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Verkehrsunfall – Integritätsinteresse bei Fahrzeugverlust vor Ablauf der 6-Monatsfrist

LG Duisburg – Az.: 2 O 49/18 – Urteil vom 22.10.2018

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 7.852,94 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.09.2017 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Am 12.04.2016 hatte Herr S mit seinem PKW W in P einen Verkehrsunfall. Unfallverursacherin war die Versicherungsnehmerin der Beklagten. Die grundsätzliche Haftung der Beklagten ist unstreitig.

Am 15.04.2016 erstattete das Sachverständigenbüro I ein Gutachten und bezifferte den Wiederbeschaffungswert brutto mit 9.900,– EUR, den Restwert brutto mit 4.000,– EUR und die Reparaturkosten mit 11.827,05 EUR brutto (9.938,70 EUR netto). Im Zeitraum bis zum 27.04.2016 wurde das Fahrzeug bei der Klägerin repariert. Am 26.04.2016 rechnete die Beklagte auf Totalschadenbasis ab und zahlte neben den Rechtsanwaltsgebühren, der Kostenpauschale und den Sachverständigengebühren den Wiederbeschaffungswert (8.319,33 EUR netto) abzüglich des Restwertes von 4.260,– EUR, mithin bezogen auf den Schaden 4.059,33 EUR an die damaligen Verfahrensbevollmächtigten von Herrn S. Am 27.04.2016 übersandte die Klägerin Herrn S den Arbeitsnachweis für die Reparatur des Fahrzeuges. Die Beklagte erhielt von der Klägerin die Rechnung über Reparaturkosten in Höhe von 11.912,27 EUR brutto. Mit Schreiben vom 3.5.2016 begehrte der Verfahrensbevollmächtigte von Herrn S von der Beklagten u. a. Ersatz der Differenz zwischen 11.912,27 EUR und den von der Beklagten bislang gezahlten 4.059,33 EUR (bezogen auf den Fahrzeugschaden), mithin 7.852,94 EUR.

Am 11.05.2016 richtete die T2 ein Vollstreckungsersuchen an die Finanzbuchhaltung als Vollstreckungsbehörde wegen eines Anspruches gegen Herrn S in Höhe von 727,20 EUR. Am 12.5.2016 wurde ein Pfändungsauftrag erteilt und das Fahrzeug von Herrn S gepfändet. Am 24.5.2016 wurde das Fahrzeug versteigert.

Die Klägerin behauptet, Herr S habe ihr seine Ansprüche gegen die Beklagte am 14.04.2016 abgetreten, was die Beklagte in der mündlichen Verhandlung unstreitig gestellt hat. Im Übrigen meint die Klägerin, die Dokumentation des Integritätsinteresses durch Weiternutzung des Fahrzeuges von mindestens 6 Monaten sei im vorliegenden Fall keine Voraussetzung für den Anspruch, da Herr S das Fahrzeug durch die Zwangsversteigerung unfreiwillig verloren habe.

Im Übrigen befinde sich die Beklagte spätestens seit dem 16.09.2017 in Verzug, da sie im Schreiben vom 15.09.2017 die Regulierung endgültig abgelehnt habe.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 7.852,94 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.4.2016 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte  meint, im vorliegenden Fall fehle es am Nachweis des Integritätsinteresses des Geschädigten, da Herr S sein Fahrzeug „de facto“ vor Ablauf der weiteren Nutzungszeit veräußert habe. Die Vollstreckung sei wegen eines relativ geringen Anspruches erfolgt, den der Geschädigte zur Abwendung der Zwangsvollstreckung hätte zahlen können. Da er dies nicht getan habe, habe er dokumentiert, dass er eine weitere Nutzung des Fahrzeuges nicht beabsichtigt habe. Im Übrigen habe Herr S gegen die ihm obliegende Schadensminderungspflicht verstoßen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist überwiegend begründet, im Übrigen unbegründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung von 7.852,94 EUR aus § 7 StVG, § 115 VVG i.V. mit § 398 BGB.

