OLG Frankfurt – Az.: 22 W 4/20 – Beschluss vom 05.02.2020
Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen die Kostenentscheidung im Teilanerkenntnis- und Endurteil des Landgerichts Darmstadt vom 31.10.2019 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Beklagten auferlegt.
Gründe
I.
Die Klägerin erlitt am XX.XX.2017 einen Unfall, für den die Beklagte gemäß § 115 VVG in vollem Umfang einstandspflichtig ist. Ihr Fahrzeug war am XX.XX.2014 erstmals zugelassen worden. Unter dem 23.12.2017 erstellte der Sachverständige A ein Gutachten, in dem er zu Reparaturkosten von 20.827,89 € kam, wobei er die Preise entsprechend den Herstellerempfehlungen zugrunde legte.
Die Beklagte teilte unter dem 8.1.2018 mit, dass sie den Schaden im Rahmen der Eintrittspflicht regulieren werde. Unter dem 2.2.2018 rechnete sie den Schaden auf der Basis des Wiederbeschaffungsaufwands ab und zahlte einen Betrag von 8.247,10 €. Die Klägerin ließ das Fahrzeug reparieren und legt eine Reparaturbestätigung vom 21.2.2018 des Sachverständigen vor. Eine Reparaturrechnung wurde nicht vorgelegt.
Auf ein Aufforderungsschreiben der Klägervertreter vom 1.3.2018 zahlte die Beklagte unter dem 5.3.2018 einen weiteren Betrag für Reparaturkosten ohne Mehrwertsteuer sowie Wertminderung und Nutzungsausfall in Höhe von 5.253,32 € und nahm auf ein Prüfungsgutachten vom 29.12.2017 Bezug, wobei der Arbeitslohn bei fiktiver Abrechnung abweichend kalkuliert wurde.
Die Klägerin hat unter dem 5.6.2018 Klage erhoben, nachdem die letzte Frist zum 15.3.2018 abgelaufen war. In der Klageschrift hat sie erstmals Unterlagen über die Scheckheftpflege des Fahrzeugs vorgelegt.
Unter dem 7.6.2018 hat die Beklagte, nachdem durch das Amtsgericht Stadt1 das schriftliche Vorverfahren angeordnet worden war, angezeigt, dass sie sich gegen die Klage verteidigen werde. Unter dem 11.6.2018 haben die Beklagtenvertreter ihre Vertretungsanzeige vorgelegt und mitgeteilt, dass Antragstellung und Klageerwiderung einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten bleiben. Nach Verweisung des Rechtsstreits und Fristverlängerung hat die Beklagte unter dem 7.8.2018 die Klageforderung i.H.v. 5.155,54 € unter Verwahrung gegen die Kostenlast anerkannt und im Übrigen Klageabweisung beantragt.
Nach Einholung eines Gutachtens hat das Landgericht Darmstadt ein Teilanerkenntnis- und Endurteil erlassen und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 5.901,34 € nebst Zinsen zu zahlen. Die Kosten des Rechtsstreits hat es der Klägerin zu 5 % und der Beklagten zu 95 % auferlegt. Zur Begründung der Kostenentscheidung hat das Landgericht ausgeführt, dass die Beklagte Anlass zur Klage gegeben habe, weil sie der Klägerin nicht mitgeteilt hatte, welche Unterlagen ihr noch zur Erstattung der höheren Reparaturkosten fehlten. Der Haftpflichtversicherer gebe Anlass zur Klage, wenn er dem Geschädigten nicht mitteile, welche Unterlagen für eine weitere Zahlung noch vorgelegt werden müssten.
Gegen das am 6.11.2019 der Beklagten zugestellte Urteil hat diese unter dem 18.11.2019 sofortige Beschwerde gemäß § 99 Abs. 2 ZPO eingelegt. Darin verweist sie darauf, dass erstmalig im Rahmen des Klageverfahrens das Scheckheft für das klägerische Fahrzeug vorgelegt worden sei. Sie habe zuvor keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben. Es liege auch nicht der Fall vor, dass die Beklagte eine weitere Zahlung von der Einreichung von Schadenbelegen abhängig gemacht habe.
Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte, nach § 99 Abs. 2 ZPO statthafte sofortige Beschwerde der Beklagten ist unbegründet.
