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Verkehrsunfall beim Überholen einer Kolonne: Haftungsverteilung 50:50

Beim Überholen einer langsamen Kolonne in Lübeck kam es zur Kollision, doch die genaue Haftungsverteilung bei unklarer Unfallursache konnte technisch nicht geklärt werden. Trotz des schwerwiegenden Vorwurfs, der andere Fahrer sei plötzlich ausgeschert, musste der Überholende einen hohen Anteil des Schadens selbst tragen.

Zum vorliegenden Urteil Az.: 7 U 5/25 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: Oberlandesgericht Schleswig‑Holstein
  • Datum: 22.05.2025
  • Aktenzeichen: 7 U 5/25
  • Verfahren: Beschluss (Rückweisung der Berufung)
  • Rechtsbereiche: Straßenverkehrsrecht, Haftungsrecht, Versicherungsrecht

  • Das Problem: Ein Autofahrer überholte eine Fahrzeugkolonne vor einem Kreisverkehr. Es kam zur Kollision mit einem Fahrzeug aus der Kolonne. Die Beteiligten stritten, wer den Unfall hauptsächlich verursacht hatte: der Überholende wegen zu geringem Seitenabstand oder der Überholte wegen plötzlichem Ausscheren.
  • Die Rechtsfrage: Wer haftet für den Schaden, wenn nicht eindeutig bewiesen werden kann, ob der Überholende zu wenig Abstand hielt oder der Überholte abrupt nach links lenkte?
  • Die Antwort: Die Haftung wird hälftig geteilt (50:50). Da die Beweislage unklar blieb, konnte keinem Beteiligten ein überwiegender Verursachungsbeitrag nachgewiesen werden. Das erstinstanzliche Urteil wurde bestätigt, da die erhöhte Sorgfaltspflicht des Überholenden in diesem Fall keine höhere Quote rechtfertigte.
  • Die Bedeutung: Ist die genaue Unfallursache nicht aufklärbar, führt dies bei Verkehrsunfällen oft zu einer hälftigen Teilung des Schadens. Wer eine Abweichung von der 50:50-Quote wünscht, trägt die Beweislast für ein überwiegendes Verschulden des Gegners.

Wem gehört die Schuld bei einem Verkehrsunfall beim Überholen einer Kolonne?

Ein alltägliches Szenario im Berufsverkehr: Eine Fahrzeugkolonne schiebt sich langsam in Richtung eines Kreisverkehrs, die Geduld mancher Fahrer wird auf die Probe gestellt. Einer von ihnen entscheidet sich zum Überholen. Doch der Vorgang endet mit einer Kollision. Zwei Fahrer, zwei Versionen des Geschehens.

Zwei Mittelklasse-Limousinen kollidieren abrupt seitlich während eines Überholvorgangs im Berufsverkehr.
Unklare Unfallursachen beim Überholen führen zur komplexen gerichtlichen Haftungsverteilung. | Symbolbild: KI

Der eine behauptet, der andere sei ihm beim Wiedereinscheren zu nahegekommen. Der andere entgegnet, sein Unfallgegner sei unvorhersehbar aus der Kolonne nach links ausgeschert. Wenn selbst ein technischer Sachverständiger nicht zweifelsfrei klären kann, welche Version stimmt, wie teilt ein Gericht die Verantwortung auf? Genau diese Frage nach der Haftungsverteilung bei unklarer Unfallursache musste das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein in einem Beschluss vom 22. Mai 2025 (Az. 7 U 5/25) klären.

Was genau war an jenem Morgen passiert?

An einem Septembermorgen im Jahr 2023 staute sich der Verkehr auf der Berliner Straße in Lübeck vor dem nahenden Kreisverkehr. Ein Fahrer in seiner Mercedes C-Klasse befand sich in dieser langsam fahrenden Kolonne. Von hinten näherte sich ein anderer Fahrer in einer E-Klasse, der sich entschied, die wartenden Fahrzeuge zu überholen. Er nutzte dafür die Gegenfahrspur.

Etwa 15 Fahrzeuglängen vor dem Kreisverkehr, noch bevor eine durchgezogene Linie das Überholen untersagt hätte, kam es zum Zusammenstoß. Die C-Klasse des Kolonnenfahrers wurde vorne links beschädigt, die überholende E-Klasse trug Schäden an der rechten Fahrzeugseite davon, beginnend ab der Beifahrertür. Der Fahrer aus der Kolonne räumte später ein, weder den linken Blinker gesetzt noch einen Schulterblick gemacht zu haben.

