Unfall mit Alkohol und offener Tür: Kein Schadensersatz für Kläger
Ein kürzlich ergangenes Urteil zeigt, dass eine Alkoholisierung beim Unfall nicht zwangsläufig zu einer Haftung führt, wenn auch der Geschädigte Verkehrsregeln missachtet hat. Im vorliegenden Fall blieb der Kläger auf seinem Schaden sitzen, weil er seine Autotür öffnete, ohne auf den fließenden Verkehr zu achten.
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Alkoholisierte Fahrerin verursacht Unfall
Die Beklagte fuhr mit ihrem Pkw in die Fahrerseite eines am Straßenrand parkenden Wagens, während der Kläger sich hinter seinem Auto befand. Die Polizei ermittelte eine Blutalkoholkonzentration von 1,65 Promille bei der Beklagten.
Offene Tür als entscheidender Faktor
Das Gericht stellte fest, dass der Kläger seine Pflichten gemäß § 14 Abs. 1 StVO verletzt hatte, indem er die hintere linke Fahrzeugtür öffnete, ohne auf den Verkehr zu achten. Der Sachverständige bestätigte, dass die Tür im Zeitpunkt des Anstoßes geöffnet war.
Alkoholisierung nicht ausschlaggebend
Obwohl die Beklagte erheblich alkoholisiert war, hatte dies laut Gericht keinen Einfluss auf den Unfall. Der Anscheinsbeweis für die alleinige Unfallverursachung durch die Alkoholisierung griff nicht, da der Kläger seine eigenen Rücksichtnahmepflichten verletzt hatte. Daher wurde die Klage abgewiesen.
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Das vorliegende Urteil
LG Essen – Az.: 3 O 17/20 – Urteil vom 24.02.2022
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadensersatz in Höhe von 6.621,92 € aus einem Verkehrsunfall vom 22.05.2019 in E., B.-Straße ….
Der genaue Unfallhergang ist zwischen den Parteien streitig mit Ausnahme des Umstandes, dass ein BMW X3 mit dem amtlichen Kennzeichen, nach klägerischem Vortrag in seinem Alleineigentum, am Straßenrand parkte. Die Beklagte zu 1) ist Halterin und Fahrerin des Pkw V. mit dem amtlichen Kennzeichen …, der bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert ist. Die Polizei ermittelte im Anschluss an den Unfall bei der Beklagten zu 1) eine Blutalkoholkonzentration in Höhe von 1,65 Promille.
Der Kläger ließ den Wagen unter dem 23.05.2019 begutachten. Der Sachverständige ermittelte Reparaturkosten in Höhe von 6.596,92 €, einen Wiederbeschaffungswert in Höhe von 10.000,00 € sowie einen Restwert in Höhe von 2.500,00 € und stellte dem Kläger für die Begutachtung einen Betrag in Höhe von 954,98 € in Rechnung. Diesen Anspruch trat der Kläger ebenfalls unter dem 23.05.2019 an den Sachverständigen ab.
Der Kläger forderte die Beklagten mit Fristsetzung bis zum 05.07.2019 erfolglos zur Schadensregulierung aus.
In der Zwischenzeit verkaufte der Kläger den Wagen. Am 22.03.2021 trat der Sohn des Klägers an diesen etwaige ihm aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall zustehenden Ansprüche an den Kläger ab.
Der Kläger behauptet, die Beklagte zu 1) sei mit ihrem Wagen in die Fahrerseite seines Wagens gefahren. Zu diesem Zeitpunkt habe er sich noch hinter seinem Wagen auf der rechten Seite befunden. Weitere Personen seien nicht im Wagen gewesen. Die Beklagte zu 1) sei aufgrund zu hoher Geschwindigkeit aus der Kurve getragen worden und in den Wagen gefahren.
Der Kläger beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 6.621,92 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 06.07.2019 zu zahlen sowie ihn von den Kosten den Gutachtens Nummer … des Sachverständigen EN-Team in … G., D. H. …, vom 23.05.2019 über einen Betrag in Höhe von 954,98 € freizustellen und an ihn vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten von 729,23 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 06.07.2019.
Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.
