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Verkehrsunfall in Polen – Schadensersatzansprüche

OLG Düsseldorf – Az.: I-1 U 108/20 – Urteil vom 03.08.2021

Auf die Berufung der Beklagten wird – unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels – das am 04.06.2020 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer – Einzelrichter – des Landgerichts Düsseldorf (1 O 341/17) teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.997,09 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Betrag von 14.197,65 Euro seit dem 09.09.2017 bis zum 24.10.2017 und aus einem weiteren Betrag von 6.997,09 Euro ab dem 25.10.2017 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.029,35 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 09.09.2017 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

……………

II.

Verkehrsunfall in Polen - Schadensersatzansprüche
(Symbolfoto: Patryk Kosmider/Shutterstock.com)

Die zulässige Berufung ist nur zu einem geringen Teil begründet.

Zu Recht hat das Landgericht einen nicht durch die Höhe des Wiederbeschaffungsaufwands beschränkten Anspruch des Klägers auf Erstattung der Reparaturkosten angenommen. Da die Reparaturkosten in Höhe von 11.179,73 Euro den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs nicht überschreiten, liegt kein wirtschaftlicher Totalschaden im Sinne des polnischen Rechts vor. Dabei ist als Wiederbeschaffungswert der in dem Schadensgutachten angegebene Betrag von 12.800,00 Euro maßgeblich, da die Beklagte einen abweichenden Wert nicht hinreichend dargelegt hat. Einer Beweisaufnahme bedurfte es insoweit nicht. Da ein Totalschaden nicht gegeben ist, sind auch die auf diesen Umstand gestützten Einwände der Beklagten gegen die Ansprüche auf Ersatz der Wertminderung und auf Erstattung der Abschleppkosten nicht begründet. Die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten hat das Landgericht zutreffend wegen des Auslandsbezugs für erforderlich gehalten. Der Ansatz einer auf der Grundlage des RVG bemessenen Vergütung eines deutschen Rechtsanwalts ist nach polnischem Recht nicht zu beanstanden. Ein Anspruch auf Ersatz eines Nutzungsausfallschadens besteht nicht und ist – wie die Begründung des angefochtenen Urteils erkennen lässt – nur versehentlich in den zugesprochenen Gesamtbetrag eingerechnet worden. Insgesamt kann der Kläger unter Berücksichtigung der Teilzahlung der Beklagten daher die Zahlung eines Betrages von 6.997,09 Euro (Reparaturkosten: 5.233,43 Euro; Wertminderung: 300,00 Euro; Abschleppkosten: 1.463,66 Euro) zuzüglich Zinsen und Rechtsanwaltskosten verlangen.

Im Einzelnen:

1.

Der Kläger hat gegen den unstreitig für den Unfall verantwortlichen Fahrer des S. einen Anspruch auf Schadensersatz nach Art. 415 KC (kodeks cywilny / polnisches Zivilgesetzbuch). Nach dieser Vorschrift ist zum Schadensersatz verpflichtet, wer anderen schuldhaft einen Schaden zufügt (MüKoStVR, Polen Rn. 31, beck-online). Diesen Anspruch kann der Kläger nach Art. 19 Abs. 1 des polnischen Gesetzes vom 22.05.2003 über Haftpflichtversicherungen, Versicherungsfonds und das polnische Büro der Verkehrsversicherer unmittelbar gegen die Beklagte als Haftpflichtversicherer des Seat geltend machen (Rechtsgutachten, Bl. 3; MüKoStVR, Polen Rn. 102, beck-online).

2.

Dem Kläger steht ein Anspruch auf Ersatz der fiktiven Reparaturkosten des beschädigten Fahrzeugs in Höhe von 11.179,73 Euro abzüglich der bereits durch die Beklage erbrachten Zahlung in Höhe von 5.946,30 Euro zu. Bei dem durch das Landgericht zugrunde gelegten Betrag von 11.917,73 Euro handelt es sich um eine aus der Klageschrift übernommene fehlerhafte Übertragung der Wertangabe aus dem Schadensgutachten.

Nach Art. 363 § 1 S. 1 KC kann der Kläger im Falle der Beschädigung einer Sache Schadensersatz in Geld verlangen (Rechtsgutachten, Bl. 3 f.). Dies schließt auch die Möglichkeit einer fiktiven Abrechnung auf Gutachtenbasis ein, da sich der Anspruch auf die voraussichtlichen Reparaturkosten bezieht, falls eine Reparatur noch nicht durchgeführt worden ist (MüKoStVR, Polen Rn. 144, beck-online). Von dem Anspruch ist auch die auf die Reparaturkosten entfallende Mehrwertsteuer umfasst, weil dies auch bei fiktiver Abrechnung nach polnischem Recht nur ausgeschlossen wäre, wenn – was hier nicht ersichtlich ist – der Kläger vorsteuerabzugsberechtigt wäre (MüKoStVR, Polen Rn. 143, beck-online).

