Das Landgericht Fulda hat entschieden, dass die im Rahmen der Ersatzbeschaffung angefallene Mehrwertsteuer nicht erstattungsfähig ist, wenn die Abrechnung fiktiv erfolgt. Die Vermengung von fiktiver und konkreter Schadensabrechnung wurde als unzulässig eingestuft, was dazu führte, dass die Schadensersatzforderungen des Klägers zu 1 weitgehend abgewiesen wurden.
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Übersicht:
- ✔ Kurz und knapp
- Mehrwertsteuer bei Verkehrsunfällen: Neue Erkenntnisse aus der Rechtsprechung
- ✔ Der Fall vor dem Landgericht Fulda
- ✔ Die Schlüsselerkenntnisse in diesem Fall
- ✔ FAQ – Häufige Fragen: Erstattung von Mehrwertsteuer bei Verkehrsunfällen
- § Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- ⬇ Das vorliegende Urteil vom Landgericht Fulda
✔ Kurz und knapp
- Der Geschädigte kann bei einer Ersatzbeschaffung den Netto-Wiederbeschaffungswert zuzüglich der tatsächlich angefallenen Mehrwertsteuer maximal bis zur Höhe des Brutto-Wiederbeschaffungswerts verlangen.
- Eine Vermischung von fiktiver und konkreter Schadensabrechnung ist unzulässig.
- Wird der fiktive Netto-Wiederbeschaffungswert aus dem Sachverständigengutachten bei der Schadensberechnung zugrunde gelegt, ist die tatsächlich angefallene Mehrwertsteuer nicht zusätzlich erstattungsfähig.
- Der Geschädigte muss sich bei der gewählten fiktiven Schadensabrechnung festhalten lassen, solange die konkreten Kosten der Ersatzbeschaffung den fiktiv errechneten Betrag nicht übersteigen.
- Einen Wechsel zur konkreten Schadensabrechnung kann der Geschädigte vollziehen, wenn die Kosten inklusive Steuern und Nebenkosten den fiktiven Betrag übersteigen.
- Bei Teilobsiegen hat der Kläger gemäß der Baumbach-Formel die Kosten anteilig zu tragen.
- Die Revision wurde nicht zugelassen, da keine grundsätzliche Bedeutung oder Fortbildung des Rechts erforderlich ist.
Mehrwertsteuer bei Verkehrsunfällen: Neue Erkenntnisse aus der Rechtsprechung
Verkehrsunfälle gehören leider zu den häufigen Ereignissen im Straßenverkehr. Bei solchen Unfallschäden stellt sich regelmäßig die Frage, welche Kosten vom Schädiger oder dessen Versicherung erstattet werden müssen. Neben den offensichtlichen Reparatur- oder Wiederbeschaffungskosten für das Fahrzeug, können auch weitere Posten wie angefallene Mehrwertsteuer erstattungsfähig sein.
Die Rechtslage hierzu ist jedoch nicht immer eindeutig. Je nach Schadensabrechnung – ob konkrete oder fiktive Berechnung – können unterschiedliche Regeln zur Anwendung kommen. Auch die Höhe des Ersatzanspruchs kann stark variieren.
Um den Geschädigten im Falle eines Verkehrsunfalls rechtlich abzusichern, ist daher eine genaue Kenntnis der einschlägigen Rechtsprechung wichtig. Im Folgenden soll ein aktuelles Gerichtsurteil zu diesem Thema näher beleuchtet und die wesentlichen Erkenntnisse herausgearbeitet werden.
