Übersicht:
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Ein Lkw-Unfall auf der Autobahn: Wer zahlt für den kaputten Spezialkran?
- Was genau war passiert? Der Streit um die Schuldfrage
- Das Herzstück des Streits: Ein Gutachten mit fragwürdigem Ergebnis
- Wie das Gericht die Haftung bewertete: Eine klare Sache
- Die entscheidende Frage: Wie viel ist der beschädigte Kran wirklich wert?
- Wer zahlt für ein fehlerhaftes Gutachten? Eine überraschende Wende
- Die abschließende Rechnung: Wer trägt die Kosten des Verfahrens?
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Muss ich nach einem Verkehrsunfall immer einen Sachverständigen beauftragen und wer trägt die Kosten dafür?
- Was passiert, wenn die gegnerische Versicherung mein Schadensgutachten nicht anerkennt oder anzweifelt?
- Wie wird der Schaden an meinem Fahrzeug berechnet, wenn die Reparatur sehr teuer wäre und es sich nicht mehr lohnt?
- Muss ich die Kosten für mein eigenes Gutachten selbst tragen, wenn sich herausstellt, dass es Fehler enthält oder der Schaden viel zu hoch eingeschätzt wurde?
- Welche finanziellen Risiken entstehen, wenn ich vor Gericht gehe und am Ende deutlich weniger Geld zugesprochen bekomme, als ich ursprünglich gefordert habe?
- Glossar
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Urteil Az.: 6 O 82/24 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Zum vorliegendenDas Wichtigste in Kürze
- Gericht: LG Karlsruhe
- Datum: 22.11.2024
- Aktenzeichen: 6 O 82/24
- Verfahrensart: Klageverfahren
- Rechtsbereiche: Verkehrsrecht, Schadensersatzrecht, Versicherungsrecht
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Eigentümerin eines Lkws mit Spezialkran, der bei einem Verkehrsunfall beschädigt wurde und Schadensersatz forderte.
- Beklagte: Die Haftpflichtversicherung des unfallverursachenden Lkws, die die Klage abweisen wollte.
Worum ging es in dem Fall?
- Sachverhalt: Auf der Autobahn 5 ereignete sich ein Verkehrsunfall, bei dem ein Lkw des Beklagten auf den Lkw der Klägerin auffuhr. Dabei wurde ein an dem klägerischen Fahrzeug angebrachter Spezialkran beschädigt.
- Kern des Rechtsstreits: Hauptstreitpunkte waren die Frage der alleinigen Haftung des Beklagten für den Auffahrunfall sowie die genaue Höhe des zu ersetzenden Schadens am Spezialkran der Klägerin, insbesondere dessen Wiederbeschaffungswert und die Erstattungsfähigkeit der Gutachterkosten.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Das Landgericht Karlsruhe verurteilte den Beklagten zur Zahlung von 8.870,00 EUR Schadenersatz für den beschädigten Kran und 1.054,10 EUR für vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten. Zudem muss der Beklagte die Klägerin von den Kosten eines Privatgutachtens freistellen. Die restliche Klage wurde abgewiesen, und die Prozesskosten wurden mehrheitlich der Klägerin auferlegt.
- Begründung: Das Gericht stellte fest, dass der Beklagte zu 100 % für den Unfall haftet, da es sich um einen Auffahrunfall handelte und die Betriebsgefahr des klägerischen Lkws hinter der Unfallverursachung durch den Beklagten zurücktrat. Der Schaden am Kran wurde auf Basis eines Wiederbeschaffungswertes von 10.000,00 EUR abzüglich Restwert berechnet. Die Kosten des Privatgutachtens sind trotz Mängeln erstattungsfähig, da dessen Beauftragung zur Geltendmachung des Anspruchs erforderlich und zweckmäßig war.
- Folgen: Der Beklagte muss einen Teil des geforderten Schadensersatzes, die vorgerichtlichen Anwaltskosten sowie die Kosten des Privatgutachtens tragen. Die Klägerin erhält jedoch nur einen geringeren Betrag als ursprünglich gefordert und trägt den Großteil der Prozesskosten selbst. Das Urteil ist unter Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Fall vor Gericht
Ein Lkw-Unfall auf der Autobahn: Wer zahlt für den kaputten Spezialkran?
Ein Verkehrsunfall ist schnell passiert und wirft oft komplizierte Fragen auf. Meist geht es nicht nur darum, wer Schuld hat, sondern vor allem darum, wie hoch der entstandene Schaden ist. Besonders schwierig wird es, wenn spezielle Anbauteile wie ein Ladekran beschädigt werden, für die es keinen einfachen Gebrauchtmarkt gibt. Ein Urteil des Landgerichts Karlsruhe beleuchtet genau solch einen Fall und zeigt, wie Gerichte den wahren Wert eines Schadens ermitteln und wer am Ende für ein fehlerhaftes Gutachten aufkommen muss.
Was genau war passiert? Der Streit um die Schuldfrage

An einem Mittag im Januar 2024 kam es auf der Autobahn A5 bei Karlsruhe zu einem Auffahrunfall. Ein Lkw der Marke MAN fuhr auf einen Lkw-Kipper der Marke Mercedes-Benz auf. An diesem Kipper war ein besonderes Gerät montiert: ein absattelbarer Heckladekran, den die Eigentümerin des Kippers, eine Firma, einige Jahre zuvor für 10.500 Euro gebraucht gekauft hatte. Der Fahrer des MAN-Lkw räumte noch an der Unfallstelle gegenüber der Polizei seine Schuld ein.
