Übersicht:
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- OLG Dresden: Haftungsteilung 50:50 nach Unfall zwischen Fußgängerin und Auto – Schmerzensgeld und Mitverschulden neu bewertet
- Der Unfallhergang: Kollision einer gehbehinderten Fußgängerin mit PKW bei Dunkelheit
- Der Rechtsstreit: Schmerzensgeld und die Bindungswirkung eines früheren Urteils
- Die Entscheidung des OLG Dresden: Haftungsteilung 50:50 und Zurückverweisung
- Keine Bindungswirkung des Amtsgerichtsurteils im Schmerzensgeldprozess gegen die Versicherung
- Das Mitverschulden der Fußgängerin: Verstoß gegen § 25 StVO beim Überqueren der Fahrbahn
- Die Haftung der Versicherung: Betriebsgefahr und Verstoß des Fahrers gegen das Sichtfahrgebot
- Die Abwägung der Verursachungsbeiträge: Warum eine 50:50 Haftungsquote?
- Zurückverweisung zur Entscheidung über die Schmerzensgeldhöhe
- Keine Zulassung der Revision
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Was bedeutet Mitverschulden bei einem Verkehrsunfall und wie beeinflusst es die Ansprüche des Geschädigten?
- Welche Sorgfaltspflichten haben Fußgänger beim Überqueren einer Fahrbahn, insbesondere bei Dunkelheit oder eingeschränkter Sicht?
- Wie wird die Haftungsquote bei einem Verkehrsunfall ermittelt, wenn sowohl Fußgänger als auch Autofahrer eine Mitschuld tragen?
- Was bedeutet es, wenn ein Gericht die Sache an eine Vorinstanz zurückverweist und welche Auswirkungen hat das auf den weiteren Verlauf des Verfahrens?
- Inwiefern können Vorurteile oder Annahmen über ältere Menschen oder Menschen mit Behinderungen die Beurteilung eines Mitverschuldens beeinflussen?
- Glossar
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Urteil Az.: 14 U 1267/21 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Zum vorliegendenDas Wichtigste in Kürze
- Gericht: OLG Dresden
- Datum: 08.03.2022
- Aktenzeichen: 14 U 1267/21
- Verfahrensart: Berufungsverfahren
- Rechtsbereiche: Verkehrsrecht, Haftungsrecht, Versicherungsrecht
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Fußgängerin, die nach einem Verkehrsunfall Schmerzensgeld von der Versicherung des beteiligten Fahrzeugs fordert. Sie war 81 Jahre alt und gehbehindert und meinte, ein früheres Urteil verpflichte die Versicherung zu 80 % Haftung.
- Beklagte: Haftpflichtversicherung des am Unfall beteiligten Fahrzeugs. Sie wollte die Berufung der Klägerin zurückweisen lassen.
Worum ging es in dem Fall?
- Sachverhalt: Eine 81-jährige, gehbehinderte Fußgängerin wurde beim Überqueren einer Straße von einem Pkw erfasst, der bei der Beklagten versichert war. Sie erlitt schwere Verletzungen.
- Kern des Rechtsstreits: Es ging um die Haftung der Versicherung der Höhe nach und darum, ob ein früheres Urteil aus einem anderen Verfahren für diesen Fall bindend (präjudiziell) ist. Zu klären waren insbesondere die jeweiligen Verursachungsbeiträge und Verschuldensgrade von Fußgängerin und Kraftfahrer.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Die Klage wurde dem Grunde nach als gerechtfertigt erklärt, jedoch unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens der Klägerin von 50 %. Die Berufung auf eine höhere Haftungsquote wurde zurückgewiesen. Die Sache wurde an das Landgericht zurückverwiesen, um über die genaue Höhe des Schmerzensgeldes und die Kosten zu entscheiden.
- Begründung: Das Gericht entschied, dass das frühere Urteil nicht bindend ist. Es stellte fest, dass sowohl die Klägerin (grob fahrlässig durch Nichtbeachtung des Verkehrs) als auch der Fahrer (Verstoß gegen Sichtfahrgebot) zum Unfall beitrugen. Daher wurde eine Haftungsquote von 50:50 festgelegt.
- Folgen: Das Verfahren zur Festsetzung der konkreten Schmerzensgeldhöhe muss nun vor dem Landgericht fortgesetzt werden, wobei die vom OLG festgestellte 50:50 Haftungsquote zugrunde zu legen ist.
Der Fall vor Gericht
OLG Dresden: Haftungsteilung 50:50 nach Unfall zwischen Fußgängerin und Auto – Schmerzensgeld und Mitverschulden neu bewertet

Ein schwerer Verkehrsunfall, bei dem eine ältere Fußgängerin erhebliche Verletzungen erlitt, führte zu einem Rechtsstreit über die Haftung und die Höhe des Schmerzensgeldes. Das Oberlandesgericht (OLG) Dresden musste klären, inwieweit die Haftpflichtversicherung des beteiligten Fahrzeugs für den Schaden aufkommen muss und wie das Verschulden zwischen der Fußgängerin und dem Autofahrer aufzuteilen ist. Eine zentrale Frage war zudem, ob ein früheres Urteil eines Amtsgerichts eine bindende Wirkung für dieses Verfahren entfaltet.