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✔ Der Fall vor dem Landgericht Fulda
Details des Verkehrsunfalls und rechtlicher Streitpunkt
Am 27. April 2021 ereignete sich auf der B27 in Burghaun ein Verkehrsunfall, bei dem ein bei der Beklagten versichertes Fahrzeug und ein Pkw, der im Eigentum des Klägers zu 1 stand, involviert waren. Infolge des Unfalls wurde die Klägerin zu 2 verletzt. Die volle Haftung der Beklagten für den Unfall wurde nicht bestritten. Der Streitpunkt in diesem Rechtsfall ergab sich aus den finanziellen Forderungen des Klägers zu 1 für die Beschädigung seines Fahrzeugs und den daraus resultierenden Ersatzansprüchen. Nach einem privaten Sachverständigengutachten entstand am Fahrzeug des Klägers ein Totalschaden mit einem netto Wiederbeschaffungswert von 27.731,- € und einem Restwert von 11.460,- €. Der Kläger erwarb ein Ersatzfahrzeug zu einem Preis von 29.300,- €, was eine Mehrwertsteuer von 4.678,15 € einschloss. Hieraus leitete er seinen Schadenersatzanspruch ab, welcher die tatsächlich angefallene Mehrwertsteuer berücksichtigte.
Die Entscheidung des Landgerichts Fulda
Das Landgericht Fulda hat in seinem Urteil vom 11. August 2023 festgestellt, dass die im Rahmen der Ersatzbeschaffung des Klägers angefallene Mehrwertsteuer nicht erstattungsfähig ist, wenn die Abrechnung fiktiv erfolgt. Dabei wurde das vorherige Urteil des Amtsgerichts Hünfeld, welches dem Kläger zu 1 einen Teil seines Schadensersatzes zugesprochen hatte, revidiert. Die entscheidende Rechtsfrage bezog sich auf die Vermengung von fiktiver und konkreter Schadensabrechnung, welche vom Bundesgerichtshof in früheren Entscheidungen bereits als unzulässig eingestuft wurde. Diese Rechtsprechung wurde durch das Landgericht bestätigt und führte dazu, dass die Schadensersatzforderungen des Klägers zu 1 weitgehend abgewiesen wurden.
Juristische Grundlage und Urteilsbegründung
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Hünfeld wurde stattgegeben, da die Argumentation des Klägers zu 1 eine unzulässige Vermischung von fiktiver und konkreter Schadensabrechnung darstellte. Das Landgericht stützte sich dabei auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs, nach der die angefallene Umsatzsteuer nicht erstattet wird, wenn sie nur fiktiv bleibt, d.h., wenn es zu keiner umsatzsteuerpflichtigen Reparatur oder Ersatzbeschaffung kommt. Die Kammer erläuterte ferner, dass die vom Kläger zu 1 vorgebrachte Rechtsauffassung, welche auf einer konkreten Ersatzbeschaffung basierte, dennoch im Rahmen der fiktiven Schadensabrechnung keine Berücksichtigung finden könne.
Kostenentscheidung und Vollstreckbarkeit
Hinsichtlich der Kostenentscheidung wurde festgelegt, dass der Kläger zu 1 die Kosten des Berufungsverfahrens sowie die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Beklagten der ersten Instanz zu tragen hat. Die Klägerin zu 2 wurde lediglich zur Zahlung eines geringfügigen Betrags verurteilt, was ihre geringe Beteiligung am Gesamtstreitwert widerspiegelt. Das Urteil wurde für vorläufig vollstreckbar erklärt, wobei die Revision nicht zugelassen wurde, da keine grundsätzliche rechtliche Bedeutung der Rechtssache festgestellt wurde.
✔ Die Schlüsselerkenntnisse in diesem Fall
Das Landgericht Fulda hat entschieden, dass bei fiktiver Schadensabrechnung nach einem Verkehrsunfall die tatsächlich angefallene Mehrwertsteuer für ein Ersatzfahrzeug nicht erstattungsfähig ist.
Die Begründung des Gerichts liegt in der geltenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die eine Vermischung von fiktiver und konkreter Schadensabrechnung untersagt.
Das Urteil unterstreicht die Bedeutung einer klaren Trennung zwischen den beiden Abrechnungsmethoden und verdeutlicht, dass die konkrete Entstehung der Umsatzsteuer für die Erstattungsfähigkeit maßgeblich ist.
✔ FAQ – Häufige Fragen: Erstattung von Mehrwertsteuer bei Verkehrsunfällen
Was sind die Voraussetzungen für die Erstattung von Mehrwertsteuer nach einem Verkehrsunfall?