Man könnte meinen, der Fall sei damit klar. Doch die Versicherung des Unfallverursachers, die in diesem Fall als Beklagter auftrat, wollte die Sache nicht so einfach hinnehmen. Obwohl ihr Fahrer die Schuld zugegeben hatte, bestritt die Versicherung vor Gericht pauschal den von der Klägerin geschilderten Unfallhergang. Die entscheidende Frage für das Gericht war also zunächst: Wer trägt die volle Verantwortung für diesen Unfall?
Das Herzstück des Streits: Ein Gutachten mit fragwürdigem Ergebnis
Noch viel größer war der Streit um die Höhe des Schadens. Die geschädigte Firma (die Klägerin) beauftragte nach dem Unfall einen eigenen Sachverständigen, um den Schaden am Spezialkran feststellen zu lassen. Dieses Gutachten wird Privatgutachten genannt, da es von einer der Parteien und nicht vom Gericht in Auftrag gegeben wird. Das Ergebnis dieses Gutachtens war erstaunlich: Der Sachverständige kam zu dem Schluss, dass eine Reparatur des Krans über 72.000 Euro kosten würde. Er setzte den Wiederbeschaffungswert – also den Preis, den man für einen gleichwertigen gebrauchten Kran auf dem Markt zahlen müsste – auf über 86.000 Euro fest.
Wie konnte das sein? Ein Kran, der 2015 für 10.500 Euro gekauft wurde, sollte nun fast das Achtfache wert sein? Die Versicherung des Unfallverursachers hielt das Gutachten für völlig überzogen und unbrauchbar. Sie argumentierte, eine solche Wertsteigerung sei unlogisch und es gebe sehr wohl einen Markt für gebrauchte Kräne dieser Art. Wegen dieser extrem unterschiedlichen Ansichten musste das Gericht einen eigenen, neutralen Sachverständigen bestellen, einen sogenannten Gerichtssachverständigen, um den Schaden neu und unabhängig zu bewerten.
Wie das Gericht die Haftung bewertete: Eine klare Sache
Das Gericht stellte zunächst klar, wer für den Unfall verantwortlich ist. Es entschied, dass die Versicherung des auffahrenden Lkw zu 100 % für den Schaden haften muss. Doch wie kam es zu dieser Entscheidung, obwohl die Versicherung den Hergang bestritten hatte?
Hier griffen die Richter auf einen wichtigen Grundsatz zurück: den Anscheinsbeweis. Das ist eine juristische Regel, die besagt, dass bei typischen Geschehensabläufen auf eine bestimmte Ursache oder ein bestimmtes Verschulden geschlossen werden kann, solange niemand das Gegenteil beweist. Ein klassischer Auffahrunfall ist solch ein typischer Ablauf. Die Lebenserfahrung zeigt, dass der Auffahrende in der Regel unaufmerksam war oder zu wenig Abstand gehalten hat. Da die Versicherung nur pauschal widersprach, ohne eine andere plausible Version des Unfalls zu schildern, und der Fahrer die Schuld bereits eingeräumt hatte, reichte dies dem Gericht, um von einem Verschulden des MAN-Fahrers auszugehen.
Zusätzlich berücksichtigte das Gericht die sogenannte Betriebsgefahr. Das ist das Risiko, das von jedem Fahrzeug im Straßenverkehr allein durch seine Anwesenheit und seinen Betrieb ausgeht. Man kann es sich wie ein unsichtbares Gefahrenpotenzial vorstellen, das ein großes, schweres Fahrzeug stärker hat als ein kleines. Da hier zwei Lkw beteiligt waren, ging das Gericht von einer ähnlich hohen Betriebsgefahr auf beiden Seiten aus. Wegen des klaren Verschuldens des Auffahrenden trat die Betriebsgefahr des vorderen Lkw jedoch vollständig in den Hintergrund.
Die entscheidende Frage: Wie viel ist der beschädigte Kran wirklich wert?
Nachdem die Haftung geklärt war, kam das Gericht zur komplizierteren Frage: Wie hoch ist der Schaden? Hier folgten die Richter nicht dem teuren Privatgutachten der Klägerin, sondern den Ausführungen ihres eigenen, neutralen Sachverständigen. Dieser kam zu einem völlig anderen Ergebnis.
Der Gerichtssachverständige bestätigte zwar, dass die Reparaturkosten bei rund 73.000 Euro liegen würden. Er fand aber auch heraus, dass der tatsächliche Wert des Krans vor dem Unfall nur bei etwa 10.000 Euro lag – also sehr nah am ursprünglichen Kaufpreis. Diesen Wert nannte er auch als Wiederbeschaffungswert. Es war also ein klarer Wirtschaftlicher Totalschaden: Die Reparatur wäre um ein Vielfaches teurer als die Anschaffung eines gleichwertigen Ersatzgeräts.
Das Gesetz sieht für solche Fälle vor, dass der Geschädigte nicht die Reparaturkosten, sondern den Wiederbeschaffungswert erhält. Von diesem Wert muss er sich aber noch den Restwert abziehen lassen – also den Betrag, den er für das kaputte Wrack noch bekommen kann. Der Gerichtssachverständige ermittelte einen Restwert von 3.150 Euro. Die Rechnung des Gerichts war also einfach: 10.000 Euro (Wiederbeschaffungswert) minus 3.150 Euro (Restwert) ergibt 6.850 Euro. Diesen Betrag sprach das Gericht der Klägerin für den zerstörten Kran zu, zuzüglich der unstrittigen Abschleppkosten.
