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Verkehrsunfall mit Möbeltransport-LKW

AG Nordhorn – Az.: 3 C 743/17 – Urteil vom 08.03.2018

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt an die Klägerin 793,01 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.5.2017 zu zahlen.

2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 347,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 7.9.2017 zu zahlen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 2/3 und die Beklagten 1/3.

5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120 % des jeweils beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin machte weiteren Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 24.11.2016 geltend.

Am Vorfallstag gegen 11:25 Uhr befuhr der Zeuge W. mit dem Fahrzeug der vorsteuerabzugsberechtigten Klägerin Audi A4 Avant, amtliches Kennzeichen B., die Straße S. in N.. Der bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversicherte Möbeltransporter der Beklagten zu 2) stand am rechten Fahrbahnrand in Höhe der Hausnummer xx. Der Beklagte zu 1) stand auf der sich zunächst in einer waagerechten Position befindlichen geöffneten Ladebordwand des Möbeltransporters, um abzuliefernde Möbel auszuladen. Die Ladebordwand wurde von dem Beklagten zu 1) abgesenkt und kollidierte dabei mit der rechten Fahrzeugseite auf Höhe des Außenspiegels des Fahrzeugs der Klägerin, welches zwischenzeitlich von dem Zeugen W. im Zuge der angesetzten Vorbeifahrt neben den Lkw gefahren worden war. Die Klägerin macht nunmehr den hierdurch entstandenen Sachschaden und zwar die durch ein beauftragtes Sachverständigenbüro ermittelten unfallbedingten Reparaturkosten in Höhe von 3.120,91 € netto, die Begutachtungskosten in Höhe von 577,20 €, eine Wertminderung von 500 €, Mietwagenkosten in Höhe von 463,68 € sowie eine Kostenpauschale von 25 € (Gesamtsumme: 4.637,47 €) gegenüber dem Beklagten geltend. Für die Dauer der Instandsetzung vom 7.12.2016 bis einschließlich zum 13.12.2016 nahm die Klägerin ein Mietfahrzeug in Anspruch. Mit anwaltlichen Schreiben vom 7.12.2016 gegenüber der Beklagten zu 3) machte die Klägerin die Schadensersatzansprüche dem Grunde nach geltend. Die Beklagte zu 3) nahm eine Regulierung des Schadens durch insgesamt zwei Zahlungen in Höhe von insgesamt 2.298,63 € vor und lehnte mit dem Schreiben vom 23.5.2017 jede weitere Regulierung der zwischenzeitlich in vollem Umfang geltend gemachten Schadensersatzansprüche der Klägerin ab.

Die Kläger behauptet, der Zeuge W. habe zunächst aufgrund der schmalen Straßenverhältnisse und des Gegenverkehrs hinter dem Beklagtenfahrzeug gestanden. Als zunächst kein Gegenverkehr mehr zu sehen gewesen sei, sei der Zeuge W. angefahren und habe jedoch aufgrund erneuten Gegenverkehrs anhalten müssen, wobei er sich in Schrägstellung mit dem Seitenspiegel auf Höhe der Ladebordwand befunden habe. Die Klägerin ist der Auffassung, die abgerechneten Sachverständigenkosten seien angemessen.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 2.338,84 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.5.2017 zu zahlen;

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 474,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten behaupten, es sei davon auszugehen, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs bewusst in eine Engstelle eingefahren sei, obwohl Gegenverkehr kam. Dabei – so sind die Beklagten der Auffassung – habe der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs dann den erforderlichen Sicherheitsabstand zum Beklagtenfahrzeug nicht eingehalten.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung eines Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Protokollierung der öffentlichen Sitzung vom 18.12.2017 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

Verkehrsunfall mit Möbeltransport-LKW
(Symbolfoto: Von Chuck Wagner/Shutterstock.com)

Die Klägerin hat gegen die Beklagten als Gesamtschuldner wegen der am 24.11.2016 durch die Absenkung der Ladebordwand des von dem Beklagten zu 1) bedienten und bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversicherten Möbeltransporters der Beklagten zu 2) an dem Fahrzeug der Klägerin verursachten Schäden einen Anspruch aus §§ 7 Abs. 1, 17 StVG i.V.m. § 115 VVG auf weiteren Schadensersatz i.H.v. 793,01 €.