Der Unfallhergang: Kollision einer gehbehinderten Fußgängerin mit PKW bei Dunkelheit
Der Unfall ereignete sich an einem Abend im Jahr 2015 nach Einbruch der Dunkelheit auf einer Straße in O1. Eine zum Unfallzeitpunkt 81-jährige Frau, die auf Gehhilfen angewiesen war, wollte die Fahrbahn überqueren. Nach den gerichtlichen Feststellungen hatte sie die Mitte der Straße bereits überquert, als sie von einem Pkw erfasst wurde, der sich aus ihrer Sicht von rechts näherte. Der Zusammenstoß erfolgte mit der vorderen linken Seite des Fahrzeugs. Durch die Kollision zog sich die Fußgängerin schwere Verletzungen zu. Das beteiligte Auto war bei der später verklagten Versicherung haftpflichtversichert.
Der Rechtsstreit: Schmerzensgeld und die Bindungswirkung eines früheren Urteils
Die verletzte Fußgängerin verklagte die Haftpflichtversicherung des Unfallfahrzeugs auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes. Sie argumentierte dabei unter anderem mit einem Urteil des Amtsgerichts Meißen, das in einem früheren Prozess ergangen war. In diesem Vorprozess hatte die Eigentümerin des Unfallfahrzeugs die Fußgängerin auf Ersatz ihres Fahrzeugschadens verklagt. Das Amtsgericht hatte damals entschieden, dass die Fahrzeughalterin zu 80 % für den Unfall verantwortlich sei. Die Fußgängerin war nun der Auffassung, dieses Urteil sei präjudiziell, also bindend, für das aktuelle Verfahren gegen die Versicherung und begründe somit eine Haftung der Versicherung zu 80 %.
Das Landgericht Dresden, als erste Instanz in diesem Schmerzensgeldprozess, sah die Sache anders. Es sprach der Fußgängerin zwar grundsätzlich einen Anspruch zu, ging aber von einer Haftungsquote der Versicherung von nur einem Drittel (ca. 33 %) aus und wies somit ein erhebliches Mitverschulden der Fußgängerin aus. Gegen dieses Urteil legte die Fußgängerin Berufung beim OLG Dresden ein. Sie verfolgte weiterhin das Ziel, eine höhere Haftungsquote – hilfsweise die 80 % aus dem Amtsgerichtsurteil – feststellen zu lassen oder direkt ein höheres Schmerzensgeld zugesprochen zu bekommen. Die beklagte Haftpflichtversicherung beantragte hingegen, die Berufung zurückzuweisen und es bei der Entscheidung des Landgerichts zu belassen oder die Klage ganz abzuweisen.
Die Entscheidung des OLG Dresden: Haftungsteilung 50:50 und Zurückverweisung
Das Oberlandesgericht Dresden änderte das Urteil des Landgerichts teilweise ab. Es erklärte die Klage der Fußgängerin dem Grunde nach für gerechtfertigt, legte aber eine Haftungsquote von 50:50 fest. Das bedeutet, dass das Gericht sowohl der Fußgängerin als auch dem Fahrer des versicherten Fahrzeugs jeweils die Hälfte der Verantwortung für den Unfall zuschrieb. Ein Mitverschulden der Fußgängerin von 50 % wurde somit festgestellt. Soweit die Fußgängerin eine noch höhere Haftung der Versicherung (über 50 %) erreichen wollte, wurde ihre Berufung zurückgewiesen.
Da das OLG nur über den Grund des Anspruchs und die Haftungsquote entschieden hat, wurde die Sache zur Entscheidung über die konkrete Höhe des Schmerzensgeldes an das Landgericht Dresden zurückverwiesen. Das Landgericht muss nun, basierend auf der vom OLG festgelegten 50:50-Quote, die genaue Summe des Schmerzensgeldes ermitteln. Eine Revision zum Bundesgerichtshof wurde nicht zugelassen.
Keine Bindungswirkung des Amtsgerichtsurteils im Schmerzensgeldprozess gegen die Versicherung
Ein wesentlicher Punkt der OLG-Begründung betrifft die Frage, ob das frühere Urteil des Amtsgerichts Meißen bindend war. Das Gericht verneinte dies klar: Das Urteil des Amtsgerichts Meißen hat keine präjudizielle Wirkung für den Prozess zwischen der Fußgängerin und der Haftpflichtversicherung.
