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Verkehrsunfall: Haftung für Verkehrsunfall nach französischem Recht

LG Oldenburg, Az.: 9 O 830/08

Urteil vom 15.09.2010

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Der Streitwert wird auf 11.162,46 EUR festgesetzt.

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Tatbestand

Verkehrsunfall: Haftung für Verkehrsunfall nach französischem Recht
Symbolfoto: Aunging/Bigstock

Der Kläger, der eine Spedition betreibt, macht Ansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 03.08.2007 auf der im Unfallbereich in beiden Fahrtrichtungen mit drei Fahrstreifen ausgestatteten Stadtautobahn A 620 (periph interieur) von Toulouse/Französische Republik ereignete.

Der Fahrzeugführer … befuhr die Stadtautobahn mit dem auf den Kläger zugelassenen und ihm gehörenden Lkw mit dem amtlichen deutschen Kennzeichen … in Fahrtrichtung Paris. Dabei kam es zu einer Kollision mit dem vom Versicherungsnehmer der Beklagten geführten und in gleicher Fahrtrichtung fahrenden Pkw Citroen mit dem amtlichen französischen Kennzeichen … . Hierdurch wurde der Lkw an der vorderen rechten Fahrzeugseite und der Pkw an der hinteren linken Fahrzeugseite beschädigt. Der Unfall wurde von der französischen Polizei mittels eines mit“ constat amiable d’accident automobile (accident report)“ überschriebenen Formulars aufgenommen.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 18.01.2008 wurde die Regulierungsbevollmächtigte der Beklagten unter Fristsetzung bis zum 10.02.2008 vergeblich zur Zahlung des mit dem Klageantrag zu 1. geltend gemachten Betrages aufgefordert.

Der Kläger behauptet, der Fahrzeugführer … sei mit dem Lkw auf dem mittleren Fahrstreifen gefahren. Zum Unfall sei es deshalb gekommen, weil der Versicherungsnehmer der Beklagten mit dem Pkw Citroen vom rechten auf den mittleren Fahrstreifen gewechselt sei, ohne die Vorfahrt des Lkw zu beachten.

Mit der Klage beanspruche er folgende, ihm unfallbedingt entstandenen Schäden:

Fahrzeugschaden: 9.167,62 EUR

Entgangener Gewinn: 1.969,84 EUR

Kostenpauschale: 25,00 EUR

11.162,46 EUR

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 11.162,46 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.02.2008 zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 703,80 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, der Unfall sei allein dadurch entstanden, dass der Fahrzeugführer des Lkw mit diesem vom mittleren auf den rechten Fahrstreifen gewechselt sei, ohne hierbei auf den dort fahrenden Pkw zu achten.

Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschlüssen vom 12.11.2008, 17.11.2008, und 28.09.2010 durch Vernehmung von Zeugen und Einholung einer amtlichen Auskunft der Republik Frankreich.

Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der Sitzung des erkennenden Gerichts vom 12.11.2008, die Sitzungsniederschriften des ersuchten französischen Gerichts vom 30.03. und 06.04.2010 sowie die amtliche Auskunft des Justizministeriums der Französischen Republik vom 19.04.2010 Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Dem Kläger stehen aus dem Unfallereignis gegen die Beklagte keine Ansprüche auf Ersatz unfallbedingt erlittener Schäden zu. Solche Ansprüche folgen weder aus den Artikeln L211-8 bis L211-25 des französischen Versicherungsgesetzbuches auf Grundlage der Art. 2ff. des Gesetzes Nr. 85-677 der Französischen Republik vom 05.07.1985 bezüglich der Verbesserung der Lage von Opfern von Verkehrsunfällen und der Beschleunigung von Schadensersatzverfahren noch aus einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt.

In tatsächlicher Hinsicht ist das Gericht davon überzeugt, dass der Zeuge … als Führer des auf den Kläger zugelassenen Lkw den Unfall durch einen von ihm vorgenommenen Fahrspurwechsel allein schuldhaft verursacht hat. Hierbei kann dahin stehen, ob die von der Beklagten im Schriftsatz vom 02.07.2009 dargelegten Beweiserleichterungen vorliegend Anwendung finden und ob bei der Bestimmung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge – wie die Beklagte meint – insbesondere der von beiden Zeugen unterschriebene Unfallbericht (constat amiable d’accident automobile (accident report)) als verbindlich und unwiderruflich zugrunde zu legen ist. Die alleinige Verursachung des Unfalls durch den Zeugen … ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts bereits aus dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme. Hierauf hat das Gericht die Parteien bereits mit gerichtlichem Schreiben vom 21.08.2009 hingewiesen.