Durch die Kollision der Ladebordwand mit dem rechten Seitenteil des Fahrzeugs des Klägers sind im Betrieb von Kraftfahrzeugen i.S.v. § 7 Abs. 1 StVG erhebliche Sachbeschädigungen an dem Kraftfahrzeug verursacht worden. Die von dem Beklagten zu 1) vorgenommene Absenkung der Ladebordwand des Möbeltransporters ist als Betrieb eines Kraftfahrzeugs zu werten.

Der Betriebsbegriff ist wegen der hohen, von den Kraftfahrzeugen ausgehenden Gefahr weit zu fassen (BGH DAR 2005, 263). Nach der an dem Schutzzweck der Norm orientierten Auslegung ist ein Schaden bei dem Betrieb entstanden, wenn dieser durch die dem Kraftfahrzeug- oder Anhängerbetrieb typisch innenwohnende Gefährlichkeit verursacht ist. Ausreichend ist ein zeitlicher und örtlicher ursächlicher Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs (Henschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht 41. Aufl. 2011, StVG § 7 Rn. 4). Auch bei einem Ladevorgang ist eine Verbindung mit dem Betrieb des Kraftfahrzeuges im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG gegeben, wenn es in einem inneren Zusammenhang mit seiner Funktion als Verkehrs- und Transportmittel be- oder entladen wird. Daher haftet der Halter auch in diesen Fällen für die Gefahr, die das Kraftfahrzeug beim Be- oder Entladen in dem in Anspruch genommenen Verkehrsraum für andere Verkehrsteilnehmer darstellt. Hierunter fällt nicht nur die Gefahr durch das zu entladende Kraftfahrzeug als solches, sondern auch diejenige, die von den Entladevorrichtungen und dem Ladegut ausgeht (BGH NZV 1989, 18; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 7 StVG, Rdn. 8; OLG Düsseldorf, Urteil vom 16.12.2002 in I-1 U 98/02). Die Handhabung einer zu den Funktionseinrichtungen des LKWs gehörenden Ladebordwand innerhalb des öffentlichen Verkehrsraums dient dem Entladen von Transportgut. Die Beförderung von Transportgut erheblichen Umfangs ist zumindest eine Funktion des Möbeltransporters als Transportmittel. In dem der Beklagte zu 1) mit der Nutzung der Ladebordwand eine Betriebseinrichtung mit einem inneren Zusammenhang zu der Funktion des LKWs als Transportmittel einsetzt, realisiert sich eine dem Kraftfahrzeug innewohnende Gefährlichkeit. Denn die Ladebordwand ist eine über den Lastkraftwagen – im Regelfall hydraulisch – betriebene Vorrichtung zum Be- und Entladen von nicht unerheblicher Größe, welche dazu geeignet ist, mit einer nicht unerheblichen Krafteinwirkung auf außerhalb des Lastkraftwagens befindliche Verkehrsteilnehmer zu wirken. Sie ist funktional als Betriebseinrichtung auf den Betrieb des Lastkraftwagens als Verkehrs- und Transportmittel gerichtet.

Der Schaden wurde bei Nutzung dieser Betriebseinrichtung im Zuge des Be- und Entladens und damit bei Betrieb des Kraftfahrzeugs verursacht.

Aufgrund der gesetzlichen Ausgestaltung als Gefährdungshaftung ist grundsätzlich nach §§ 7, 17 StVG unter allen Beteiligten eines Verkehrsunfalls eine Haftungsverteilung nach den einzelnen Verursachungs- und Verschuldensbeiträgen vorzunehmen, sofern die Unfallbeteiligten einen Verursachungsbeitrag – wie im vorliegenden Fall auch durch den das Fahrzeug in den Einwirkungsbereich der abgesenkten Ladebordwand lenkenden Zeugen W. – gesetzt haben.

Eine Alleinhaftung eines Unfallbeteiligten kommt nach § 17 Abs. 3 StVG lediglich dann in Betracht, wenn das Unfallereignis für den Unfallbeteiligten unvermeidbar war und damit auch für einen Idealfahrer in der jeweiligen konkreten Verkehrssituation des Unfallbeteiligten selbst unter Beachtung der höchst möglichen Sorgfalt nicht zu vermeiden gewesen war.

