Verkehrsrecht: Klägerin erhält Schadenersatz für Lackierkosten
In einem Urteil des Amtsgerichts Bad Segeberg (Az.: 17b C 272/21) vom 20.01.2022 wurde die Beklagte dazu verurteilt, die Klägerin von einer Forderung der Firma … in Höhe von 424,26 € freizuhalten. Der Rechtsstreit drehte sich um die Kostenübernahme für die Lackierung eines Fahrzeugs nach einem Verkehrsunfall.
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Grundlagen der Entscheidung
Das Gericht berief sich bei seiner Entscheidung auf § 495a ZPO, nach dem es das Verfahren nach billigem Ermessen bestimmt. Des Weiteren stützte sich das Urteil auf die §§ 7, 17, 18 StVG in Verbindung mit § 115 VVG. Die Beklagte war für die schadensrechtlichen Folgen des Verkehrsunfalls, der am 29.06.2019 in Groß Kummerfeld stattfand, unstreitig vollständig einstandspflichtig.
OLG Naumburg: Schädiger trägt Werkstatt- und Prognoserisiko
Das Gericht schloss sich der Rechtsprechung des OLG Naumburg an, welches in einem Urteil vom 07.11.2019 (Aktenzeichen 3 U 7/18, BeckRS 2019, 44409) feststellte, dass der Schädiger das Werkstatt- und Prognoserisiko trägt, es sei denn, den Geschädigten trifft ein Auswahlverschulden hinsichtlich der gewählten Fachwerkstatt. Dies bedeutet, dass der Schädiger für die Kosten einer unsachgemäßen oder überteuerten Reparatur aufkommen muss, sofern der Geschädigte hierfür keine Schuld trägt. Diese Risikoverteilung bleibt auch dann bestehen, wenn der Geschädigte den zur Wiederherstellung erforderlichen Geldbetrag gemäß § 249 Absatz 2 S. 1 BGB verlangt.
LG Saarbrücken: Tatsächliche Reparaturkosten als Maßstab
Ergänzend führte das LG Saarbrücken in einem Urteil vom 23.01.2015 (Aktenzeichen 13 S 199/14) aus, dass die tatsächlichen Reparaturkosten, die durch die Werkstattrechnung belegt sind, im Allgemeinen ein aussagekräftiges Indiz für die Erforderlichkeit der eingegangenen Reparaturkosten sind. Diese können auch dann für die Bemessung des erforderlichen Herstellungsaufwandes herangezogen werden, wenn sie ohne Schuld des Geschädigten unangemessen sind.
Auf Grundlage dieser Rechtsprechung erachtete das Amtsgericht Bad Segeberg die von der Klägerin begehrten (restlichen) Lackierkosten als erforderlich und verurteilte die Beklagte dazu, diese zu übernehmen.
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Das vorliegende Urteil
AG Bad Segeberg – Az.: 17b C 272/21 – Urteil vom 20.01.2022
Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von einer Forderung der Firma … vertreten durch den Geschäftsführer …, in Höhe von 424,26 € freizuhalten.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 424,26 € festgesetzt.
Gründe
Gemäß § 495a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.
Danach hat die Klägerin gegen die Beklagte den tenorierten Freihaltungsanspruch in Höhe von 424,26 € aus den §§ 7, 17, 18 StVG in Verbindung mit § 115 VVG.
Die Beklagte ist für die schadensrechtlichen Folgen aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall, der sich am 29.06.2019 in Groß Kummerfeld ereignet hat, unstreitig vollständig einstandspflichtig. Dabei hat die Beklagte die Klägerin auch von den begehrten (restlichen) Lackierkosten in tenorierter Höhe freizuhalten.
