stürzen zu schützen, ist eine Sorgfaltspflicht des Grundstückseigentümers.
Anscheinsbeweis (Prima-facie-Beweis)
Der Anscheinsbeweis ist eine Beweiserleichterung vor Gericht bei typischen Geschehensabläufen. Wenn ein bestimmter Sachverhalt nach allgemeiner Lebenserfahrung typischerweise auf eine bestimmte Ursache oder ein Verschulden hindeutet, wird dies zunächst vermutet, ohne dass ein voller Beweis nötig ist. Im Text spricht der Anscheinsbeweis gegen den aus der Parkbucht anfahrenden Beklagten, weil Kollisionen in engem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Anfahren typischerweise auf einen Fehler des Anfahrenden zurückzuführen sind (§ 10 StVO). Derjenige, gegen den der Anschein spricht, muss dann Tatsachen beweisen, die einen atypischen Ablauf nahelegen, um den Anscheinsbeweis zu erschüttern.
Beispiel: Bei einem Auffahrunfall spricht der Anscheinsbeweis meist dafür, dass der Auffahrende unaufmerksam war oder zu wenig Abstand gehalten hat.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 823 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB): Diese Vorschrift regelt den Schadensersatzanspruch. Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist zum Schadensersatz verpflichtet. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Klägerin macht hier Schadensersatzansprüche geltend, da sie durch den Verkehrsunfall an ihrem Eigentum (PKW) geschädigt wurde. Das Gericht musste prüfen, ob die Beklagten widerlich und schuldhaft den Schaden verursacht haben.
- § 7 Straßenverkehrsgesetz (StVG): Dieser Paragraph begründet die Gefährdungshaftung des Fahrzeughalters. Wird beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter zum Ersatz des Schadens verpflichtet. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Als Halter des beteiligten Fahrzeugs haften die Beklagten grundsätzlich für die Schäden, die durch den Betrieb ihres Fahrzeugs entstanden sind, unabhängig von einem eigenen Verschulden, es sei denn, es liegt ein Fall höherer Gewalt vor, was hier nicht ersichtlich ist.
- § 10 Straßenverkehrsordnung (StVO): Diese Vorschrift regelt das Einfahren und Anfahren im Straßenverkehr. Wer aus einem Grundstück, aus einer Fußgängerzone, aus einem verkehrsberuhigten Bereich auf die Straße oder von anderen Straßenteilen oder über den Fahrbahnrand hinaus auf die Straße einfahren oder anfahren will, hat sich so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist; gegebenenfalls hat er sich einweisen zu lassen. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Da der Unfall beim Ausparken des Beklagtenfahrzeugs geschah, ist § 10 StVO zentral. Das Gericht musste prüfen, ob der Beklagte beim Einfahren in den fließenden Verkehr die notwendige Sorgfalt beachtet und eine Gefährdung der Klägerin ausgeschlossen hat.
- § 1 Abs. 2 Straßenverkehrsordnung (StVO): Dieser grundlegende Paragraph der StVO fordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksichtnahme im Straßenverkehr. Jeder Verkehrsteilnehmer hat sich so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Unabhängig von der speziellen Situation des Ausparkens gilt für beide Unfallbeteiligte die allgemeine Pflicht zur Rücksichtnahme. Das Gericht wird bewertet haben, ob beide Parteien dieser Pflicht genügt haben, auch wenn die Hauptverantwortung hier wohl beim Ausparkenden lag.
- § 115 Versicherungsvertragsgesetz (VVG): Diese Norm ermöglicht den Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer. Der Geschädigte kann seinen Anspruch auf Schadensersatz gegen den Versicherungsnehmer auch direkt gegen den Versicherer geltend machen. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Klägerin konnte ihre Schadensersatzansprüche nicht nur gegen den Fahrer (Beklagter zu 1), sondern auch direkt gegen dessen Haftpflichtversicherung (Beklagte zu 2) richten, was ihr die Durchsetzung ihrer Ansprüche erleichtern soll.
Hinweise und Tipps
Praxistipps für Autofahrer zum Thema Haftung beim Ausparken
Ein kurzer Moment der Unachtsamkeit beim Ausparken oder Anfahren vom Straßenrand kann schnell zu einem Unfall führen. Wer trägt dann die Schuld und muss für den Schaden aufkommen? Die Gerichte haben hierzu klare Grundsätze entwickelt.
Hinweis: Diese Praxistipps stellen keine Rechtsberatung dar. Sie ersetzen keine individuelle Prüfung durch eine qualifizierte Kanzlei. Jeder Einzelfall kann Besonderheiten aufweisen, die eine abweichende Einschätzung erfordern.