Beide Parteien konnten den jeweils ihnen obliegenden Nachweis einer Unvermeidbarkeit des Unfallgeschehens nicht erbringen. Mit Verweis auf die folgenden Feststellungen beachtete der Zeuge W. bereits die höchstmögliche Sorgfalt nicht, indem er ohne Abstand zu dem erkennbaren Absenkungsbereich der Ladebordwand das von ihm gelenkte Fahrzeug der Klägerin in den Wirkbereich des Möbeltransporters fuhr.

Nach der nunmehr gebotenen Abwägung der einzelnen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge haften die Beklagten als Gesamtschuldner mit allem Haftungsanteil von 2/3.

In die Abwägung ist zunächst eine abstrakt leicht erhöhte Betriebsgefahr des an dem Schadensereignis beteiligten Lkw einzustellen.

Zulasten der beklagten Partei ist in die Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge ein erheblicher Verstoß des Beklagten zu 1) gegen die allgemeinen Sorgfaltspflichten aus § 1 Abs. 2 StVO i.V.m. der Wertung aus § 14 Abs. 1 StVO einzustellen, in dem dieser die zunächst waagerecht nach oben gefahrene Ladebordwand auf das Straßenniveau absenkte, ohne zuvor und während des Hebevorgangs den Verkehrsraum im Umkreis der Ladebordwand sorgfältig beobachtet und gefahrvermeidend reagiert zu haben.

Nach § 1 Abs. 2 StVO hat sich jeder Verkehrsteilnehmer so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt wird. Eine zunächst angehobene ausgefahrene Ladebordwand eines LKWs, welche in den Verkehrsraum hinein ragt und im Anschluss auf die Straße abgesenkt wird, ist eine potentielle Gefahrenquelle, da diese mittels Hydraulik oder elektrischer Vorrichtung mit erheblicher Krafteinwirkung in Richtung des Straßenbelags geführt wird und durch diese Lageveränderung eine Gefahr der Beschädigung oder Verletzung für all diejenigen Personen oder Sachen begründet, die sich innerhalb des hierfür genutzten Verkehrsraums befinden. Derjenige, der eine solche Ladebordwand in Bewegung setzt, muss immer damit rechnen, dass andere Verkehrsteilnehmer die von der Ladebordwand bzw. von dessen Lageveränderung ausgehende Gefahr nicht erkennen und sich deshalb nicht sachgerecht verhalten. Indem er die potentielle Gefahrenquelle setzt, ist er verpflichtet, vor und während des gesamten Hebevorgangs den Verkehrsraum im Umkreis der Ladebordwand sorgfältig zu beobachten und in einer erkannten Gefahrensituation den eingeleiteten Betriebsvorgang abzubrechen (KG Berlin Beschluss vom 21.7.2009 in 12 U 179/08).

Die Sorgfaltsanforderungen sind vergleichbar mit denen bei dem Ein- und Aussteigen bestehenden Anforderungen aus § 14 Abs. 1 StVO. Bei dem Aussteigen aus einem Fahrzeug verlässt der Nutzer die geschützte Enklave und bewegt sich unmittelbar in dem dem bevorrechtigten fließenden Verkehr zugeordneten Verkehrsraum und wirkt in diesem als Gefahrenquelle. Er hat sich dabei so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Bei dem Entladen über eine Ladebordwand wird ebenfalls der dem bevorrechtigten fließenden Verkehr zugeordnete Verkehrsraum betroffen, in dem eine dem „Verlassen“ des LKWs dienende Vorrichtung – analog zu der Autotür beim Aussteigen einer Person – genutzt wird. Zwar erfolgt hier der Vorgang entgegen dem Aussteigen über eine Fahrzeugtür in der Regel über einen längeren Zeitraum, doch verläuft der Vorgang so langsam, dass die hierdurch bedingte Veränderung der Gefahrenlage von anderen Verkehrsteilnehmern nicht umgehend wahrgenommen wird. Auch stellt die Ladebordwand aufgrund ihrer Größe und der massiven Festigkeit ihrer Struktur ein vor diesem Hintergrund größeres Gefahrenmoment dar.

