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Verkehrsunfall im Kosovo – anwendbares Recht und Günstigkeitsprüfung

Oberlandesgericht Schleswig-Holstein – Az.: 7 U 17/14 – Urteil vom 14.09.2017

Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung seiner Berufung im Übrigen das am 17. Januar 2014 verkündete Teil-Grund und Endurteil der Einzelrichterin der 3. Zivilkammer des Landgerichts Kiel teilweise geändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

1. Der Kläger hat dem Grunde nach einen Anspruch gegen die Beklagte auf Ersatz des ihm aufgrund des Verkehrsunfalls vom 15. August 2007 im Kosovo entstandenen Verdienstausfalls.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger seinen aus dem Verkehrsunfall vom 15. August 2007 zukünftig entstehenden materiellen Schaden zu 100% zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder Dritte übergegangen sind oder übergehen.

3. Die Kostenentscheidung für den ersten Rechtszug bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens sowie des Revisionsverfahrens vor dem Bundesgerichtshof VI ZR 437/14 trägt die Beklagte. Die Kosten des Streithelfers trägt dieser selbst.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch den Kläger gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall.

Der Kläger war selbständig im Baunebengewerbe tätig. Am 15. August 2007 erlitt er als Fahrzeugführer im Kosovo einen Verkehrsunfall, an dem das bei der Beklagten (einer Versicherung mit Sitz in Wien) haftpflichtversicherte Kraftfahrzeug Toyota Runner (VRN „EU …“) beteiligt war. Die alleinige Haftung des Unfallgegners des Klägers steht nicht im Streit. Der PKW-Sachschaden wurde von der Beklagten bereits vorgerichtlich reguliert.

Der Kläger wurde bei dem Unfall verletzt. Er erlitt eine leichte Zerrung der Halswirbelsäule, eine Prellung der rechten Schulter, Knieprellungen auf beiden Seiten und eine Schädelprellung. Ob weitere unfallbedingte (Dauer-)Schäden körperlicher und psychischer Art vorliegen (insbesondere die von dem Kläger behauptete posttraumatische Belastungsstörung PTBS), ist streitig.

Der vom Kläger beauftragte Streithelfer forderte die Beklagte mit vorgerichtlichem Schreiben vom 27. August 2007 zur Begleichung des Schadens als „Teilschadensersatz“ auf und wies auf erlittene Verletzungen des Klägers hin (vgl. Anlage K1, Bl. 65 ff.). Mit Schreiben vom 2. Januar 2008 führte der Streithelfer aus, dass der Kläger aufgrund der unfallbedingten Verletzungen nicht in der Lage sei, die von ihm bisher ausgeübte selbständige Tätigkeit als Dienstleister auszuführen und schlug vor, die weitere Regulierung des Schadens telefonisch zu besprechen (vgl. Anlage K2, Bl. 68 ff. d. A.). Seinen Schmerzensgeldanspruch machte der Kläger bereits im September 2009 mittels Klage in Österreich geltend. Am 6. März 2014 verurteilte das Landesgericht ZRS Wien (Berufungsgericht) die Beklagte zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 4.200 Euro an den Kläger (vgl. Bl. 280 ff. d. A.).

Mit der Teilklage vom 18.9.2012 beansprucht der Kläger Ersatz des Verdienstausfalls bis zum 31. Dezember 2012 und die Feststellung der Verpflichtung, dass die Beklagte ihm seinen aus dem Unfall zukünftig entstehenden materiellen Schaden zu 100 % zu ersetzen habe. Er hat behauptet, er sei unfallbedingt arbeitsunfähig, was zu einem Schaden in Höhe von mindestens 170.000 Euro geführt habe. Hierauf lässt er sich ein Krankentagegeld in Höhe von 13.815,84 Euro anrechnen. Dies führe mindestens zu einem Schaden in geltend gemachter Höhe.

Er hat beantragt,

1. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm seinen aus dem Unfall vom 15. August 2007 zukünftig entstehenden materiellen Schaden zu 100 Prozent zu ersetzen.

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 120.000 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6. Dezember 2012 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat sich auf die Einrede der Verjährung berufen.