Die Begründung dafür liegt im Grundsatz der subjektiven Rechtskraftwirkung (§ 325 Abs. 1 ZPO). Ein Urteil bindet grundsätzlich nur die Parteien, die am jeweiligen Prozess beteiligt waren. Im Verfahren vor dem Amtsgericht waren dies die Fahrzeughalterin und die Fußgängerin. Die Haftpflichtversicherung war dort keine Partei. Zwar gibt es gesetzliche Regelungen (§ 124 Abs. 1 VVG a.F. / § 3 Nr. 8 PflVG), die unter bestimmten Umständen Urteile aus einem Prozess zwischen Geschädigtem und Schädiger auch auf den Versicherer erstrecken können – dies gilt aber gerade nicht zugunsten des Geschädigten bei einem für ihn günstigen Urteil gegen den Schädiger oder Halter. Da die Versicherung im ersten Prozess nicht beteiligt war, kann sich die Fußgängerin ihr gegenüber nicht auf dieses Urteil berufen.
Zudem fehlt es auch an einer objektiven Rechtskraftwirkung bezüglich der Haftungsquote (§ 322 Abs. 1 ZPO). Die Rechtskraft eines Urteils erfasst nur den entschiedenen Anspruch (Streitgegenstand). Im Amtsgerichtsprozess ging es um den materiellen Schadenersatzanspruch der Fahrzeughalterin gegen die Fußgängerin. Die Frage der Haftungsverteilung war dort lediglich eine Vorfrage zur Entscheidung über diesen Zahlungsanspruch. Die Fußgängerin hatte damals keine eigene Klage (Widerklage) erhoben, um ihre eigenen Ansprüche oder die Haftungsquote rechtskräftig feststellen zu lassen. Darüber hinaus handelt es sich bei materiellem Schadensersatz (wie im AG-Verfahren) und Schmerzensgeld (wie im OLG-Verfahren) nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs um unterschiedliche Streitgegenstände. Aus all diesen Gründen konnte das Amtsgerichtsurteil keine bindende Wirkung für das OLG-Verfahren entfalten.
Das Mitverschulden der Fußgängerin: Verstoß gegen § 25 StVO beim Überqueren der Fahrbahn
Das OLG Dresden begründete das erhebliche Mitverschulden der Fußgängerin mit einem Verstoß gegen § 25 Abs. 3 der Straßenverkehrsordnung (StVO). Diese Vorschrift verlangt von Fußgängern, die Fahrbahn nur unter sorgfältiger Beachtung des Fahrzeugverkehrs zu überqueren. Sie müssen den Verkehr vor dem Betreten und während des Überquerens genau beobachten und dem Fahrzeugverkehr Vorrang gewähren.
Das Gericht stellte fest, dass die 81-jährige, gehbehinderte Klägerin dieser Pflicht nicht ausreichend nachgekommen ist. Sie betrat die Fahrbahn und überquerte sie, obwohl sich das spätere Unfallfahrzeug auf der für sie einsehbaren, beleuchteten Straße näherte. Aufgrund ihrer eingeschränkten Gehgeschwindigkeit hätte sie, so das Gericht, spätestens beim Erreichen der Fahrbahnmitte erneut nach rechts schauen müssen, um sich zu vergewissern, dass die zweite Fahrbahnhälfte frei ist. Zu diesem Zeitpunkt hätte sie das herannahende Fahrzeug erkennen können und müssen. Einen solchen Verstoß gegen § 25 Abs. 3 StVO wertete das Gericht im Regelfall als grob fahrlässig. Das Argument der Fußgängerin, das Fahrzeug sei möglicherweise erst kurz zuvor aus einer Seitenstraße eingebogen, ließ das Gericht nicht gelten. Selbst dann hätte sie beim Erreichen der Fahrbahnmitte erneut den Verkehr beobachten müssen.
Die Haftung der Versicherung: Betriebsgefahr und Verstoß des Fahrers gegen das Sichtfahrgebot
Gleichzeitig bejahte das Gericht aber auch eine Haftung der beklagten Versicherung. Diese ergibt sich grundsätzlich aus der Betriebsgefahr des bei ihr versicherten Fahrzeugs (§ 7 Abs. 1 StVG) – also der Tatsache, dass vom Betrieb eines Kraftfahrzeugs immer eine gewisse Gefahr ausgeht. Ein Ausschluss dieser Haftung wegen höherer Gewalt kam hier nicht in Betracht.
Entscheidend war für das Gericht, dass diese Betriebsgefahr durch ein Verschulden des Fahrers erhöht war. Der Fahrer habe gegen das Sichtfahrgebot gemäß § 3 Abs. 1 S. 2-4 StVO verstoßen. Dieses Gebot verlangt, dass ein Fahrer nur so schnell fahren darf, dass er innerhalb der übersehbaren Strecke anhalten kann. Das Gericht stützte sich hierbei auf Sachverständigengutachten aus dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren. Diese ergaben, dass der Fahrer das Fahrzeug bei rechtzeitiger Reaktion noch vor der Kollisionsstelle zum Stehen hätte bringen können.