Wer zahlt für ein fehlerhaftes Gutachten? Eine überraschende Wende
Nun blieb noch eine spannende Frage offen: Was passiert mit den Kosten für das teure, aber offensichtlich fehlerhafte Privatgutachten der Klägerin in Höhe von über 3.000 Euro? Muss die Versicherung des Unfallgegners auch dafür aufkommen?
Warum nur Freistellung und keine direkte Zahlung?
Das Gericht entschied: Ja, die Versicherung muss die Kosten tragen, aber nicht durch eine direkte Zahlung an die Klägerin. Stattdessen verurteilte es die Versicherung zur Freistellung. Das ist ein feiner, aber wichtiger Unterschied. Ein Anspruch auf Zahlung besteht nur, wenn der Geschädigte die Rechnung bereits bezahlt hat. Das war hier nicht der Fall. Die Klägerin hatte die Rechnung des Gutachters noch offen. Ihr Schaden bestand also nicht in einem Verlust von Geld, sondern in der Belastung mit einer Verbindlichkeit. Der Anspruch auf Freistellung bedeutet, dass die Versicherung diese Schuld für die Klägerin begleichen muss, also direkt mit dem Gutachter abrechnen kann.
Musste die Versicherung zahlen, obwohl das Gutachten falsch war?
Aber warum musste die Versicherung überhaupt für ein Gutachten zahlen, das das Gericht als „grob fehlerhaft“ einstufte? Hier wog das Gericht sorgfältig ab. Grundsätzlich gehören die Kosten für ein Sachverständigengutachten zum ersatzfähigen Schaden, denn ein Laie kann die Schadenshöhe oft nicht selbst beziffern. Die Versicherung muss diese Kosten nur dann nicht tragen, wenn der Geschädigte bei der Auswahl des Gutachters schuldhaft gehandelt hat, etwa weil er wusste, dass dieser ungeeignet ist.
Ein solches Auswahlverschulden konnte das Gericht bei der Klägerin nicht feststellen. Sie durfte als Laie darauf vertrauen, einen fähigen Experten beauftragt zu haben. Allerdings merkten die Richter an, dass die Klägerin bei dem extrem hohen Ergebnis des Gutachtens hätte stutzig werden müssen. Trotz dieses Fehlers im Gutachten muss die gegnerische Versicherung die Kosten grundsätzlich übernehmen. Sie hat aber die Möglichkeit, sich die Ansprüche, die die Klägerin gegen ihren fehlerhaften Gutachter hat, abtreten zu lassen und dann selbst gegen den Gutachter vorzugehen, um dessen Rechnung möglicherweise zu kürzen.
Die abschließende Rechnung: Wer trägt die Kosten des Verfahrens?
Am Ende erhielt die Klägerin also deutlich weniger Geld, als sie gefordert hatte. Statt der eingeklagten rund 75.000 Euro bekam sie nur knapp 9.000 Euro zugesprochen, zuzüglich der Freistellung von den Gutachterkosten. Diese große Differenz hatte erhebliche Folgen für die Verteilung der Prozesskosten.
Im deutschen Recht gilt der Grundsatz: Wer verliert, zahlt die Kosten. Bei einem teilweisen Sieg und teilweisen Verlieren werden die Kosten gequotelt. Da die Klägerin nur zu einem kleinen Teil (16 %) mit ihrer Forderung durchdrang und zu einem großen Teil (84 %) verlor, musste sie auch 84 % aller Gerichts- und Anwaltskosten des Verfahrens tragen. Dieser Fall zeigt eindrücklich, dass es sich nicht immer lohnt, mit maximalen Forderungen in einen Prozess zu ziehen, insbesondere wenn diese auf einer wackeligen Grundlage stehen.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil zeigt, dass auch bei klarer Unfallschuld überteuerte Schadensgutachten nicht automatisch akzeptiert werden – hier erhielt die geschädigte Firma statt der geforderten 75.000 Euro nur 9.000 Euro, weil ihr Privatgutachten den Kranwert völlig überschätzt hatte. Trotz des fehlerhaften Gutachtens muss die Unfallversicherung dessen Kosten übernehmen, da der Geschädigte als Laie auf die Expertise vertrauen durfte. Die Entscheidung macht deutlich, dass unrealistisch hohe Schadensersatzforderungen ein finanzielles Risiko darstellen, da der unterlegene Teil die Prozesskosten tragen muss – hier 84% aller Verfahrenskosten. Für Geschädigte bedeutet dies: Bei Zweifeln an der Gutachtenhöhe sollte eine zweite Meinung eingeholt werden, bevor man vor Gericht zieht.
Befinden Sie sich in einer ähnlichen Situation? Fragen Sie unsere Ersteinschätzung an.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Muss ich nach einem Verkehrsunfall immer einen Sachverständigen beauftragen und wer trägt die Kosten dafür?
Nach einem Verkehrsunfall müssen Sie nicht immer einen Sachverständigen beauftragen. Ob ein Gutachten notwendig und dessen Kosten erstattungsfähig sind, hängt maßgeblich von der Höhe des entstandenen Schadens ab.
Wann ist ein Sachverständigengutachten sinnvoll oder notwendig?