Das Landgericht hat auf die am 19. September 2012 erhobene und am 30. Oktober 2012 zugestellte Klage durch Teil-Grund- und Endurteil den Zahlungsantrag dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und den Feststellungsantrag als verjährt abgewiesen. Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil nebst darin enthaltener Verweisungen Bezug genommen.

Hiergegen wenden sich beide Parteien mit ihren jeweiligen Berufungen, mit der sie ihre erstinstanzlichen Begehren weiterverfolgen, der Kläger mit dem Ziel, seinem Feststellungsbegehren stattzugeben, die Beklagte, eine Klagabweisung zu erreichen.

Der Senat hat mit am 2. Oktober 2014 verkündeten Urteil die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und auf die Berufung des Klägers das erstinstanzliche Urteil im Hinblick auf die Abweisung des Feststellungsantrags aufgehoben und zurückverwiesen.

Auf die vom Bundesgerichtshof zugelassene Revision der Beklagten (VI ZR 437/14) hat der VI. Zivilsenat in seinem Urteil vom 1. März 2016 das Urteil des Senats aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, zurückverwiesen. Zur Begründung hat der Bundesgerichtshof im Wesentlichen ausgeführt, der Senat habe für den Zahlungsantrag das anwendbare Recht fehlerhaft bestimmt und die Sache rechtsfehlerhaft an das Landgericht zurückverwiesen.

Ein – hier verfolgter – Direktanspruch gegen den Versicherer könne nach der nationalen Kollisionsvorschrift des Art. 40 Abs. 4 EGBGB geltend gemacht werden, wenn das auf die unerlaubte Handlung oder das Recht, dem der Versicherungsvertrag unterliegt, dies vorsehe. Die anzuwendende Kollisionsvorschrift des Art. 40 Abs. 1 Satz 1 EGBGB verweise auf das im Kosovo als Tatort geltende Recht. Der Senat habe aber nicht geprüft, ob das im Unfallzeitpunkt geltende Recht im Kosovo diese Verweisung annehme oder eine Rück- oder Weiterverweisung ausspreche. Auch die vom Senat angenommene Hemmung der Verjährung gemäß § 27 Abs. 2 Satz 1 KHVG (österreichisches Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsgesetz) und die Herleitung des Direktanspruchs aus § 26 Satz 1 KHVG begegne durchgreifenden Bedenken. Denn es stehe nicht fest, ob der Versicherungsvertrag österreichischem Recht unterliege. Es sei eine Prüfung vorzunehmen, ob entweder das für die unerlaubte Handlung einschlägige Recht oder das Recht des Versicherungsvertrags im konkreten Einzelfall für den Geschädigten günstiger sei. Dazu müsse das Berufungsgericht feststellen, in welchem Land das versicherte Risiko belegen sei.

Nach Aufhebung des Senatsurteils durch den Bundesgerichtshof hat der Senat gemäß Beschluss vom 27. Oktober 2016 (Bl. 301 ff. d. A.) Beweis erhoben durch Einholung eines Rechtsgutachtens über das kosovarische internationale Privatrecht und Schadensersatzrecht. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg vom 27. März 2017 Bezug genommen (vgl. Bl. 354 ff. d. A.).

Wegen der Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die Berufung des Klägers hat im Wesentlichen Erfolg. Die Berufung der Beklagten bleibt dagegen erfolglos.

Der Kläger hat dem Grunde nach einen Anspruch gegen die Beklagte auf Ersatz der materiellen Schäden aus dem streitgegenständlichen Unfallereignis. Dieser Anspruch ist aufgrund des hier anzuwendenden österreichischen Rechts nicht verjährt. Auch der Feststellungsantrag des Klägers bezüglich der Eintrittspflicht der Beklagten für künftige Unfallschäden ist – ganz überwiegend – begründet.

Im Einzelnen:

1.

Nach § 26 S.1 KHVG bzw. Art 941 OblG 1978 (= jugoslawischen Bundesgesetz über Schuldverhältnisse von 1978) kann der geschädigte Dritte den ihm zustehenden Schadenersatzanspruch auch direkt bei dem gegnerischen Haftpflichtversicherer geltend machen. Dieser Anspruch des Klägers auf Schadensersatz gegen die Beklagte ist nicht verjährt. Denn der Lauf der Verjährung ist aufgrund des infolge einer „Günstigkeitsprüfung“ anzuwendenden österreichischen Rechts gemäß § 27 Abs. 2 KHVG seit dem 2. Januar 2008 gehemmt.