Die Beklagten behaupten, dass an dem BMW X3 die linke hintere Tür unvermittelt geöffnet worden sei, als sich die Beklagte zu 1) bereits auf Höhe dieses Wagens befunden habe. Hierdurch habe der Kläger ihm obliegende Rücksichtnahmepflichten aus § 14 StVO verletzt. Dies ergebe sich auch aus den Fotos, welche eben keinen Streifschaden erkennen lassen, sondern einen stumpfen Aufprall. Vielmehr seien eindeutig ein Umknicken der hinteren Tür auf der Fahrerseite und der damit verbundene Spurenknick erkennbar. Auch ein nicht alkoholisierter Fahrer habe den Unfall nicht vermeiden können.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Wegen des Inhalts wird auf das Gutachten vom 18.11.2021 und im Übrigen wegen des Sach- und Streitstandes auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 16.03.2021 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist – nachdem der Sohn des Klägers etwaige Ansprüche aufgrund der eigenen Eigentümerstellung an ihn abgetreten hat – zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
Der Kläger hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 6.621,92 € und zwar weder aus §§ 7, 18 StVG i.V.m. § 115 VVG noch aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 115 VVG.
Nach Durchführung der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die im Rahmen des § 17 Abs. 1 StVG vorzunehmende Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge zu einer alleinigen Haftung des Klägers führt. Gem. § 17 Abs. 1 StVG hängt das Verhältnis der Ersatzpflicht der Fahrzeughalter zueinander sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen ab, insbesondere davon, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist.
Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger gegen seine Pflichten aus § 14 Abs. 1 StVO verstoßen hat und insoweit zu seinen Lasten der Anscheinsbeweis greift. Gem. § 14 StVO muss derjenige, der ein- oder aussteigt, sich so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Diese Sorgfaltsanforderung gilt für die gesamte Dauer eines Ein- oder Aussteigevorgangs, also für alle Vorgänge, die in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang damit stehen, wobei der Vorgang des Einsteigens erst mit dem Schließen der Fahrzeugtüre, der Vorgang des Aussteigens erst mit dem Schließen der Fahrzeugtüre und dem Verlassen der Fahrbahn beendet ist (vgl. KG, NZV 2008, 245 f.). Erfasst sind insbesondere auch Situationen, in denen der Insasse eines Kraftfahrzeugs sich im unmittelbaren Zusammenhang mit einem Ein- oder Aussteigevorgang bei geöffneter Tür in das Kraftfahrzeug beugt, um etwa Gegenstände ein- oder auszuladen oder – wie hier – einem Kind beim Ein- oder Aussteigen zu helfen (vgl. OLG Bremen, NJW-RR 2008, 1203 f.; OLG Düsseldorf, Urteil vom 16. Januar 2006 – I-1 U 102/05 – Juris Rn. 5 ff.; OLG Hamburg, OLGR 2005, 84; OLG Hamm, NZV 2004, 408 f.; LG Berlin, VersR 2002, 864 f.). Die Sorgfaltspflicht des § 14 Abs. 1 StVO beschränkt sich nicht ausschließlich auf solche Vorgänge, bei denen sich durch das unvorsichtige Öffnen einer Fahrzeugtür ein Überraschungsmoment für andere Verkehrsteilnehmer ergibt (in dieser Richtung allerdings OLG Bremen, aaO; LG Berlin, aaO). Das Gesetz stellt nicht auf das überraschende Öffnen einer Fahrzeugtür ab, sondern auf das Aus- und Einsteigen als solches, da ein solcher Vorgang aus unterschiedlichen Gründen mit erheblichen Gefahren für den fließenden Verkehr verbunden sein kann. Zwar ergeben sich die Gefahren beim Aussteigen vielfach daraus, dass eine Fahrzeugtür durch einen für den fließenden Verkehr nicht erkennbaren Fahrzeuginsassen überraschend geöffnet wird. Doch beschränkt sich der vom Gesetz erfasste Gefahrenkreis nicht ausschließlich darauf. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Sorgfaltsanforderung auch für Einsteigevorgänge gilt, bei denen der Einsteigende in der Regel für den fließenden Verkehr erkennbar ist.
Vorliegend hat der Kläger die hintere linke Fahrzeugtür geöffnet – gleich aus welchem Grund -, ohne hierbei auf den fließenden Verkehr zu achten. Seine Angaben, er habe die Tür überhaupt nicht geöffnet, sind angesichts der eindeutigen Feststellungen durch den Sachverständigen widerlegt. Der Sachverständige hat nachvollziehbar und glaubhaft bekundet, dass aufgrund des Schadensbildes an der Tür des „klägerischen“ Wagens von einer geöffneten Tür im Zeitpunkt des Anstoßes auszugehen sei. Dies ergebe sich insbesondere daraus, dass die Tür neben Stauchungen im Eckbereich einen markanten Türknick aufweise, der grundsätzlich auf ein Umschlagen der Tür hindeute und voraussetze, dass der Türöffnungswinkel im Zeitpunkt des Anstoßes größer als 45 ° gewesen sei. Das Gericht schließt sich diesen Ausführungen an insbesondere vor dem Hintergrund, dass ausweislich der Lichtbilder die Tür an den Verschraubungspunkten der Türaufhängung angestoßen ist und sich dies nur mit einer zuvor geöffneten Tür in Einklang bringen lässt. Andernfalls – so der Sachverständige überzeugend – wäre es allein bei einer Stauchung der Tür geblieben, welche einen Türöffnungswinkel von weniger als 45 ° voraussetze. Darüber hinaus hat der Sachverständige nachvollziehbar dargestellt, dass das nicht vollständige Umschlagen der Tür zum einen auf den Fahrzeug typ der Beklagten zu 1) zurückzuführen sei und zum anderen darauf, dass der Anstoß gerade nicht im Bereich der Front des Beklagtenfahrzeugs stattgefunden habe, sondern seitlich.