Ein Sachverständigengutachten ist besonders dann sinnvoll und in der Regel auch erstattungsfähig, wenn der Schaden an Ihrem Fahrzeug voraussichtlich über einer bestimmten Bagatellgrenze liegt. Diese Grenze liegt oft bei etwa 750 bis 1.000 Euro. Bei Schäden, die darüber liegen, ist ein Gutachten empfehlenswert, weil es den genauen Schaden umfassend dokumentiert.
Für Sie bedeutet das:
- Es sichert Beweise für den Zustand Ihres Fahrzeugs nach dem Unfall.
- Es beziffert nicht nur die Reparaturkosten, sondern kann auch eine mögliche Wertminderung des Fahrzeugs aufzeigen.
- Es klärt technische Details und den genauen Umfang der notwendigen Reparaturen.
- Es dient als objektive Grundlage für die Schadensabwicklung mit der Versicherung des Unfallverursachers.
Wer trägt die Kosten für das Sachverständigengutachten?
Grundsätzlich gilt: Wenn der Unfallgegner die alleinige Schuld am Unfall trägt, müssen dessen Versicherung die Kosten für das Sachverständigengutachten übernehmen. Diese Kosten sind Teil des gesamten Schadens, der Ihnen durch den Unfall entstanden ist. Für Sie als Geschädigten entstehen dann keine eigenen Kosten für das Gutachten, sofern es notwendig und die Höhe des Schadens entsprechend ist.
Ausnahmen und wichtige Hinweise
Es gibt jedoch Situationen, in denen die Kosten für ein Sachverständigengutachten nicht oder nicht vollständig von der gegnerischen Versicherung übernommen werden:
- Bagatellschäden: Liegt der Schaden unterhalb der genannten Bagatellgrenze (etwa 750 bis 1.000 Euro), wird die Versicherung die Kosten für ein umfassendes Sachverständigengutachten in der Regel nicht tragen. In solchen Fällen ist es ausreichend, einen Kostenvoranschlag einer Werkstatt einzuholen, um den Schaden zu beziffern. Dieser ist meist kostenlos oder die Kosten werden bei einer Reparatur verrechnet.
- Offensichtlich überzogene Gutachtenkosten: Auch wenn die Schadenhöhe die Bagatellgrenze überschreitet, können die Kosten für das Gutachten von der Versicherung beanstandet werden, wenn sie offensichtlich überhöht sind und nicht den üblichen und notwendigen Kosten entsprechen.
- Mitschuld am Unfall: Haben Sie eine Teilschuld am Unfall, werden die Gutachterkosten in der Regel nur anteilig von der gegnerischen Versicherung übernommen, entsprechend Ihrer Haftungsquote.
Die Beauftragung eines Sachverständigen ist in den meisten Fällen, in denen ein relevanter Schaden entstanden ist, ein legitimes und wichtiges Mittel, um Ihre Ansprüche nach einem Verkehrsunfall vollumfänglich und beweissicher geltend zu machen.
Was passiert, wenn die gegnerische Versicherung mein Schadensgutachten nicht anerkennt oder anzweifelt?
Wenn Sie nach einem Schaden ein Gutachten erstellen lassen, um die Höhe des Schadens zu belegen, und die gegnerische Versicherung dieses Gutachten nicht akzeptiert oder anzweifelt, ist dies eine häufige Situation. Die Versicherung kann verschiedene Gründe für ihre Ablehnung vorbringen, etwa dass der Schaden geringer sei, die Reparaturkosten zu hoch angesetzt wurden oder bestimmte Schäden gar nicht durch das Ereignis verursacht wurden.
Wie die Versicherung Ihr Gutachten anzweifeln kann
Die gegnerische Versicherung hat mehrere Möglichkeiten, auf Ihr vorgelegtes Gutachten zu reagieren:
- Einfache Ablehnung: Sie kann die Schadenshöhe einfach bestreiten und einen geringeren Betrag anbieten. Dies ist oft der erste Schritt.
- Kürzung des Gutachtens: Häufig kürzt die Versicherung Posten aus Ihrem Gutachten, etwa bestimmte Arbeitsstunden, Lackkosten oder Verbringungskosten, und zahlt nur einen Teil des von Ihnen geltend gemachten Betrages.
- Einholung eines Gegengutachtens: Die Versicherung kann selbst ein eigenes Gutachten beauftragen, oft durch einen von ihr beauftragten Sachverständigen. Dieses Gegengutachten soll dann die eigene Sichtweise der Versicherung untermauern und von der Einschätzung Ihres Gutachtens abweichen. Stellen Sie sich dies wie zwei unterschiedliche Meinungen von Experten vor, die der Richter oder das Gericht später abwägen muss.
Der Weg zum Gericht und die Rolle des Gerichtsgutachters
Kommt es zu keiner Einigung zwischen Ihnen und der Versicherung über die Schadenshöhe, ist es oft notwendig, die Angelegenheit vor Gericht zu bringen. Hier beginnt ein wichtiges Verfahren zur Klärung:
- Gerichtliche Beweisaufnahme: Ein Gericht ist grundsätzlich nicht an die Privatgutachten der Parteien gebunden. Sowohl Ihr Gutachten als auch ein mögliches Gegengutachten der Versicherung sind im juristischen Sinne Parteivortrag – also Behauptungen oder Beweismittel, die von den Streitparteien vorgelegt werden.
- Beauftragung eines Gerichtsgutachters: In den meisten Fällen, in denen die Schadenshöhe streitig ist und es um fachliche Fragen geht, wird das Gericht einen unabhängigen Gerichtsgutachter beauftragen. Dieser Sachverständige wird vom Gericht ausgewählt und hat die Aufgabe, objektiv und neutral den Schaden zu begutachten. Seine Ergebnisse legt er in einem Gerichtsgutachten dar.
