OLG Koblenz, Az.: 12 U 1234/91, Urteil vom 12.10.1992
Entscheidungsgründe
Die Klägerin verlangt Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 3. Januar 1989 gegen 18.50 Uhr in M.
Der Geschäftsführer der Klägerin befuhr mit dem PKW der Klägerin die Straße „A. W.“ und wollte nach links in die K. Straße abbiegen. Der Beklagte zu 1) näherte sich mit einem in den N. zugelassenen Sattelzug – in Fahrtrichtung des Geschäftsführers der Klägerin gesehen – von links auf der K. Straße. Im Einmündungsbereich der Straße „A. W.“ kam es zur Kollision der beiden Fahrzeuge. An der Straße „Z. W.“ steht vor der Einmündung in die K. Straße das Verkehrszeichen Nr. 205 (Vorfahrt gewähren!). Die K. Straße ist an der Einmündung mit dem Verkehrszeichen Nr. 306 (Vorfahrtstraße) versehen (Verkehrsunfallskizze in Hülle Bl. 3 und Lichtbilder Bl. 5, 6 d. BA 109 Js 23301/89 StA Koblenz).
Die Klägerin beziffert ihren Schaden nach Inanspruchnahme ihrer Vollkaskoversicherung, ausgehend von einer eigenen Mitverursachungsquote von 1/3, auf 7.503,25 DM nebst Zinsen (Bl. 6, 89, 135 GA).
Das Landgericht hat der Klägerin, ausgehend von einer Haftungsquote von 2/3 zu Lasten der Beklagten, 3.918,41 DM nebst Zinsen zuerkannt. Es hat die Klage im übrigen abgewiesen, weil es die geltend gemachten Mietwagenkosten nicht als erstattungsfähig angesehen hat.
Gegen das Urteil haben die Beklagten Berufung eingelegt, mit der sie die Abweisung der Klage in vollem Umfange beantragen.
Die Berufung ist zulässig und begründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Schadensersatz gemäß §§ 7, 17, 18 StVG, 3 Pflichtversicherungsgesetz gegen die Beklagten.
Bei der nach § 17 Abs. 1 Satz 2 StVG vorzunehmenden Abwägung ist davon auszugehen, daß der Geschäftsführer der Klägerin den Unfall alleine verschuldet hat. Er hat die Vorfahrt des von links kommenden LKW des Beklagten zu 1) verletzt. Für einen schuldhaften Verstoß des Geschäftsführers der Klägerin gegen § 8 Abs. 1 u. 2 StVO i. V. m. dem Verkehrszeichen Nr. 205 spricht der Beweis des ersten Anscheins, da sich der Zusammenstoß der Fahrzeuge im Einmündungsbereich ereignete (Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 31. Auflage, § 8 StVO Rdn. 69).
Die Klägerin hat nicht bewiesen – sie ist jedoch insoweit beweispflichtig -, daß der beklagte LKW-Fahrer wirksam auf seine Vorfahrt verzichtet hat. An das Vorliegen eines solchen Verzichts sind strenge Anforderungen zu stellen. Ein Verzicht auf die Vorfahrt kann nur dann angenommen werden, wenn der Berechtigte den Verzichtswillen in unmißverständlicher Weise zum Ausdruck bringt (Jagusch, aaO. zu § 8 StVO Rdn. 37; BGH DAR 1960, 137; KG VM 1980, 87). Es muß in dieser Hinsicht eine Verständigung zwischen dem Vorfahrtsberechtigten und dem Wartepflichtigen stattgefunden haben (KG VM aaO.).
Aus dem unstreitigen Blinken des LKW-Fahrers mit den Scheinwerfern kann nicht eindeutig auf den Verzichtswillen des Vorfahrtsberechtigten geschlossen werden. Nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 StVO darf Leuchtzeichen innerhalb geschlossener Ortschaften nur geben, wer sich oder andere gefährdet sieht. Zwar gibt es eine weit verbreitete Übung, einen Vorfahrtsverzicht mit dem Betätigen der Lichthupe anzukündigen. Im Hinblick auf den gesetzlichen Zweck von Leuchtzeichen als Warnzeichen durfte aber der Kläger allein aus dem Blinken nicht auf einen Vorfahrtsverzicht des LKW-Fahrers schließen (OLG Koblenz, NZV 1991, 428). In der konkreten Situation war möglicherweise auch ein Warnzeichen angebracht, wenn der LKW-Fahrer befürchten mußte, daß der Geschäftsführer der Klägerin ihm die Vorfahrt nicht gewähren würde.
