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Verkehrsunfall – Harmlosigkeitsgrenze bei HWS-Verletzung durch Auffahrunfall

AG Hamburg-Harburg, Az.: 641 C 327/13, Urteil vom 08.05.2015

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Klägerin, von Beruf Lehrerin, begehrt von der beklagten Versicherung weiteres Schmerzensgeld und Schadensersatz aus einem Verkehrsunfallgeschehen.

Am 08.11.2012 fuhr ein bei der Beklagten versichertes Fahrzeug …an der Einmündung der … in Harburg auf das von der Klägerin geführte Fahrzeug … auf.

Die volle Einstandspflicht der Beklagten für Schäden der Kläger aus diesem Unfallereignis ist dem Grunde nach zwischen den Parteien unstreitig. Die Beklagte regulierte die Schäden am Fahrzeug der Klägerin und zahlte nach Maßgabe ihres Anschreibens vom 24.04.2013 (Anlage K2) – mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass ein Anerkenntnis dem Grunde und der Höhe nach mit der Zahlung nicht verbunden sei – ein Schmerzensgeld in Höhe von 200,- EUR sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten auf einen Gegenstandswert von 5.000,- EUR.

Die Klägerin trägt vor: Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass die Beklagte über die bereits geleisteten 200,- EUR zur Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes von noch mindestens 2.300,- EUR verpflichtet sei. Sie habe durch den Unfall vom 08.11.2012 eine Verstauchung und Zerrung der Halswirbelsäule erlitten und sei in der Folge für den Zeitraum von 09.11.2012 bis zum 27.01.2013 arbeitsunfähig krankgeschrieben worden. Danach sei bis zum Sommer eine Wiedereingliederung erfolgt. Zudem habe sie eine posttraumatische Belastungsstörung (insbesondere Angstzustände beim Autofahren, Schlafstörungen) erlitten, welche eine Verhaltenstherapie im Zeitraum vom 12.12.2012 bis zum 20.03.2013 erforderlich gemacht habe.

Sie sei darüber hinaus aufgrund der Halswirbelsäulenverletzung bei der Ausführung bei der Ausübung ihrer Haushaltsführung im Umfang von mindestens 40 %, für einen Zeitraum von mindestens einem Monat bei für einen Haushalt mit 11-jährigem Kind anzunehmenden 21,7 Wochenarbeitsstunden beeinträchtigt gewesen, was einen fiktiven Haushaltsführungsschaden von 36 Stunden zu je 8,- EUR, mithin 288,- EUR ergebe.

Verkehrsunfall - Harmlosigkeitsgrenze bei HWS-Verletzung durch Auffahrunfall
Symbolfoto: Von tommaso79 /Shutterstock.com

Zukünftige materielle und immaterielle Schänden könnten nicht ausgeschlossen werden.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 2.300,- EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.04.2013 zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, an sie 288,- EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.04.2013 zu zahlen;

3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen und immateriellen zukünftigen Schäden zu ersetzen, die aus dem Verkehrsunfallgeschehen vom 08.11.2012 resultieren, soweit diese nicht bereits auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind oder übergehen werden;

4. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin von einer Forderung ihres Prozessbevollmächtigten in Höhe von 215,74 EUR freizuhalten.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor: Die Klägerin sei durch das Unfallereignis vom 08.11.2012 nicht verletzt worden und könne daher über die bereits vorgerichtlich erlangten Leistungen kein weiteres Schmerzensgeld und auch keinen weiteren Schadensersatz fordern.

Das Gericht hat die Klägerin ergänzend nach § 141 ZPO zur Sache angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Das Gericht hat zudem Beweis erhoben durch Einholen eines medizinisch-technischen Zusammenhangsgutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten der Sachverständigen … (technischer Teil) und … (medizinischer Teil) vom 04.06.2014 sowie auf die ergänzende Stellungnahme des … vom 20.02.2015 verwiesen.

Mit Zustimmung der Parteien hat das Gericht das schriftliche Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO angeordnet. Als Termin, der dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht ist der 29.04.2015 bestimmt worden.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

Die Klägerin keinen Anspruch auf Zahlung eines (weiteren) Schmerzensgeldes gegenüber der Beklagten. Die Klägerin ist für ihre Behauptung beweisfällig geblieben, sie habe durch das streitgegenständliche Unfallgeschehen vom 08.11.2012 eine Gesundheitsverletzung erlitten, die einen immateriellen Schadensersatzanspruch gemäß § 253 Abs. 2 BGB zur Folge habe. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts als Ergebnis der mündlichen Verhandlung, insbesondere bei Berücksichtigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme, § 286 ZPO.