- Bedeutung des Gerichtsgutachtens: Das Gerichtsgutachten hat für die richterliche Entscheidung erhebliches Gewicht, da es von einem neutralen, vom Gericht bestellten Experten erstellt wird. Es dient dem Gericht als wichtige Entscheidungsgrundlage.
Was passiert bei Fehlern im Privatgutachten?
Es ist wichtig zu wissen, dass nicht jeder Einwand der Versicherung gegen Ihr Gutachten berechtigt ist. Wenn Ihr privates Gutachten solide und fundiert ist, kann es auch vor Gericht Bestand haben.
Allerdings kann es vorkommen, dass Ihr ursprüngliches Privatgutachten grobe Fehler oder Mängel aufweist. Wenn dies der Fall ist oder die Einwände der Versicherung sehr stichhaltig erscheinen, kann dies die Position Ihres Gutachtens vor Gericht schwächen. In solchen Situationen wird das Gericht erst recht einen eigenen, unabhängigen Gutachter beauftragen, um eine objektive Bewertung zu erhalten. Das Gericht wird sich dann in seiner Entscheidung vorrangig auf das Gutachten des Gerichtsgutachters stützen.
Für Sie als Geschädigten bedeutet dies, dass ein von der Versicherung angezweifeltes Gutachten nicht automatisch wertlos ist. Entscheidend ist die Qualität des Gutachtens und die objektive Bewertung durch einen unabhängigen Sachverständigen, den im Streitfall das Gericht bestimmt.
Wie wird der Schaden an meinem Fahrzeug berechnet, wenn die Reparatur sehr teuer wäre und es sich nicht mehr lohnt?
Wenn die Reparaturkosten Ihres Fahrzeugs nach einem Unfall sehr hoch sind und den Wert des Fahrzeugs deutlich übersteigen, spricht man juristisch von einem wirtschaftlichen Totalschaden. In solchen Fällen wird der Schaden anders berechnet, als wenn das Fahrzeug repariert werden könnte. Die zentrale Idee ist, dass Sie finanziell so gestellt werden sollen, als wäre der Unfall nicht passiert, ohne dass Sie dadurch einen zusätzlichen Gewinn erzielen.
Was ist ein wirtschaftlicher Totalschaden?
Ein wirtschaftlicher Totalschaden liegt vor, wenn die voraussichtlichen Reparaturkosten und eine mögliche Wertminderung des Fahrzeugs den Wert übersteigen, den das Fahrzeug unmittelbar vor dem Unfall auf dem Gebrauchtwagenmarkt hatte. Für Sie bedeutet das: Die Kosten, um Ihr Fahrzeug wieder in den Zustand vor dem Unfall zu versetzen, sind so hoch, dass es wirtschaftlich keinen Sinn mehr ergibt, es zu reparieren.
Die entscheidenden Werte: Wiederbeschaffungswert und Restwert
Um den tatsächlichen finanziellen Schaden in einem solchen Fall zu ermitteln, sind zwei Werte entscheidend, die in der Regel ein unabhängiger Sachverständiger in einem ausführlichen Gutachten feststellt:
- Wiederbeschaffungswert: Dies ist der Preis, den Sie auf dem Gebrauchtwagenmarkt aufwenden müssten, um ein vergleichbares Fahrzeug zu kaufen, das hinsichtlich Ausstattung, Alter, Kilometerstand, Pflegezustand und regionalen Marktgegebenheiten Ihrem Fahrzeug vor dem Unfall entspricht. Es ist der Wert, den Ihr Fahrzeug in unbeschädigtem Zustand unmittelbar vor dem Unfall hatte.
- Restwert: Das ist der Wert, den Ihr beschädigtes Fahrzeug im Unfallzustand noch hat. Dieser Wert wird in der Regel durch Angebote von spezialisierten Aufkäufern ermittelt. Es handelt sich um den Betrag, den Sie für das Wrack noch erzielen könnten, wenn Sie es verkaufen.
So wird der Schaden berechnet
Die Höhe des Schadens, der Ihnen im Falle eines wirtschaftlichen Totalschadens erstattet wird, berechnet sich in der Regel nach dieser Formel:
Schaden = Wiederbeschaffungswert – Restwert
Das bedeutet, Ihnen wird der Wert ersetzt, den Ihr Fahrzeug vor dem Unfall hatte, abzüglich dessen, was das beschädigte Fahrzeug noch wert ist. Durch den Verkauf des beschädigten Fahrzeugs und die erhaltene Entschädigung sollen Sie die Möglichkeit haben, sich ein gleichwertiges Ersatzfahrzeug anzuschaffen.
Muss ich die Kosten für mein eigenes Gutachten selbst tragen, wenn sich herausstellt, dass es Fehler enthält oder der Schaden viel zu hoch eingeschätzt wurde?
Grundsätzlich gilt: Wenn Sie nach einem Unfall, für den Sie nicht verantwortlich sind, einen Sachverständigen zur Feststellung des Schadens beauftragen, müssen die Kosten für dieses Gutachten in der Regel von der Versicherung des Unfallverursachers übernommen werden. Das Gutachten ist ein notwendiger Teil der Schadensfeststellung.
Was passiert bei Fehlern im Gutachten?
