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Verkehrsunfall – im Bereich einer Schule nebst dort befindlicher Bushaltestelle

LG Kiel – Az.: 4 O 106/19 – Urteil vom 01.02.2019

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin EUR 5.256,44 nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.03.2018 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche aufgrund der durch den Unfall vom 30.01.2017 und dessen Folgen entstandenen und noch entstehenden Schäden mit einer Quote von 50 % zu ersetzen, soweit der jeweilige Anspruch auf die Klägerin übergegangen ist.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 1/3 und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 2/3.

5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweilige Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Beschluss

Der Streitwert wird auf EUR 9.884,66 (Antrag zu 1: EUR 7.884,66; Antrag zu 2: EUR 2.000,-) festgesetzt; §§ 39 Abs. 1, 48 Abs. 1 S. 1 GKG i.V.m. 3 ZPO.

Tatbestand

Die Klägerin macht gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche aus übergegangenem Recht nach einem Verkehrsunfall geltend. Die Klägerin ist Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung der bei ihr versicherten und am xx.xx.2005 geborenen Schülerin xxx (nachfolgend: „Geschädigte“).

Am 30.01.2017 gegen 12:45 Uhr befand sich die zu diesem Zeitpunkt knapp 11 Jahre und x Monate alte Geschädigte auf dem Heimweg von der an der Straße xxx in xxx gelegenen xxxschule. Die Geschädigte befand sich auf dem rechten Gehweg in Richtung Osten. Zu dieser Zeit befanden sich noch viele andere Kinder auf dem Gehweg, da viele Klassen gerade Schulschluss hatten. Einige der Kinder wollten auf die andere Straßenseite und liefen quer über die Straße.

Die Beklagte zu 2) befuhr mit dem bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversicherten Pkw Ford C-Max mit dem amtlichen Kennzeichen xxx die Ortstraße xxx in östlicher Richtung. Etwa auf Höhe xxx hielt zu diesem Zeitpunkt ein Bus an der auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindlichen Bushaltestelle. Es fand ein reges Ein- und Aussteigen statt. Als die Beklagte zu 2), die die Anwesenheit der Schulkinder erkannt hatte, diesen Bereich passierte, trat die Geschädigte, ohne auf den fließenden Verkehr zu achten, von dem Gehweg auf die Straße, um zu dem schräg gegenüber haltenden Bus zu laufen und diesen vor der Abfahrt noch zu erreichen. Hierbei übersah die Geschädigte das von der Beklagten zu 2) gesteuerte Fahrzeug. Die Beklagte zu 2), die die Geschädigte zuvor nicht bemerkt hatte, konnte nicht mehr abbremsen und erfasste die Geschädigte im Bereich des linken Beins. Das von der Beklagten zu 2) gesteuerte Fahrzeug fuhr zum Zeitpunkt des Unfalls mit einer Geschwindigkeit von ca. 30 km/h. Die Geschwindigkeitsbegrenzung betrug in diesem Bereich zum Unfallzeitpunkt 50 km/h, der Bereich war mit dem Gefahrenzeichen 136 („Kinder“) gekennzeichnet.

Durch den Unfall wurde die Geschädigte verletzt. Wegen der Einzelheiten der Verletzung wird auf die Klageschrift vom xx.xx.2018 (Bl. x d. A.) Bezug genommen. Eine Bestätigung über den Abschluss der unmittelbaren Behandlung der Verletzung liegt noch nicht vor.

Die Klägerin hat infolge des Unfalls bislang Versicherungsleistungen in Höhe von EUR 10.512,88 erbracht.

Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagten hafteten für die Unfallschäden mit einer Quote von 75%. Die Betriebsgefahr des von der Beklagten zu 2) gesteuerten Fahrzeugs sei im Unfallzeitpunkt erhöht gewesen. Angesichts der durch die Anwesenheit von Kindern bestehenden besonderen Gefahrensituation habe die Beklagte zu 2) das Fahrzeug allenfalls mit Schrittgeschwindigkeit bewegen, wenn nicht sogar kurzzeitig stoppen müssen. Der aufgrund der erhöhten Betriebsgefahr von dem Fahrzeug ausgehende überwiegende Verursachungsbeitrag werde nur teilweise durch ein Mitverschulden der Geschädigten gemindert.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 7.884,66 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche aufgrund der durch den Unfall vom 30.01.2017 und dessen Folgen entstandenen und noch entstehenden Schäden mit einer Quote von 75% zu ersetzen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten halten den Unfall für ein unabwendbares Ereignis. Hierzu behaupten sie, die Geschädigte sei seitlich gegen das zum Unfallzeitpunkt bereits neben ihr befindliche Fahrzeug gelaufen.

Die Beklagten sind der Ansicht, der Unfall sei durch dass alleinige Verschulden der Geschädigten verursacht worden. Die Beklagte zu 2) treffe kein Sorgfaltsverstoß, insbesondere sei die Geschwindigkeit des Fahrzeugs im Unfallzeitpunkt angemessen gewesen. Die Betriebsgefahr des Fahrzeugs werde durch das alleinige Verschulden der Geschädigten vollständig verdrängt. Im Ergebnis scheide eine Haftung der Beklagten deshalb dem Grunde nach aus.

Die Klageschrift vom xx.xx.xxxx ist am xx.xx.xxxx bei Gericht eingegangen und beiden Beklagen jeweils am xx.xx.xxxx zugestellt worden.

Das Gericht hat im Termin am xx.xx.xxxx die Beklagte zu 2) persönlich angehört. Auf das Sitzungsprotokoll (Bl. x d. A.) wird insoweit Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

I. Die Klage ist zulässig.

Insbesondere hat die Klägerin in Bezug auf den Klageantrag zu 2) ein Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO. Als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung sind etwaige Ansprüche der Geschädigten gegen die Beklagten gemäß § 116 Abs. 1 SGB X auf die Klägerin übergegangen. Eine Bestätigung über den Abschluss der unmittelbaren Behandlung der Verletzung der Geschädigten liegt noch nicht vor. Es besteht somit die Möglichkeit, dass über die bereits entstanden Schäden hinaus weitere Schäden infolge der Verletzung der Geschädigten eintreten. Die Klägerin hat hiernach ein Interesse daran, die Haftung der Beklagten dem Grunde nach feststellen zu lassen.

II. Die Klage ist im tenorierten Umfang begründet.

Die Klägerin hat aus übergegangenem Recht einen Anspruch gegen die Beklagten auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von EUR 5.256,44 sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Schäden aus dem Unfallereignis vom 30.01.2017 auf Grundlage einer Haftungsquote von 50 %. Die Beklagten haften mit einer einheitlichen Haftungsquote, weil Fahrer und Halter eine Haftungseinheit bilden und deswegen die Bildung unterschiedlicher Haftungsquoten zwischen ihnen nicht in Betracht kommt (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 02.04.2015, I-6 U 1733/14, abrufbar unter: BeckRS 2015, 13633 – Rnr. 14). Entsprechend § 840 Abs. 1 BGB haften die Beklagten gegenüber der Klägerin als Gesamtschuldner.

1. Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagten auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von EUR 5.256,44. Der Anspruch gegen die Beklagte zu 1) folgt aus §§ 7 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG i.V.m. § 116 Abs. 1 SGB X, der Anspruch gegen die Beklagte zu 2) folgt aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 S. 1 StVG i.V.m. § 116 Abs. 1 SGB X.

a) Die Geschädigte wurde bei dem Betrieb des von der Beklagten zu 2) gesteuerten und bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversicherten Kraftfahrzeugs verletzt (vgl. § 7 Abs. 1 StVG).

b) Die Ersatzpflicht ist nicht dem Grunde nach ausgeschlossen.