Das Gericht hielt eine zusätzliche Begutachtung der Lichtverhältnisse und der Erkennbarkeit der Fußgängerin für unnötig. Die Erkennbarkeit sei bereits ausreichend nachgewiesen, insbesondere durch Fotos vom Unfallort. Es herrschte zwar Dunkelheit, aber keine wetterbedingten Sichteinschränkungen, die Fahrbahn war trocken und durch eine moderne Straßenbeleuchtung erhellt. Das Auto fuhr mit Licht, und nennenswerter Gegenverkehr war nicht vorhanden. Obwohl die Fußgängerin dunkle Hosen trug (aber eine hellblaue Jacke und helle Gehhilfen, wenn auch ohne Reflektoren), war sie nach Überzeugung des Gerichts für den Fahrer auf die relevante Distanz unter den gegebenen Umständen ohne Weiteres wahrnehmbar. Da der Fahrer die erkennbare Fußgängerin nicht rechtzeitig bemerkte bzw. nicht rechtzeitig reagierte, hat er entweder seine Geschwindigkeit nicht den Sichtverhältnissen angepasst oder war unaufmerksam – beides stellt einen Verstoß gegen das Sichtfahrgebot dar.
Die Abwägung der Verursachungsbeiträge: Warum eine 50:50 Haftungsquote?
Im Rahmen der nach § 9 StVG und § 254 BGB vorzunehmenden Abwägung der gegenseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile stellte das Gericht das grob fahrlässige Verhalten der Fußgängerin (Verstoß gegen § 25 StVO) dem Fehlverhalten des Fahrers (Verstoß gegen das Sichtfahrgebot, der die Betriebsgefahr erhöhte) gegenüber. Unter Berücksichtigung aller Umstände erschien dem Senat eine hälftige Schadensteilung (50:50) als angemessen. Weitere von der Fußgängerin angeführte Aspekte wie besondere Unaufmerksamkeit des Fahrers oder die Erkennbarkeit ihrer Behinderung wurden nicht gesondert gewichtet, da die generelle Erkennbarkeit und die daraus resultierende Pflichtverletzung des Fahrers bereits in die Abwägung eingeflossen waren.
Zurückverweisung zur Entscheidung über die Schmerzensgeldhöhe
Die Entscheidung, den Fall an das Landgericht zurückzuverweisen, erfolgte gemäß § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO. Während das OLG über den Grund des Anspruchs und die Haftungsquote selbst entscheiden konnte, da hierfür keine aufwändige Beweisaufnahme mehr nötig war, ist die Bestimmung der konkreten Höhe des Schmerzensgeldes noch mit erheblichem Aufwand verbunden. Dies erfordert eine detaillierte Auseinandersetzung mit den erlittenen Verletzungen, deren Dauerfolgen und den Beeinträchtigungen der Lebensführung der Fußgängerin. Diese Prüfung obliegt nun dem Landgericht unter Beachtung der vom OLG vorgegebenen Haftungsquote von 50 %.
Keine Zulassung der Revision
Das OLG Dresden ließ die Revision zum Bundesgerichtshof nicht zu. Dies bedeutet, dass das Urteil des OLG hinsichtlich der Haftungsquote von 50:50 rechtskräftig ist, sofern keine Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich ist. Eine Zulassung der Revision kommt nur in Betracht, wenn der Fall grundsätzliche Bedeutung hat, das Recht fortgebildet werden muss oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des höchsten deutschen Zivilgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO). Diese Voraussetzungen sah das OLG Dresden hier als nicht gegeben an.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das OLG Dresden legt fest, dass bei Kollisionen zwischen Fußgängern und PKWs die Haftung unter bestimmten Umständen hälftig (50:50) geteilt werden kann, selbst wenn ein Fußgänger grob fahrlässig handelt. Entscheidend ist, dass die Betriebsgefahr des Fahrzeugs durch Fehlverhalten des Fahrers (hier: Verstoß gegen das Sichtfahrgebot) erhöht wird und Fußgänger trotz ihrer Sorgfaltspflichten nicht automatisch die Hauptschuld tragen. Frühere Gerichtsurteile zur selben Unfallsache entfalten gegenüber der Kfz-Haftpflichtversicherung keine bindende Wirkung, wenn die Versicherung nicht Partei des Verfahrens war.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was bedeutet Mitverschulden bei einem Verkehrsunfall und wie beeinflusst es die Ansprüche des Geschädigten?
Mitverschulden liegt vor, wenn eine Person, die bei einem Verkehrsunfall verletzt oder deren Eigentum beschädigt wurde, selbst durch ihr Verhalten zur Entstehung des Unfalls oder zur Höhe des entstandenen Schadens beigetragen hat. Stellen Sie sich vor, Sie sind als Fußgänger an einem Unfall beteiligt, aber Sie sind bei Rot über die Ampel gegangen. Dann haben Sie möglicherweise ein Mitverschulden am Unfall.
Das deutsche Recht besagt, dass der Anspruch auf Schadensersatz, einschließlich des Schmerzensgeldes, gekürzt wird, wenn ein Mitverschulden des Geschädigten vorliegt. Dies bedeutet, dass Sie als Geschädigter nicht den vollen Schaden ersetzt bekommen, wenn Ihr eigenes Verhalten ebenfalls zum Unfall geführt hat. Die Höhe der Kürzung hängt davon ab, wie stark das Mitverschulden im Vergleich zum Verschulden der anderen Beteiligten wiegt. Man spricht hier von einer quotenmäßigen Aufteilung des Schadens.