Der Kern des Streits lag in der exakten Bewegung der Fahrzeuge unmittelbar vor der Kollision. Der Kolonnenfahrer warf dem Überholenden vor, den nötigen seitlichen Sicherheitsabstand massiv unterschritten zu haben. Der Überholende konterte, der Kolonnenfahrer sei plötzlich und ohne Vorwarnung nach links ausgeschert und habe ihm so den Weg abgeschnitten. Das erstinstanzliche Landgericht Lübeck hörte beide Fahrer an, vernahm einen Beifahrer als Zeugen und beauftragte einen Sachverständigen. Dessen Gutachten endete mit einer ernüchternden Feststellung: Beide Versionen des Unfallhergangs seien technisch denkbar. Eine eindeutige Klärung war nicht möglich. Daraufhin entschied das Landgericht auf eine hälftige Schadensteilung. Damit wollte sich die Versicherung des überholenden Fahrers nicht zufriedengeben und legte Berufung ein.

Welche Gesetze spielten hier die entscheidende Rolle?

Um die Entscheidung des Gerichts nachzuvollziehen, muss man zunächst die grundlegenden Spielregeln des Verkehrsrechts verstehen. Im Zentrum steht die sogenannte Betriebsgefahr, die in § 7 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) verankert ist. Sie beschreibt das bloße Risiko, das von jedem in Betrieb befindlichen Kraftfahrzeug ausgeht. Kommt es zu einem Unfall zwischen zwei Fahrzeugen, müssen die Halter grundsätzlich für die Schäden des anderen aufkommen.

Die entscheidende Frage ist jedoch, in welchem Verhältnis diese Haftung aufgeteilt wird. Dies regelt § 17 StVG. Das Gericht muss abwägen, inwieweit der Unfall für den einen oder anderen Teil „überwiegend“ verursacht wurde. Dabei werden sowohl nachweisbare Fahrfehler als auch die reine Betriebsgefahr der beteiligten Fahrzeuge berücksichtigt. Ein schwerer LKW hat beispielsweise eine höhere Betriebsgefahr als ein Kleinwagen.

Für die Bewertung der Fahrfehler sind die Regeln der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) maßgeblich. Hier spielten vor allem zwei Paragraphen eine Hauptrolle:

  • § 2 Abs. 2 StVO (Rechtsfahrgebot): Jeder Verkehrsteilnehmer muss grundsätzlich möglichst weit rechts fahren. Ein Abweichen von dieser Linie, selbst ohne Spurwechsel, kann bereits einen Verstoß darstellen.
  • § 5 StVO (Überholen): Dieser Paragraph legt dem Überholenden eine besondere Sorgfaltspflicht auf. Insbesondere schreibt § 5 Abs. 4 Satz 2 StVO vor, dass ein ausreichender Seitenabstand zu anderen Verkehrsteilnehmern einzuhalten ist. Was „ausreichend“ ist, hängt von der Situation ab, doch die Verantwortung für die Einhaltung liegt klar beim Überholenden.

Warum entschied das Gericht so – und nicht anders?

Das Oberlandesgericht bestätigte die 50:50-Haftungsquote des Landgerichts und wies die Berufung der Versicherung des Überholenden als offensichtlich aussichtslos zurück. Die Richter folgten einer klaren juristischen Logik, die auf der unaufklärbaren Faktenlage aufbaute. Sie zerlegten die Argumente der Berufungskläger Stück für Stück.

Die unüberwindbare Hürde der Beweislast

Das zentrale Argument der Versicherung war, der Kolonnenfahrer sei weit nach links ausgeschert und habe den Unfall damit allein verschuldet. Das Gericht entgegnete darauf mit einem fundamentalen Prinzip des Zivilprozesses: Wer eine für sich günstige Tatsache behauptet, muss sie auch beweisen. In diesem Fall hätte die Versicherung des Überholenden zweifelsfrei nachweisen müssen, dass der Kolonnenfahrer so stark die Spur verließ, dass der Unfall selbst bei Einhaltung eines korrekten Seitenabstands unvermeidbar gewesen wäre.