Die Sachverständigen … und … haben in ihrem medizinisch-technische Zusammenhangsgutachten vom 04.06.2014 (nebst ergänzender Stellungnahme des … vom 20.02.2015) unter Verwendung der zutreffenden Anknüpfungstatschen nachvollziehbar und überzeugend festgestellt, dass das von der Klägerin zum Unfalltatsachen nachvollziehbar und überzeugend festgestellt, dass das von der Klägerin zum Unfallzeitpunkt geführte Fahrzeug … durch den Anstoß des auffahrenden Pkw … gegen das Heck des … eine kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung von minimal 6 km/h und maximal 9 km/h in Längsrichtung sowie von unter 2 km/h in Querrichtung erfahren hat und dass die Klägerin infolge der sich aus diesem Anstoß ergebenden biomechanischer Belastung (einzeln und in Kombination) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht im behaupteten Umfang körperlich verletzt worden ist (Seiten 68, 70, 71, 74 des Gutachtens). Dies gilt namentlich auch bei Berücksichtigung der individuellen Belastbarkeit der Klägerin. Besondere verletzungsfördernde Faktoren hat der medizinische Sachverständige bei der Klägerin anlässlich ihrer körperlichen Untersuchung und der Einsicht in die ihm vorgelegten Krankenunterlagen nicht feststellen können. Dies gilt insbesondere auch für die Verschleißerscheinungen bzw. die Steilstellung im Bereich der Halswirbelsäule der Klägerin (Seite 62 und 67 des Gutachtens sowie Seite 5 der ergänzenden Stellungnahme …). Ebenso ergibt sich keine erhöhte Verletzungsanfälligkeit, weil die Klägerin zum Zeitpunkt des Anstoßes nach links geschaut hat (Seite 63 des Gutachtens) oder weil sie den Anstoß nicht vorhergesehen hat, von diesem überrascht worden ist (Seite 65 des Gutachtens). Wegen weiterer Einzelheiten wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf das Gutachten vom 04.06.2014 und die ergänzende Stellungnahme … vom 20.02.2015 verwiesen.

Ein Schmerzensgeld ist auch nicht wegen der von der Klägerin behaupteten psychischen Folgeschäden, insbesondere der von der Klägerin vorgetragenen posttraumatischen Belastungsstörung im Zeitraum nach dem streitgegenständlichen Unfallgeschehen veranlasst. Ein unfallbedingter psychischer Schaden als Folge einer körperlichen Verletzung scheidet vorliegend mangels einer unfallbedingten körperlichen Verletzung (s.o.) aus. Darüber hinaus geben die Umstände des streitgegenständlichen Unfallgeschehens auch keine Veranlassung für die Annahme einer auf das streitgegenständliche Unfallereignis zurückzuführenden psychischen Primärverletzung. Insbesondere ist eine bedrohliche Gesamtsituation, die eine psychische Primärverletzung auch nur plausibel erscheinen ließe, weder dargetan noch ersichtlich. Es hat sich vorliegend um einen alltäglichen Auffahrunfall mit sehr geringer unfallbedingter Geschwindigkeitsänderung (s.o.) und nur leichten Blechschäden am Heck des Fahrzeugs der Klägerin (Schadenbilder Anlage 1 des Gutachtens). Auch eine besondere Veranlagung der Klägerin für psychische Schäden – etwa eine besondere Labilität aufgrund mehrerer Vorunfälle oder eine Neigung zu einer krankhaften Erlebnis Verarbeitung, die sich bereits vor dem Unfall durch einschlägige Behandlungen manifestiert hat (soweit sich die Neigung zu einer unangemessenen Erlebnisverarbeitung erst nach dem Unfall konkretisiert hat, unterfällt dies dem allgemeinen Legensrisiko des Geschädigten und ist haftungsrechtlich nicht zurechenbar) – sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Eine Beweisaufnahme durch Einholen eines psychiatrischen Gutachtens ist daher mangels hinreichender Anknüpfungstatsachen nicht veranlasst gewesen.

Zudem wäre – auch wenn es aus den vorgenannten Erwägungen hierauf im Ergebnis nicht ankommt – selbst für den Fall, dass die von der Klägerin nach Maßgabe der eingereichten Atteste durchgeführten psychotherapeutischen Behandlung durch den streitgegenständlichen Unfall verursacht worden wäre, in Anbetracht der Gesamtumstände, insbesondere des konkreten Unfallereignisses, ein Schmerzensgeld von mehr als 200,- EUR nicht veranlasst, welches die Klägerin jedoch bereits vorgerichtlich von der Beklagten erhalten hat.

Da die Klägerin durch das streitgegenständliche Unfallgeschehen nicht verletzt worden ist, hat sie schließlich auch keinen Anspruch auf Erstattung eines Haushaltsführungsschadens in Höhe von 288,- EUR und auf Feststellung einer Einstandspflicht der Beklagten für weitere materielle und immaterielle Schäden aus dem Unfallgeschehen.

Mit den Hauptsacheforderungen scheitern zudem die geltend gemachten Nebenforderungen auf Freihaltung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten für die Geltendmachung der streitgegenständlichen Ansprüche sowie Zahlung von Verzugszinsen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht nach § 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.

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