Das anzuwendende Recht bemisst sich hier nach Art. 40 EGBGB. Da sich der Unfall am 15. August 2007 ereignete, ist die Verordnung (EG) Nr. 864/2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II) nicht anzuwenden, denn diese trat erst am 11. Januar 2009 in Kraft. Im Rahmen von Art. 40 Abs. 4 EGBGB ist eine Günstigkeitsprüfung vorzunehmen (“alternative Anknüpfung“ vgl. MüKoBGB/Junker, EGBGB, Rn. 40, Rn. 118), ob für den Geschädigten das für die unerlaubte Handlung einschlägige Recht oder das Recht des Versicherungsvertrags einschlägig ist.

Vorliegend ist das Versicherungvertragsstatut maßgeblich, denn dieses sieht für den Kläger das mit Blick auf die streitige Verjährungsfrage günstigere österreichische Recht vor.

a) Rechtsposition des Klägers bei Anknüpfung an das Deliktsrecht

Bei der Anknüpfung an das Deliktsrecht wäre der Anspruch des Klägers verjährt.

Das deutsche Kollisionsrecht verweist in Art. 40 Abs. 1 EGBGB auf das zur Tatzeit im Kosovo geltende Recht. Dies hat die Billigung des Bundesgerichtshofs gefunden (vgl. S. 6 der Urteilsgründe). Die in der Revisionsentscheidung aufgeworfene Frage, ob das kosovarische Recht diese Verweisung annimmt oder eine Rück- oder Weiterverweisung ausspricht, ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme dahingehend zu beantworten, dass die Verweisung angenommen wird.

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„Annahme“ bedeutet hierbei, dass das IPR des Staates, auf dessen Recht verwiesen wird, ebenfalls das eigene Recht für anwendbar erklärt (vgl. BeckOK BGB/Lorenz EGBGB Art. 4, Rn. 13). Keine Annahme erfolgt, wenn das IPR des Kosovo entweder auf das deutsche Recht zurück- oder an eine dritte Rechtsordnung weiterverweist. Beide Institute firmieren unter dem Begriff „Renvoi“ (vgl. Kienle, Internationales Privatrecht, 2. Aufl., Rn. 31). Hier steht nach der Einholung des Rechtsgutachtens fest, dass das Recht des Kosovo die Verweisung aus Art. 40 Abs. 1 EGBGB annimmt. Dieses Ergebnis des Rechtgutachtens des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg vom 27. März 2017 wird von den Parteien auch nicht angegriffen. Hiernach folgt die Annahme der Verweisung aus Art. 28 des fortgeltenden jugoslawischen Bundesgesetzes über die Regelung von Kollisionen der Gesetze mit den Vorschriften anderer Staaten bei bestimmten Rechtsverhältnissen (IPRG) von 1982. Danach ist für die außervertragliche Schadenshaftung das Recht des Ortes anzuwenden, an dem die Handlung begangen wurde.

Bei Zugrundlegung der Anwendung des kosovarischen Rechts ist der Anspruch des Klägers verjährt. Der Geschädigte kann gemäß Art. 941 Abs. 1 OblG 1978 (Jugoslawien) die Beklagte als Haftpflichtversicherung im Fall der Verletzung direkt auf Schadensersatz in Anspruch nehmen. Dieser Anspruch unterliegt der Verjährung gemäß Art. 376 OblG 1978. Es kann dahinstehen, wann die dreijährige Verjährungsfrist des Art. 376 Abs. 1 OblG 1978 zu laufen begann, welcher Kenntnis von dem Schaden und der Person des Schädigers voraussetzt. Denn zum Zeitpunkt der Klagerhebung wäre jedenfalls die absolute Verjährung nach Art. 376 Abs. 2 OblG 1978 eingetreten, der fünf Jahre seit Entstehung des Schadens eine Verjährung „in jedem Fall“, also auch ohne Kenntnis, vorsieht. Da der Unfall vorliegend am 15. August 2007 geschah, wären hieraus resultierende Ansprüche spätestens mit Ablauf des 15. August 2012 verjährt.