Die Voraussetzungen des § 93 ZPO liegen nicht vor. Nach dieser Bestimmung fallen dem Kläger die Prozesskosten zur Last, wenn der Beklagte den Anspruch sofort anerkennt und nicht durch sein Verhalten zur Erhebung der Klage Veranlassung gegeben hat. Auch wenn § 93 ZPO als Ausnahmevorschrift eng auszulegen ist, so dient sie doch dazu, vorschnelle Klagen und unnötige Prozesse zu vermeiden.
Die Beklagte hat den Anspruch zwar sofort im Sinne des § 93 ZPO anerkannt.
Unabhängig von der Verfahrenswahl (schriftliches Vorverfahren oder früher erster Termin) müssen zunächst einmal erst alle Gründe entfallen sein, die es einem Beklagten vorprozessual erlaubten, die Erfüllung zu verweigern; solange sie fortbestehen, bleibt ein sofortiges Anerkenntnis, wenn diese Gründe dann entfallen, immer noch möglich (BGH NJW-RR 2005, 1005).
Ein sofortiges Anerkenntnis liegt nach Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens regelmäßig nur vor, wenn der Beklagte dieses innerhalb der Klageerwiderungsfrist erklärt und er in seiner Verteidigungsanzeige weder einen klageabweisenden Antrag angekündigt hat noch dem Klageanspruch auf sonstige Weise entgegengetreten ist (BGH 21. März 2019 – IX ZB 54/18 -, juris).
Das war vorliegend der Fall.
Die Beklagte hat allerdings durch ihr vorgerichtliches Verhalten Veranlassung zur Klageerhebung gegeben.
Veranlassung zur Erhebung einer Klage hat ein Beklagter gegeben, wenn sein Verhalten vor Prozessbeginn gegenüber dem Kläger so war, dass dieser annehmen musste, er werde ohne Klage nicht zu seinem Recht kommen (vgl. Zöller/Herget, ZPO, 29. Aufl., § 93 Rn. 3 mwN.). Auf einen Schuldnerverzug kommt es nicht an. Der nicht leistende Schuldner gibt deshalb in der Regel schon dann Anlass zur Klage, wenn der Anspruch fällig ist und er zur Leistung aufgefordert worden ist. Kann der Geschädigte wegen Beschädigung einer Sache Wiederherstellung (§ 249 Abs. 1 BGB) oder den zur Herstellung erforderlichen Geldbetrag (§ 249 Abs. 2 S. 1 BGB) verlangen, so tritt die Fälligkeit in der Regel sofort im Zeitpunkt der Rechtsgutsverletzung ein (vgl. BGHZ 178, 338 ff).
Hält ein in Anspruch genommener Schädiger oder Haftpflichtversicherer vorprozessual die gegnerische Forderung für teilweise oder insgesamt nicht nachvollziehbar, so hat er mitzuteilen, welche Angaben oder Unterlagen er benötigt; wenn sie ihm vorenthalten werden, fehlt es an einem Klageanlass i. S. d. § 93 ZPO.
Dies entspricht auch dem Rechtsgedanken des § 119 Abs. 3 VVG. Danach kann der Versicherer von dem Dritten zur Feststellung des Schadensereignisses und der Höhe des Schadens Auskünfte verlangen und die Vorlage von Belegen fordern, soweit dies dem Dritten billigerweise zugemutet werden kann. Ein Anlass zur Klage besteht somit regelmäßig dann nicht, wenn der bei einem Kfz-Unfall Geschädigte es entgegen § 119 Abs. 3 VVG unterlässt, berechtigt angeforderte Auskünfte zu erteilen und Belege zur Verfügung zu stellen (vgl. dazu bereits OLG Karlsruhe VersR 1965, 722; OLG Köln VersR 1974, 268; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 23. Dezember 2011 – 1 W 61/11 -, Rn. 4 – 12, juris; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 30. Mai 2016 – 7 W 15/16 -, juris).