Verkehrsunfall - im Bereich einer Schule nebst dort befindlicher Bushaltestelle
(Symbolfoto: Von Yoshfilms/Shutterstock.com)

aa) Die Ersatzpflicht ist nicht nach § 17 Abs. 3 StVG ausgeschlossen. Danach ist eine Verpflichtung zum Schadensersatz ausgeschlossen, wenn der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht wird, das weder auf einem Fehler in der Beschaffenheit des Fahrzeugs noch auf einem Versagen seiner Vorrichtungen beruht. § 17 Abs. 3 StVG ist in diesem Fall jedoch bereits nicht anwendbar. Die Norm gilt nur im Verhältnis mehrerer Halter untereinander. Sie gilt nicht im Verhältnis eines Halters zu einem – wie hier – nicht motorisierten Geschädigten. Der Gesetzgeber wollte durch diese Beschränkung des Anwendungsbereichs gerade den Schutz der nicht motorisierten Verkehrsteilnehmer, insbesondere die Position der Kinder, der Hilfsbedürftigen und der älteren Menschen, stärken (vgl. BT-Drucks. 14/7752, S. 30). Selbst im Falle eines unabwendbaren Ereignisses ist somit, wenn durch den Unfall ein Fußgänger geschädigt wird, die von dem Kraftfahrzeug ausgehende Betriebsgefahr grundsätzlich als Verursachungsbeitrag zu berücksichtigen.

bb) Die Ersatzpflicht ist auch nicht nach § 7 Abs. 2 StVG ausgeschlossen. Danach ist die Ersatzpflicht ausgeschlossen, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht wird. Umstände, die auf höhere Gewalt schließen lassen könnten, sind jedoch weder vorgetragen noch ersichtlich.

c) Die Ersatzpflicht der Beklagten ist durch ein erhebliches Mitverschulden der Geschädigten gemindert (§ 254 Abs. 1 BGB i.V.m. § 9 StVG). Diesem Mitverschulden steht auf Seiten der Beklagten allerdings eine durch einen Sorgfaltspflichtverstoß der Beklagten zu 2) im Unfallzeitpunkt erhöhte Betriebsgefahr des Fahrzeugs gegenüber. Im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung der hiernach wechselseitigen Verursachungsbeiträge erachtet das Gericht eine hälftige Haftungsteilung für sachgerecht.

aa) Die von dem Fahrzeug ausgehende Betriebsgefahr war aufgrund eines der Beklagten zu 2) anzulastenden Sorgfaltspflichtverstoßes im Unfallzeitpunkt erhöht. Die Beklagte zu 2) hat gegen § 3 Abs. 2a StVO verstoßen, wonach sich der Fahrer eines Fahrzeugs gegenüber Kindern, hilfsbedürftigen und älteren Menschen, insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft, so verhalten muss, dass eine Gefährdung dieser Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Dieser Sorgfaltspflichtverstoß steht im Rahmen des gegen die Beklagte zu 2) gerichteten Anspruchs auch einem Haftungsausschluss nach § 18 Abs. 1 S. 2 StVG entgegen.

Die Beklagte zu 2) hat ihr Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt mit ca. 30 km/h bewegt. Unter Berücksichtigung der konkreten Verkehrssituation war diese Geschwindigkeit entgegen der Ansicht der Beklagten nicht angemessen. Es kann dahinstehen, ob – wie die Klägerin meint – die Beklagte zu 2) das Fahrzeug auf Schrittgeschwindigkeit hätte abbremsen oder gar stoppen müssen. In jedem Fall hätte die Beklagte zu 2) ihre Geschwindigkeit nahe der Schule in dem Bereich der Haltestelle, in dem sich für die Beklagte zu 2) erkennbar viele Kinder aufhielten, von denen einige auch quer über die Straße liefen, auf unter 20 km/h (Anhaltegeschwindigkeit) reduzieren müssen und die auf dem Gehweg befindlichen Kinder, einschließlich der Geschädigten, stets im Blick behalten müssen (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 21.03.1991, 27 U 181/90, abgedruckt in: NVZ 1991, 467). Das Gericht verkennt nicht, dass die Beklagte zu 2) ihre Fahrweise bereits zu einem gewissen Grad an die im Unfallzeitpunkt herrschende besondere Verkehrssituation angepasst und ihre Geschwindigkeit gegenüber den dort grundsätzlich erlaubten 50 km/h auf ca. 30 km/h reduziert hatte. Dies war in der konkreten Situation, in der für den in § 3 Abs. 2a StVO besonders geschützten Personenkreis der Kinder erkennbar ein hohes Gefährdungspotential bestand, jedoch nicht ausreichend. Die konkrete Verkehrssituation erforderte von der Beklagten zu 2) höchste Aufmerksamkeit. Der Unfallbereich war mit dem Gefahrenzeichen 136 („Kinder“) besonders gekennzeichnet. Zum Unfallzeitpunkt befanden sich für die Beklagte zu 2) erkennbar viele Schulkinder auf dem Gehweg, von denen einige auch quer über die Straße liefen. Zudem hielt im Bereich der Unfallstelle zum Zeitpunkt des Unfalls ein Bus an der an der Straße gelegenen Haltestelle, der auch von Schulkindern genutzt wurde. In dieser besonders gefahrenträchtigen Situation hätte die Beklagte zu 2) die Geschwindigkeit des von ihr gesteuerten Fahrzeugs stärker vermindern und die Kinder, an denen sie mit dem Fahrzeug vorbeifuhr, stets im Blick behalten müssen, um so ihre Bremsbereitschaft sicherzustellen und auf eine akute Gefahrenlage sofort reagieren zu können.