Der Anspruch des Klägers ist nicht deswegen in der Höhe beschränkt, weil die Reparaturkosten übermäßig hoch sind, § 363 S 1 S. 2 KC. Übermäßig hoch sind die Kosten dann, wenn sie den Fahrzeugwert vor dem Unfall übersteigen (wirtschaftlicher Totalschaden, Rechtsgutachten, Bl. 5; MüKoStVR, Polen Rn. 148, beck-online). Hier liegen die Bruttoreparaturkosten von 11.179,73 Euro unter dem Bruttowiederbeschaffungswert von 12.800,00 Euro. Auf den durch die Beklagte betonten Umstand, dass die geltend gemachten fiktiven Reparaturkosten den Wiederbeschaffungsaufwand übersteigen, kommt es dagegen nach polnischen Recht nicht an. Eine dem deutschen Recht entsprechende Beschränkung des Ersatzanspruchs auf den Wiederbeschaffungsaufwand in dem Fall, wenn das Fahrzeug nicht mindestens sechs Monate lang im verkehrssicheren Zustand weiter genutzt wird (BGH, Urteil vom 23.05.2006 – VI ZR 192/05; Urteil vom 29.04.2008 – VI ZR 220/07), besteht nach polnischen Recht nicht.

Den durch den Kläger unter Bezugnahme auf das Gutachten eines Privatsachverständigen behaupteten Wiederbeschaffungswert hat die Beklagte nicht in erheblicher Weise bestritten. Die Behauptung eines Wiederbeschaffungswerts von 10.756,30 Euro wird durch die Beklagte nicht näher erläutert. Rechnerisch ergibt sich der Betrag, wenn man von dem durch den Sachverständigen ermittelten Betrag von 12.800,00 Euro den Regel-Mehrwertsteueranteil von 19 % in Abzug bringt. Da sich indes aus dem Schadensgutachten – ohne dass die Beklagte Abweichendes vorgetragen hat – ergibt, dass Fahrzeuge wie das Unfallfahrzeug überwiegend differenzbesteuert angeboten werden, ist ein solcher Abzug nicht berechtigt.

Unter Berücksichtigung der bereits durch die Beklagte erbrachten Zahlung ergibt sich ein Anspruch in Höhe von 5.233,43 Euro (11.179,73 Euro abzüglich 5.946,30 Euro)

3.

Zutreffend ist das Landgericht auf der Grundlage des Rechtsgutachtens (Bl. 6 ff.) davon ausgegangen, dass der Kläger einen Anspruch auf Ersatz der Wertminderung in Höhe von 300,00 Euro hat. Etwaige in der Regulierungspraxis herangezogene Altersgrenzen (vgl. Rechtsgutachten, Bl. 8 f.) – so ihnen überhaupt eine rechtliche Verbindlichkeit zukommt (dagegen: MüKoStVR, Polen Rn. 147, beck-online) – sind in Bezug auf das Klägerfahrzeug nicht von Belang. Dass das Fahrzeug bereits in der Vergangenheit einen erheblichen Unfallschaden erlitten hat, der nach polnischem Recht die Berücksichtigung einer Wertminderung ausschließen kann (Rechtsgutachten, Bl. 9 f.; kritisch auch insoweit MüKoStVR, Polen Rn. 147, beck-online: Ausgleichsanspruch unabhängig von Vorschäden dann, wenn sich im Einzelfall ein gegenüber dem Zustand vor dem aktuellen Schaden geringerer Marktwert des Fahrzeugs feststellen lässt), ist nicht ersichtlich. Zwar weist das Fahrzeug nach den Angaben des Schadensgutachters (Anlage K 1, Bl. 3) an der Front einen sach- und fachgerecht reparierten Unfallschaden auf, jedoch ist nicht ersichtlich, dass es sich um eine Beschädigung in einem Umfang gehandelt hat, die gegenüber der aktuellen Beschädigung erheblich ist.

4.