Im vorliegenden Fall überstiegen die Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert, liegen aber noch in der 130 %-Grenze. Übersteigen die Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert, kann dem Schädiger der Ersatz eigentlich unwirtschaftlicher Reparaturkosten nur im Hinblick auf das bei der Schadensbehebung im Vordergrund stehende Integritätsinteresse des Geschädigten zugemutet werden (vgl. BGH, Beschluss vom 18.11.2008, VI. ZB 22/08). Wenn der Schaden den Wiederbeschaffungswert um bis zu 30 % übersteigt, ist ein Ersatz, der über dem Wiederbeschaffungsaufwand liegt, nur dann gerechtfertigt, wenn ein besonderes Integritätsinteresse des Geschädigten besteht. Der Bundesgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Feststellung, ob ein Integritätsinteresse des Geschädigten zu bejahen ist, er also ein nachhaltiges Interesse an der Weiternutzung seines Fahrzeuges hat, häufig schwierig ist. Er hat deshalb die Frage, wie lange der Geschädigte das Fahrzeug nach dem Unfall nutzen muss, um ein nachhaltiges Interesse an dessen Weiternutzung zum Ausdruck zu bringen, nach Abwägung der beiderseitigen Interessen zur Erleichterung einer praktikablen Schadensabwicklung dahin beantwortet, dass im Regelfall ein Zeitraum von 6 Monaten erforderlich, aber auch ausreichend ist (BGH a.a.O.). Die Weiternutzung für 6 Monate ist nur im Regelfall ein ausreichendes Indiz für ein bestehendes Integritätsinteresse. Es sind indes zahlreiche Fallgestaltungen denkbar, bei denen die Nutzung des Fahrzeuges aus besonderen Gründen bereits lange vor Ablauf der 6-Monatsfrist eingestellt wird, etwa in Folge eines weiteren Unfalls oder deshalb, weil eine Fahrzeugnutzung aus finanziellen Gründen nicht mehr möglich ist (BGH a.a.O.). Im vorliegenden Fall ist das Fahrzeug des Geschädigten Herrn S nach Abschluss der unstreitig sach- und fachgerecht durchgeführten Reparatur im Mai 2016 gepfändet und etwa 2 Wochen danach versteigert worden. Damit hat der Geschädigte S das Fahrzeug unfreiwillig verloren (vgl. BGH, Urteil vom 27.11.2007, Aktenzeichen VI. ZR 56/07). Anhaltspunkte dafür, dass der Geschädigte S bei Erteilung des Reparaturauftrages und Vorlage der Reparaturrechnung bei der Beklagten keinen Willen zur Weiternutzung des Fahrzeuges hatte, liegen nicht vor. Selbst wenn man davon ausgeht, dass dem Geschädigten S aufgrund einer Vielzahl von Mahnungen bekannt war, dass ein Anspruch der T2 besteht, musste er im April und auch zum Zeitpunkt des Schreibens vom 3.5.2016 nicht von einer drohenden Pfändung des Fahrzeuges ausgehen.

Der Geschädigte S hat auch nicht gegen seine ihm obliegende Schadensminderungspflicht verstoßen. Ein Mitverschulden kann auch darin bestehen, dass der Geschädigte es unterlässt, den Schädiger auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam zu machen oder den Schaden abzuwenden oder zu mindern. Bei diesem „Schaden“ geht es jedoch um den durch die Versicherungsnehmerin der Beklagten verursachten Schaden am Fahrzeug von Herrn S. Dieser hat einen Reparaturauftrag erteilt, die Reparatur wurde sach- und fachgerecht durchgeführt und die Reparaturkosten bewegen sich noch im Bereich der 130 %-Grenze. Die Tatsache, dass Herr S eine Forderung, die die T2 gegen ihn hat, nicht bezahlt hat mit der Folge einer anschließenden Pfändung und Versteigerung des Fahrzeuges hatte aber keinen Einfluss auf die eigentliche Schadensentwicklung (Fahrzeugschaden).

Der Zinsanspruch ist gemäß §§ 286, 288 Abs. 1 BGB begründet, allerdings erst seit dem 16.09.2017, wie auch die Klägerseite in der Klagebegründung ausführt, da die Beklagte mit Schreiben vom 15.09.2017 die Regulierung endgültig abgelehnt hat.

Ein weitergehender Zinsanspruch besteht nicht.

Die Nebenentscheidung bezüglich der Kosten beruht auf § 91 ZPO, diejenige bezüglich der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.

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