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Der Sorgfaltspflichtverstoß der Beklagten zu 2) hat sich zur Überzeugung des Gerichts auch ursächlich auf den Unfall ausgewirkt. Ein Geschwindigkeitsverstoß ist nicht nur dann ursächlich, wenn hierdurch der Unfall insgesamt vermieden worden wäre, sondern auch bereits dann, wenn die Schadensfolgen bei Einhaltung der vorgeschriebenen Geschwindigkeit geringer ausgefallen wären (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 14.8.2014, 4 U 150/13, abgedruckt in: NJW 2015, 639, 640 f. – Rnr. 29 f.). Dabei ist im Sinne einer räumlichen und zeitlichen Vermeidbarkeit auch zu berücksichtigen, ob das Fahrzeug bei Einhaltung der vorgeschriebenen Geschwindigkeit später am Unfallort gewesen wäre, sofern die Vermeidbarkeit in dem zeitlichen Intervall zwischen dem Eintritt der kritischen Verkehrssituation und dem Unfallereignis in Rede steht. Die kritische Verkehrssituation beginnt für einen Verkehrsteilnehmer dann, wenn die ihm erkennbare Verkehrssituation konkreten Anlass dafür bietet, dass eine Gefahrensituation unmittelbar entstehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 25.03.2003, VI ZR 161/02, abgedruckt in: NJW 2003, 1929). Bereits bei einer Geschwindigkeit von 20 km/h, was 5,55 m/s entspricht, hätte die Beklagte zu 2) mit dem von ihr gesteuerten Fahrzeug pro Sekunde 2,78 m weniger zurückgelegt als bei der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit von 30 km/h (= 8,33 m/s). Bei einer Geschwindigkeit von 15 km/h (= 4,16 m/s) beträgt die Streckendifferenz gegenüber den gefahrenen 30 km/h pro Sekunde schon 4,16 m. Die kritische Verkehrssituation begann für die Beklagte zu 2) spätestens in dem Zeitpunkt, in dem sie sich dem Bereich der Bushaltestelle näherte. Es befanden sich zu diesem Zeitpunkt erkennbar viele Kinder auf dem Gehweg, von denen einige, was die Beklagte zu 2) – wie sie in ihrer Anhörung im Termin am xx.xx.xxxx bestätigt hat (vgl. Bl. x d. A.) – auch bemerkt hatte, quer über die Straße liefen. Es fand zudem an der Bushaltestelle ein reges Ein- und Aussteigen statt. Das in dieser konkreten Verkehrssituation erkennbar liegenden Gefahrenpotential konnte sich in jedem Moment zu einer akuten Gefahrenlage verdichten. Die Beklagte zu 2) hätte deshalb bereits vor Erreichen des Haltestellenbereichs ihre Geschwindigkeit auf unter 20 km/h reduzieren müssen. Die Beklagte zu 2) hat in ihrer Anhörung angegeben, dass sie nicht habe bremsen können, da sie die Geschädigte nicht bemerkt habe, bis es tatsächlich zum Unfall kam. Sie habe nur ein Rumpeln bemerkt, sei ausgestiegen und habe die Geschädigte dann auf der Straße liegen sehen (vgl. Bl. x d. A.). Hätte die Beklagte zu 2) bereits vor Erreichen des Haltestellenbereichs ihre Geschwindigkeit auf unter 20 km/h reduziert, hätte die Beklagte zu 2) in dem zeitlichen Intervall zwischen dem Eintritt der kritischen Verkehrssituation und dem Unfallereignis eine geringere Wegstrecke zurückgelegt, was jedenfalls ausgeschlossen hätte, dass die Geschädigte – wie von den Beklagten behauptet – seitlich in das von der Beklagten zu 2) gesteuerte Fahrzeug hineingelaufen wäre. Ob die Behauptung der Beklagten zutrifft, kann deshalb dahinstehen. Die Beklagte zu 2) hätte hiernach bei rechtzeitiger Verringerung ihrer Geschwindigkeit vor dem Zusammenstoß jedenfalls noch bremsen und ihre ohnehin bereits geringere Annäherungsgeschwindigkeit noch weiter vermindern, gegebenenfalls auch ausweichen können und hätte die Geschädigte auf diese Weise nicht ungebremst erfasst. Hierdurch wäre der Unfall, wenn er nicht schon insgesamt vermieden worden wäre, jedenfalls abgemildert worden.

