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Verkehrsunfall – Hochschleudern von Gegenständen auf Autobahn als unabwendbares Ereignis

LG Kleve – Az.: 3 O 24/16 – Urteil vom 09.09.2016

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch die Beklagtenseite gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils für die Beklagtenseite vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Beklagtenseite vor Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem vorgetragenen Unfallereignis.

Die Klägerin ist Eigentümer des Fahrzeugs BMW 335i mit dem amtlichen Kennzeichen MO-xxx-xxx.

Der Beklagte zu 1) ist Halterin der Zugmaschine Scania SI-xxxx-xxxx und des Aufliegers SI-yyy-yyy, die bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert sind. Die Zugmaschine wurde am 18.09.2015 von dem Beklagten zu 3) gefahren, der gegen 21:30 Uhr die Autobahn A42 in Fahrtrichtung Dortmund u.a. im Bereich der Auffahrten von der A57 und der Abfahrt Moers/Rheinberg befuhr. Das klägerische Fahrzeug, gefahren von dem Zeugen E4, befuhr zur gleichen Zeit den gleichen Autobahnabschnitt A42 in gleicher Fahrtrichtung.

Die Polizei nahm für den 18.09.2015 einen Unfallanzeige auf (vgl. näher Anlage 1 zur Klageerwiderung, Bl. 52 ff. GA). Die Polizei ging nach durchgeführten Ermittlungen davon aus, dass ein Gegenstand durch den Beklagten-LKW hochgeschleudert worden sei und es dadurch zu Beschädigungen/Verschmutzungen am klägerischen Fahrzeug gekommen sei.

Die Klägerin forderte die Beklagte erfolglos mit Schreiben vom 06.10.2015 (Anlage 5 zur Klageschrift) zur Regulierung eines Sachschadens von 6.114,41 EUR auf.

Die Klägerin trägt vor:

Ihr Fahrzeug sei durch einen beklagtenseits verursachten Unfall beschädigt worden. Die Beklagtenseite habe den Unfall herbeigeführt, weil „eine Fußmatte, ein Stück Gummi, vielleicht ein Textilstück oder eine Antirutschmatte“, welche auf dem Beklagtenfahrzeug im vorderen Bereich des Anliegers mitgeführt worden seien, nicht ordnungsgemäß gesichert gewesen sei und deshalb während der Fahrt sich von dem Beklagtenfahrzeug gelöst habe. Dieses fettverschmierte Teil sei dann derart auf dem Fahrzeug der Klägerin aufgeschlagen, dass es das rechte Spiegelgehäuse des Außenspiegels weggerissen habe, Motorhaube und Kotflügel und Windschutzscheibe zerkratzt habe und ebenso die gesamte Fahrzeugseite.

Keinesfalls sei es so gewesen, dass dieses Teil sich auf der L-Straße befunden habe und durch das Beklagtenfahrzeug lediglich „hochgeschleudert“ worden sei.

Unter Bezugnahme auf ein Privatgutachten der Sachverständigengesellschaft K. u. Q. mbH vom 29.09.2015 (Anlage zur Klageschrift) sei ein Sachschaden von 5.056,58 EUR sowie die Gutachterkosten in Höhe von 662,83 EUR zu erstatten, außerdem Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von 370 EUR nach näherer Darstellung von Seite 5 der Klageschrift und eine Auslagenpauschale von 25,00 EUR.

Außerdem hätten die Beklagten Anwaltskosten in Höhe von 337,07 EUR nach näherer Darstellung von Seite 5 und 6 der Klageschrift zu erstatten.

Die Klägerin beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 6.114,41 EUR nebst Zinsen in Höhe 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.10.2015 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 337,07 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,  die Klage abzuweisen.

Sie tragen vor:

Die klägerseits behaupteten Schäden seien jedenfalls nicht durch Ladungsverluste des Beklagtenfahrzeugs entstanden, da der schadensursächliche Gegenstand nach Klägervortrag (Gummi- oder Antirutschmatte) gar nicht auf oder am Beklagtenfahrzeug verwendet worden sei. Auch habe durch die Polizei kein Gegenstand angefunden werden können, erst Recht nicht ein Gegenstand von einer Länge von 1 Meter, wie er den Polizeibeamten bei der Unfallaufnahme benannt worden sei.

Soweit der Unfall durch einen auf dem Boden liegenden Gegenstand verursacht worden sei, handele es sich um ein unabwendbares Ereignis weil kein Kraftfahrer diesem – erst Recht bei Dunkelheit – auf der Autobahnfahrbahn erkennen und diesem ausweichen kann.