Ebenfalls kann der Kläger Ersatz der für den Transport des beschädigten Fahrzeugs aufgewendeten Kosten in Höhe von 1.463,66 Euro verlangen. Eine nach § 354 § 2 KC erforderliche Abwägung der Parteiinteressen (Rechtsgutachten, Bl. 15 ff.) ergibt, dass das Interesse des Klägers, das beschädigte Fahrzeug nach Deutschland in die Nähe seines Wohnsitzes zu verbringen, das Interesse der Beklagten an einer Schadensminderung überwiegt. Dem Kläger ist nicht zuzumuten, sich von Deutschland aus um eine Reparatur oder einen Verkauf des Fahrzeugs in Polen zu kümmern, weil dies mit einem erheblich erhöhten Aufwand verbunden wäre (vgl. die Beispiele aus der polnischen Rechtsprechung, Rechtsgutachten, Bl. 17 f.). Die mit dem Transport verbundenen Kosten stehen auch nicht außer Verhältnis zu dem Wert des Fahrzeugs. Einwände gegen die Höhe der Abschleppkosten hat die Beklagte nicht erhoben.

5.

Zutreffend hat das Landgericht dem Kläger die entstandenen außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten zugesprochen. Die Erforderlichkeit anwaltlicher Unterstützung (dazu Rechtsgutachten, Bl. 19 ff.) ergibt sich hier aus dem Umstand, dass sich die Beurteilung der Ansprüche aus dem Unfallereignis nach polnischem Recht richtet, sodass der Kläger ohne Beauftragung eines Rechtsanwalts trotz der dem Grunde nach unstreitigen Haftung der Beklagten für die Unfallfolgen nicht in der Lage gewesen wäre, den genauen Umfang seiner – durch die Beklage zum überwiegenden Teil bestrittenen – Ersatzansprüche zu ermitteln und gegenüber der Beklagten geltend zu machen. Dass der Kläger die Rechtsanwaltskosten nach deutschem Recht auf der Grundlage des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes bemisst, ist nach polnischem Recht nicht zu beanstanden (Rechtsgutachten, Bl. 22 f.). Der Kläger hat sich in seinem Heimatland Deutschland um Rechtsrat bemühen müssen, sodass es auf die Vergütung, die einem polnischen Rechtsanwalt zu zahlen wäre, nicht ankommen kann. Zahlungsverzug der Beklagten ist keine Voraussetzung der Erstattungsfähigkeit der Rechtsanwaltskosten (Rechtsgutachten, Bl. 23).

6.

Ein Anspruch auf Erstattung eines Nutzungsausfallschadens besteht nach polnischem Recht nicht (Rechtsgutachten, Bl. 14), was auch das Landgericht erkannt hat, obwohl es den entsprechenden Forderungsbetrag irrtümlich dennoch zugesprochen hat. Insoweit ist der Kläger einer Abänderung der angefochtenen Entscheidung ausdrücklich nicht entgegengetreten.

7.

Ein Anspruch auf Ersatz einer Auslagenpauschale ist nicht Gegenstand des Berufungsrechtsstreits, weil das Landgericht einen solchen Anspruch zwar in seiner Urteilsbegründung für berechtigt gehalten, jedoch bei der Berechnung des berechtigten Teils der Klageforderung nicht berücksichtigt hat. Insoweit ist das Urteil indes nicht angegriffen worden.

8.

Den Anspruch des Klägers auf Erstattung der Sachverständigenkosten hat die Beklagte bereits erfüllt.

9.

Verzugszinsen kann der Kläger nach Art. 481 § 1, 476 KC jedenfalls wie beantragt ab dem 09.09.2017 verlangen, da die Beklagte nach § 14 Abs. 1 des polnischen Gesetzes vom 22.05.2003 über Haftpflichtversicherungen, Versicherungsfonds und das polnische Büro der Verkehrsversicherer 30 Tage nach dem Erhalt einer Benachrichtigung seitens des Geschädigten, welche hier mit Schreiben vom 08.06.2017 erfolgt ist, in Verzug geraten ist (Rechtsgutachten, Bl. 24 ff.). Da nach polnischem Recht Verzugszinsen in Höhe von 7 % p. a. geschuldet sind, ist der Zinsanspruch jedenfalls in der geltend gemachten geringeren Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz begründet.

10.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 97 Abs. 1, 269 Abs. 3 S. 2, 3 ZPO. Soweit der Kläger die Klage bereits vor Zustellung zurückgenommen hat, hat das Landgericht zu Recht der Beklagten die Kosten auferlegt, weil die Klage auch insoweit begründet gewesen wäre. Soweit der Kläger unterlegen ist bzw. die Klage mangels Erfolgsaussicht zurückgenommen hat, betrifft dies nur einen geringfügigen Teil der Klageforderung, der auch nicht zu höheren Kosten geführt hat, sodass eine anteilige Kostenbelastung des Klägers nicht veranlasst ist.

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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713, 544 Abs. 2 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.

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