Die Erstattung der Mehrwertsteuer nach einem Verkehrsunfall in Deutschland hängt von der Art der Schadensabrechnung ab, die der Geschädigte wählt. Es gibt zwei Hauptarten der Schadensabrechnung: die fiktive und die konkrete Abrechnung.
Fiktive Abrechnung
Bei der fiktiven Abrechnung wird der Schaden auf Basis eines Kostenvoranschlags oder eines Gutachtens berechnet, ohne dass die Reparatur tatsächlich durchgeführt wird. In diesem Fall kann der Geschädigte die Mehrwertsteuer nicht als Teil des Schadensersatzes geltend machen, da sie nicht tatsächlich angefallen ist. Dies wurde durch den Bundesgerichtshof (BGH) in mehreren Urteilen bestätigt, zuletzt im Urteil vom 05.04.2022 (Aktenzeichen: VI ZR 7/21), in dem klargestellt wurde, dass eine Kombination von fiktiver und konkreter Schadensberechnung unzulässig ist und die Mehrwertsteuer nur dann erstattet wird, wenn sie tatsächlich angefallen ist.
Konkrete Abrechnung
Bei der konkreten Abrechnung wird der Schaden auf Grundlage der tatsächlich entstandenen Reparaturkosten berechnet. Wenn die Reparatur durchgeführt und die Mehrwertsteuer tatsächlich gezahlt wurde, kann der Geschädigte diese als Teil des Schadensersatzes von der Versicherung des Unfallverursachers erstattet bekommen. Dies gilt auch, wenn der Geschädigte nach einer fiktiven Abrechnung zu einer konkreten Abrechnung übergeht und die Reparatur durchführen lässt.
Besonderheiten
- Unternehmer mit Vorsteuerabzugsberechtigung: Wenn der Geschädigte vorsteuerabzugsberechtigt ist, also etwa ein Unternehmen, erhält er grundsätzlich nur die Nettobeträge erstattet, da er die Vorsteuer vom Finanzamt zurückerstattet bekommt.
- Privatpersonen: Diese erhalten die Mehrwertsteuer erstattet, sofern sie tatsächlich angefallen ist, also bei konkreter Schadensabrechnung.
Zusammengefasst hängt die Erstattung der Mehrwertsteuer nach einem Verkehrsunfall in Deutschland wesentlich davon ab, ob die Schadensabrechnung fiktiv oder konkret erfolgt und ob die Mehrwertsteuer tatsächlich angefallen ist.
Kann man gegen die Entscheidung zur Nichterstattung von Mehrwertsteuer Rechtsmittel einlegen?
Gegen Entscheidungen zur Nichterstattung von Mehrwertsteuer nach einem Verkehrsunfall können Rechtsmittel eingelegt werden, um eine Überprüfung der Entscheidung durch ein höheres Gericht zu erreichen. Die Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen, hängt vom jeweiligen nationalen Rechtssystem und den spezifischen Umständen des Falls ab. In Deutschland sind die gängigen Rechtsmittel gegen erstinstanzliche Urteile die Berufung und die Revision.
Berufung
Die Berufung ist ein Rechtsmittel, das darauf abzielt, eine Entscheidung einer niedrigeren Instanz (z.B. Amtsgericht oder Landgericht) durch ein höheres Gericht (Landgericht oder Oberlandesgericht) überprüfen zu lassen. Die Berufung kann sich sowohl auf Rechts- als auch auf Tatsachenfragen beziehen. Das bedeutet, dass das Berufungsgericht sowohl die rechtliche Bewertung als auch die Feststellungen zu den tatsächlichen Umständen des Falls neu überprüfen kann. Die Zulässigkeit der Berufung hängt von bestimmten Voraussetzungen ab, wie etwa dem Beschwerdewert oder einer Zulassung durch das erstinstanzliche Gericht.