Dies gilt umso mehr, als sich der Sorgfaltspflichtverstoß der Beklagten zu 2) nicht in einem Überschreiten der in der konkreten Verkehrssituation angemessenen Geschwindigkeit erschöpft. Die Beklagte zu 2) hatte die Geschädigte darüber hinaus bis zu dem Moment, in dem es schon zum Unfall gekommen war, nicht bemerkt (vgl. Bl. x d. A.). Die Beklagte zu 2) hat ihre Sorgfaltspflicht also auch insoweit verletzt, als sie die Kinder, an denen sie mit dem Fahrzeug vorbeifuhr, nicht im Blick behalten hat. Auch dieser Sorgfaltspflichtverstoß hat sich unfallursächlich ausgewirkt, da er der Beklagten zu 2) die Möglichkeit nahm, in dem Moment, in dem sich die auf dem Gehweg befindliche Geschädigte der Straße zuwandte, um diese zu betreten, ein Brems- oder Ausweichmanöver einzuleiten. Die Kombination von einer in der konkreten Verkehrssituation zu hohen Geschwindigkeit und einer unzureichenden Beobachtung der auf dem Gehweg befindlichen Kinder haben hiernach nicht nur die bestehende Gefahrensituation verschärft, sondern auch in dem konkreten Unfallereignis ihren Niederschlag gefunden.

Im Übrigen begründet ein Verstoß gegen die besondere Sorgfaltspflicht des § 3a Abs. 2a StVO ein Anscheinsbeweis dafür, dass bei Beachtung der nach § 3 Abs. 2a StVO erforderlichen Sorgfalt der konkrete Unfall nicht eingetreten bzw. dessen Folgen zumindest abgemilderter worden wären. Denn § 3 Abs. 2a StVO verlangt von einem Fahrzeugführer, sich so zu verhalten, dass eine Gefährdung der genannten und besonders geschützten Personengruppen, insbesondere eine Gefährdung von Kindern, ausgeschlossen ist. Wenn – wie hier – ein Verstoß gegen die besondere Sorgfaltspflicht des § 3 Abs. 2a StVO festgestellt ist, so ist im Sinne einer normativ-typisierten Betrachtungsweise davon auszugehen, dass ein Alternativverhalten, das dem Maßstab des § 3 Abs. 2a StVO entsprochen hätte, mithin eine Gefährdung dieser Personengruppen im Sinne des Gesetzes ausgeschlossen hätte, auch geeignet gewesen wäre, den Unfall zu vermeiden bzw. dessen Folgen abzumildern. Bei dieser Sachlage hätte es den Beklagten oblegen, konkrete Tatsachen darzulegen und zu beweisen, welche die Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs jenseits dieser normativ-typisierten Betrachtungsweise aufzeigen. Die bloße Berufung auf ein unabwendbares Ereignis, wie es die Beklagten geltend gemacht haben, ist hierfür nicht ausreichend, zumal die Geschädigte bei Einhaltung der Sorgfaltspflicht gemäß § 3 Abs. 2a StVO jedenfalls nicht – wie von den Beklagten behauptet – seitlich in das Fahrzeug hingelaufen wäre.