Die Kammer hat Beweis durch uneidliche Vernehmung der Zeugen E4, C, E3 und O sowie Vernehmung des Beklagten als Partei von Amts wegen gemäß § 448 ZPO mit dem aus dem Protokoll der Sitzung vom 23.08.2016 ersichtlichen Ergebnis (Bl. 63 ff. GA) erhoben.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Klägerin stehen gegen die Beklagten keine Ersatzansprüche nach §§ 7, 18 StVG, §§ 823 ff. BGB, § 115 VVG zu.

Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Unfall sich dadurch ereignete, dass durch den Beklagten-LKW in unabwendbarer Weise iSd § 17 Abs. 3 StVG ein auf der Fahrbahn liegender Gegenstand hochgeschleudert wurde.

Dies beruht auf folgenden Erwägungen:

Für die Kammer steht nach durchgeführter Beweisaufnahme zwar iSd § 286 ZPO fest, dass das klägerische Fahrzeug durch einen fliegenden Gegenstand beschädigt wurde, der aus Richtung des Beklagtenfahrzeugs kam.

Hochschleudern von Gegenständen auf Autobahn als unabwendbares Ereignis
(Symbolfoto: guteksk7/Shutterstock.com)

Denn die vernommenen Zeugen haben übereinstimmend glaubhaft ausgesagt, dass sich das Klägerfahrzeug zur Unfallzeit auf der mittleren Autobahn-Spur befand, als aus der Höhe des Beklagten-LKW aus dem Bereich „zwischen Zugmaschine und Auflieger“ ein Gegenstand angeflogen kam. Mit einer derartigen Flugbahn stehen die Beschädigungen an Klägerfahrzeug und die Verschmutzung des dahinter fahrenden Fahrzeugs des Zeugen E3 in Einklang, die jeweils auch von der Polizei begutachtet wurden.

Nach durchgeführter Beweisaufnahme steht für das Gericht jedoch fest, dass es sich nicht um (nicht ordnungsgemäß gesichertes) Ladungsgut des Beklagtenfahrzeugs handelte:

Der vor dem Klägerfahrzeug fahrende Zeuge C hat auf ausdrückliche Nachfrage bekundet, dass er die „Aufliegerkiste“ selbst nicht sehen konnte, sondern nur die Stelle lokalisieren konnte, aus welcher der Gegenstand kam. Auch der Zeuge E4 bekundete lediglich, dass der angeflogene Gegenstand aus dem Bereich zwischen Zugmaschine und Auflieger kam. Dass er den genauen Ausgangsort der Flugbahn verfolgen konnte und als „Aufliegerkiste“ lokalisieren konnte, erscheint auch angesichts seines schlechteren Blickwinkels und der Sicht- und Aufmerksamkeitsbeeinträchtigung durch den vor ihm fahrenden Zeugen C2 ausgeschlossen. Soweit die Zeugen als Ausgangspunkt der Flugbahn die „Aufliegerkiste“ angaben, handelt es sich daher nicht um Wahrnehmungen der Zeugen, sondern allein um Schlussfolgerungen.

Maßgeblich sind jedoch die Angaben des Beklagten zu 3), für dessen Parteivernehmung nach § 448 ZPO der erforderliche „Anbeweis“ bereits deshalb gegeben war, weil der Beklagte zu 3) schon bei der Unfallaufnahme bestritt, einen derartigen Gegenstand mitgeführt zu haben und – angesichts der Ölverschmierungen am Klägerfahrzeug und am Fahrzeug des Zeugen E3 – auch im Bereich der Aufliegerkiste allerhöchstwahrscheinlich Fettschmiere hätte festgestellt werden müssen, welche die Polizei aber gerade trotz Untersuchung ausweislich des Inhalts der Unfallanzeige nicht feststellen konnte. Der Beklagte zu 3) hat glaubhaft angegeben, dass er gerade keinen fettverschmierten Gegenstand, wie ihn die Zeugen beschrieben hatten, mitgeführt habe. Für die Glaubhaftigkeit seiner Angaben kann angeführt werden, dass er sich im Rahmen seiner Parteivernehmung auf die Wiedergabe der wahrgenommenen Tatsachen beschränkte, etwa offenlegte, dass von der Unfallsituation selbst erst später beim „Stoppen“ durch die anderen Fahrzeuge erfahren habe. Er hat auch eingeräumt, dass er sich den Bereich der „Aufliegerkiste“ nach den ihm gegenüber geäußerten Vorwürfen genauer angesehen hat. Auch hat er eingeräumt, dass die Autobahn zur Unfallzeit schon recht leer war und damit einen Umstand benannt, der gegen die Verursachung dritter Verkehrsteilnehmer spricht. Sämtliche vorgenannten Umstände sprechen dagegen, dass der Beklagte zu 3) im Rahmen seiner Parteivernehmung versuchte, manipulierende oder verfälschende Angaben zu machen.

