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Verkehrsunfall mit Schädigung eines Fahrradfahrers

Vorschaden und psychischer Fehlverarbeitung

Oberlandesgericht Schleswig-Holstein – Az.: 7 U 74/13 – Urteil vom 10.01.2019

Auf die Berufung der Beklagten wird – unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen und der Berufung des Klägers – das am 24.04.2013 verkündete Grund- und Teilurteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger die ihm unfallbedingt (Verkehrsunfall vom 21.08.2005) aus seiner Gesundheitsbeeinträchtigung in den Jahren 2005 und 2006 entstandenen Verdienstausfallschäden zu 100 %, die aus seiner Gesundheitsbeeinträchtigung im Jahr 2007 entstandenen materiellen Schäden zu 20 % und die ihm unfallbedingt ab dem Jahr 2008 entstandenen und zukünftig entstehenden materiellen Schäden zu 10 % zu ersetzen. Vorgerichtlich auf den materiellen Schadensersatz geleistete Zahlungen der Beklagten sind anzurechnen.

3. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 20.000 € (Schmerzensgeld) zu zahlen.

4. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

5. Von den Kosten des Berufungsrechtsstreits sowie des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde vor dem Bundesgerichtshof (Az.: VI ZR 580/15) tragen der Kläger 80 % und die Beklagten 20 %.

6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Den Parteien wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch die jeweils andere Partei gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.

Der Kläger nimmt die Beklagten auf materiellen und immateriellen Schadenersatz sowie umfassende Feststellung der zukünftigen materiellen Schadenersatzpflicht der Beklagten aufgrund eines Verkehrsunfalles vom 21.08.2005 in Timmendorfer Strand in Anspruch.

Unfallbeteiligt waren der Kläger als Fahrradfahrer, sowie der verstorbene Ehemann der Beklagten zu 1., dessen Rechtsnachfolgerin sie ist, als Fahrer und Halter eines bei der Beklagten zu 2. gegen Haftpflichtschäden versicherten Pkw.

Der Kläger befuhr an jenem Sonntag die Strandstraße in Niendorf, von Timmendorfer Strand kommend in Richtung der dortigen Schwimmhalle. Der verstorbene Ehemann der Beklagten zu 1. befuhr mit seinem Pkw BMW die Strandstraße in gleicher Richtung, er wollte nach rechts in die Auffahrt zum Restaurant „Fischkiste“ einfahren. Dazu zog er – die Einzelheiten sind streitig – an dem in gleicher Richtung fahrenden Kläger vorbei, um sodann vor dem Kläger in die Auffahrt einzubiegen. Als der Kläger dies bemerkte, unternahm er mit seinem Fahrrad eine Vollbremsung zur Vermeidung einer Kollision mit dem abbiegenden Pkw, stürzte über den Lenker nach vorne auf die Straße. Der Kläger erlitt eine „Tossy I“ Verletzung des linken Schultereckgelenks (leichtere Band- oder Kapselverletzungen), multiple Schürfwunden, eine leichte Schädelprellung sowie eine HWS-Distorsion.

Zum Unfallzeitpunkt war der Kläger – dies seit April 2000 – selbständiger Leiter einer Agentur der A. Versicherung in Bargteheide.

Der Kläger hatte 1977 im Alter von 9 Jahren bei einem Unfall mit einem Chemiebaukasten schwere Verbrennungen im Gesicht, am Hals und am Oberkörper erlitten. Folge waren zahlreiche stationäre Krankenhausaufenthalte und Transplantationsoperationen (nach seinen Angaben ca. 60 bis 80 Operationen). Seit dem 1.6.1978 ist ihm deshalb ein GdB (Grad der Behinderung) von 100 % zuerkannt worden. Die Verbrennungs- und Operationsnarben sind bis heute hin sichtbar. Nach der Schulzeit absolvierte er zunächst eine dreijährige Ausbildung zum Zimmermann und arbeitete von 1993 bis 1998 als Selbstständiger in diesem Beruf. Anschließend absolvierte er bei der A. Versicherung eine berufsbegleitende Ausbildung zum sog. Versicherungsfachmann. Zum 1.4.2000 übernahm er einen eigenen Kundenstamm und im Jahr 2003 wurde er Generalvertreter. Nach eigenen Angaben hatte er in den Jahren 2004/2005 aus seinem Betrieb „K.-Versicherungen“ monatlich ca. 10.000 € zur Verfügung.