Genau diesen Beweis konnte sie nicht erbringen. Das Sachverständigengutachten, die wichtigste objektive Quelle, ließ explizit beide Szenarien als möglich erscheinen: ein nur leichtes Nach-links-Lenken des Kolonnenfahrers bei gleichzeitig zu geringem Abstand des Überholenden oder eben ein weites Ausscheren. Da keine der beiden Versionen bewiesen werden konnte, durfte das Gericht die für die Versicherung günstige Variante nicht einfach als gegeben annehmen. Die Unaufklärbarkeit der exakten Fahrzeugbewegung ging somit zulasten derjenigen Partei, die daraus einen Vorteil für sich ableiten wollte.

Warum der Überholende eine besondere Verantwortung trägt

Das Gericht stellte klar, dass der Akt des Überholens an sich bereits eine erhöhte Gefahrenlage schafft. Wer sich zu einem solchen Manöver entschließt, übernimmt gemäß § 5 StVO eine gesteigerte Verantwortung dafür, dass niemand gefährdet wird. Die Pflicht, einen ausreichenden Seitenabstand zu wahren, ist ein Kernstück dieser Verantwortung.

Die Versicherung argumentierte, die grundsätzliche Erlaubnis zum Überholen an dieser Stelle entlaste ihren Fahrer. Diesem Gedanken erteilte der Senat eine klare Absage. Die Erlaubnis, ein Manöver durchzuführen, befreit nicht von der Pflicht, es auch sicher durchzuführen. Gerade weil die Reaktionen anderer Fahrer in einer Kolonne nicht immer vorhersehbar sind, muss der Überholende mit besonderer Vorsicht agieren und im Zweifel mehr Abstand halten als vielleicht üblich. Diese besondere Sorgfaltspflicht wiegt schwer in der Abwägung der Verursachungsbeiträge.

Die Logik der 50:50-Quote bei unaufklärbarem Sachverhalt

Am Ende stand das Gericht vor einer Pattsituation. Fest stand lediglich, dass der Kolonnenfahrer sein Fahrzeug zumindest leicht nach links bewegt und damit gegen das Rechtsfahrgebot aus § 2 Abs. 2 StVO verstoßen hatte. Auf der anderen Seite stand der Überholende, der möglicherweise den lebenswichtigen Seitenabstand nach § 5 Abs. 4 S. 2 StVO missachtet hatte.

Da nicht geklärt werden konnte, wie schwer der jeweilige Verstoß wog, konnte das Gericht keinen der beiden als hauptverantwortlich einstufen. In einer solchen Situation, in der die Verursachungsbeiträge nicht eindeutig gewichtet werden können, greift die Justiz auf eine bewährte Lösung zurück: die hälftige Teilung. Die Betriebsgefahr beider Fahrzeuge wurde als gleichwertig angesehen und die nachgewiesenen oder möglichen Verkehrsverstöße hoben sich in ihrer Schwere gegenseitig auf. Die Entscheidung für eine 50:50-Quote war somit nicht Ausdruck richterlicher Willkür, sondern die logische Konsequenz aus einem nicht vollständig aufklärbaren Sachverhalt.

Welche Lehren lassen sich aus diesem Urteil ziehen?

Dieses Urteil liefert weit über den konkreten Fall hinaus wertvolle Einblicke in die richterliche Bewertung von Verkehrsunfällen, insbesondere wenn der Hergang strittig ist. Es verdeutlicht zwei zentrale Prinzipien der Haftungsverteilung im Straßenverkehr.

Die erste und wichtigste Lehre richtet sich an jeden, der zum Überholen ansetzt: Die Verantwortung für einen sicheren Ablauf des Manövers liegt ganz überwiegend bei Ihnen. Das Gesetz legt Ihnen eine besondere Sorgfaltspflicht auf, die weit über das übliche Maß hinausgeht. Können Sie nach einem Unfall nicht beweisen, dass der andere Verkehrsteilnehmer einen groben und unvorhersehbaren Fehler gemacht hat, werden Sie sich nur schwer aus einer Mithaftung befreien können. Die Unklarheit über den genauen Hergang wird im Zweifel eher zu Ihren Lasten als zu Ihren Gunsten ausgelegt, da Sie die Gefahrensituation durch Ihre Entscheidung zum Überholen erst geschaffen haben.

