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Verkehrsunfall – Eintritts von zwei Anscheinsbeweisen

OLG Koblenz – Az.: 12 U 1039/21 – Beschluss vom 15.09.2021

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil der Einzelrichterin der 10. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 02.06.2021, Az.: 10 O 48/20, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 30.09.2021.

Gründe

Das Landgericht ist nach durchgeführter Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gelangt, dass vorliegend von einem sog. ungeklärten Unfallgeschehen und damit im Ergebnis von einer hälftigen Schadensverteilung auszugehen sei.

Die von dem Landgericht durchgeführte Beweiswürdigung ist nicht zu beanstanden. Im Berufungsrechtszug ist das Berufungsgericht grundsätzlich nicht mehr umfassend zweite neue Tatsacheninstanz. Hinsichtlich der erstinstanzlich durch Beweiserhebung getroffenen Feststellungen ist die Überprüfung gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO grundsätzlich darauf beschränkt, ob konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Die Beweiswürdigung erster Instanz ist demnach nur insoweit prüfbar, als konkrete Anhaltspunkte erkennbar sind, insbesondere mit der Berufung schlüssig aufgezeigt werden, die Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen dergestalt begründen, dass sich eine erneute Beweisaufnahme zur Ausräumung dieser Zweifel gebietet. Ein derartiger Fehler des Landgerichts bei der Würdigung der erhobenen Beweise ist nicht dargetan, aber auch ansonsten nicht ersichtlich. Die Beweiswürdigung durch die Einzelrichterin ist vielmehr umfassend, nachvollziehbar und in sich widerspruchsfrei. Sie verstößt nicht gegen Denk-, Natur- oder Erfahrungssätze und ist insgesamt auch nach der eigenen Würdigung des Senats in der Sache zutreffend.

Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht zugunsten keiner der Parteien die Regelungen des Anscheinsbeweis zur Anwendung gebracht. Einerseits ereignete sich der Verkehrsunfall im unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem von dem Zeugen …[A] vorgenommen Abbiegevorgang nach links. Soweit sich aber ein Unfall im unmittelbaren örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem Linksabbiegevorgang ereignet, spricht nach aller Lebenserfahrung vieles dafür, dass der Linksabbieger die ihm nach § 9 Abs. 1 StVO obliegenden Sorgfaltsanforderungen nicht ausreichend beachtet hat (OLG Koblenz in DAR 2005, 403; OLG Koblenz 12 U 315/92, Urteil vom 08.03.1993, juris; OLG Naumburg 12 U 162/12, Urteil vom 18.02.2013, juris). Im Gegensatz zur Auffassung des Landgerichts ereignete sich der Verkehrsunfall andererseits aber auch im unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem von der Beklagten zu 2. durchgeführten Einfahrvorgang auf die Bundesstraße … Gegen den einfahrenden Verkehrsteilnehmer spricht ebenfalls grundsätzlich der Anscheinsbeweis eines schuldhaften Verstoßes gegen § 10 StVO (BGH VI ZR 282/10, Urteil vom 20.09.2011, juris; OLG Koblenz 12 U 1430/16, Beschluss vom 08.05.2017). Der Einfahrvorgang endet hierbei erst, wenn sich der Einfahrende vollständig in den Verkehr eingeordnet hat und die besondere Einfahrsituation und die damit verbundenen erhöhten Risiken beendet sind (KG Berlin 12 U 202/06, Beschluss vom 15.08.2007, juris; OLG Köln 4 U 35/04, Urteil vom 19.07.2005, juris). Der Senat geht von einem Einordnen in dem oben aufgezeigten Sinn erst dann aus, wenn sich das Fahrzeug endgültig, d. h. räumlich und geschwindigkeitsmäßig vollständig in den fließenden Verkehr eingeordnet hat. Die Beklagte zu 2. hat in der mündlichen Verhandlung vom 13.11.2020 angegeben, sie sei mit ihrem Fahrzeug zwar bereits in Bewegung gewesen, habe aber noch nicht beschleunigt. Von dem Erreichen der normalen Geschwindigkeit in dem oben aufgezeigten Sinne konnte somit nicht ausgegangen werden.

Die Folge aus den obigen Ausführungen ist es, dass sich im Ergebnis zwei Anscheinsbeweise gegenüberstehen. Der Senat bringt in solchen Fällen im Ergebnis keinen der Anscheinsbeweise zur Anwendung (Gedanke der „Neutralisierung“).

Eine andere als die von dem Landgericht vorgenommene hälftige Schadensverteilung wäre somit grundsätzlich nur dann in Betracht gekommen, wenn es einer der Parteien gelungen wäre, ein schuldhaftes Verhalten der Gegenpartei im Sinne von § 9 Abs. 1 StVO bzw. § 10 StVO zu beweisen. Soweit das Landgericht einen solchen Beweis als nicht geführt ansieht, ist dies von dem Senat in keiner Weise zu beanstanden.

Die Beklagte zu 2. hat in der mündlichen Verhandlung vom 13.11.2020 angegeben, sie habe sich mit ihrem Fahrzeug bereits auf der Fahrbahn in Geradeausstellung befunden, als der Zeuge …[A] „in sie hineingefahren sei“. Der Zeuge …[A] hat demgegenüber angegeben, die Beklagte zu 2. habe mit ihrem Fahrzeug die Tankstelle verlassen, als er mit seinem Fahrzeug bereits angefahren sei und den Abbiegevorgang eingeleitet habe. Die Einzelrichterin hat nachvollziehbar dargelegt, weshalb sie sich nicht in der Lage sah, einer dieser beiden Unfallversionen den Vorzug zu geben. Sie hat weiter zutreffend ausgeführt, dass sich auch aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen …[B] in dessen Gutachten vom 16.03.2021 ebenfalls nicht sicher beurteilen lässt, welcher der an dem Unfall beteiligten Personen vorliegend ein Verschuldensvorwurf gemacht werden kann. Der Sachverständige hat insoweit beide Unfallschilderungen, für sich gesehen, als möglich und darstellbar eingestuft. Je nach Betrachtungsweise, also entweder dem Vortrag der Klägerin oder dem Vortrag der Beklagten folgend, kommt der Sachverständige hierbei auch zu einer grundsätzlichen Vermeidbarkeit auf Seiten des jeweiligen Unfallbeteiligten. Der Sachverständige hat überzeugend und nachvollziehbar dargelegt, wie er zu diesen von ihm gefundenen Ergebnissen gelangt ist. Der Senat macht sich diese Überlegungen des Sachverständigen vollumfänglich zu Eigen.

Mangels weiterer zur Verfügung stehender Beweismittel war somit gemäß den zutreffenden Ausführungen des Landgerichts im Ergebnis von einem ungeklärten Verkehrsunfallgeschehen auszugehen. Dieses führt in der Regel zu einer hälftigen Schadensverteilung (BGH in VersR 2011, 234). Gründe von dieser Regel abzuweichen sind vorliegend nicht ersichtlich.

Da die Berufung der Klägerin somit keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme des Rechtsmittels nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).

Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für die Berufungsinstanz auf bis zu 7.000,00 € festzusetzen.

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