Das Gericht schließt sich der Entscheidung des OLG Naumburg vom 07.11.2019 (Aktenzeichen 3 U 7/18, BeckRS 2019, 44409) an, in der es u.a. heißt:
„Nach § 249 Absatz 2 S. 1 BGB kann der Geschädigte den zur Wiederherstellung erforderlichen Geldbetrag verlangen. Erforderlich sind nur Aufwendungen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte (Palandt/Grüneberg, 78. Aufl., § 249 Rn. 12 ff, sog. Wirtschaftlichkeitsgebot). Dem Geschädigten sind allerdings im Rahmen dessen auch Mehrkosten zu ersetzen, die ohne seine Schuld durch unsachgemäße Maßnahmen der Reparaturwerkstatt entstehen. Der Schädiger trägt das so genannte Werkstatt- und Prognoserisiko, falls den Geschädigten nicht ausnahmsweise hinsichtlich der gewählten Fachwerkstatt ein Auswahlverschulden trifft (vgl. BGH, NJW 1992 Seite 302, 304). Die Reparaturwerkstatt ist nicht Erfüllungsgehilfe des Geschädigten im Sinne von § 278 BGB. Da der Schädiger gemäß § 249 Absatz 1 BGB grundsätzlich zur Naturalrestitution verpflichtet ist und § 249 Absatz 2 S. 1 BGB dem Geschädigten lediglich eine Ersetzungsbefugnis zuerkennt, vollzieht sich die Reparatur in der Verantwortungssphäre des Schädigers. Würde der Schädiger die Naturalrestitution gemäß § 249 Absatz 1 BGB selbst vornehmen, so treffe ihn gleichfalls das Werkstattrisiko. Allein die Ausübung der Ersetzungsbefugnis durch den Geschädigten gemäß § 249 Absatz 2 S. 1 BGB kann daher nicht zu einer anderen Risikoverteilung führen. Hierbei sind auch die begrenzten Kenntnis- und Einwirkungsmöglichkeiten des Geschädigten in den Blick zu nehmen. Sobald der Geschädigte das verunfallte Fahrzeug der Reparaturwerkstatt zwecks Reparatur übergeben hat, hat er letztlich keinen Einfluss mehr darauf, ob und inwieweit sodann unnötige oder überteuerte Maßnahmen vorgenommen werden. Dies darf nicht zulasten des Geschädigten gehen, welche ansonsten ein Teil seiner aufgewendeten Kosten nicht ersetzt bekommen würde (BGH, NJW 1975 Seite 160; OLG Hamm, Urteil vom 31. Januar 1995 – Aktenzeichen 9 U 168/94 -, juris). Zu den in den Verantwortungsbereich des Schädigers fallenden Mehrkosten gehören auch Kosten für unnötige Zusatzarbeiten, welche durch die Werkstatt ausgeführt wurden (OLG Hamm, a.a.O). Die Ersatzfähigkeit von unnötigen Mehraufwendungen ist nur ausnahmsweise dann ausgeschlossen, wenn dem Dritten ein äußerst grobes Verschulden zur Last fällt, so dass die Mehraufwendungen dem Schädiger nicht mehr zuzurechnen sind. Dem Schädiger entsteht hierdurch kein Nachteil, da er nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung Abtretung etwaiger Schadensersatzansprüche gegen die Werkstatt verlangen kann (OLG Hamm, a.a.O.).“
Ergänzend dazu führt das LG Saarbrücken in seinem Urteil vom 23.01.2015 (Aktenzeichen 13 S 199/14 – zit. nach juris) aus:
„Der Schaden ist (…) subjektbezogen zu bestimmen (BGHZ 54, 82, 85; BGHZ 115, 364 ff.). Lässt der Geschädigte sein Fahrzeug – wie hier – reparieren, so sind die durch die Reparaturrechnung der Werkstatt belegten Aufwendungen im Allgemeinen ein aussagekräftiges Indiz für die Erforderlichkeit der eingegangenen Reparaturkosten (vgl. BGH, Urteil vom 20.06.1989 – VI ZR 334/88; VersR 1989, 1056 f.; BGHZ 63, 182 ff.). Diese „tatsächlichen“ Reparaturkosten können regelmäßig auch dann für die Bemessung des „erforderlichen“ Herstellungsaufwandes herangezogen werden, wenn diese Kosten ohne Schuld des Geschädigten – etwa wegen überhöhter Ansätze von Material oder Arbeitszeit, wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise im Vergleich zu dem, was für eine solche Reparatur sonst üblich ist – unangemessen sind (vgl. BGHZ 63, 182 ff.; OLG Stuttgart, OLGR Stuttgart 2003, 481 ff. mwN.; OLG Köln, OLGR Köln 1992, 126 f.; Kammerurteil v. 16.12.2011 – 13 S 128/11, juris).“
Nach diesen Grundsätzen sind die von der Klägerin begehrten (restlichen) Lackierkosten als erforderlich zu erachten.
Die Klägerin war nicht verpflichtet, im Rahmen einer Plausibilitätskontrolle jede einzelne Rechnungsposition auf ihre Schlüssigkeit zu überprüfen. Insbesondere war die Klägerin nicht gehalten, die Zusammensetzung der Kostenposition „Lackierung“ im Einzelnen zu hinterfragen. Dieses würde der Klägerin einen Aufwand abverlangen, der von einem Laien nicht verlangt werden kann und der das Werkstatt- und Prognoserisiko auf den Geschädigten übertragen würde. Die Beklagte war dadurch ausreichend geschützt, dass sie die Abtretung möglicher Schadensersatzansprüche gegen die Reparaturwerkstatt verlangen konnte.