Die zweite Erkenntnis betrifft die fundamentale Bedeutung der Beweislast. Ein Gericht entscheidet nicht auf Basis von Vermutungen, sondern auf Grundlage von Fakten, die eine Partei beweisen muss. In „Wort-gegen-Wort“-Konstellationen ohne eindeutige Spuren, unbeteiligte Zeugen oder Dashcam-Aufnahmen führt die Unaufklärbarkeit oft zu einer geteilten Haftung. Die 50:50-Quote ist die juristische Antwort auf eine Situation, in der beide Seiten potenziell Fehler gemacht haben, aber keiner dem anderen den entscheidenden, unfallursächlichen Verstoß nachweisen kann. Das Urteil zeigt, dass der Versuch, die alleinige Schuld beim Gegner zu suchen, ohne erdrückende Beweise oft ins Leere läuft.

Die Urteilslogik

Kann ein Gericht die genauen Umstände eines Verkehrsunfalls nicht aufklären, löst es den Konflikt durch eine strikte Anwendung der Beweislastregeln und der erhöhten Sorgfaltspflicht des Überholenden.

  • [Erhöhte Sorgfaltspflicht beim Überholen]: Wer zum Überholen ansetzt, schafft eine gesteigerte Gefahrenlage und muss deshalb die Einhaltung eines sicheren Seitenabstands garantieren; diese Verantwortung minimiert die Entlastung durch mögliche Fahrfehler des Überholten.
  • [Beweislast für Entlastung tragen]: Beruft sich eine Partei auf einen groben, unvorhersehbaren Verstoß des Gegners – wie ein plötzliches Ausscheren aus einer Kolonne – muss sie diesen Sachverhalt zweifelsfrei beweisen, andernfalls wirkt sich die Unaufklärbarkeit zu ihrem Nachteil aus.
  • [Pattsituation erzwingt Haftungsteilung]: Wenn nach einer Kollision die Verursachungsbeiträge beider Parteien nicht eindeutig gewichtet werden können, führt die juristische Unentscheidbarkeit regelmäßig zu einer hälftigen Teilung des Schadens (50:50), bei der die Betriebsgefahren gleichrangig gegeneinander abgewogen werden.

Derjenige, der in einer unklaren Verkehrssituation verwickelt wird, muss stets damit rechnen, dass mangelnde Beweise zu einer geteilten Verantwortung für den Schaden führen.


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Experten Kommentar

Wer sich entscheidet, eine langsam fahrende Kolonne zu überholen, muss wissen: Er nimmt einen großen Teil des Prozessrisikos gleich mit auf die Gegenfahrbahn. Das Gericht macht hier konsequent klar, dass die erhöhte Sorgfaltspflicht des Überholenden so schwer wiegt, dass bei unklarer Faktenlage die hälftige Teilung die logische Konsequenz ist. Ohne einen eindeutigen Beweis, etwa durch eine Dashcam, läuft der Versuch ins Leere, dem überholten Fahrer ein plötzliches, grobes Ausscheren anzulasten. Die Unaufklärbarkeit des genauen Hergangs wird somit konsequent zulasten der Partei gewertet, die das riskante Manöver überhaupt erst eingeleitet und damit die Gefahrensituation geschaffen hat.


Symbolbild für Rechtsfragen (FAQ): Allegorische Justitia mit Waage und Richterhammer.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Hafte ich als Überholer immer mit, wenn der Unfallhergang nicht beweisbar ist?

Ja, in den meisten Fällen müssen Sie als Überholer eine Mithaftung von 50 % tragen, wenn der genaue Unfallhergang nicht eindeutig bewiesen werden kann. Die juristische Hürde liegt in Ihrer gesteigerten Sorgfaltspflicht gemäß § 5 StVO. Das Gesetz sieht vor, dass Sie die erhöhte Gefahr durch das Überholmanöver erst schaffen, weshalb Ihnen eine höhere Beweislast obliegt.

Sie als Überholender müssen nachweisen, dass Sie den vorgeschriebenen ausreichenden Seitenabstand zum anderen Fahrzeug eingehalten haben. Kann das Gericht anhand des Sachverständigengutachtens nicht feststellen, ob der Gegner in Ihre Bahn lenkte oder Ihr Abstand von vornherein zu gering war, geht diese Unaufklärbarkeit zulasten des Überholers. Sie können sich dann nicht vollständig von der Haftung freisprechen, da die Gerichte die primäre Verantwortung für die Sicherheit des Manövers bei Ihnen sehen.