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem unstreitigen Umstand, dass die Beklagte zu 1) im Zeitpunkt des Unfalls erheblich alkoholisiert gewesen ist. Wenngleich sich auch aus dieser der Beweis des ersten Anscheins für die alleinige Unfallverursachung ergeben kann, so setzt dies voraus, dass sich die Alkoholisierung auf den Unfall ausgewirkt hat (vgl. BGH Urt. v. 10.01.1995, Az. VI ZR 247/94; OLG Hamm Urt. v. 26.01.2010, Az. 6 U 159/09). Den ihm obliegenden Beweis hat der Kläger nicht erbracht. Soweit der Kläger schriftsätzlich behauptet hat, dass die Beklagte zu 1) mit ihrem Wagen aufgrund zu hoher Geschwindigkeit aus der Kurve getragen und deshalb in das Fahrzeug gefahren, hat der Sachverständige dies im Rahmen der Begutachtung nicht feststellen können. Im Gegenteil hat der Sachverständige – vom Kläger im Rahmen der möglichen Stellungnahmefrist zu dem Gutachten unwidersprochen – festgestellt, dass die Unfallörtlichkeit keinerlei Kurve aufweise, es sich vielmehr um eine zweispurige gradlinig verlaufende Straße handele. Ob die Beklagte zu 1) einen Spurwechsel vorgenommen habe und es infolge dessen zum Unfall gekommen sei, könne er nicht feststellen.
Aus den vorgenannten Gründen scheidet auch ein Anspruch des Klägers aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 115 VVG aus. Der Kläger hat eine schuldhafte Verletzungshandlung der Beklagten zu 1) nicht nachgewiesen.
In Ermangelung eines Hauptanspruchs hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Ersatz der Sachverständigenkosten sowie der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
Die Entscheidungen über die Kosten und die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeben sich aus §§ 91 Abs. 1, 709 S. 2 ZPO.
Der Streitwert wird auf bis 8.000,00 € festgesetzt.
Die folgenden rechtlichen Bereiche sind u.a. in diesem Urteil relevant
- Straßenverkehrsgesetz (StVG) und Haftpflichtversicherungsgesetz (VVG): In dem vorliegenden Fall geht es um Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall. Der Kläger macht gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche auf Grundlage der §§ 7, 18 StVG i.V.m. § 115 VVG geltend. § 7 StVG regelt die Haftung des Fahrzeughalters bei einem Verkehrsunfall, während § 18 StVG die Haftung des Fahrers betrifft. § 115 VVG ist relevant, da es um die Haftpflichtversicherung der Beklagten zu 2) geht. Das Gericht hat jedoch festgestellt, dass der Kläger gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Schadensersatz hat, da die beiderseitigen Verursachungsbeiträge zu einer alleinigen Haftung des Klägers führen.
- Straßenverkehrsordnung (StVO): In dem Urteil ist insbesondere § 14 StVO von Bedeutung, der das Verhalten beim Ein- und Aussteigen aus Fahrzeugen regelt. Der Kläger hat gegen seine Pflichten aus § 14 Abs. 1 StVO verstoßen, indem er die hintere linke Fahrzeugtür geöffnet hat, ohne auf den fließenden Verkehr zu achten. Das Gericht ist nach Durchführung der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass der Kläger gegen seine Pflichten aus § 14 Abs. 1 StVO verstoßen hat und insoweit zu seinen Lasten der Anscheinsbeweis greift.
- Bürgerliches Gesetzbuch (BGB): Der Kläger hat auch einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 115 VVG geltend gemacht. § 823 Abs. 1 BGB regelt die Haftung bei unerlaubten Handlungen, hier konkret bei einer schuldhaften Verletzungshandlung der Beklagten zu 1). Jedoch hat der Kläger eine solche schuldhafte Verletzungshandlung der Beklagten zu 1) nicht nachgewiesen, weshalb auch dieser Anspruch ausgeschlossen ist.