bb) Auf Seiten der Geschädigten ist ein erhebliches Mitverschulden zu berücksichtigen. Angesichts des Alters der im Unfallzeitpunkt erst 11 Jahre und x Monate alten Geschädigten führt dies jedoch nicht dazu, dass sich die Haftungsquote auf Seiten der Beklagten auf weniger als 50 % reduziert.

Hat bei der Entstehung eines Schadens ein Verschulden des Geschädigten mitgewirkt, so hängt gemäß § 254 Abs. 1 BGB i.V.m. § 9 StVG die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. War der Geschädigte im Zeitpunkt der Schädigung minderjährig, muss sich dieser ein Mitverschulden nur nach Maßgabe des § 828 BGB entgegenhalten lassen. Nach § 828 Abs. 3 BGB ist derjenige, welcher das zehnte, nicht jedoch das 18. Lebensjahr vollendet hat, für den Schaden, den er einem anderen zufügt, nur verantwortlich, wenn er bei der Begehung der schädigenden Handlung die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hat. Auch in diesem Fall haftet der Minderjährige mit Vollendung des zehnten Lebensjahres jedoch nicht sofort voll, vielmehr ist der Übergang gleitend zu gestalten. Hierfür spricht zum einen die Regelung in § 3 Abs. 2a StVO, wonach sich Fahrzeugführer insbesondere gegenüber Kindern so zu verhalten haben, dass deren Gefährdung ausgeschlossen ist. Der in § 3 Abs. 2a StVO geregelte besondere Schutz der Kinder enthält keine starre Altersgrenze von zehn Jahren. Zum anderen hat der Gesetzgeber durch die Einführung des § 828 Abs. 2 BGB und die damit verbundene Haftungsfreistellung von Kindern unter zehn Jahren für Schäden im Zusammenhang mit dem motorisierten Verkehr zu erkennen gegeben, dass Kinder frühestens ab Vollendung des zehnten Lebensjahres imstande sind, die besonderen Gefahren des motorisierten Verkehrs zu erkennen und sich zu dementsprechend zu verhalten, wobei die hierfür erforderliche intellektuelle Einsicht jedoch nicht schlagartig mit Vollendung des zehnten Lebensjahres vollständig eintritt (vgl. zum Ganzen: Grüneberg, Die (Mit-)Haftung von Kindern und Jugendlichen bei Verkehrsunfällen, NJW 2013, 2705 m.w.N.).

Die Geschädigte hatte im Unfallzeitpunkt die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht im Sinne des § 828 Abs. 3 BGB. Die Geschädigte war zum Unfallzeitpunkt knapp s. o. alt. Von einer 11-Jährigen Schülerin kann erwartet werden, dass sie die Gefahren des Straßenverkehrs kennt und sich verkehrsgerecht verhält. Dies wird von den Parteien auch nicht infrage gestellt.

