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Verkehrsunfall – Benzinfüllung als Schadensposition

AG Flensburg, Az.: 67 C 45/16, Urteil vom 02.06.2016

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 43,20 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.02.2016 zu zahlen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 1/4 und die Beklagte 3/4.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % der jeweils zu vollstreckenden Forderung leistet. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um einen Schadensersatzanspruch aus einem Verkehrsunfall, der sich am 29.11.2015 in Flensburg ereignete. Der Kläger war Halter und Fahrer des einen unfallbeteiligten Fahrzeuges, einer Limousine des Fabrikats Lexus, das der Kläger über die T.-Bank finanziert hatte. Anderer Unfallbeteiligter war ein Versicherungsnehmer der Beklagten mit seinem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Pkw. Der Versicherungsnehmer der Beklagten war auf das bei Rot an einer Lichtzeichenanlage wartende klägerische Fahrzeug aufgefahren. Der klägerische Pkw wurde dabei erheblich beschädigt. Er war nicht mehr fahrbereit. Ein vom Kläger vorgerichtlich eingeschalteter Sachverständiger kam in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass ein Totalschaden vorliege, da dem Wiederbeschaffungswert von 7.400,00 Euro Reparaturkosten von 16.883,95 Euro gegenüber stünden. Den Restwert gab der Sachverständige mit 2.390,00 Euro an. Zur Ermittlung des Wiederbeschaffungswertes führte der Sachverständige aus, dass er den Wert des Fahrzeugs unter Berücksichtigung aller bekannt gewordenen wertbildenden Faktoren festgelegt habe und er sich auf den Zeitpunkt unmittelbar vor Schadenseintritt beziehe. Im Rahmen der technischen Daten und Fahrzeugbeschreibung hatte der Sachverständige unter Bemerkungen notiert, dass der Kraftstofftank zu 60 % gefüllt sei bei einem maximalen Fassungsvermögen von 70 Litern.

Der Kläger forderte von der Beklagten im Rahmen der Schadensregulierung einen Betrag von 56,70 Euro für 42 Liter Benzin bei einem damaligen Verkehrspreis von 1,35 Euro. Die Beklagte regulierte den Unfallschaden zu 100 % mit Ausnahme der Benzinkosten.

Verkehrsunfall - Benzinfüllung als Schadensposition
Symbolfoto: Flynt/Bigstock

Der Kläger ist der Auffassung, die Benzinkosten seien zu ersetzen. Er hat am 16.02.2016 einen Mahnbescheid über 46,70 Euro erwirkt nebst 5 Prozent Jahreszinsen ab Zustellung des Mahnbescheids. Die Beklagte hat gegen den Mahnbescheid Widerspruch eingelegt.

Der Kläger stellt den Antrag aus dem Mahnbescheid.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hält die Benzinkosten für nicht erstattungsfähig.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist zum Teil begründet. Dem Kläger steht gem. § 115 VVG i.V.m. §§ 7, 17 StVG aufgrund des Verkehrsunfalls mit dem Versicherungsnehmer der Beklagten ein weiterer Schadensersatzanspruch zu. Die Beklagte ist dem Grunde nach unstreitig in vollem Umfang einstandspflichtig für die Folgen des Verkehrsunfalls. Der Schaden des Klägers ist bisher auch nicht vollständig reguliert. Unstreitig hatten sich zum Unfallzeitpunkt 42 Liter Benzin im Wert von 56,70 Euro im Tank befunden. Der Kläger war auch ungeachtet der Fremdfinanzierung seines Fahrzeugs Eigentümer des Benzins und damit hinsichtlich dieser Schadensposition aktivlegitimiert. Benzin stellt bezogen auf das Kraftfahrzeug nicht etwa einen wesentlichen Bestandteil im Sinne von § 93 BGB dar. Das würde voraussetzen, dass es nicht möglich wäre, das Benzin und das Kraftfahrzeug voneinander zu trennen, ohne dass das eine oder andere zerstört oder in seinem Wesen verändert wird. Ein zerstörungsfreies Abpumpen von Benzin aus einem Fahrzeug ist, worüber zwischen den Parteien auch Einigkeit besteht, aber möglich. Dies bedeutet, dass das Benzin Gegenstand besonderer Rechte sein kann und das Eigentum an ihm nicht vom Eigentum am Kraftfahrzeug abhängt. Benzin unterfällt als Betriebsmittel des Fahrzeugs vielmehr dem Zubehörsbegriff gemäß § 97 BGB. Zubehör ist im Gegensatz zu einem wesentlichen Bestandteil sonderrechtsfähig.