Eine Unterbrechung des Verjährungslaufs durch Klageerhebung ist hier nicht rechtzeitig erfolgt, denn der Kläger hat die vorliegende Klage erst am 19. September 2012 eingereicht, mithin nach Ablauf der Verjährung.

Die Voraussetzungen für eine Unterbrechung der Verjährung nach §§ 381 ff. OblG 1978 liegen nicht vor. Insbesondere liegt mit Bezug auf den Verdienstausfall kein Schuldanerkenntnis im Sinne des Art. 387 OblG 1978 vor. Auch eine Hemmung gemäß Art. 383 OblG 1978 ist nicht gegeben. Hiernach läuft die Verjährung nicht, solange ein Gläubiger wegen „unüberwindlicher Hindernisse“ nicht in der Lage war, die Erfüllung der Verpflichtung zu erlangen. Es kann dahinstehen, ob das vom Rechtsgutachten für das Vorliegen eines unüberwindlichen Hindernisses genannte Anwendungsbeispiel des „Bestehens eines Kriegszustandes“ hier vorlag, denn eine außergerichtliche schriftliche Aufforderung genügte für die Unterbrechung der Verjährung gem. Art. 391 OblG 1978 nicht. Vielmehr knüpft Art. 388 OblG 1978 die Unterbrechung der Verjährung an die Einreichung einer Klage. Eine solche Klage wäre jedenfalls in Deutschland oder Österreich gegen den Versicherer zu unverjährter Zeit unproblematisch möglich gewesen. Schließlich hielt sich der Kläger unmittelbar nach dem Unfall auch wieder in Deutschland auf.

Dem vorgerichtlichen Anwaltsschreiben vom 2. Januar 2008 (Anlage K2) billigt das Rechtsgutachten nach kosovarischem Recht deshalb keine Unterbrechung oder Hemmung des Verjährungslaufs zu.

b) Rechtsposition des Klägers bei Anknüpfung an das Recht des Versicherungsvertrags

Bei Anknüpfung an den Versicherungsvertrag (zwischen der Beklagten und dem Halter, also der „United Nations Interim Administration in Kosovo“ = UNMIK) kommt österreichisches Recht zur Anwendung. Danach ist der Anspruch des Klägers nicht verjährt. Für die Ermittlung des Versicherungvertragsstatuts ist maßgeblich, wo das versicherte Risiko belegen ist. Je nach Belegenheit des versicherten Risikos kommen entweder die Kollisionsvorschriften in Art. 7 ff. EGVVG a. F. oder Art. 27 ff. EGBGB a. F. zur Anwendung (vgl. BGH, Urteil vom 1.3.2016, VI ZR 437/14, RN. 24 m.w.N.).