Scheitert der Nachweis, werden die potenziellen Verfehlungen beider Seiten gegeneinander aufgewogen. Da keine Partei den für sie günstigen Sachverhalt beweisen konnte, wird die reine Betriebsgefahr beider Fahrzeuge, verankert in § 7 StVG, als gleichwertig behandelt. Die Folge ist regelmäßig eine hälftige Teilung der Verantwortung. Können Sie Ihre Unschuld nicht zweifelsfrei belegen, müssen Sie die Hälfte des Schadens des Gegners tragen.

Dokumentieren Sie sofort nach einem Überholunfall präzise den tatsächlichen Abstand in Metern, um Ihre Sorgfaltspflicht im Nachhinein belegen zu können.


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Welchen Mindestabstand muss ich beim Überholen von Fahrzeugkolonnen einhalten?

Die Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) schreibt beim Überholen keinen festen Mindestabstand in Metern vor. Vielmehr verlangt § 5 Abs. 4 Satz 2 StVO, dass Sie stets einen ausreichenden Seitenabstand zu anderen Verkehrsteilnehmern einhalten. Was als ausreichend gilt, hängt stark von der jeweiligen Verkehrssituation ab und wird später von Gerichten bewertet. Der Überholende trägt die gesteigerte Sorgfaltspflicht und muss durch den Abstand sicherstellen, dass er niemanden gefährdet.

Die Regel basiert auf der gesteigerten Sorgfaltspflicht des Überholers, da er die erhöhte Gefahrenlage schafft. Wer eine Fahrzeugkolonne passiert, muss deshalb unvorhersehbare Reaktionen der anderen Fahrer einkalkulieren. Ein ausreichender Abstand muss groß genug sein, um geringfügige Fahrfehler des Kolonnenfahrers aufzufangen. Dies gilt beispielsweise bei einem kurzen Nach-links-Lenken wegen eines Hindernisses oder einem leichten Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot in der Kolonne.

Beim Überholen einer langsam fahrenden und dicht stehenden Kolonne ist der geforderte Sicherheitsabstand besonders großzügig zu wählen. Sie müssen vermeiden, bereits wegen kleiner Abweichungen des Gegners eine Mitschuld an einem Unfall zu tragen. Die richterliche Würdigung legt im Nachhinein fest, ob der Seitenabstand objektiv betrachtet unzureichend war. Je unübersichtlicher die Verkehrssituation ist, desto mehr Raum zwischen den Fahrzeugen ist erforderlich, um nicht automatisch als Teilschuldiger zu gelten.

Dokumentieren Sie nach einem Unfall mithilfe eines Maßbands und Fotos die tatsächliche Distanz, die zwischen den Fahrzeugen bestand, um die Einhaltung des Abstands beweisen zu können.


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Wer trägt die Beweislast bei einem Unfall während des Überholvorgangs?

Die juristische Beweislast liegt grundsätzlich bei der Partei, die eine für sie günstige Tatsache behauptet. Im Falle eines Überholunfalls trägt jedoch der Überholer die primäre Verantwortung, weil er durch sein Manöver die erhöhte Gefahrenlage erst geschaffen hat. Deswegen muss der Überholer beweisen, dass er sämtliche Sorgfaltspflichten (insbesondere den ausreichenden Seitenabstand) erfüllt hat. Nur wenn er nachweisen kann, dass der Gegner einen groben und unvorhersehbaren Fahrfehler beging, kann seine Haftung entfallen.

Das Hauptproblem des Überholenden ist die gesteigerte Sorgfaltspflicht gemäß § 5 StVO. Er muss den korrekten seitlichen Abstand nachweisen. Gelingt dieser Beweis nicht, wird im Zweifel angenommen, dass der Abstand unzureichend war. Der Kolonnenfahrer muss seinerseits beweisen, dass er stabil gefahren ist und nicht plötzlich und grundlos die Spur wechselte, wodurch er gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen hätte.

Führt das Sachverständigengutachten zu einer technischen Unaufklärbarkeit, weil beide Unfallversionen denkbar sind, konnten beide Parteien den ihnen obliegenden Beweis nicht erbringen. Die Gerichte entscheiden dann oft auf eine hälftige Teilung der Haftung, da die Betriebsgefahr beider Fahrzeuge gleichwertig gewichtet wird. Die Unklarheit geht zulasten der Partei, die sich aus der Haftung freisprechen wollte.

Suchen Sie sofort nach unbeteiligten Dritten, die präzise Zeugenaussagen zum Abstand vor der Kollision machen können.


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Wann entscheidet ein Gericht bei unklarem Hergang auf 50:50-Haftungsteilung?