Wie wird das Mitverschulden bewertet?
Bei der Bewertung, ob und in welchem Umfang ein Mitverschulden vorliegt, werden alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt. Wichtige Faktoren sind dabei:
- Verhalten des Geschädigten: Hat der Geschädigte eigene Sorgfaltspflichten verletzt? Zum Beispiel als Fußgänger nicht auf den Verkehr geachtet, bei Rot die Ampel überquert, als Radfahrer ohne Licht gefahren oder nicht den vorgeschriebenen Weg benutzt.
- Ursächlicher Zusammenhang: Wie sehr hat das Verhalten des Geschädigten tatsächlich zum Unfallgeschehen oder zur Schwere der Folgen beigetragen? Wenn das eigene Verhalten den Unfall erst ermöglicht oder den Schaden verschlimmert hat, liegt eher ein Mitverschulden vor.
- Gefahrenbeitrag der Fahrzeuge: Bei Unfällen mit Kraftfahrzeugen wird auch die sogenannte „Betriebsgefahr“ des Fahrzeugs berücksichtigt. Selbst wenn der Fahrer keine Schuld im klassischen Sinne hat, kann allein das Betreiben eines Fahrzeugs eine Haftung begründen. Diese Betriebsgefahr kann durch ein Mitverschulden des Geschädigten ganz oder teilweise zurückgedrängt werden.
Ein hohes Mitverschulden kann dazu führen, dass der Anspruch auf Schadensersatz stark reduziert wird oder im Extremfall sogar ganz entfällt. Ein geringes Mitverschulden führt zu einer entsprechend geringeren Kürzung. Die genaue Aufteilung wird anhand der jeweiligen Beiträge der Beteiligten zum Unfall und Schaden ermittelt. Für Sie bedeutet das, dass Ihr Verhalten vor und während des Unfalls eine große Rolle dabei spielt, wie viel Schadensersatz Sie erhalten können.
Welche Sorgfaltspflichten haben Fußgänger beim Überqueren einer Fahrbahn, insbesondere bei Dunkelheit oder eingeschränkter Sicht?
Als Fußgänger im Straßenverkehr haben Sie ebenfalls wichtige Pflichten, die der Sicherheit aller dienen. Wenn Sie eine Fahrbahn überqueren möchten, dürfen Sie dies nicht ohne vorherige Prüfung tun. Die grundlegende Regel lautet: Sie müssen sich vergewissern, dass Sie die Fahrbahn gefahrlos überqueren können.
Das bedeutet konkret, dass Sie vor dem Betreten der Fahrbahn genau darauf achten müssen, ob sich Fahrzeuge nähern. Sie müssen einschätzen, ob diese so nah oder schnell sind, dass das Überqueren für Sie oder andere Verkehrsteilnehmer gefährlich werden könnte. Sie dürfen die Straße nur betreten, wenn Sie sicher sein können, dass keine Gefahr besteht.
Besonders bei Dunkelheit, Nebel, starkem Regen oder Schnee – also immer dann, wenn die Sichtverhältnisse schlecht sind – müssen Sie noch aufmerksamer sein. Bei schlechter Sicht ist es für Autofahrer schwieriger und dauert länger, Sie zu erkennen und zu reagieren. Deshalb ist in solchen Situationen Ihre erhöhte Sorgfaltspflicht besonders wichtig. Auch wenn Sie helle oder reflektierende Kleidung tragen, entbindet Sie das nicht von der Pflicht, sich vor dem Überqueren zu vergewissern, dass die Straße wirklich frei und sicher ist.
Eine Verletzung dieser Sorgfaltspflicht liegt zum Beispiel vor, wenn Sie:
- ohne hinzusehen auf die Fahrbahn laufen.
- einfach vor ein herannahendes Fahrzeug treten oder rennen.
- bei schlechter Sicht die Straße überqueren, obwohl Sie Fahrzeuge sehen, die nicht mehr rechtzeitig anhalten können.
Diese Pflichten sind grundlegend für die Sicherheit im Straßenverkehr und leiten sich insbesondere aus § 25 der Straßenverkehrsordnung (StVO) ab.
Wie wird die Haftungsquote bei einem Verkehrsunfall ermittelt, wenn sowohl Fußgänger als auch Autofahrer eine Mitschuld tragen?
Wenn bei einem Verkehrsunfall sowohl ein Fußgänger als auch ein Autofahrer zum Unfall beigetragen haben, spricht man von Mitschuld oder Mitverursachung. In solchen Fällen wird die Haftungsquote ermittelt. Diese Quote legt fest, welcher Anteil des entstandenen Schadens von wem zu tragen ist. Es gibt keine festen Regeln oder Tabellen, die automatisch eine bestimmte Quote ergeben. Stattdessen ist es immer eine Einzelfallentscheidung.