Hier ist das versicherte Risiko im Kosovo belegen. Allerdings kommt als entscheidende Anknüpfung für die Belegenheit des Risikos aufgrund der besonderen Umstände vorliegend nicht die Eintragung des Fahrzeugs in ein Register in Betracht. Denn das von der Beklagten versicherte Fahrzeug ist nach unbestrittenem Klägervortrag als UN- bzw. EU-Fahrzeug nicht in das Register eines Nationalstaates eingetragen worden. Das UNMIK-Fahrzeug war seit dem 1.1.2007 unter Vehicle Registration Number „EU …“ bei der Beklagten versichert, die eine internationale Versicherungskarte („Grüne Karte“, vgl. Anlage K17, Bl. 257 GA) für das Fahrzeug ausgegeben hat. Das UNMIK-Fahrzeug wurde weder von den kosovarischen Behörden noch von den Behörden eines EU-Mitgliedsstaates zugelassen und registriert. Die v.g. Registriernummer wurde vielmehr von der EU (UNMIK – EU Pillar) vergeben. Pillar IV (Säule IV) für „Wiederaufbau und wirtschaftliche Entwicklung“ wurde unter Führung der UN von der EU verwaltet. Seitens der UN und der EU wurde das Council of Bureaux (CoB) in Brüssel (als Dachorganisation der nationalen Grüne Karte Büros) gebeten, einen Versicherer für die UNMIK-Fahrzeuge zu suchen. Aufgrund der UNO-Empfehlung Nr.5 sollen die UN eine Garantie für die Rückerstattung der bei der Versicherung angefallenen Schadensaufwendungen übernommen haben. Der Versicherungsvertrag selbst gibt keine Auskunft über die Belegenheit des Risikos, da er eine örtliche Beschränkung für die Nutzung des Fahrzeugs nicht vorsieht (vgl. Versicherungspolice vom 24. Februar 2006, Bl. 294 ff. d. A.). Der Senat greift für die Ermittlung der Belegenheit des versicherten Risikos deshalb hier hilfsweise auf den Rechtsgedanken aus Art. 7 Abs. 2 Nr. 4 lit. b EGVVG a. F. zurück, der darauf abstellt, wo sich die entsprechende Einrichtung befindet, auf die sich der Vertrag bezieht. Das UNMIK-Hauptquartier befand sich unstreitig in Pristina/Kosovo. Die UNMIK gehörte entsprechend der UNO-Resolution 1244 unter das Dach der Vereinten Nationen. Im Rahmen dieser Mission mit ihren vier Säulen (Übergangsverwaltung, humanitäre Fragen, Wiederaufbau, Einrichtung des Regierungsapparates) sollte das Fahrzeug in der Säule IV (Wiederaufbau und wirtschaftliche Entwicklung, verwaltet von der EU) eingesetzt werden. Deshalb sollte das Fahrzeug unstreitig zumindest überwiegend auf dem Gebiet des Kosovo eingesetzt und genutzt werden (vgl. Vortrag der Beklagten Bl. 292: „nur dort genutzt“; Kläger Bl. 399 d. A.: „überwiegend auf dem Territorium des Kosovo genutzt“). Das versicherte Haftpflichtrisiko ist deshalb im Kosovo belegen.

Damit ist der Anwendungsbereich von Art. 7 Abs. 1 EGVVG a. F. nicht eröffnet. Hiernach müsste das Risiko nämlich entweder in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaft oder in einem Vertragsstaat des Europäischen Wirtschaftsraums belegen gewesen sein. Beides ist nicht der Fall. Denn weder Ex-Jugoslawien (Serbien und Montenegro) noch der Kosovo, der sich überhaupt erst am 17. Februar 2008, also nach dem Unfall, für unabhängig erklärt hat, sind Staaten im Sinne der Vorschrift.

Deshalb finden auf den vorliegenden Fall die Kollisionsvorschriften der Art. 27 ff. EGBGB a. F. Anwendung. Nach Art. 27 Abs. 1 a. F. EGBGB unterliegt ein Vertrag dem von den Parteien gewählten Recht. Dies führt hier zu einer Anwendung des österreichischen Rechts. Denn die Parteien haben ausweislich des Versicherungsvertrages vom 24. Februar 2006 bezüglich der Haftpflichtversicherung die „Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung 2005 (AKHB 2005)“ zur Grundlage des Vertrags gemacht. Gem. Art. 23 der AKHB 2005 gilt österreichisches Recht. Selbst wenn diese Rechtswahl unwirksam wäre, gilt aufgrund der Vermutung des Art. 28 Abs. 2 EGBGB österreichisches Recht (= Recht des Staates, mit dem der Vertrag die „engsten Verbindungen aufweist“).

Nach österreichischem Recht sind die Ansprüche des Klägers nicht verjährt. Der Direktanspruch des geschädigten Dritten unterliegt gemäß § 27 KHVG der gleichen Verjährung wie der Schadensersatzanspruch gegen den Versicherten. Hier beträgt gemäß Art. 376 OblG 1978 die Verjährungsfrist im Grundsatz drei Jahre ab Kenntnis von Schaden und Schädiger. Der Lauf der Verjährung ist gem. § 27 Abs. 2 KHVG gehemmt, weil der Kläger seine Forderungen auf Verdienstausfall mit Schreiben vom 2. Januar 2008 bei der Versicherung angemeldet hat. Der Senat nimmt insoweit auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Urteil Bezug.

2.

Auch der zulässige Feststellungsantrag des Klägers bezüglich künftig entstehender materieller Ansprüche ist – abgesehen von einem Vorbehalt – zulässig und begründet.