Es kommt ergänzend hinzu, dass Flugbahn und zurückgelegte Entfernung (nach Angaben des Zeugen C flog der Gegenstand an ihm vorbei und traf dann das Beklagtenfahrzeug) eher für ein „Hochschleudern“ als für ein „Herunterfallen“  (mit dann stärkerer Einwirkung der „Schwerkraft“) sprechen.

Auch wenn der Beklagte zu 3) als Partei ein gewisses Eigeninteresse am Ausgang des Rechtsstreits haben kann, besteht – wegen des bestehenden Versicherungsschutzes und seiner Tätigkeit im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses – jedenfalls kein erhebliches finanzielles Eigeninteresse. Das Gericht hat insgesamt keine Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit.

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Letztlich können nach der Lebenserfahrung sowohl mit Schmierfett gefüllte Gefäße (so die Vermutung der Polizeibeamten) als auch Matten oder Ähnliches (vgl. LG Bielefeld NZV 1991, 235 zum Hochschleudern einer sogenannten Reifendecke durch Überfahren) hochgeschleudert werden.

Weitergehende Aufklärung ist auch nicht mehr möglich, zumal der unfallursächliche Gegenstand von den Polizeibeamten nicht sichergestellt werden konnte und der Gegenstand nach Angaben des Zeugen E3 „zerplatzt“ ist.

Auch ein Hochschleudern von Gegenständen erfolgt „bei Betrieb“ des Beklagtenfahrzeugs iSd § 7 StVG.

Jedoch hat die Beklagtenseite den Unabwendbarkeitsnachweis iSd § 17 Abs. 2 StVG geführt:

Zwar gilt auch auf Bundesautobahnen grundsätzlich das Sichtfahrgebot, das nicht durch § 18 StVO außer Kraft gesetzt wird; jedoch ist das Sichtfahrgebot auf Autobahnen jedenfalls bei Dunkelheit in der Weise modifiziert, dass der Kraftfahrer seine Geschwindigkeit in der Weise anpassen muss, dass er auf normale, durchschnittliche erkennbar größerer Hindernisse, dagegen nicht auf solche, die etwa wegen ihrer Beschaffenheit (fehlender Kontrast zur Fahrbahn,  hohe Lichtabsorbtion) ungewöhnlich schwer zu erkennen sind (vgl. hierzu BGH NJW 1984, 2412).

Hier gilt Folgendes: Nach den übereinstimmenden Angaben der Zeugen war es zur Unfallzeit bereits dunkel. Der vorneweg fahrende Zeuge O sagte, dass die Autobahn frei war und für ihn gerade keine Gegenstände erkennbar gewesen seien. Auf dem klägerischen Fahrzeug und dem dahinter fahrenden Fahrzeug befand sich nach der polizeilichen Unfallaufnahme schwarzes Schmierfett, so dass deshalb nicht von einer guten farblichen Erkennbarkeit des Gegenstandes auf der Autobahn auszugehen ist. Letztlich kann es dahingestellt bleiben, ob der überfahrene Gegenstand nach Vermutung der Polizei eine Dose mit schwarzem Schmierfett war oder aber – wie die Zeugen E4, C und E3 in der mündlichen Verhandlung aussagten – eine Matte von ca. 30 cm x 30 cm. Denn auch in letztgenanntem Fall ist gerade keine ausreichende Erkennbarkeit gegeben (vgl. auch LG Bielefeld NZV 1991, 235 zur vergleichbaren Reifendecke, wobei in dem dort entschiedenen Fall die Aufmerksamkeit der Autofahrer durch besondere Umstände – an Fahrzeug Warnblinkanlage und Polizeifahrzeug mit eingeschalteten Blaulicht – sogar noch erhöht gewesen sein dürfte).

Damit besteht schon dem Grunde nach kein Anspruch auf Schadensersatz gegen die Beklagten.

Demzufolge stehen der Klägerin auch keine Verzugs- oder Rechtshängigkeitszinsen zu; auch hat sie keinen Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Anwaltskosten.

Vielmehr war die Klage mit der Kostenfolge des § 91 ZPO insgesamt abzuweisen.

Die Vollstreckbarkeitsentscheidung beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

– Streitwert: 6.114,41 EUR –

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