Wenn der genaue Unfallhergang trotz Zeugenaussagen und Gutachten unaufklärbar bleibt, greift das Gericht zur hälftigen Haftungsteilung. Die Quote von 50:50 ist die juristische Notlösung, wenn nicht geklärt werden kann, wessen Verkehrsverstoß überwiegend für die Kollision ursächlich war. In solchen Situationen heben sich die festgestellten oder vermuteten Fehler beider Parteien und die Betriebsgefahr der Fahrzeuge gegenseitig auf.

Die Regel basiert auf dem juristischen Grundsatz der Beweislast im Zivilprozess. Wer eine für sich günstige Tatsache behauptet – zum Beispiel die Alleinschuld des Gegners – muss diese Behauptung belegen. Können Sachverständige nach der Auswertung von Spuren und Schäden technisch nicht ausschließen, dass beide Unfallversionen möglich sind, konnte keine Partei den ihr obliegenden Beweis erbringen. Liegen keine schwerwiegenden Faktoren wie Alkoholeinfluss vor, wird die Betriebsgefahr, die von jedem Fahrzeug ausgeht (§ 7 StVG), als gleichwertig gewertet.

Konkret tritt dies oft bei Überholmanövern auf, wenn der Überholer den ausreichenden Seitenabstand nicht nachweisen kann und der Kolonnenfahrer ein leichtes Abweichen vom Rechtsfahrgebot zugibt. Das Gericht kann keinen der beiden Fahrer als hauptverantwortlich einstufen, wenn die Verursachungsbeiträge nicht eindeutig gewichtet werden können. Die Unaufklärbarkeit der exakten Fahrzeugbewegung geht zulasten derjenigen Partei, die daraus einen Vorteil ableiten wollte, was dann konsequent zur hälftigen Haftungsteilung führt.

Wenn das Sachverständigengutachten explizit festhält, dass beide Versionen denkbar sind, bereiten Sie sich sofort auf eine Vergleichsverhandlung zur hälftigen Schadensteilung vor.


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Wie kann ich mich am besten absichern, wenn ich aus einer Kolonne ausscheren will?

Wenn Sie aus einer langsam fahrenden Kolonne leicht nach links ausscheren oder auch nur vom rechten Fahrbahnrand abweichen, müssen Sie die Sorgfaltspflichten für einen Spurwechsel konsequent erfüllen. Um eine Mithaftung zu vermeiden, setzen Sie zwingend den Blinker und führen Sie einen obligatorischen Schulterblick durch. Dies ist notwendig, weil der überholende Verkehr durch jede unvorhersehbare Bewegung sofort gefährdet werden kann.

Die Grundlage für diese strenge Anforderung ist das Rechtsfahrgebot (§ 2 Abs. 2 StVO). Dieses Gesetz verlangt von allen Verkehrsteilnehmern, stets so weit rechts wie möglich zu fahren. Schon eine leichte Lenkbewegung nach links innerhalb der Fahrspur, etwa um einem Hindernis auszuweichen, kann juristisch bereits als Verstoß gegen dieses Gebot interpretiert werden. Wenn Sie in diesem Moment auf Blinker und Schulterblick verzichten, begehen Sie einen nachweisbaren und groben Fahrfehler.

Konkret: Bei einer Kollision und fehlendem Nachweis Ihrer Sicherungsmaßnahmen wird dieser Fehler zu Ihren Lasten gewertet und führt in der Regel zu einer Schadensteilung von 50 Prozent. Halten Sie daher stets maximal rechts, um dem überholenden Fahrer keinen Spielraum für die Argumentation zu bieten, Sie hätten ausgeschert. Im Fall vor dem OLG Schleswig-Holstein räumte der Fahrer aus der Kolonne ein, weder den Blinker gesetzt noch einen Schulterblick gemacht zu haben.

Führen Sie stets eine Dashcam mit, die auch den rückwärtigen Verkehr erfasst, um objektiv zu beweisen, dass Sie stabil und ohne Lenkbewegungen rechts gefahren sind.


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Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.


Juristisches Glossar: Symbolbild der Justitia mit Waage und Richterhammer.