Tipp 1: Höchste Sorgfalt beim Anfahren und Ausparken
Wer aus einer Parklücke oder vom Fahrbahnrand in den fließenden Verkehr einfahren möchte, unterliegt einer besonders hohen Sorgfaltspflicht (§ 10 StVO). Sie müssen absolut sicherstellen, dass keine anderen Verkehrsteilnehmer gefährdet werden. Im Zweifel müssen Sie warten.
⚠️ ACHTUNG: Kommt es beim Anfahren oder Ausparken zu einer Kollision mit dem fließenden Verkehr, spricht der sogenannte Anscheinsbeweis fast immer gegen den Ausparkenden. Das bedeutet, es wird zunächst vermutet, dass Sie den Unfall allein verschuldet haben. Nur in seltenen Ausnahmefällen kann dieser Beweis erschüttert werden.
Tipp 2: Als Geschädigter im fließenden Verkehr: Gute Chancen auf vollen Ersatz
Wurden Sie im fließenden Verkehr von einem ausparkenden oder anfahrenden Fahrzeug erfasst, stehen Ihre Chancen auf vollständigen Schadensersatz in der Regel sehr gut. Die hohe Sorgfaltspflicht liegt beim Einfahrenden, und der Anscheinsbeweis spricht für Sie.
Tipp 3: Unfall sorgfältig dokumentieren
Unabhängig davon, ob Sie der Ausparkende oder Teil des fließenden Verkehrs waren: Dokumentieren Sie den Unfallort und die Schäden gründlich. Machen Sie Fotos aus verschiedenen Perspektiven, notieren Sie Daten von Zeugen und füllen Sie gegebenenfalls einen europäischen Unfallbericht aus. Bei unklarer Lage oder Verletzten rufen Sie die Polizei.
Tipp 4: Schaden professionell feststellen lassen
Lassen Sie den Schaden an Ihrem Fahrzeug durch ein unabhängiges Sachverständigengutachten feststellen, insbesondere wenn es sich nicht nur um einen Bagatellschaden handelt. Die Kosten für das Gutachten muss bei klarer Haftungslage (wie oft beim Ausparkunfall zulasten des Ausparkenden) die gegnerische Versicherung tragen. Reichen Sie das Gutachten und Ihre Forderungen bei der gegnerischen Haftpflichtversicherung ein und setzen Sie eine Frist zur Zahlung.
Tipp 5: Anwaltliche Hilfe bei Problemen nutzen
Zahlt die gegnerische Versicherung nicht oder nur teilweise, obwohl die Haftungslage aus Ihrer Sicht klar ist, sollten Sie frühzeitig anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen. Ein Anwalt kann Ihre Ansprüche prüfen und effektiv durchsetzen. Die Kosten für den Anwalt muss bei berechtigten Ansprüchen ebenfalls die gegnerische Versicherung übernehmen.
Weitere Fallstricke oder Besonderheiten?
Der entscheidende Punkt bei Ausparkunfällen ist der Anscheinsbeweis gegen den Ausparkenden. Dieser wiegt schwer und führt oft zur Alleinhaftung. Nur wenn der Fahrer im fließenden Verkehr seinerseits grob verkehrswidrig gehandelt hat (z.B. deutlich überhöhte Geschwindigkeit, Fahren ohne Licht bei Dunkelheit), kommt eventuell eine Mithaftung in Betracht. Auch das Rückwärtsausparken über größere Strecken birgt erhebliche Risiken.
✅ Checkliste: Haftung beim Ausparken
- Beim Ausparken/Anfahren: Absolute Vorsicht, fließenden Verkehr nicht gefährden!
- Nach Kollision: Unfallstelle sichern, Beweise sammeln (Fotos, Zeugen).
- Schadenhöhe: Bei mehr als Bagatellschaden -> unabhängiges Gutachten erstellen lassen.
- Ansprüche geltend machen: Forderung mit Gutachten und Frist an gegnerische Versicherung senden.
- Bei Problemen: Rechtzeitig Anwalt für Verkehrsrecht einschalten.
Das vorliegende Urteil
AG Hanau – Az.: 39 C 329/21 (19) – Urteil vom 05.06.2023
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Ich bin seit meiner Zulassung als Rechtsanwalt im Jahr 2003 Teil der Kanzlei der Rechtsanwälte Kotz in Kreuztal bei Siegen. Als Fachanwalt für Verkehrsrecht und Fachanwalt für Versicherungsrecht, sowie als Notar setze ich mich erfolgreich für meine Mandanten ein. Weitere Tätigkeitsschwerpunkte sind Mietrecht, Strafrecht, Verbraucherrecht, Reiserecht, Medizinrecht, Internetrecht, Verwaltungsrecht und Erbrecht. Ferner bin ich Mitglied im Deutschen Anwaltverein und in verschiedenen Arbeitsgemeinschaften. Als Rechtsanwalt bin ich bundesweit in allen Rechtsgebieten tätig und engagiere mich unter anderem als Vertragsanwalt für […] mehr über Dr. Christian Gerd Kotz