Selbst wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass das von Ihnen beauftragte Gutachten kleinere Fehler enthält oder der geschätzte Schaden geringfügig zu hoch angesetzt wurde, müssen Sie die Gutachterkosten in der Regel nicht selbst tragen. Der Grund ist, dass Sie als juristischer Laie nicht in der Lage sind, die Richtigkeit eines Gutachtens auf Anhieb zu beurteilen oder die Arbeit eines Sachverständigen zu überprüfen. Es wird erwartet, dass Sie sich auf die Expertise des von Ihnen ausgewählten Gutachters verlassen dürfen. Wichtig ist, dass die Beauftragung des Gutachters objektiv notwendig war, um den Schaden überhaupt festzustellen. Bei sehr kleinen Schäden, die zum Beispiel unter einer Bagatellgrenze von etwa 700 bis 1.000 Euro liegen, ist ein Gutachten oft nicht erforderlich; in solchen Fällen können die Kosten unter Umständen nicht erstattet werden.
Wann tragen Sie die Kosten doch selbst? (Auswahlverschulden)
Eine Ausnahme von dieser Regel besteht nur, wenn Ihnen ein sogenanntes Auswahlverschulden vorgeworfen werden kann. Das bedeutet, dass Sie einen Gutachter ausgewählt haben, bei dem Ihnen von vornherein klar sein musste oder hätte sein müssen, dass dieser nicht seriös arbeitet oder unzuverlässig ist. Stellen Sie sich vor, Sie würden einen Gutachter beauftragen, der bekanntermaßen unseriöse oder extrem überhöhte Schätzungen abgibt und dies auch für einen Laien offensichtlich war. Solche Fälle sind in der Praxis sehr selten und müssen von der gegnerischen Seite nachgewiesen werden. Ein bloßer Fehler im Gutachten oder eine leichte Überbewertung begründen in der Regel kein Auswahlverschulden auf Ihrer Seite.
„Zahlung“ oder „Freistellung“ der Gutachterkosten
Für Sie als Geschädigten ist es im Ergebnis dasselbe, ob die Versicherung die Gutachterkosten zahlt oder Sie von diesen freistellt:
- Zahlung: Die Versicherung überweist den Betrag für das Gutachten direkt an den Gutachter oder an Sie.
- Freistellung: Die Versicherung erklärt sich bereit, die Gutachterkosten zu übernehmen und Sie von Ihrer Zahlungspflicht gegenüber dem Gutachter zu entbinden. Der Gutachter kann seine Rechnung dann direkt bei der Versicherung einreichen und erhält von dort sein Geld.
Beide Optionen bedeuten für Sie, dass Sie finanziell nicht mit den Gutachterkosten belastet werden, sofern die Voraussetzungen für die Kostenübernahme gegeben sind.
Welche finanziellen Risiken entstehen, wenn ich vor Gericht gehe und am Ende deutlich weniger Geld zugesprochen bekomme, als ich ursprünglich gefordert habe?
Wenn Sie vor Gericht eine Geldforderung stellen und das Gericht Ihnen am Ende weniger zuspricht, als Sie ursprünglich gefordert haben, entstehen finanzielle Risiken durch die Verteilung der Prozesskosten. Das deutsche Recht folgt dem Prinzip: „Wer verliert, zahlt“. Dieses Prinzip wird jedoch angepasst, wenn weder eine Partei vollständig gewinnt noch vollständig verliert.
Kostenverteilung bei teilweisem Erfolg oder Misserfolg
Wenn Sie nur einen Teil Ihrer Forderung zugesprochen bekommen, bedeutet das, dass Sie in einem Teil der Sache gewonnen und in einem anderen Teil verloren haben. Die Gerichtskosten und die Anwaltskosten der Gegenseite werden dann anteilig nach dem Erfolg und Misserfolg verteilt. Diesen Anteil nennt man auch die Kostenquote.
Stellen Sie sich vor, Sie fordern 10.000 Euro, das Gericht spricht Ihnen aber nur 5.000 Euro zu. Das bedeutet:
- Sie haben mit Ihrer Forderung zu 50 Prozent Erfolg gehabt (5.000 Euro von 10.000 Euro).
- Sie sind mit Ihrer Forderung zu 50 Prozent unterlegen (die anderen 5.000 Euro wurden nicht zugesprochen).
Für die Prozesskosten bedeutet das eine Kostenquotelung:
- Gerichtskosten: Diese müssen Sie anteilig in Höhe Ihres Unterliegens tragen. Im Beispiel müssten Sie 50 Prozent der Gerichtskosten zahlen, die Gegenseite die anderen 50 Prozent.
- Anwaltskosten der Gegenseite: Der gegnerische Anwalt erhält ebenfalls Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten. Da Sie nur zu 50 Prozent gewonnen haben, müssen Sie die Anwaltskosten der Gegenseite ebenfalls zu 50 Prozent übernehmen. Die anderen 50 Prozent zahlt die Gegenseite selbst.
- Eigene Anwaltskosten: Ihr eigener Anwalt rechnet seine Gebühren nach dem ursprünglich geforderten Betrag ab, also den vollen 10.000 Euro im Beispiel. Sie müssen dann zwar 50 Prozent dieser Kosten selbst tragen, weil die Gegenseite Ihnen diese nur für den Teil des Erfolgs (5.000 Euro) erstatten muss.
Wichtig ist hierbei: Je höher der ursprünglich geforderte Betrag ist, desto höher sind auch die möglichen Gerichtskosten und Anwaltsgebühren. Wenn Sie also deutlich mehr fordern, als Ihnen zusteht, steigt das finanzielle Risiko, dass Sie einen erheblichen Teil dieser Kosten selbst tragen müssen.