Glossar


Juristische Fachbegriffe kurz erklärt

Betriebsgefahr

Die Betriebsgefahr beschreibt das unvermeidbare Risiko, das allein durch die bloße Anwesenheit und Bewegung eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr entsteht. Dieses abstrakte Haftungsrisiko ist in § 7 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) verankert und führt dazu, dass Halter auch ohne direktes direktes Verschulden für Schäden haften müssen. Das Gesetz soll die Gefährlichkeit motorisierter Fahrzeuge immanent abbilden und damit Geschädigte im Falle eines Verkehrsunfalls schützen.

Beispiel: Die Betriebsgefahr der beiden beteiligten Fahrzeuge (E-Klasse und C-Klasse) wurde vom Gericht als gleichwertig angesehen und trug maßgeblich zur hälftigen Teilung des entstandenen Schadens bei, weil andere Verursachungsbeiträge unklar blieben.

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Beweislast

Im Zivilprozess beschreibt die Beweislast, welche Partei eine bestimmte, für sie günstige Tatsache vor Gericht nachweisen muss, um damit ihren Anspruch durchzusetzen oder eine Haftung abzuwehren. Dieses fundamentale Prinzip stellt sicher, dass Gerichte nicht aufgrund von Vermutungen, sondern nur auf Basis nachgewiesener Fakten entscheiden. Das heißt, wer die Alleinschuld des Gegners behauptet, muss diese Behauptung auch mit objektiven Mitteln belegen können.

Beispiel: Da die Versicherung des überholenden Fahrers die Beweislast für den behaupteten groben Fahrfehler des Kolonnenfahrers nicht erfüllen konnte, ging die Unaufklärbarkeit des Unfallhergangs konsequent zu ihren Lasten.

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Gesteigerte Sorgfaltspflicht

Juristen nennen die gesteigerte Sorgfaltspflicht die erhöhte gesetzliche Verantwortung, die Verkehrsteilnehmer bei besonders gefährlichen Manövern wie dem Überholen gemäß § 5 StVO übernehmen müssen. Wer freiwillig eine erhöhte Gefahrenlage schafft, muss auch dafür Sorge tragen, dass er andere Verkehrsteilnehmer durch sein Verhalten nicht gefährdet. Diese Pflicht beinhaltet insbesondere das zwingende Einhalten eines ausreichenden seitlichen Abstands und wiegt in der juristischen Abwägung besonders schwer.

Beispiel: Das Oberlandesgericht betonte, dass der Überholende wegen seiner gesteigerten Sorgfaltspflicht mit besonderer Vorsicht agieren muss und im Zweifel auch leichte, unvorhersehbare Fahrfehler des Kolonnenfahrers auffangen können muss.

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Rechtsfahrgebot

Das Rechtsfahrgebot (geregelt in § 2 Abs. 2 StVO) verpflichtet jeden Verkehrsteilnehmer, stets so weit rechts wie möglich zu fahren, es sei denn, die Verkehrslage, beispielsweise das Überholen, erfordert ein Abweichen. Die Vorschrift dient der allgemeinen Sicherheit und Flüssigkeit des Verkehrs, indem sie verhindert, dass Fahrzeuge unnötig die Fahrspuren anderer blockieren. Schon eine leichte Lenkbewegung nach links innerhalb der Fahrspur kann einen juristisch relevanten Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot darstellen.

Beispiel: Der Kolonnenfahrer räumte ein, sein Fahrzeug zumindest leicht nach links gelenkt zu haben, weshalb das Gericht in dieser Bewegung einen möglichen Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot sah.

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Unaufklärbarer Sachverhalt

Ein unaufklärbarer Sachverhalt liegt vor, wenn das Gericht trotz vollständiger Beweisaufnahme, etwa durch Sachverständigengutachten und Zeugenaussagen, nicht zweifelsfrei feststellen kann, welche Version des Unfallhergangs tatsächlich zutrifft. Kann ein Unfallhergang nicht eindeutig geklärt werden, führt dies oft zu einer gleichmäßigen Haftungsteilung (50:50), da die Beweislast der jeweiligen Partei nicht erfüllt wurde. Das Gericht darf dabei keine der beiden möglichen Versionen als die einzig wahre annehmen.

Beispiel: Da das Gutachten feststellte, dass sowohl ein zu geringer Abstand des Überholenden als auch ein Ausscheren des Kolonnenfahrers technisch denkbar waren, musste das Gericht von einem unaufklärbaren Sachverhalt ausgehen.

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Das vorliegende Urteil


Oberlandesgericht Schleswig-Holstein – Az.: 7 U 5/25 – Beschluss vom 22.05.2025


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