Abwägung der Verursachungsbeiträge und des Verschuldens
Gerichte betrachten bei der Ermittlung der Haftungsquote im Wesentlichen zwei Dinge:
- Den Beitrag zur Verursachung des Unfalls: Wer hat durch sein Verhalten den Unfall tatsächlich herbeigeführt oder begünstigt?
- Das Verschulden: Lag ein Fehler vor? Hat jemand gegen Verkehrsregeln verstoßen oder unachtsam gehandelt?
Dabei wird das Verhalten des Autofahrers und das Verhalten des Fußgängers gegeneinander abgewogen. Es ist wie eine Waage, auf der die Beiträge und Fehler beider Seiten betrachtet werden. Auf der Seite des Autofahrers fließt oft auch die sogenannte „Betriebsgefahr“ des Fahrzeugs mit ein – die Tatsache, dass vom Betrieb eines Autos grundsätzlich eine gewisse Gefahr ausgeht.
Welche Faktoren spielen bei der Abwägung eine Rolle?
Für diese Abwägung ziehen die Gerichte alle konkreten Umstände des Unfalls heran. Wichtige Faktoren können sein:
- Welche Verkehrsregeln wurden von wem verletzt? (z.B. Überqueren der Straße bei Rotlicht durch den Fußgänger, zu schnelles Fahren des Autofahrers, Vorfahrtsverletzung)
- Wie schwer wiegt die jeweilige Pflichtverletzung? (War es nur eine kleine Unachtsamkeit oder ein grober Verstoß?)
- War eine Partei besonders unachtsam? (z.B. Ablenkung durch Handy bei Fußgänger oder Fahrer)
- Die Sichtverhältnisse zum Unfallzeitpunkt.
- Der genaue Ort des Unfalls (z.B. Zebrastreifen, ungesicherte Stelle, Wohngebiet).
Stellen Sie sich vor, ein Fußgänger läuft unaufmerksam auf die Straße, während der Autofahrer zwar nicht zu schnell fährt, aber ebenfalls einen Moment abgelenkt war. Hier wird das Gericht prüfen, wessen Fehlverhalten den Unfall stärker beeinflusst hat und wie gravierend der jeweilige Fehler war. Das Ergebnis kann eine Quote von 50:50 sein, aber auch 70:30, 80:20 oder eine andere Verteilung, je nachdem, wie die Richter die Verantwortung im konkreten Fall einschätzen. Das Ziel ist eine gerechte Verteilung des Schadens im Verhältnis zur Verantwortlichkeit.
Was bedeutet es, wenn ein Gericht die Sache an eine Vorinstanz zurückverweist und welche Auswirkungen hat das auf den weiteren Verlauf des Verfahrens?
Wenn ein Gericht, wie beispielsweise ein Oberlandesgericht (OLG) in der Berufungsinstanz, eine Sache an die Vorinstanz zurückverweist, bedeutet das, dass das Verfahren nicht endgültig abgeschlossen wird. Stattdessen wird der Fall an das Gericht zurückgeschickt, das ihn bereits in der ersten Instanz (z.B. das Landgericht) bearbeitet hat.
Dieser Schritt geschieht oft, wenn das höhere Gericht zwar bestimmte grundsätzliche Fragen geklärt hat – wie beispielsweise die Haftungsfrage und die Festlegung einer Haftungsquote (etwa 50:50, also eine hälftige Verantwortlichkeit) –, aber festgestellt hat, dass das erste Gericht noch nicht alle notwendigen Tatsachen festgestellt oder Berechnungen durchgeführt hat, die für eine abschließende Entscheidung nötig sind.
Was bedeutet die Zurückverweisung konkret?
Für Sie als Betroffenen bedeutet eine Zurückverweisung, dass das Verfahren in die erste Instanz zurückkehrt. Das Gericht der ersten Instanz (das Landgericht im genannten Beispiel) muss den Fall unter Berücksichtigung der Vorgaben und Entscheidungen des höheren Gerichts neu verhandeln oder zumindest die noch offenen Punkte klären.
Im Fall der Festlegung einer Haftungsquote von 50:50 durch das OLG, aber noch unklarer Schadenshöhe, wäre die Aufgabe des Landgerichts nun, die konkrete Höhe des entstandenen Schadens (hier: Schmerzensgeld) zu ermitteln. Anschließend muss das Landgericht das festgestellte Schmerzensgeld unter Zugrundelegung der vom OLG entschiedenen Haftungsquote von 50 % neu berechnen.
Wie geht das Verfahren weiter?
Das Verfahren wird also in der ersten Instanz fortgesetzt, allerdings bindend durch die bereits getroffenen Feststellungen des höheren Gerichts (z.B. die 50:50 Haftung). Das erste Gericht kann diese geklärten Punkte nicht mehr neu entscheiden. Es konzentriert sich darauf, die vom höheren Gericht bemängelten oder offengelassenen Aspekte zu bearbeiten und dann eine neue, endgültige Entscheidung zu treffen, die diese Ergänzungen und die Vorgaben der höheren Instanz berücksichtigt. Dies kann weitere Beweisaufnahmen oder die Einholung von Gutachten nach sich ziehen, falls dies zur Klärung der offenen Punkte notwendig ist.