Im vorliegenden Fall ist schließlich zu beachten, dass die Lackierkosten auch bereits im Gutachten der Firma DEKRA Automobil GmbH vom 16.07.2019 ausgewiesen sind. Damit hat das Gutachten den Aufwand einer Reparatur des klägerischen Fahrzeuges im Bereich der Lackierkosten entsprechend dem späteren tatsächlichen Kostenanfall gemäß Reparaturrechnung der Firma … vom 14.08.2019 als notwendig bewertet. Damit durfte die Klägerin Lackierkosten in einer Gesamthöhe von 848,51 € (netto) für erforderlich halten. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Rechnungsprüfung durch die Co. vom 27.09.2019. Die Bewertung dieser Rechnungsprüfung erforderte nämlich einen technischen Sachverstand, über den die Klägerin nicht ohne weiteres verfügen mußte. Soweit die Beklagte einwendet, die Lackierkosten in der streitigen Höhe seien unfallbedingt nicht erforderlich gewesen, resultieren diese Mehrkosten aus dem Werkstattrisiko, dass gerade nicht der Geschädigte, sondern der Schädiger zu tragen hat (BGHZ 63, 182 f. – zit. nach LG Saarbrücken, a.a.O.). Die Position der Lackierkosten ist auch keine derart ungewöhnliche Rechnungsposition, dass die Klägerin ohne genaue Kenntnis der hierzu geltenden Rechtslage weitere Nachforschungen hätte anstellen müssen. Es handelt sich auch nicht um eine betragsmäßige Höhe, bei der ein Laie auf den ersten Blick bereits Zweifel bekommen müsste und zu einer näheren Prüfung angehalten wäre. Selbst wenn Lackierkosten in einer Höhe von 424,26 € tatsächlich nicht angefallen wären, wäre ein solcher Umstand für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreites schon deshalb unerheblich, da dieses der Risikosphäre des Schädigers zuzurechnen wäre.
Anhaltspunkte für ein Verschulden der Klägerin bei der Auswahl der Reparaturwerkstatt sind schließlich weder vorgetragen noch anderweitig für das Gericht ersichtlich. Die Klägerin hat eine Markenwerkstatt der klägerischen Fahrzeugmarke mit der Fahrzeugreparatur beauftragt. Der von der beauftragten Fachwerkstatt durchgeführte Reparaturweg entsprach im Bereich der Fahrzeuglackierung zudem den Vorgaben des von der Klägerin eingeschalteten Sachverständigenbüros.
Da die Klägerin den Betrag in Höhe von 424,26 € bislang nicht an die Firma … gezahlt hat, steht ihr der tenorierte Freihaltungsanspruch zu.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in § 713 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Berufung sind nicht ersichtlich.
Die folgenden rechtlichen Bereiche sind u.a. in diesem Urteil relevant:
- § 249 BGB (Schadensersatz wegen Verletzung einer Person oder Beschädigung einer Sache): Dieser Paragraph legt fest, dass der Schädiger verpflichtet ist, den Zustand wiederherzustellen, der ohne das schädigende Ereignis bestehen würde. Der Geschädigte kann den zur Wiederherstellung erforderlichen Geldbetrag verlangen. Im Urteil geht es darum, ob die Kosten für die Fahrzeugreparatur angemessen und erforderlich sind.
- § 7 StVG (Haftung des Fahrzeughalters): Dieser Paragraph regelt die Haftung des Fahrzeughalters bei einem Verkehrsunfall. Im vorliegenden Fall ist die Beklagte unstreitig vollständig einstandspflichtig für die schadensrechtlichen Folgen des Verkehrsunfalls.
- § 115 VVG (Haftpflichtversicherung): Dieser Paragraph legt fest, dass die Haftpflichtversicherung für Schäden aufkommen muss, die durch den Gebrauch des versicherten Fahrzeugs verursacht wurden. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin Anspruch auf Freihaltung von der Forderung der Firma in Höhe von 424,26 €.
- § 495a ZPO (Vereinfachtes Verfahren): Dieser Paragraph bestimmt, dass das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen bestimmt. In diesem Fall hat das Gericht den gesamten Akteninhalt berücksichtigt und den Streitwert auf 424,26 € festgesetzt.
- § 17 StVG (Haftungsabwägung): Dieser Paragraph regelt die Haftungsabwägung bei Verkehrsunfällen und legt fest, dass der Schädiger den Schaden anteilig zu tragen hat. Im vorliegenden Fall ist die Beklagte unstreitig vollständig einstandspflichtig.
- § 18 StVG (Haftungsausschluss und Haftungsbeschränkung): Dieser Paragraph regelt die Haftungsausschlüsse und Haftungsbeschränkungen bei Verkehrsunfällen. Im vorliegenden Fall ist die Beklagte vollständig einstandspflichtig und es liegen keine Haftungsausschlüsse oder -beschränkungen vor.
- § 278 BGB (Verantwortlichkeit des Schuldners für Dritte): Dieser Paragraph regelt die Verantwortlichkeit des Schuldners für das Verschulden Dritter. Im vorliegenden Fall ist die Reparaturwerkstatt nicht Erfüllungsgehilfe des Geschädigten im Sinne von § 278 BGB, sodass der Schädiger das Werkstatt- und Prognoserisiko trägt.
- § 17, 18 StVG in Verbindung mit § 115 VVG: In diesem Urteil bezieht sich das Gericht auf diese Rechtsnormen und Gesetze als Grundlage für den Freihaltungsanspruch der Klägerin in Höhe von 424,26 €.