Der Geschädigten fällt auch ein erhebliches Mitverschulden zur Last. Die Geschädigte ist entgegen der § 25 Abs. 3 S. 1 StVO normierten Sorgfaltspflicht ohne Beachtung des fließenden Verkehrs auf die Straße gelaufen, auf der die Beklagte zu 2) mit dem von ihr gesteuerten Fahrzeug fuhr. Die Geschädigte verhielt sich dabei grob fahrlässig. Denn sie hat die erforderliche Sorgfalt in besonderem Maße außer Acht gelassen, wobei sie den Eintritt eines Schadens hätte voraussehen können und müssen und es ihr bei Erkenntnis der Gefährlichkeit ihres Handelns in der konkreten Situation möglich und zumutbar war, sich dieser Erkenntnis gemäß zu verhalten. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass in Bezug auf Minderjährige bei der Prüfung der Fahrlässigkeit besondere Umstände eines spontan-emotionalen Vorgangs, wie er ganzen Altersgruppen von Jugendlichen eigen ist, zu berücksichtigen sind (vgl. BGH, Urteil vom 28.02.1984, VI ZR 132/82, abgedruckt in: NJW 1984, 1958). Die Situation nach Schulschluss, in der sich die Geschädigte zur Unfallzeit befand und die bei Kindern im Alter der Geschädigten regelmäßig von einer gewissen Ausgelassenheit und Sorglosigkeit geprägt ist, mildert den Schuldvorwurf zwar ab. Jedoch kann und muss von einem Schulkind im Alter der Geschädigten – und zwar auch und gerade in der Situation nach Schulschluss – erwartet werden, dass es die elementaren Grundregeln des Straßenverkehrs, zu denen insbesondere gehört, die Fahrbahn nur unter Beachtung des fließenden Verkehrs zu betreten, kennt und diese beachtet.

Angesichts des Alters der im Unfallzeitpunkt erst knapp 11 Jahre und x Monate alten Geschädigten sowie unter Berücksichtigung der besonderen psychischen Situation eines Schulkindes nach Schulschluss sieht es das Gericht als sachgerecht an, bei Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge, namentlich der erhöhten Betriebsgefahr des von der Beklagten zu 2) gesteuerten Fahrzeug einerseits und des Mitverschuldens der Geschädigten andererseits, eine hälftige Haftungsteilung vorzunehmen. Dabei hat das Gericht berücksichtigt, dass die Haftung Minderjähriger nach § 828 Abs. 3 BGB gleitend zu gestalten ist und dass die Geschädigte die Altersgrenze von zehn Jahren, bis zu der sie von jeder Mithaftung im Straßenverkehr freigestellt gewesen wäre, noch nicht so weit überschritten hat, dass von einem in jeder Hinsicht angemessenen Umgang mit den Gefahren des Straßenverkehrs ausgegangen werden könnte.

d) Die Klägerin kann hiernach auf der Rechtsfolgenseite von den Beklagten als Gesamtschuldner aus übergangenem Recht die Zahlung von EUR 5.256,44 verlangen. Dies entspricht 50 % der von der Klägerin bislang erbrachten Versicherungsleistungen in Höhe von EUR 10.512,88. Soweit die Klägerin darüber hinaus von den Beklagten weitergehenden Schadensersatz verlangt hat, war die Klage abzuweisen.

e) Der Zinsanspruch folgt aus § 291 i.V.m. § 288 Abs. 1 S. 2 BGB. Die Klage wurde mit Zustellung an beide Beklagte am xx.xx.xxxx rechtshängig. Prozesszinsen sind entsprechend § 187 Abs. 1 BGB ab dem Folgetag der Rechtshängigkeit zu entrichten.

2. Darüber hinaus kann die Klägerin nach §§ 7 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG i.V.m. § 116 Abs. 1 SGB X bzw. §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 S. 1 StVG i.V.m. § 116 Abs. 1 SGB X die Feststellung verlangen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche aufgrund der durch den Unfall vom 30.01.2017 und dessen Folgen entstandenen und noch entstehenden Schäden mit einer Quote von 50 % zu ersetzen. Dabei war im Tenor ergänzend klarzustellen, dass die Verpflichtung der Beklagten gegenüber der Klägerin nur in dem Umfang besteht, in dem der jeweilige Anspruch auf die Klägerin übergegangen ist. In dem über eine Haftungsquote von 50 % hinausgehenden Umfang war der Feststellungsantrag abzuweisen.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 Var. 2 i.V.m. § 100 Abs. 4 S. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 709 S. 1 und 2, 711 S. 1 und 2 ZPO.

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