Inwiefern können Vorurteile oder Annahmen über ältere Menschen oder Menschen mit Behinderungen die Beurteilung eines Mitverschuldens beeinflussen?
Bei der rechtlichen Beurteilung, wer an einem Schaden oder Unfall welche Verantwortung trägt, spricht man oft von Mitverschulden. Das bedeutet, dass der Geschädigte selbst durch sein Verhalten zum Schaden beigetragen hat. Bei der Feststellung, ob ein solches Mitverschulden vorliegt und wie hoch es ist, kommt es auf das konkrete Verhalten der Person im Moment des Geschehens an.
Dabei ist es nicht zulässig, pauschale Annahmen oder Vorurteile über ältere Menschen oder Menschen mit Behinderungen zu verwenden. Das Alter einer Person oder das Vorliegen einer Behinderung führt nicht automatisch dazu, dass ihr eine höhere Mitschuld zugerechnet wird. Gerichte sind verpflichtet, die individuellen Umstände jeder Person genau zu prüfen.
Entscheidend ist immer, welche Sorgfalt von der betroffenen Person in dieser spezifischen Situation erwartet werden konnte, basierend auf ihren tatsächlichen, individuellen Fähigkeiten. Wenn beispielsweise eine Gehbehinderung die Gehgeschwindigkeit objektiv reduziert, wird dies bei der Beurteilung einer Situation im Straßenverkehr berücksichtigt. Dies ist eine Anpassung an die reale Fähigkeit, aber keine allgemeine Annahme, dass alle Menschen mit Gehbehinderung per se unvorsichtiger wären oder grundsätzlich langsam gehen müssten.
Die Sorgfaltspflichten passen sich also an die konkreten individuellen Möglichkeiten an. Das bedeutet aber nicht, dass die Anforderungen an die Sorgfalt für ältere Menschen oder Menschen mit Behinderungen generell geringer ausfallen. Sie müssen die Sorgfalt anwenden, die ihnen mit ihren gegebenen Fähigkeiten möglich und zumutbar ist. Eine Beurteilung, die sich nur auf das Alter oder die Behinderung als solche stützt und nicht die individuellen Umstände betrachtet, wäre rechtlich fehlerhaft und potenziell diskriminierend.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – Fragen Sie unverbindlich unsere Ersteinschätzung an.
Glossar
Juristische Fachbegriffe kurz erklärt
Präjudiziale Wirkung (Präjudizialität)
Die präjudiziale Wirkung beschreibt die Bindungswirkung eines früheren gerichtlichen Urteils für ein späteres Verfahren. Ein Urteil ist präjudiziell, wenn es in einem vorherigen Prozess zwischen denselben Parteien hinsichtlich einer Rechtsfrage verbindlich entschieden wurde und dieses Ergebnis im späteren Verfahren nicht mehr bestritten werden kann. Im vorliegenden Fall war ein früheres Urteil zwischen der Fahrzeughalterin und der Fußgängerin nicht präjudiziell für die Haftpflichtversicherung, da diese Versicherung im ersten Verfahren nicht beteiligt war. Das bedeutet, die Versicherung kann sich nicht einfach darauf berufen.
Beispiel: Wenn Sie in einem Streit mit Ihrem Nachbarn vor Gericht geklärt haben, wer die Haftung für eine Beschädigung trägt, bindet dieses Urteil nicht automatisch einen späteren Prozess, wenn plötzlich eine dritte Partei beteiligt wird, die im ersten Prozess nicht dabei war.
Mitverschulden
Mitverschulden bedeutet, dass der Geschädigte durch eigenes Fehlverhalten oder unachtsames Verhalten zur Entstehung oder zum Ausmaß eines Schadens selbst beigetragen hat. Dies führt dazu, dass ein Schadensersatzanspruch reduziert wird, und zwar anteilig nach dem Grad ihrer Mitschuld. Im Verkehrsunfallkontext kann beispielsweise ein Fußgänger, der trotz schlechten Sichtverhältnissen und trotz erkennbar nähernder Fahrzeuge unvorsichtig die Straße überquert, Mitverschulden haben, wie im Fall der gehbehinderten Fußgängerin, die gegen § 25 Abs. 3 StVO verstoßen hat.
Beispiel: Sie laufen bei Rot über die Ampel und werden von einem Auto angefahren. Ihr Schadensersatzanspruch wird gekürzt, weil Sie selbst zum Unfall beigetragen haben.
Betriebsgefahr
Der Begriff Betriebsgefahr beschreibt die natürliche, vom Betrieb eines Kraftfahrzeugs ausgehende Gefahr, die ungeachtet eines konkreten Fehlverhaltens des Fahrers oder Besitzers stets im Straßenverkehr besteht (§ 7 Abs. 1 StVG). Diese Betriebsgefahr zieht eine Haftung des Fahrzeughalters oder der Haftpflichtversicherung nach sich, auch wenn kein verschuldensunabhängiger Fehler vorliegt. Im geschilderten Fall wurde die Haftpflichtversicherung aufgrund der vom Betrieb des Fahrzeugs ausgehenden Gefahr in Anspruch genommen.