Nach dem Unfall war der Kläger bis Ende November 2005 zu 100 % arbeitsunfähig erkrankt. In der Folgezeit wurde ihm eine Arbeitsunfähigkeit von 60 % bzw. 50 % ärztlich bescheinigt, ab dem 04.01.2006 war er zunächst wieder voll arbeitsfähig und arbeitete in seiner Versicherungsagentur.

Bereits im Herbst 2005 kam es zu ersten Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen den Kläger, dies auch wegen relativ geringfügiger Forderungen, beispielsweise unbezahlt gebliebener Telefonrechnungen.

Mittlerweile ist der Kläger – nach endgültiger Beendigung seiner Tätigkeit für die A. im Jahre 2010 – auf Grundsicherung angewiesen. Seine Miete wird vom Amt bezahlt. Gegen den Kläger laufen vielfache Zwangsvollstreckungsverfahren. Einige Gläubiger halten mit Blick auf diesen Prozess still. Ein Insolvenzverfahren ist bislang nicht durchgeführt worden.

Die Beklagte zu 2. hat auf den materiellen Schaden des Klägers vorgerichtlich Abschlagszahlungen in Höhe von insgesamt 40.000,- € erbracht (15.000,– € am 28.12.2006; 25.000,– € am 11.2.2008). Außerdem hat die Beklagte zu 2. (weitgehend) erforderliche Beitragszahlungen für die private Krankenversicherung des Klägers übernommen.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der verstorbene Ehemann der Beklagten zu 1. habe seinen Sturz allein verursacht und verschuldet. Er hat behauptet, infolge seiner unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit sei es zu nicht aufholbaren Umsatzeinbußen seiner Versicherungsagentur gekommen; dadurch sei in der Folge seine wirtschaftliche Existenz unfallbedingt vernichtet worden. Allein für die Jahre 2005 bis 2008 sei ihm ein Gewinn in Höhe von rund 380.000 € entgangen.

Für ärztliche Behandlungen, Medikamente, Schäden an seinem Fahrrad und der Kleidung hat der Kläger – einschließlich einer Kostenpauschale – einen Betrag von 2.700,94 € geltend gemacht. Für Mahn-, Vollstreckungs- und Prozesskosten aus den Jahren 2005 – 2007 macht der Kläger als unfallbedingten Folgeschaden 9.670,32 € geltend.

Zudem hat er die Auffassung vertreten, die Beklagten seien ihm zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von mindestens 55.000 € verpflichtet.

Der Kläger hat beantragt,

Verkehrsunfall mit Schädigung eines Fahrradfahrers
(Symbolfoto: Von Photographee.eu /Shutterstock.com)

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 2.700,94 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2006 zu zahlen,

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn für das Jahr 2005 41.597,59 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2006 abzüglich am 28.12.2006 gezahlter 15.000 € zu zahlen,

3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn für das Jahr 2006 108.787 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2007 zu zahlen,

4. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn für das Jahr 2007 96.677,90 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.12.2007 zu zahlen,

5. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 9.670,32 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.11.2007 zu zahlen,

6. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm 100 % der ihm durch den Verkehrsunfall vom 21.08.2005 darüber hinaus entstandenen und in Zukunft noch entstehenden materiellen Schäden zu ersetzen,

7. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld für die erlittenen Verletzungen anlässlich des Verkehrsunfalles vom 21.08.2005 zu zahlen,

8. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn für das Jahr 2008 133.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2009 zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten haben die Auffassung vertreten, an dem Unfall selbst treffe den Kläger ein erhebliches Mitverschulden, denn er habe das in Abbiegeabsicht auf der Strandstraße stehende Fahrzeug in Folge von Unaufmerksamkeit und überhöhter Geschwindigkeit nicht rechtzeitig wahrgenommen. Sie haben die Ursächlichkeit des Unfalles für die gesundheitliche wie die wirtschaftliche Lage des Klägers bestritten. Dafür sei vielmehr eine unfallunabhängige psychische Prädisposition des Klägers verantwortlich.