Zwar hat der Zeuge … anlässlich seiner Vernehmung bekundet, nicht er, sondern der Zeuge … habe einen solchen Fahrspurwechsel vorgenommen. Diese Aussage vermag eine entsprechende Überzeugung des Gerichts vom Geschehensablauf indes nicht zu begründen. Dem Vernehmungsprotokoll vom 12.11.2008 kann entnommen werden, dass der Zeuge … sichere Erinnerung an den Unfall nicht mehr hatte. Dies wird schon daraus deutlich, dass die vom Zeugen zuvor gemachten schriftlichen und als Anlage K 3 zu den Akten gereichten Angaben mit seiner gerichtlichen Zeugenaussage nicht in Überstimmung gebracht werden können. Allerdings hat auch der vor dem ersuchten französischen Gericht vernommene Zeuge … nach eigenen Angaben keine sichere Erinnerung mehr an die Örtlichkeiten gehabt. Gleichwohl sieht das Gericht einen Fahrspurwechsel des Zeugen …. als erwiesen an. Maßgebliche Bedeutung kommt insoweit dem von der französischen Polizei gefertigten Unfallprotokoll zu, das beide Unfallbeteiligten unterzeichnet haben. Aus diesem ergibt sich zweifelsfrei ein Fahrspurwechsel durch den Zeugen … . Auch für einen der französischen Sprache nicht mächtigen Unfall beteiligten lässt sich aufgrund der insoweit eindeutigen Zeichnungen entnehmen, dass der Fahrspurwechsel nicht durch den Zeugen … vorgenommen worden ist, sondern statt dessen durch den Zeugen … . Diesen Unfallverlauf haben beide Zeugen durch ihre Unterschrift des Unfallprotokolls auch bestätigt. Würde der Unfallverlauf durch die Skizze nicht zutreffend wiedergegeben, wäre zu erwarten gewesen, dass der Zeuge … dies gegenüber der den Unfall aufnehmenden französischen Polizei beanstandet hätte und diese Beanstandung im Bericht vermerkt worden wäre. Im Übrigen können auch die in der Unfallberichtsskizze festgehaltenen Beschädigungen mit einem durch den Zeugen … vollzogenen Fahrspurwechsel ohne weiteres in Einklang gebracht werden.

Unter Zugrundelegung des vorstehenden, zur Überzeugung des Gerichts feststehenden Sachverhalts kommt eine auch nur anteilige Haftung der Beklagten für den dem Kläger unfallbedingt entstandenen Schaden nach dem vorliegend gemäß Art. 40 EGBGB zur Anwendung kommenden materiellen französischen Recht (vgl. hierzu Palandt-Heldrich, BGB, 67. Auflage, Art. 40 EGBGB Rz. 8) nicht ernsthaft in Betracht. Auch wenn bei Anwendung materiellen französischen Rechts – mangels ausreichender Kenntnis des erkennenden Gerichts der einschlägigen Kodifikation – eine anteilige Haftung der Beklagten für den dem Kläger entstandenen Unfallschaden nicht sicher ausgeschlossen werden kann, sieht das Gericht gleichwohl keine Veranlassung, eine ergänzende amtliche Auskunft des französischen Justizministeriums oder ein Rechtsgutachten einzuholen, da die Möglichkeit einer solchen anteiligen Haftung nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand allenfalls theoretischer Natur erscheint. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund des von der Beklagten mit Schriftsatz vom 25.06.2010 zu den Akten gereichten Privatgutachtens des in Paris niedergelassenen Rechtsanwalts … , dessen Feststellungen der Kläger nicht im Einzelnen angegriffen hat und welches das Gericht gemäß § 293 S. 2, 1. Halbsatz ZPO als Erkenntnisquelle mitberücksichtigen kann (vgl. hierzu auch Zöller-Geimer, ZPO , 26. Auflage, § 293 Rz. 16a).

Allerdings besteht nach den Ausführungen dieses Privatgutachtens eine Erstattungspflicht des Haftpflichtversicherers für Schäden des Unfallgegners dem Grunde nach bereits dann, wenn der Versicherungsnehmer den Unfall auch lediglich unverschuldet verursacht hat oder das Unfallereignis auf höherer Gewalt beruht. Indes kann eine vom Geschädigten begangene „faute“ nach Art. 4 des französischen Gesetzes Nr. 85/677 vom 05.07.1985 einen solchen Schadensersatzanspruch mindern oder ausschließen. So liegt der Fall auch hier, wobei vorliegend ein vollständiger Haftungsausschluss anzunehmen ist.