Gegen diese Sorgfaltsanforderungen verstieß der die Ladebordwand bedienende Beklagte zu 1) in erheblichem Umfang, in dem er vor und während des Vorgangs des Absenkens der Ladebordwand den Verkehrsraum im Umkreis nicht sorgfältig beobachtete und den Geschäftsführer der Klägerin mit dem zwischenzeitlich seitlich an die Ladebordwand im Zuge einer eingeleiteten Vorbeifahrt herangefahrenen Kraftfahrzeugs der Klägerin, der sich somit im Einwirkungsbereich der Ladebordwand befand, nicht wahrnahm und den Vorgang dennoch mit der Folge einer hierdurch verursachten Beschädigung des Fahrzeugs weiter fortsetzte.

Der Zeuge T. hat hierzu angegeben, wahrgenommen zu haben, wie der Beklagte zu 1) begann, die zunächst zum Abladen der Möbel hochgefahrene Laderampe abzusenken. Nach der glaubhaften Aussage des Zeugen muss zu diesem Zeitpunkt der Geschäftsführer der Klägerin mit einem Fahrzeug „leicht unter die Laderampe gefahren sein“. Die weiter abgesenkt Laderampe drückte daraufhin die rechte Seite des Fahrzeugs der Klägerin leicht ein. Zwar hatte der Zeuge aufgrund seiner unmittelbar auf den Heckbereich des LKWs gerichteten Blickrichtung eine hinreichende Wahrnehmungsmöglichkeit der Situation, er hat jedoch dennoch nicht angeben können, wie sich der Beklagte zu 1) unmittelbar vor und während des von ihm eingeleiteten Absenkens der Ladebordwand verhielt.

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Unter Berücksichtigung der Einlassung des Beklagten zu 1), der das Fahrzeug der Klägerin nicht wahrnahm, ist jedoch nur der Schluss möglich, dass der Beklagte zu 1) zumindest während des durchgeführten Absenkens der Ladebordwand den hierdurch betroffenen unmittelbaren Verkehrsraum im Umkreis nicht hinreichend beobachtet hat, ansonsten hätte er – wie auch unmittelbar nach der Kollision zwischen Ladebordwand und Kraftfahrzeug geschehen – diesen Vorgang abgebrochen.

Gerade im Hinblick auf die durch die zu entladenen Möbel verstärkte Unübersichtlichkeit des Vorgangs bestehen erhöhte Sorgfaltspflichten desjenigen, der die Betriebseinrichtung bedient. Der Vorgang läuft – so auch die weitere Aussage des Zeugen T. – mit einer relativ langsamen Geschwindigkeit ab, sodass die hierdurch begründete Veränderung der Gefahrensituation nicht sofort für andere Verkehrsteilnehmer erfassbar ist. Dies erhöht in einer für den Beklagten zu 1) erkennbaren Weise die Gefahr einer nicht adäquaten Reaktion der übrigen Verkehrsteilnehmer auf den von ihm eingeleiteten und zu kontrollierenden, potenziell gefahrträchtigen Vorgang. Er hat diesen allein nur dann einzuleiten und weiter aufrecht zu erhalten, solange er durch hinreichende Beobachtung des betroffenen Verkehrsraums sicher die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausschließen kann.

In die Abwägung ist jedoch auch ein Verstoß des Geschäftsführers der Klägerin gegen das Gebot wechselseitiger Rücksichtnahme aus § 1 Abs. 1 StVO einzustellen. Der fließende Verkehr ist zwar gegenüber dem ruhenden Verkehr und den Fußgängern in der Regel bevorrechtigt und darf auf die Beachtung seines Vorrechts vertrauen, doch muss auch der bevorrechtigte Verkehr damit rechnen, dass nicht bevorrechtigte Personen insoweit den Verkehrsraum beeinträchtigen, wie es nötig ist, um die Situation des bevorrechtigten Verkehrs zu erfassen – z.B. durch Herantreten eines Fußgängers an den Straßenrand oder durch eine geringe Öffnung der Tür eines an den Straßenrand geparkten Pkws. Daher ist auch bei dem Vorbeifahren an haltenden Fahrzeugen ein ausreichender Seitenabstand einzuhalten, dessen Größe sich nach den Umständen richtet; er darf geringer sein als der beim Überholen und bei der Begegnung regelmäßig verlangte Mindestabstand von 1 m (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 24. Auflage 2016, § 6 Rn. 6).