Vorliegend streiten die Parteien darum, ob die Klägerin auf der Basis des Gutachtens abrechnen durfte, obwohl dieses Preisangaben einer Vertragswerkstatt zugrunde gelegt hatte und die Klägerin im Zeitpunkt der Geltendmachung ihr Fahrzeug nicht in einer solchen Vertragswerkstatt hatte reparieren lassen. Die Klägerin hatte auch eine Reparaturrechnung nicht vorgelegt. Mithin kam die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Frage der fiktiven Schadensabrechnung zum Zuge, wonach der Geschädigte grundsätzlich auf die Kosten einer mühelos erreichbaren und vergleichbaren freien Werkstatt verwiesen werden kann, wenn er fiktiv abrechnet und sein Fahrzeug nicht älter als 3 Jahre ist oder bisher regelmäßig scheckheftgepflegt wurde (BGH, VW-Urteil, 20.10.2009 VI ZR 53/09; vgl. auch BGH 22.6.10 – VI ZR 337/09 -; BGH 13.7.10 – VI ZR 259/09 -; BGH 14.5.13 – VI ZR 320/12 -; BGH 15.7.14 – VI ZR 313/13 -).
Die Beklagte nahm eine Abrechnung auf fiktiver Basis vor, in dem sie eine abweichende Kalkulation der Arbeitswerte auf der Basis von für die Klägerin erreichbaren freien Werkstätten vornahm. Dies war deshalb grundsätzlich zulässig, weil das Fahrzeug der Klägerin 2 Tage älter als 3 Jahre war und die Klägerin eine Scheckheftpflege nicht nachgewiesen hatte. Allerdings hatte die Beklagte auf diese Umstände nicht hingewiesen, sondern lediglich eine andere Schadenskalkulation vorgelegt, ohne dass sich aus ihrem Abrechnungsschreiben ergeben hätte, dass dies deshalb der Fall war, weil das Fahrzeug älter als 3 Jahre war und das Scheckheft nicht vorgelegt worden war.
Der Beklagten ist zwar grundsätzlich Recht zu geben, dass es vorliegend nicht um Unterlagen hinsichtlich der Schadenshöhe im Einzelnen ging und die Beklagte auch grundsätzlich nicht verpflichtet war, der Klägerin Rechtsrat zu erteilen.
Dennoch ist der Senat mit dem Landgericht der Auffassung, dass die Beklagte dadurch Veranlassung zur Klage gegeben hat, weil sie die Klägerin nicht auf diese Umstände hingewiesen hat. Die Frage der Verweisung auf freie Werkstätten ist im weiteren Sinn auch eine Frage der Schadenshöhe. Für die Klägerin musste nicht ohne weiteres erkennbar sein, dass die Beklagte auf diese Rechtsprechung abstellte. Insbesondere lag dies auch nicht so nah, da das Fahrzeug im Unfallzeitpunkt tatsächlich erst lediglich 3 Jahre und 2 Tage alt gewesen war. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Hinblick auf die Dreijahresfrist lässt sicherlich den Schluss zu, dass ganz geringfügige Überschreitungen möglich sind, wie dies auch bei der 130 %-Grenze der Fall ist (OLG Düsseldorf 15.10.07 – 1 U 45/07 -; BGH NJW 05, 1108: 133,5%). Deshalb musste die Klägerin aus dem Verhalten der Beklagten nicht zwingend entnehmen, dass diese auf der Basis der fiktiven Schadensabrechnung regulieren wollte und davon ausging, dass die 3-Jahres-Frist eine starre Grenze darstellen würde.
Dem steht nicht entgegen, dass sich der Schädiger – im Interesse einer klaren Abgrenzung – außergerichtlich auf den konkreten Jahresablauf berufen darf. Vorliegend ist lediglich maßgeblich, ob dies für den Geschädigten erkennbar war. Es wäre der Beklagten deshalb zuzumuten gewesen, die Klägerin darauf hinzuweisen, nachdem sie durch den Schriftsatz der Klägervertreter vom 6.3.2018 erkennen konnte, dass diese fälschlicherweise davon ausgingen, ohne weitere Angaben zur Geltendmachung des gesamten Schadensbetrags berechtigt zu sein.
Hätte die Beklagte zu diesem Zeitpunkt darauf hingewiesen, dass die Höhe des Schadensersatzes von der Vorlage des Scheckhefts abhängig sei, wäre dies, wie später im Verfahren geschehen, vorgelegt worden. Durch dieses Unterlassen hat die Beklagte mithin Anlass zur Klage gegeben. Dass die Klägervertreter dies vielleicht auch ohne Hinweis hätten erkennen können, hat damit nichts zu tun. Maßgeblich ist allein, dass die Klägerin erkennen konnte, warum die Beklagte nicht den vollen, im Ergebnis weitgehend berechtigten, Betrag zahlen wollte.
Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.