Dabei hat das Gericht zunächst keine durchgreifenden Zweifel an der Richtigkeit der Ausführungen des Privatgutachtens, da sie durch die in Übersetzung vorgelegte Kodifikation belegt werden und insbesondere auch mit der eingeholten amtlichen Auskunft des französischen Justizministeriums vom 19.04.2010 unter Ziffer 3. inhaltlich übereinstimmen.

Unter Anwendung dieser Haftungsgrundsätze des französischen Rechts scheidet eine auch nur anteilige Haftung der Beklagten aus. Wie bereits ausgeführt, beruht der Verkehrsunfall nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme alleine auf einem unachtsam durchgeführten Fahrspurwechsel des Zeuge … . Hierbei handelt es sich um eine „faute“ im Sinne von Art. 4 des französischen Gesetzes Nr. 85/677 vom 05.07.1985. Eine solche „faute“ wird in der eingeholten amtlichen Auskunft des französischen Justizministeriums als „Fehler“ umschrieben, wobei der Kontext der Ausführungen nahe legt, dass hierfür jedenfalls ein solches schuldhaftes Fehlverhalten im Straßenverkehr ausreicht, wie es nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts feststeht.

Der bewiesene schuldhafte Fahrfehler des Zeugen … lässt es vorliegend nicht als gerechtfertigt erscheinen, den dem Kläger dem Grunde nach zustehenden Schadensersatzanspruch lediglich zu mindern. Zwar bieten die Artt. 4 und 5 des französischen Gesetzes Nr. 85/677 vom 05.07.1985 selbst keine nähere Auslegungshilfe dafür, wann eine „faute“ die Entschädigung gänzlich ausschließt und wann nur mindert. Auch hat der Umstand, dass der Zeuge… den Unfall nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht mitverursacht hat, nach den Ausführungen des Privatgutachtens keine Auswirkungen darauf, inwieweit die „faute“ des Zeugen … den Erstattungsanspruch des Klägers mindert oder ausschließt. Das Gericht sieht es indes gleichwohl nicht als erforderlich an, zu dieser Frage eine ergänzende amtliche Auskunft des französischen Justizministeriums oder ein Rechtsgutachten einzuholen. Hierbei war vornehmlich zu berücksichtigen, dass es mangels entsprechender Hinweise in der eingeholten amtlichen Auskunft des französischen Justizministeriums oder des von der Beklagten vorgelegten Privatgutachtens ersichtlich fern liegt, dass im französischen Recht ein starres System existiert, nach dem bestimmte Verkehrsverstöße eine bestimmte, immer gleiche Haftungsminderung nach sich ziehen. Da mithin die konkret vorzunehmende Haftungsminderung bis hin zum Haftungsausschluss einer Einzelfallrechtsprechung vorbehalten und von dem jeweils erkennenden Gericht unter Ausübung pflichtgemäßen Ermessens in eigener Verantwortung vorzunehmen ist, kann sie nicht der gutachterlichen Festsetzung überlassen werden. Die Einholung einer ergänzenden amtlichen Auskunft des französischen Justizministeriums oder eines Rechtsgutachtens lässt im Übrigen auch deshalb keine weiteren für die zu treffende Entscheidung maßgeblichen Erkenntnisse erwarten, weil sie allenfalls gerichtliche Entscheidungen vergleichbarer Fallgestaltungen anführen kann, die für den vorliegenden Einzelfall indes nur von begrenzter Aussagekraft sind.

In Ausübung des angeführten pflichtgemäßen Ermessens erscheint vorliegend eine bloße Haftungsminderung nicht angemessen und gerechtfertigt. Dabei war insbesondere zu berücksichtigen, dass es allein durch das dem Kläger zuzurechnende schuldhafte Fehlverhalten des Zeugen … zum Unfall kommen konnte. Ferner konnte nicht unberücksichtigt bleiben, dass das schuldhafte Fehlverhalten des Zeugen … als nicht bloß geringfügig eingestuft werden kann, weil ein unachtsamer Fahrspurwechsel im Straßenverkehr stets – und auf Autobahnen zudem in besonderem Maße – erheblich gefahrenträchtig ist und daher mit der Verletzung einer elementaren Vorsichtspflicht des Fahrzeugsführers einhergeht. Hierauf weist das von der Beklagten zu den Akten gereichte Privatgutachten zutreffend hin.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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