Revision
Die Revision ist ein weiteres Rechtsmittel, das gegen Urteile der Berufungsinstanz eingelegt werden kann und dessen Überprüfung durch den Bundesgerichtshof erfolgt. Im Gegensatz zur Berufung beschränkt sich die Revision ausschließlich auf die Überprüfung der rechtlichen Beurteilung des Falls. Tatsächliche Feststellungen des Berufungsgerichts werden grundsätzlich nicht mehr in Frage gestellt. Die Zulassung der Revision ist an bestimmte Voraussetzungen gebunden, wie etwa die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache oder die Notwendigkeit einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.
Verfahren
Um ein Rechtsmittel einzulegen, müssen formale Anforderungen, wie Fristen und Formvorschriften, beachtet werden. Die Einlegung der Berufung erfolgt in der Regel innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils durch Einreichung einer Berufungsschrift beim Berufungsgericht. Für die Revision gelten ähnliche Fristen und Verfahrensweisen.
Es ist zu beachten, dass die Einlegung von Rechtsmitteln in der Regel mit Kosten verbunden ist und nicht in jedem Fall zum Erfolg führt. Daher ist es ratsam, vor der Einlegung eines Rechtsmittels eine fachkundige rechtliche Beratung in Anspruch zu nehmen, um die Erfolgsaussichten und Risiken sorgfältig abzuwägen.
§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB: Diese Vorschrift regelt die Schadensersatzpflicht und ist insbesondere relevant für die Erstattung der Umsatzsteuer, wenn und soweit diese tatsächlich angefallen ist. Dies betrifft die Fälle, in denen eine Reparatur oder eine Ersatzbeschaffung tatsächlich umsatzsteuerpflichtig war. Im vorliegenden Fall ist dies zentral, da der Kläger argumentiert, dass die angefallene Mehrwertsteuer Teil seines Schadenersatzanspruchs sein sollte.
- BGH VI ZR 40/18: Dieser Bundesgerichtshof-Entscheid definiert, dass eine Vermengung von fiktiver und konkreter Schadensabrechnung unzulässig ist. Die Entscheidung betont, dass bei einer fiktiven Schadensabrechnung die angefallene Umsatzsteuer nicht ersatzfähig ist. Dies ist entscheidend für den vorliegenden Fall, da die Art der Schadensberechnung (fiktiv versus konkret) den Kern des Rechtsstreits bildet.
- §§ 511, 513, 517, 519, 520 ZPO: Diese Paragraphen der Zivilprozessordnung regeln das Berufungsverfahren hinsichtlich Form, Fristen und Zulässigkeit. Sie sind relevant, da sie die rechtliche Grundlage für das eingereichte Berufungsverfahren gegen das Urteil des Amtsgerichts bilden.
- § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO und § 100 Abs. 2 ZPO: Diese Vorschriften sind maßgeblich für die Kostenverteilung im Gerichtsverfahren. § 92 behandelt die Kostenverteilung bei teilweisem Obsiegen bzw. Unterliegen, während § 100 die Kostenverteilung bei geringfügiger Beteiligung an einem Rechtsstreit regelt. Im Fall wird die Anwendung dieser Paragraphen zur Entscheidung der Kostenlast der Parteien herangezogen.
- §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO: Diese Vorschriften behandeln die vorläufige Vollstreckbarkeit von Urteilen und die Bedingungen, unter denen Revisionen zugelassen werden. Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision im vorliegenden Fall basiert auf diesen Paragraphen, was für das Verständnis des rechtlichen Weges nach dem Urteil wichtig ist.
⬇ Das vorliegende Urteil vom Landgericht Fulda
LG Fulda – Az.: 1 S 26/23 – Urteil vom 11.08.2023
1. Auf die Berufung der Beklagten und Berufungsklägerin wird das am 16.03.2023 verkündete Urteil des Amtsgerichts Hünfeld (2 C 42/22 (70)) abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin zu 2) einen Betrag von 31,45 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.04.2022 zu zahlen.
Im Übrigen werden die Klagen abgewiesen.