Der Kläger ist hinsichtlich des Benzins auch durch die Beklagte bislang noch nicht hinreichend entschädigt worden. Die Füllstandsmenge des Tanks gehört nicht zu den wertbestimmenden Faktoren eines Kraftfahrzeuges, die durch einen Sachverständigen – so auch in diesem Fall – zu ermitteln und zugrunde zu legen sind. Die Frage, ob etwas ein wertbildender Faktor eines Wirtschaftsgutes ist oder ein selbständiges weiteres Wirtschaftsgut vorliegt, ist in erster Linie objektiv zu beantworten, die subjektive Einschätzung der einzelnen Beteiligten ist dafür nicht maßgeblich. Es ist allgemein bekannt, dass in Neu- und Gebrauchtwagenkaufverträgen, in Werbeanzeigen für Kraftfahrzeuge und in Internetannoncen für Fahrzeuge verschiedene Faktoren mitgeteilt, beworben oder sogar zugesichert werden, weil sie für die Entscheidungsfindung des Käufers und für die Wertermittlung des Kaufpreises von Relevanz sind. Dies kann von dem Material der Sitzbezüge über besondere Audioausstattung hin zu Verbrauchsangaben, Vorschäden, Zahl der Vorbesitzer und Gültigkeit der TÜV-Zulassung gehen. Dem Gericht ist in seiner langjährigen Zuständigkeit für Zivilprozesse aber noch nicht ein einziger Fall untergekommen, in dem die Füllstandsmenge des Tanks im Kaufvertrag oder in der Werbeannonce eine Rolle gespielt hätte. Die Füllstandsmenge stellt bezogen auf Kraftfahrzeuge keinen wertbildenden Faktor dar. Dies bedeutet, dass der vom Sachverständigen ermittelte Wiederbeschaffungswert hier nicht explizit einbezogen hat, dass die Füllmenge des Fahrzeugstank 42 Liter betragen hat.

Andererseits wäre es aber auch lebensfremd anzunehmen, der Sachverständige habe sich bei der Ermittlung des Wiederbeschaffungswertes ein Kraftfahrzeug mit einem vollständig leer gefahrenen Tank vorgestellt. Ebenso wenig wie Neufahrzeuge mit leerem Tank ausgeliefert werden, werden auch die weit überwiegende Anzahl von Gebrauchtfahrzeugen mit einem gewissen Benzinbestand veräußert. Dies erfolgt allein schon deshalb, um dem Kaufinteressenten die Gelegenheit zu geben, zumindest eine Probefahrt mit dem Fahrzeug zu übernehmen oder es vom Kaufort bis zur nächsten Tankstelle zu überführen. Dass die Tankanzeige schon bei der ersten Inbetriebnahme eines gebraucht oder neu gekauften Fahrzeuges aufleuchtet und darauf verweist, dass nur noch eine geringe Reserve vorhanden ist, entspricht nicht der allgemeinen Lebenswahrscheinlichkeit.

Vor diesem Hintergrund schätzt das Gericht, dass ein Füllstand von etwa 10 Liter, der bei dem Fahrzeug des Klägers eine geschätzte Fahrtstrecke von knapp 100 km nach Herstellerangabe ermöglicht hätte, generell bei der Wertermittlung schon einkalkuliert ist, da alles andere einem atypischen Lebenssachverhalt entsprochen hätte. Konkret bedeutet das, dass hier nur die darüber hinausgehenden 32 weiteren Liter noch keine Berücksichtigung bei der bisherigen Schadensregulierung gefunden hatten und insoweit der Schadensersatzanspruch des Klägers noch offen steht.

Der Kläger muss sich bei der Entstehung dieses 43,20 Euro betragenden Schadens auch kein Mitverschulden gemäß § 254 BGB entgegen halten lassen. Es ist dem Kläger zum einen nicht zumutbar, wie es die Beklagte meint, das im Tank befindliche Benzin selbst abzusaugen. Es handelt sich dabei um ein Hantieren mit gesundheitlich und umwelttechnisch nicht harmlosen Stoffen, für welches Werkstätten und Tankstellen bestimmte TÜV-geprüfte Vorrichtungen und Anlagen vorhalten, der durchschnittliche private Kraftfahrzeugführer aber nicht. Für das Auffangen und die Lagerung des Kraftstoffes müssen bestimmte Behältnisse verwendet werden. Ein durchschnittlicher Ersatzbenzinkanister, der in vielen Fahrzeugen gar nicht mehr mitgeführt wird, fasst nur etwa 5 Liter. Um 32 Liter aufzufangen und zu lagern, müsste der Kläger sieben Benzinkanister erwerben oder zwei Kanister mit 20 Liter Fassungsvermögen. Die Kosten hierfür schätzt das Gericht auf 30,00 bis 40,00 Euro. Sie stehen damit in keinem Verhältnis zu dem damit zu verfolgenden Zweck, der Beklagten eine Ausgabe von rund 43,00 Euro zu ersparen, zumal der Kläger mit dem Abpumpen durchaus eine Werkstatt beauftragen dürfte, so dass zu diesen Kosten auch noch Arbeitslohn hintreten würde.