Ein Antrag auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz künftiger Schäden ist zulässig, wenn die bloße Möglichkeit eines Schadenseintritts besteht und ein haftungsrechtlich relevanter Eingriff vorliegt, der zu möglichen künftigen Schäden führen kann. Ein Interesse an der Feststellung ist nur zu verneinen, wenn aus Sicht des Geschädigten bei verständiger Würdigung des Falls kein Grund besteht, mit den Eintritt eines weiteren Schadens zu rechnen (vgl. BGH, Beschluss vom 9.1.2007, NJW-RR 2007, 601 – 602). Hier sind unstreitig durch den Unfall physische Primärverletzungen beim Kläger, u. a. eine Zerrung der Halswirbelsäule, eingetreten. Ob darüber hinaus unfallbedingte, psychische Beeinträchtigungen in Form einer PTBS vorliegen, ist zwischen den Parteien streitig. Die Neurologin B. B. (P.), die der Kläger am 30.8.2007 – mithin nur 15 Tage nach dem Unfall- aufgesucht hat, hat u. a. eine „posttraumatische Belastungsreaktion“ diagnostiziert (vgl. Arztbrief vom 5.9.2007, Anlage K18, Bl. 287 d. A.). Darauf führt der Kläger seine fortdauernde Arbeitsunfähigkeit zurück. Dies ist für die Zulässigkeit des Feststellungsbegehrens ausreichend. Es reicht bei der Verletzung eines absoluten Rechtsguts aus, wenn künftige Schadensfolgen (wenn auch nur entfernt) möglich, ihre Art und ihr Umfang, sogar ihr Eintritt aber noch ungewiss sind (Zöller-Greger, ZPO, 31. Aufl. § 256 Rn.9 m.w.N.). Ob darüber hinaus eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu verlangen ist, hat der Bundesgerichtshof – soweit ersichtlich – bisher offen gelassen (vgl. BGH, a.a.O., Beschluss v. 9.1.2007, juris Rn. 6 m.w.N.). Die Frage braucht hier allerdings auch nicht abschließend entschieden werden. Denn eine gewisse, nicht notwendig überwiegende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts liegt aufgrund des vorgenannten Geschehensablaufs insbesondere im Hinblick auf die unfallnahe Diagnose der behandelnden Neurologin B. vor.

Allerdings ist der Antrag nur insoweit zulässig, als Ansprüche nicht im Wege der Legalzession auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind oder übergehen. Denn da solche Ansprüche dem Kläger nicht zustehen, hätte er auch kein Interesse an ihrer Feststellung. Insoweit bedarf der Feststellungsanspruch einer Einschränkung.

Der Feststellungsanspruch ist – entgegen der Auffassung des Landgerichts- auch nicht verjährt. Durch das Schreiben vom 2. Januar 2008 hat der Kläger seinen Schadensersatzanspruch insgesamt (mithin auch für die Zukunft) angemeldet und diesen nicht nur auf den entstandenen Verdienstausfall beschränkt. Er erwähnt die aus seiner Sicht bestehende Arbeitsunfähigkeit ausdrücklich und hebt allgemein hervor, dass er sich weiterhin in ärztlicher Behandlung befinde. Dies sieht der Senat als ausreichend an, dass der Kläger insgesamt seine weiteren, unfallbedingten materiell-rechtlichen Ansprüche bei der Beklagten angemeldet hat. Dass er seinen Anspruch nur auf den bestehenden Verdienstausfall beschränken wollte, lässt sich dem Schreiben nicht entnehmen.

Dieser Wertung steht § 27 Abs. 2 Satz 2 KHVG nicht entgegen. Hiernach sollen „weitere Anmeldungen desselben Schadensersatzanspruchs“ die Verjährung nicht wieder hemmen. Das betrifft den Fall, dass nach einer schriftlichen Ablehnung des Anspruchs durch den Versicherer ein Geschädigter erneut dieselben Ansprüche beim Versicherer anmeldet. Hier liegt der Fall anders, weil die Beklagte unstreitig den angemeldeten Schaden gerade nicht schriftlich abgelehnt hat. Der Feststellungsanspruch ist deshalb nicht verjährt.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 Abs. 2, 97 Abs. 1, 101 Abs. 1, 708 Nr. 10 und 711 ZPO.

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