Für die Kosten der 1. Instanz gilt Folgendes: Die Gerichtskosten sowie die außergerichtlichen Kosten der Beklagten hat der Kläger zu 1. zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 2. hat die Beklagte zu 1. in Höhe von 78% zu tragen. Im Übrigen tragen die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu 1. zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Kläger begehren restlichen Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall.
Am 27.04.2021 kam es auf der B27 in Burghaun zu einem Verkehrsunfall zwischen dem im Eigentum des Klägers zu 1. stehenden Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen ……. und einem nicht näher bezeichneten zur Unfallzeit bei der Beklagten versicherten Kraftfahrzeug. Die Klägerin zu 2. wurde bei dem Unfall verletzt. Die volle Haftung der Beklagten steht außer Streit.
Die Klägerin zu 2. begehrte Zahlung weiterer Heilbehandlungskosten in Höhe von 40,12 €, der Kläger zu 1. macht weitere Ansprüche wegen Beschädigung des Fahrzeugs geltend. Der Kläger zu 1. hat ein privates Sachverständigengutachten eingeholt, das einen Totalschaden attestiert. Der Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs wird mit 27.731,- € netto beziffert, der Restwert mit 11.460,- €. Er hat nach dem Unfall ein Ersatzfahrzeug zu einem Preis von 29.300,- € angeschafft, wobei der Betrag Mehrwertsteuer in Höhe von 4.678,15 € beinhaltet.
Der Kläger berechnet seinen Schaden wie folgt:
Wiederbeschaffungswert netto: 27.731,- €
Abzgl. Restwert: 11.460,- €
Zzgl. angefallener Umsatzsteuer: 4.678,15 €
Summe: 20.949,15 €
Die Beklagte hat auf jenen Schaden einen Betrag in Höhe von 17.835,- € gezahlt. Der Kläger macht von der sich rechnerisch ergebenden Differenz von 3.114,15 € lediglich einen Betrag von 3.109,15 € geltend. Er ist der Auffassung, dass dann, wenn die Kosten der tatsächlich vorgenommenen Ersatzvornahme zwischen dem vom Sachverständigen ermittelten Netto- und Bruttowiederbeschaffungswert liegen, ein Anspruch auf Ersatz der tatsächlich angefallenen Mehrwertsteuer zzgl. zum Wiederbeschaffungsaufwand netto bestünde.
Die Beklagte ist der Auffassung, der Kläger zu 1. vermische in unzulässiger Weise fiktive und konkrete Schadensberechnung.
Das Amtsgericht hat der Klage des Klägers zu 1. in Höhe von 3.109,15 € nebst Zinsen und der Klage der Klägerin zu 2. in Höhe eines Betrages von 31,45 € nebst Zinsen stattgegeben und „die Klage“ im Übrigen abgewiesen. Soweit für die Berufung von Interesse hat es das Urteil wie folgt begründet: Es entspreche allgemeiner Auffassung, dass dann, wenn der Geschädigte ein Ersatzfahrzeug zu einem geringeren Preis als dem Wiederbeschaffungswert erwerbe, er den Netto-Wiederbeschaffungswert zuzüglich des konkret angefallenen Umsatzsteueranteils bis zur Grenze des Brutto-Wiederbeschaffungswerts verlangen könne. So lägen die Dinge hier.
Das Urteil ist dem vormaligen Beklagtenvertreter unter dem 20.03.2023 zugestellt worden. Mit am 30.03.2023 beim Landgericht eingegangenem anwaltlichem Schriftsatz hat die Beklagte Berufung eingelegt und diese mit am 02.06.2023 eingegangenem anwaltlichen Schriftsatz begründet, nachdem die Berufungsbegründungfrist auf am 19.05.2023 eingegangenen Antrag bis 16.06.2023 verlängert worden ist.