Dieses Prinzip der Kostenverteilung bei teilweisem Erfolg oder Misserfolg soll sicherstellen, dass jede Partei die Kosten trägt, die dem Umfang ihres Prozessrisikos entsprechen. Es unterstreicht die Notwendigkeit, eine Forderung vor Gericht realistisch und fundiert einzuschätzen, um unerwartete finanzielle Belastungen zu vermeiden.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar
Juristische Fachbegriffe kurz erklärt
Privatgutachten
Ein Privatgutachten ist ein Sachverständigengutachten, das von einer der am Rechtsstreit beteiligten Parteien selbst in Auftrag gegeben wird, also nicht vom Gericht. Es dient dazu, den Schaden oder andere fachliche Fragen aus Sicht dieser Partei zu bewerten und kann als Beweismittel vor Gericht verwendet werden. Anders als ein Gerichtsgutachten ist es nicht neutral bestellt, wodurch Gerichte dessen Ergebnisse meist mit kritischem Blick prüfen. Ein Beispiel ist ein von der geschädigten Partei beauftragtes Gutachten, das die Reparaturkosten eines beschädigten Fahrzeugs ermittelt.
Gerichtssachverständiger
Ein Gerichtssachverständiger ist ein neutraler Experte, den das Gericht bei Streitigkeiten mit technischen oder fachlichen Fragen beauftragt, um eine objektive und unabhängige Bewertung zu erstellen. Sein Gutachten hat in der gerichtlichen Entscheidung erhebliches Gewicht, weil es unparteiisch ist und auf fachlicher Sachkunde basiert. Im Gegensatz zu Privatgutachten, die von einer Partei beauftragt werden, trägt das Gerichtssachverständigengutachten wesentlich zur Wahrheitsfindung bei. Beispiel: Bei Streit über die Höhe eines Schadens bestellt das Gericht einen Gerichtssachverständigen, der den tatsächlichen Wert des beschädigten Gegenstands ermittelt.
Anscheinsbeweis
Der Anscheinsbeweis ist eine Rechtsfigur, nach der bei typischen und häufig vorkommenden Unfallabläufen aufgrund der Lebenserfahrung automatisch eine bestimmte Ursache oder ein Verschulden angenommen wird, bis das Gegenteil bewiesen wird. Er vereinfacht die Beweisführung, indem er ohne weitere Beweise eine Vermutung erzeugt, zum Beispiel dass beim Auffahrunfall meist der hinten fahrende Verkehrsteilnehmer schuld ist. Die Gegenseite muss dann plausible Tatsachen vorbringen, um diese Vermutung zu widerlegen. Beispiel: Bei einem Auffahrunfall geht das Gericht meist davon aus, dass der Auffahrende nicht genug Abstand gehalten hat, und die Haftung wird entsprechend vermutet.
Betriebsgefahr
Betriebsgefahr beschreibt das Risiko, das von einem im Verkehr befindlichen Fahrzeug allein durch seine Existenz und Nutzung ausgeht, unabhängig von einem Fehler oder Verschulden des Fahrers. Sie wird bei der Haftungsbemessung berücksichtigt und variiert je nach Fahrzeugart; große und schwere Fahrzeuge haben eine höhere Betriebsgefahr als kleine. Das bedeutet, dass der Fahrzeughalter auch ohne eigenes Verschulden ein gewisses Mitverschulden trägt, das im Unfallfall zu einer Haftungsquote führen kann. Beispiel: Zwei Lkw kollidieren, und obwohl der Auffahrende Schuld hat, wird der vordere Lkw wegen seiner eigenen Betriebsgefahr mit einem Teil der Haftung belastet.
Auswahlverschulden
Auswahlverschulden liegt vor, wenn der Geschädigte einen Sachverständigen beauftragt, von dem er wissen muss oder wissen müsste, dass dieser überhöhte oder unrichtige Gutachten erstellt oder ansonsten ungeeignet ist. In solchen Fällen kann die Versicherung die Kostenerstattung für das Gutachten verweigern, weil der Geschädigte seine Auswahlpflicht verletzt hat. Das Auswahlverschulden erfordert also ein schuldhaftes Verhalten beim Gutachtereinsatz und ist von einem einfachen Fehler im Gutachten abzugrenzen. Beispiel: Ein Geschädigter beauftragt wissentlich einen hinreichend bekannten „Gutachter“ mit fragwürdiger Reputation, um Schadenshöhen unangemessen zu erhöhen; die Versicherung zahlt dann womöglich nicht die Gutachterkosten.