Weitere Anhaltspunkte für die Behauptung der Klägerin, daß der Beklagte zu 1) und der Geschäftsführer der Klägerin sich über einen Vorfahrtsverzicht verständigt hätten, sind nicht bewiesen. Keiner der erstinstanzlich vernommenen Zeugen hat das Verhalten des Beklagten zu 1) vor dem Zusammenstoß der Fahrzeuge beobachtet. Demnach kann auch keiner der Zeugen zu der Behauptung des Klägers Angaben machen, der LKW-Fahrer habe durch Verminderung seiner Geschwindigkeit und durch Handzeichen signalisiert, er werde dem Geschäftsführer der Klägerin die Vorfahrt einräumen.
Auch nach Auswertung der Fotokopie der Tachoscheibe des LKW des Beklagten zu 1) (Bl. 7 BA) durch den Sachverständigen Dipl.- Ing. H. in Zusammenarbeit mit der Firma M. K. GmbH (Bl. 203 – 206 GA) steht zur Überzeugung des Senats nicht fest, daß der LKW vor der Einmündung der Straße „A. W.“ seine Geschwindigkeit reduziert hat, so daß der Geschäftsführer der Klägerin hieraus in Verbindung mit dem Blinken auf einen Vorfahrtsverzicht hätte schließen können.
Der Sachverständige hat nachvollziehbar ausgeführt, daß der allein vorliegenden Kopie der Tachoscheibe nur entnommen werden könne, daß der LKW vor dem Unfall von 10 km/h auf 40 km/h beschleunigt worden sei. Aus dieser Geschwindigkeit heraus sei der LKW abgebremst und um 18.50 Uhr stillgesetzt worden. Der Sachverständige hat weiter ausgeführt, daß zur Verzögerung entlang der Bremsstrecke, die etwa 64 – 97 m betragen haben könnte, anhand der Fotokopie der Tachoscheibe nichts gesagt werden könne. Es lasse sich jedenfalls nicht positiv feststellen, daß der LKW bereits vor der Kollision abgebremst worden sei.
Die Klägerin hat damit den Beweis für eine Verständigung der Beteiligten über einen Vorfahrtsverzicht des Beklagten zu 1) nicht geführt. Zwar haben die erstinstanzlich vernommenen Zeugen Sch. (Bl. 76 GA), G. (Bl. 76 f. GA), A. (Bl. 77 f. GA) und W. (Bl. 78 GA) übereinstimmend bekundet, der LKW-Fahrer habe nach dem Unfall jedenfalls zunächst erklärt, er habe Blinkzeichen gegeben, um den PKW-Fahrer herausfahren zu lassen. Erst nach dem Vorhalt, dann sei er schuld an dem Unfall, habe jener angegeben, er habe nur geblinkt, um den Geschäftsführer der Klägerin zu warnen.
Selbst wenn es zunächst tatsächlich die Absicht des Beklagten zu 1) gewesen wäre, dem PKW der Klägerin die Vorfahrt zu gewähren, und er anschließend dennoch seine Fahrt fortgesetzt hat, so kommt es auf die subjektive Absicht nicht an. Entscheidend ist, wie sich das Betätigen des Leuchtzeichens für den Geschäftsführer der Klägerin objektiv darstellte. Ohne Hinzutreten sonstiger Umstände (Handzeichen, deutliche Geschwindigkeitsreduzierung vor der Einmündung) durfte der Geschäftsführer das Blinken mit den Scheinwerfern nur als Warnung gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 StVO verstehen.
Ein Vorfahrtsverzicht des Beklagten zu 1) ist daher – entgegen der Auffassung des Landgerichts – nicht bewiesen. Der Unfall ist auf eine Vorfahrtsverletzung des Geschäftsführers der Klägerin zurückzuführen.
Die Beklagten haben allerdings den Unabwendbarkeitsnachweis im Sinne von § 7 Abs. 2 StVG nicht geführt. Bei der nach § 17 Abs. 1 Satz 2 StVG vorzunehmenden Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge tritt aber die Betriebsgefahr des LKW hinter der schuldhaften Vorfahrtsverletzung des Geschäftsführerin der Klägerin zurück. Die Klägerin muß ihren Schaden alleine tragen. Die Klage ist demnach abzuweisen.
Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens und die Beschwer der Klägerin betragen 3.918,41 DM.