Die Berufung wendet sich gegen das Urteil, soweit es Ansprüche des Klägers zu 1. betrifft, die Verurteilung zu Gunsten der Klägerin zu 2. wird nicht angegriffen. Die Beklagte vertritt unter Bezugnahme auf BGH VI ZR 40/18 weiterhin die Auffassung, es liege eine unzulässige Vermischung von konkreter und fiktiver Abrechnung vor.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Amtsgerichts Hünfeld vom 16.03.2023 – 2 C 42/22 – wie folgt abzuändern:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 2) einen Betrag von 31,45 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 07.04.2022 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Kläger zu 1. beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er vertritt die Auffassung, es liege keine Vermischung von konkreter und fiktiver Abrechnung vor, da der Kläger eine konkrete Ersatzbeschaffung getätigt habe. Der Kläger könne insofern den Netto-Wiederbeschaffungsaufwand zuzüglich tatsächlicher Umsatzsteuer bis zum Brutto-Wiederbeschaffungsaufwand beanspruchen (OLG Schleswig, Urteil vom 09.01.2013, 7 U 109/12).
Die Kammer hat im Einvernehmen mit den Parteien das schriftliche Verfahren mit Schriftsatzfrist bis 28.07.2023 angeordnet.
II.
Die Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit zulässig (§§ 511 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 513, 517, 519 und 520 ZPO).
Sie hat auch in der Sache Erfolg.
Die streitentscheidende Frage hat der Bundesgerichtshof zuletzt in seiner Entscheidung vom 02.10.2018 (NJW-RR 2019, 144) eindeutig und zweifelsfrei im Sinne der Beklagten dahin geklärt, dass eine Vermengung von fiktiver und konkreter Abrechnung nicht zulässig ist, wobei aus jener Entscheidung klar hervorgeht, dass gerade der vorliegende Fall ein Anwendungsfall der „Vermischung“ beider Methoden ist. Der amtliche Leitsatz jener Entscheidung lautet:
„Wählt der Geschädigte den Weg der fiktiven Schadensabrechnung, ist die im Rahmen einer Ersatzbeschaffung angefallene Umsatzsteuer nicht ersatzfähig, auch nicht in Höhe des im Schadensgutachten zugrunde gelegten Umsatzsteueranteils. Eine Kombination von fiktiver und konkreter Schadensabrechnung ist insoweit unzulässig.“
Die in den vom Amtsgericht zitierten Quellen als auch in der vom Kläger herangezogenen Entscheidung des OLG Schleswig vertretene Rechtsauffassung entspricht nicht der in den später ergangenen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs ergangenen Auffassung. Soweit der Kläger auch nach Hinweis auf jene Entscheidung und in Reaktion auf die Empfehlung einer kostenschonenden Klagerücknahme die Ansicht geäußert hat, die Entscheidung sei nicht anwendbar, da im entschiedenen Fall der Bruttowiederbeschaffungswert des Unfallfahrzeugs geltend gemacht worden sei, während hier der Netto-Wiederbeschaffungswert zuzüglich tatsächlich angefallener Umsatzsteuer im Streit stehe, worin keine Vermischung von fiktiver und konkreter Abrechnung liege, so ist der Ausgangspunkt der Argumentation zwar richtig, der hieraus gezogene Schluss liegt jedoch neben der Sache.
Insoweit ist auf die Ausführungen unter Rn.6 f. der vorgenannten Entscheidung zu verweisen. Dort heißt es (Hervorhebungen im Fettdruck durch die Kammer):
„6Der bei Beschädigung einer Sache zur Wiederherstellung erforderliche Geldbetrag schließt die Umsatzsteuer nach § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB nur mit ein, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist. Die Umsatzsteuer soll hingegen nicht ersetzt werden, wenn und soweit sie nur fiktiv bleibt, weil es zu einer umsatzsteuerpflichtigen Reparatur oder Ersatzbeschaffung nicht kommt. Verzichtet der Geschädigte auf eine Reparatur oder Ersatzbeschaffung und verlangt stattdessen den hierfür erforderlichen (gutachterlich ermittelten) Geldbetrag, erhält er nicht den vollen, sondern den um die Umsatzsteuer reduzierten Geldbetrag.