Hier hat der Geschäftsführer der Klägerin offenkundig zu der bereits in dem Zeitpunkt der Annäherung in einer hochgefahrenen Position sich befindlichen Ladebordwand überhaupt keinen Sicherheitsabstand eingehalten, sondern sich vielmehr in einem geringen Umfang „unterhalb“ der Ladebordwand im Zuge der von ihm eingeleiteten Vorbeifahrt gestellt. Ob der Geschäftsführer der Klägerin aufgrund eines für ihn überraschend auftretenden Gegenverkehrs die bereits eingeleitete Vorbeifahrt abbrechen musste, konnte nicht abschließend festgestellt werden. Der Zeuge T. hat angegeben, nicht zu glauben, dass in den Zeitpunkt, als der Geschäftsführer der Klägerin sich neben dem Lkw befand, Gegenverkehr bestand. Eine dahingehend sichere Wahrnehmung hat der Zeuge jedoch nicht wiedergeben können, da nach seiner weiteren Aussage seine Aufmerksamkeit auf den Beklagten zu 1) und auf den von diesem vorgenommenen Entladevorgang gerichtet war.

Unabhängig von der konkreten Verkehrssituation hat der Geschäftsführer der Klägerin ein Vorbeifahren nur unter Berücksichtigung des vorrangigen Gegenverkehrs einzuleiten und einen hinreichenden Sicherheitsabstand gegenüber dem haltenden Fahrzeug der Beklagten zu 2) – auch gegenüber der erkennbar ausgefahrenen Ladebordwand – einzuhalten.

Unter Berücksichtigung der von beiden Beteiligten gesetzten Verursachungs-Verschuldensbeiträgen stuft das Gericht eine Haftungsverteilung zulasten der Beklagten von 2/3 zu 1/3 als angemessen ein.

Der Beklagte zu 1) hat mit dem Absenken der Ladebordwand ohne hinreichende Beachtung des bevorrechtigten fließenden Verkehrs den primären Verursachungsbeitrag gesetzt, indem er den potenziell gefahrträchtigen Vorgang einleitete und damit eine Veränderung des dem bevorrechtigten fließenden Verkehrs zugeordneten Verkehrsraums zu dessen Lasten vornahm, welche für diesen aufgrund der relativen Langsamkeit des Vorgangs nicht sofort erfassbar war. Der Beklagte zu 1) hat bei diesem Eingriff in den bevorrechtigten fließenden Verkehr dessen Gefährdung möglichst auszuschließen. Dies setzt eine hinreichende Beobachtung des im unmittelbaren Nahbereich der Ladebordwand befindlichen Verkehrsraums sowie eine Positionierung bei Einleitung und Durchführung des Vorgangs in einer Weise voraus, die ihm eine solche Beobachtung ermöglicht, zumal über die abzuladenden Möbel die Übersichtlichkeit und damit die Möglichkeit eines hinreichend kontrollierten Vorgangs eingeschränkt war.

Der Geschäftsführer der Klägerin hielt einen Sicherheitsabstand zu einer auch für ihn erkennbar ausgefahrenen Ladebordwand nicht ein. Ob für ihn – analog zu dem Vorgang des Öffnens einer Autotür – das Absenken der Ladebordwand im Zeitpunkt der eingeleiteten und kurzfristig unterbrochenen Vorbeifahrt bereits erkennbar war, konnte nicht hinreichend festgestellt werden. Die Wahrnehmung des Zeugen T. zumindest war in den hierfür maßgeblichen Zeitpunkt auf dem Beklagten zu 1) gerichtet. Doch unabhängig davon war auch nach der für den Geschäftsführer der Klägerin erfassbaren Verkehrssituation mit einer Veränderung der Positionierung der Ladebordwand zu rechnen, denn auf der ausgefahrenen Ladebordwand befand sich eine Person sowie Transportgut. Bei der üblichen Art der Nutzung einer Ladebordwand als Entladevorrichtung war mit einem zeitnahen Absenken zu rechnen. Dennoch hielt der Geschäftsführer der Klägerin keinen Seitenabstand zu der Betriebsvorrichtung des Lastkraftwagens ein.

Der Eingriff des Beklagten zu 1) in dem gegenüber dem haltenden Lastkraftwagen bevorrechtigten fließenden Verkehr rechtfertigt eine Haftungsverteilung zulasten der Beklagten von 2/3.