Wirtschaftlicher Totalschaden
Ein wirtschaftlicher Totalschaden liegt vor, wenn die Reparaturkosten eines beschädigten Fahrzeugs den Wert desselben vor dem Unfall deutlich übersteigen oder sich durch die Reparatur kein wirtschaftlicher Vorteil mehr ergibt. In diesem Fall wird der Schaden nicht anhand der Reparaturkosten bemessen, sondern nach dem Unterschied zwischen dem Wiederbeschaffungswert vor dem Unfall und dem Restwert (dem noch vorhandenen Wert des Wracks) berechnet. Diese Regelung soll verhindern, dass der Geschädigte mehr Geld für Reparaturen erhält als er benötigen würde, um ein vergleichbares intaktes Fahrzeug zu erwerben. Beispiel: Ein Auto hat vor dem Unfall einen Wert von 10.000 Euro, die Reparatur würde aber 12.000 Euro kosten; der Geschädigte bekommt daher die Differenz zwischen Wiederbeschaffungswert und Restwert ersetzt.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- Straßenverkehrsgesetz (StVG), § 7 StVG (Haftung des Halters): Diese Vorschrift begründet eine sogenannte Gefährdungshaftung für den Halter eines Kraftfahrzeugs. Das bedeutet, dass der Eigentümer oder die Person, die ein Fahrzeug auf eigene Rechnung benutzt, grundsätzlich für Schäden haftet, die beim Betrieb seines Fahrzeugs entstehen, selbst wenn ihn kein direktes Verschulden trifft. Es geht hier um die abstrakte Gefahr, die von einem Fahrzeug ausgeht. Diese Haftung tritt nur unter bestimmten, eng gefassten Ausnahmen außer Kraft. → Bedeutung im vorliegenden Fall: Im vorliegenden Fall ist § 7 StVG die primäre Rechtsgrundlage, die die Haftung der Versicherung des auffahrenden Lkw für den Schaden überhaupt erst begründet, da ihr Halter für die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs haftet.
- Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), § 249 BGB (Art und Umfang des Schadensersatzes): Diese zentrale Vorschrift regelt, wie ein Schaden grundsätzlich zu ersetzen ist: Der Geschädigte soll so gestellt werden, als wäre das schädigende Ereignis nie eingetreten (Naturalrestitution). Ist dies nicht möglich oder wirtschaftlich sinnvoll, kann der Ersatz in Geld verlangt werden, insbesondere bei Sachschäden. Hierunter fällt auch die Berechnung des wirtschaftlichen Totalschadens, bei dem die Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert deutlich übersteigen. → Bedeutung im vorliegenden Fall: § 249 BGB ist maßgeblich für die Berechnung der Höhe des Sachschadens am Spezialkran und die Entscheidung, ob Reparaturkosten oder der Wiederbeschaffungswert minus Restwert zu zahlen sind.
- Anscheinsbeweis (als Rechtsfigur im Zivilprozessrecht): Der Anscheinsbeweis ist eine richterrechtlich entwickelte Regelung zur Beweiserleichterung, die bei typischen Geschehensabläufen angewendet wird. Er besagt, dass bei bestimmten Unfallarten – wie einem Auffahrunfall – aus der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder ein Verschulden geschlossen werden kann. Die Gegenpartei kann dies nur entkräften, indem sie einen atypischen Verlauf des Geschehens beweist. → Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Anscheinsbeweis war entscheidend dafür, dass das Gericht trotz des pauschalen Bestreitens der Versicherung von einer Alleinschuld des MAN-Fahrers am Auffahrunfall ausgehen konnte.
- Straßenverkehrsgesetz (StVG), § 17 StVG (Haftung bei mehreren Beteiligten): Diese Vorschrift kommt zur Anwendung, wenn ein Schaden durch mehrere Kraftfahrzeuge verursacht wird. Sie regelt, wie die jeweiligen Anteile der Haftung (insbesondere die Betriebsgefahr) unter den beteiligten Fahrzeughaltern aufgeteilt werden. Dabei wird eine Abwägung der Verursachungsbeiträge, des Verschuldens und der jeweiligen Betriebsgefahren vorgenommen, um die Schadensteilung festzulegen. → Bedeutung im vorliegenden Fall: Obwohl hier beide Lkws eine Betriebsgefahr aufwiesen, trat die Betriebsgefahr des vorderen Lkws aufgrund des eindeutigen Verschuldens des Auffahrenden im Rahmen des § 17 StVG vollständig in den Hintergrund.
- Zivilprozessordnung (ZPO), § 91 ZPO (Grundsatz der Kostentragungspflicht): Diese zentrale Vorschrift regelt die Verteilung der Prozesskosten in einem Zivilverfahren. Sie legt den Grundsatz fest, dass die unterliegende Partei die gesamten Kosten des Rechtsstreits tragen muss. Bei teilweisem Obsiegen und teilweisem Unterliegen werden die Kosten entsprechend dem jeweiligen Obsiegens- und Unterliegensanteil gequotelt, um eine gerechte Verteilung zu gewährleisten. → Bedeutung im vorliegenden Fall: Da die Klägerin nur mit einem geringen Teil ihrer Klageforderung erfolgreich war, musste sie aufgrund der Quotelung nach § 91 ZPO einen Großteil der Gerichts- und Anwaltskosten des Verfahrens tragen.
Das vorliegende Urteil
LG Karlsruhe – Az.: 6 O 82/24 – Urteil vom 22.11.2024
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Ich bin seit meiner Zulassung als Rechtsanwalt im Jahr 2003 Teil der Kanzlei der Rechtsanwälte Kotz in Kreuztal bei Siegen. Als Fachanwalt für Verkehrsrecht und Fachanwalt für Versicherungsrecht, sowie als Notar setze ich mich erfolgreich für meine Mandanten ein. Weitere Tätigkeitsschwerpunkte sind Mietrecht, Strafrecht, Verbraucherrecht, Reiserecht, Medizinrecht, Internetrecht, Verwaltungsrecht und Erbrecht. Ferner bin ich Mitglied im Deutschen Anwaltverein und in verschiedenen Arbeitsgemeinschaften. Als Rechtsanwalt bin ich bundesweit in allen Rechtsgebieten tätig und engagiere mich unter anderem als Vertragsanwalt für […] mehr über Dr. Christian Gerd Kotz