7Dies gilt auch für den Fall, dass der Geschädigte – wie hier der Kl. – zwar tatsächlich eine umsatzsteuerpflichtige Ersatzbeschaffung vornimmt, die dabei anfallende Umsatzsteuer also zur Wiederherstellung des früheren Zustands einsetzt, für die Schadensabrechnung aber die für ihn günstigere Möglichkeit einer fiktiven Abrechnung der Kosten der Ersatzbeschaffung auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens wählt. Der Senat hat bereits entschieden, dass auch in diesem Fall von dem im Gutachten ausgewiesenen Brutto-Wiederbeschaffungswert die Umsatzsteuer in Abzug zu bringen ist, wobei sich diese nach dem fiktiven Ersatzbeschaffungsgeschäft bemisst. Denn der Geschädigte muss sich an der gewählten fiktiven Schadensabrechnung jedenfalls dann festhalten lassen, wenn die konkreten Kosten einer tatsächlich erfolgten Ersatzbeschaffung unter Einbeziehung der Nebenkosten den ihm aufgrund der fiktiven Schadensberechnung zustehenden Betrag nicht übersteigen; eine Kombination von fiktiver und konkreter Schadensabrechnung ist insoweit unzulässig.“
Sodann streicht der Bundesgerichtshof heraus, dass gerade dann, wenn der Fall nicht
wie dort zu entscheiden, sondern wie hier liegt, offensichtlich eine Vermengung von fiktiver und konkreter Schadensabrechnung vorliegt:
„Eine solche liegt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht nur dann vor, wenn im Rahmen der fiktiven Schadensabrechnung zu dem im Gutachten ausgewiesenen Netto-Wiederbeschaffungswert die bei dem konkreten Ersatzkauf tatsächlich angefallene Umsatzsteuer addiert wird, sondern auch dann, wenn bei der fiktiven Abrechnung unter Verweis auf einen tatsächlich getätigten Ersatzkauf der im Gutachten ausgewiesene Brutto-Wiederbeschaffungswert zugrunde gelegt wird.“
Mit anderen Worten: das Vorgehen des Klägers entspricht der klassischen Vermengung von fiktiver und konkreter Abrechnung.
Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gilt unzweifelhaft auch dann, wenn der Geschädigte eine Wiederbeschaffung mit einem unterhalb des Gutachtens liegenden Wiederbeschaffungswert tätigt. Der zitierten Entscheidung lag nämlich ein solcher Fall zugrunde. Dies erachtet der Bundesgerichtshof auch nicht als unbillig, gesteht er dem Geschädigten doch zu, von der fiktiven auf die konkrete Abrechnung zu wechseln, wenn und soweit die Kosten der konkreten Schadensbeseitigung einschließlich Steuer und Nebenkosten letztendlich die auf Basis der fiktiven Abrechnung zustehenden Ansprüche übersteigt (aaO, Rn.9).
Einen solchen Wechsel der Abrechnungsmethode, welcher vorliegend ohnehin nur zu einer ganz geringfügigen Erhöhung des Anspruchs geführt hätte, hat der Kläger indes trotz Hinweises der Kammer nicht vollzogen, sondern er hat auf seine rechtsirrige Auffassung beharrt.
Die Kostenentscheidung der 1. Instanz ergibt sich bei Anwendung der Baumbachschen-Formel. Das Teilunterliegen der Beklagten gegenüber der Klägerin zu 2. stellt sich im Verhältnis zum Kläger zu 1. bei Bildung eines fiktiven Streitwerts als geringfügig dar, weshalb der Kläger zu 1. die Gerichtskosten sowie die außergerichtlichen Kosten der Beklagten gemäß § 92 Abs.2 Nr.1 ZPO voll zu tragen hat. Da die Klägerin zu 2. nur in äußerst geringem Umfang am Rechtsstreit beteiligt war und in noch viel geringerem Umfang unterlegen ist, trifft sie keine Kostenhaftung für die Gerichtskosten (§ 100 Abs.2 ZPO) sowie die außergerichtlichen Kosten der Beklagten. Demgegenüber sind die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 2. von der Beklagten im Verhältnis Obsiegen/Unterliegen zu tragen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, auch erfordern weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Zulassung der Revision.