Die Beklagten haben als Gesamtschuldner alle adäquat kausal durch das Unfallereignis verursachten Schäden mit einem Haftungsanteil von 2/3 zu erstatten. Die von der Klägerin geltend gemachten Schäden sind als durch das Unfallereignis adäquat kausal verursacht erstattungsfähig. Erstattungsfähige Schäden sind die

  • Reparaturkosten in Höhe von 3.071,59 €
  • Wertminderung in Höhe von 500 €
  • Mietwagenkosten in Höhe von 463,68 €
  • Sachverständigenkosten in Höhe von 577,20 €
  • Kostenpauschale von 25 €.

Insbesondere sind auch die Sachverständigenkosten in vollem Umfang als erstattungsfähig zu werten. Soweit die Beklagten einwenden, die übliche und damit erforderliche Vergütung des Sachverständigenbetrag betrage allein 537 €, kann dies eine Reduzierung des erstattungsfähigen Schadens nicht begründen. Denn die Kosten der Schadensfeststellung sind Teil des zu ersetzenden Schadens (BGH NJW-RR 1989, 953). Der Geschädigte kann den Ersatz der objektiv erforderlichen Sachverständigenkosten verlangen. Als erforderlich sind diejenigen Aufwendungen anzusehen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten machen würde (BGH Urteil vom 11.2.2014 in VI ZR 225/13). Da erstattungsfähig ist, was dem wirtschaftlichen denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und angemessen erscheint, sind grundsätzlich auch unter Zugrundelegung vertraglicher Maßstäbe überhöhte Rechnungen von Sachverständigen erstattungsfähig (BGH NJW 2007, 1450). Der Sachverständige ist nicht Erfüllungsgehilfe des Geschädigten sondern vielmehr des Schädigers; etwaige Fehler des Sachverständigen sind nach Maßgabe von §§ 254 Abs. 2 S. 2, 278 BGB grundsätzlich nicht dem Schädiger zuzurechnen. Ein Mitverschulden des Geschädigten kann allein dann angenommen werden, wenn für diesen die Unangemessenheit der Vergütung bei Auftragserteilung evident gewesen sein musste (OLG Naumburg NZV 2006, 546). Bei einer – den Vortrag der Beklagten als wahr unterstellt – bestehenden Differenz zwischen den abgerechneten Sachverständigenkosten und den werkvertraglich angemessenen Kosten von 40,2 € liegt eine von der Klägerin als evident zu beachtende Differenz nicht vor. Ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht ist insoweit durch Beauftragung und Abrechnung der Sachverständigenkosten nicht gegeben.

Als angemessener aber auch ausreichende Kostenpauschale stuft das Gericht einen Betrag von 25,- € ein.

Unter Berücksichtigung einer Haftungsquote von 2/3 zulasten der Beklagten ergibt sich ein von diesen als Gesamtschuldner zu erstattender Gesamtschaden von 3.091,64 €.

Der bestehende Schadensersatzanspruch der Klägerin ist durch Zahlung der Beklagten zu 3) im Wege der (Teil-) Erfüllung gemäß § 362 Abs. 1 BGB in Höhe von 2.298,63 € erloschen. Es verbleibt ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 793,01 €.

Die Klägerin hat daher gegen die Beklagten als Gesamtschuldner wegen der am 24.11.2016 durch die Absenkung der Ladebordwand des von dem Beklagten zu 1) bedienten und bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversicherten Möbeltransporters der Beklagten zu 2) an dem Fahrzeug der Klägerin verursachten Schäden einen Anspruch aus §§ 7 Abs. 1, 17 StVG i.V.m. § 115 VVG auf weiteren Schadensersatz i.H.v. 793,01 €.

Als Bestandteil des materiellen Schadensersatzanspruches haben die Beklagten als Gesamtschuldner der Klägerin auch die zur gebotenen Rechtsverfolgung erforderlichen vorprozessualen angefallenen Rechtsanwaltsgebühren unter Berücksichtigung des zutreffenden Streitwerts von bis zu 4.000 € und einer als ausreichend und angemessen einzustufenden 1,3-Geschäftsgebühr in Höhe von 347,60 € zu erstatten.

Ebenso ist die Hauptforderung als Verzugsschaden nach Maßgabe von §§ 280 Abs. 1, 2; 286 Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs. 1 BGB nach der endgültigen und ernsthaften Leistungsverweigerung der Beklagten zu 3) mit Schreiben vom 23.5.2017 ab dem 24.5.2017 zu verzinsen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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