Dem Kläger kann hier auch nicht entgegen gehalten werden, er habe es versäumt, bei der Realisierung des Restwertes des Fahrzeugs gegenüber dem Abkäufer eine zusätzliche Zahlung durchzusetzen. Zum einen war hier nach dem beiderseitigen Vortrag davon auszugehen, dass das vom Kläger zum Unfallzeitpunkt gefahrene Fahrzeug eigentumsrechtlich noch der finanzierenden Bank gehörte, die damit bei der Entscheidung, was mit dem beschädigten Fahrzeug geschieht und an wen es zu wieviel zu veräußern ist, rechtlich gesehen die Entscheidungsgewalt hatte. Zum anderen war das konkrete Fahrzeug ausweislich des eingereichten Sachverständigengutachtens so stark beschädigt und auch nicht fahrbereit, dass eine Reparatur weder technisch noch wirtschaftlich vertretbar war. Ein Verkauf war damit nur vor dem Hintergrund der anschließend vorzunehmenden Autoverwertung möglich. Während der Ankäufer eines fahrbereiten und im Verkehr zugelassenen Fahrzeuges noch ein Interesse am Vorhandensein ausreichender Betriebsmittelmengen hat, die er anderenfalls selbst zum üblichen Tankstellenpreis erwerben müsste, um das Fahrzeug nutzen zu können, gilt dies für den Kfz-Restverwerter nicht. In seinem Fall handelt es sich bei dem Kraftstoff um ein Betriebsmittel, das er ablassen und einem größeren Sammelbehälter zuführen muss, um das Kraftfahrzeug überhaupt in verwertbare oder recyclefähige Bestandteile auseinander nehmen zu können. Ein Resteverwerter hätte keinen Anlass, das Fahrzeug zu irgendeinem Zeitpunkt vor der Ausschlachtung noch zum Benzinneupreis wieder zu betanken. Möglicherweise ist für den Resteverwerter auch für das von ihm aufgefangene und gesammelte Benzin eine Absatz- und Verwertungsmöglichkeit vorhanden. Ob und welche Gewinne damit erzielbar sind, ist dem Gericht jedoch nicht bekannt; Anhaltspunkte für eine Schätzung liegen auch nicht vor. Jedenfalls werden die für abgelassenes Benzin erzielbaren Preise erheblich unter den Neupreisen bei Tankstellen liegen, bei denen das Benzin ja nach verschiedenen Oktanklassen und Herstellern getrennt abgefüllt und veräußert wird.

Die Auffassung der Beklagten, dem Kläger sei es jedenfalls zumutbar, vom Resteverwerter einen gewissen Betrag als Gegenleistung für das mit dem Fahrzeug überlassene Benzin zu fordern, überzeugt nicht. Der Betrag, den der Resteverwerter dem unfallgeschädigten Kfz-Verkäufer unter Berücksichtigung seiner eigenen Gewinnspannen zu zahlen bereit wäre, läge jedenfalls noch niedriger als der Preis, den er ggfs selbst für das Benzin aus seinen Sammelbehältnissen erzielen könnte. Der Kläger oder die finanzierende Bank als Fahrzeugeignerin hätten somit in ungewöhnliche und nicht allgemein übliche Vergütungsverhandlungen über den Weiterveräußerungswert seines Benzins eintreten müssen, nur um dem Unfallgegner statt Kosten von rund 40,00 Euro vielleicht nur Kosten von 25,00 oder 30,00 Euro zuzumuten. Auch dies erachtet das Gericht als unverhältnismäßig. Zudem hätte es letztlich die Beklagte bei dieser Sachlage selbst in der Hand gehabt, ihren eigenen Schaden geringer zu halten, indem sie nämlich dem Kläger selbst gegenüber ein höheres Restwertangebot gemacht hätte, das auch seine Benzinkosten deckt. Dann hätte sie anschließend die von ihr für möglich gehaltene kostendeckende Weiterveräußerung des Benzins selbst vornehmen können. Die Schadensminderungspflicht des § 254 BGB dient nicht dazu, dem Geschädigten Verantwortlichkeiten zu übertragen, die der Schädiger auch selbst übernehmen könnte, um den ihm erwachsenen Schaden möglichst gering zu halten.

Der Zinsanspruch des Klägers für seine Schadensersatzforderung von 43,20 Euro ergibt sich aus § 286 Abs. 2 BGB. Der Mahnbescheid, der einer Mahnung gleich steht, ist der Beklagten am 19.02.2016 zugestellt worden. Die Zinshöhe folgt aus § 288 Abs. 1 BGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Vollstreckbarkeitsentscheidung ergibt sich aus § 708 Ziffer 11, 711 ZPO. Die Berufung ist auf Antrag der Parteien zugelassen worden, da über die Streitfrage der Erstattungsfähigkeit des Benzins nach einem Unfall mit Totalschaden im hiesigen Bezirk, soweit ersichtlich, noch keine höhere gerichtliche Entscheidung ergangen ist und am Amtsgericht Flensburg noch weitere diesbezügliche Verfahren anhängig sein sollen.

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