Beispiel: Sie fahren Ihr Auto auf einer Straße. Unabhängig davon, ob Sie einen Fehler machen, droht durch den Betrieb des Fahrzeugs eine Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer, für die Sie unter Umständen haften.
Sichtfahrgebot
Das Sichtfahrgebot ist eine Vorschrift des § 3 Abs. 1 Satz 2-4 StVO und verlangt, dass ein Fahrzeugführer seine Geschwindigkeit an die Sichtverhältnisse anpassen muss, so dass er rechtzeitig anhalten kann, wenn ein Hindernis auf der Fahrbahn erscheint. Im vorliegenden Fall wurde dem Fahrer vorgeworfen, gegen dieses Gebot verstoßen zu haben, weil er die Fußgängerin trotz guter Erkennbarkeit nicht rechtzeitig bemerkte und nicht angemessen bremsen konnte. Das Sichtfahrgebot ist ein Maßstab zur Beurteilung der Verkehrssorgfaltspflicht des Fahrers.
Beispiel: Wenn es dunkel ist und Sie wegen Regen oder Nebel schlechter sehen können, müssen Sie langsamer fahren, damit Sie bremsen können, sobald Sie ein Hindernis sehen.
Zurückverweisung
Eine Zurückverweisung liegt vor, wenn ein höheres Gericht das Verfahren an eine Vorinstanz zurückgibt, damit diese noch offene Verfahrensschritte durchführt oder bestimmte Aspekte klärt (§ 538 Abs. 2 ZPO). Im beschriebenen Fall hat das OLG Dresden die Haftungsquote festgelegt, aber die genaue Höhe des Schmerzensgeldes nicht bestimmt und den Fall daher an das Landgericht zurückverwiesen. So kann die erste Instanz die Schadenshöhe ermitteln, wobei sie an die vorgegebenen rechtlichen Feststellungen des OLG gebunden ist.
Beispiel: Ein Oberlandesgericht entscheidet, wer schuld ist, schickt den Fall aber zurück an das Landgericht, damit es berechnet, wie viel Geld die verletzte Person für ihre Schmerzen bekommen soll.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 7 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG): Regelt die Gefährdungshaftung des Fahrzeughalters für Schäden, die durch den Betrieb seines Kraftfahrzeugs entstehen, unabhängig vom Verschulden. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Haftpflichtversicherung des Fahrzeugs haftet aufgrund der Betriebsgefahr grundsätzlich für die Verletzungen der Fußgängerin.
- § 254 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) – Mitverschulden: Bestimmt, dass der Schadensersatzanspruch entsprechend dem Grad des Verschuldens beider Parteien gekürzt wird. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Gericht ermittelte die Haftungsverteilung zu je 50 % auf die Fußgängerin und den Fahrer, was den zu zahlenden Betrag an Schmerzensgeld beeinflusst.
- § 25 Abs. 3 Straßenverkehrsordnung (StVO): Verpflichtet Fußgänger dazu, die Fahrbahn nur unter sorgfältiger Beachtung des Fahrzeugverkehrs zu überqueren und dem Verkehr Vorrang zu gewähren. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das erhebliche Mitverschulden der Fußgängerin wurde mit diesem Verstoß begründet, da sie die Verkehrsbeobachtungspflicht bei Dunkelheit vernachlässigte.
- § 3 Abs. 1 StVO – Sichtfahrgebot: Verbietet das Fahren mit einer Geschwindigkeit, bei der nicht innerhalb der übersehbaren Strecke angehalten werden kann. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Haftung des Fahrers und damit der Versicherung wurde wegen eines Verstoßes gegen dieses Gebot (nicht rechtzeitiges Erkennen und Reagieren auf die Fußgängerin) bejaht.
- § 325 Zivilprozessordnung (ZPO) – subjektive Rechtskraft: Bindet ein Urteil grundsätzlich nur für die im Verfahren beteiligten Parteien und deren Streitgegenstände. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Amtsgerichtsurteil bindet die Haftpflichtversicherung nicht, da diese im Vorprozess keine Partei war, sodass keine präjudizielle Wirkung besteht.
- § 322 ZPO – objektive Rechtskraft: Die Rechtskraft erstreckt sich auf den konkreten Streitgegenstand des Urteils; Vorfragen oder andere Ansprüche sind davon nicht umfasst. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Haftungsquote aus dem Verfahren zwischen Fahrzeughalterin und Fußgängerin wurde nicht rechtskräftig festgestellt, da es dort nur um den materiellen Schadensersatzanspruch ging und nicht um das Schmerzensgeldverfahren gegen die Versicherung.
Das vorliegende Urteil
OLG Dresden – Az.: 14 U 1267/21 – Urteil vom 08.03.2022
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