Wegen der tatsächlichen Feststellungen im Übrigen wird auf das angefochtene Urteil nebst darin enthaltener Verweisungen Bezug genommen.

Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Grund- und Teilurteil der Klage nach Beweisaufnahme sowohl zum Unfallhergang (Zeugen/mündliches Sachverständigengutachten) als auch zu den Unfallfolgen (orthopädisches und neurologisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten) weitgehend stattgegeben. Es hat die volle Haftung der Beklagten im Grunde nach ausgesprochen, dem materiellen Feststellungsantrag für Zukunftsschäden entsprochen, zudem ein Schmerzensgeld von 40.000 € sowie materiellen Unfallschaden in Höhe von 2.700,34 € zugesprochen.

Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagten hafteten vollen Umfanges, da der Kläger durch das Fahrverhalten des verstorbenen Ehemannes der Beklagten zu 1. zu einer Vollbremsung gezwungen worden sei. Auch für die weiteren Folgen des Unfalles hätten die Beklagten in Gänze einzustehen, denn diese seien kausal auf das Unfallereignis zurückzuführen. Der Kläger sei durch den Unfall „retraumatisiert“ worden; die auf die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit bis Anfang 2006 zurückzuführenden Verluste in seiner Tätigkeit als Versicherungsagent hätten ausgereicht, ihn in eine die Retraumatisierung auslösende Hilflosigkeit zurückzuversetzen. Dadurch sei er in seiner Leistungsfähigkeit beeinträchtigt worden, dies auch nach Wiedererlangung der vollen Arbeitsfähigkeit zu Beginn des Jahres 2006. Die eingetretenen Verluste und deren Nichtaufholbarkeit hätten andererseits die Retraumatisierung wieder verstärkt.

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes hat das Landgericht zum einen die direkt erlittenen Verletzungen sowie die Dauer der nachfolgenden Arbeitsunfähigkeit berücksichtigt, zudem maßgeblich auf die Retraumatisierung und die daraus folgende stetig stärkere psychische Belastung des Klägers abgestellt.

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Über die Höhe des Verdienstausfallschadens des Klägers hat es noch nicht entschieden, weil es dazu der Erhebung weiteren Beweises bedürfe. Mit Beschluss vom 24.4.2013 hat das Landgericht zur Höhe der entgangenen Gewinne in den Jahren 2006 – 2008 die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeordnet. Der Sachverständige, Dipl.-Ing. H D (… GmbH, Saarbrücken) hat dazu am 29.7.2014 ein Gutachten erstellt (Bl. 1891-1925 GA), das Gegenstand der mündlichen Verhandlung im zweiten Rechtszug (Termin am 4.12.2018) gewesen ist.

Die Parteien wenden sich mit wechselseitigen Berufungen gegen das angefochtene Grund- und Teilurteil.

Der Kläger begehrt mit seiner Berufung ein höheres als das erstinstanzlich ausgeurteilte Schmerzensgeld. Er ist der Auffassung, das Landgericht habe zum einen seinen durch den Unfall bedingten persönlichen und beruflichen Leidensweg nicht hinreichend berücksichtigt, zum anderen habe es auch die Regulierungsunwilligkeit der Beklagten zu 2. nicht ausreichend in die Schmerzensgeldbemessung einfließen lassen.

Der Kläger beantragt, unter teilweiser Aufhebung des angefochtenen Urteils die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein angemessenes, in das Ermessen des Gerichts gestelltes und über 40.000 € hinausgehendes Schmerzensgeld zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen, sowie die Berufung des Klägers zurückzuweisen

Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen und hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagten wenden sich unter Bezugnahme auf ein zweitinstanzlich vorgelegtes Gutachten des Sachverständigen Blanke gegen die Annahmen des Landgerichts zum Unfallhergang. Der Kläger habe viel zu spät auf das blinkende und abbiegende Fahrzeug reagiert.

Unter Vorlage eines weiteren Gutachtens des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. greifen die Beklagten die erstinstanzliche neurologisch-psychiatrische Begutachtung des Klägers an. Bei ordnungsgemäßer Begutachtung hätte sich ergeben, dass all das, was der Kläger als kausal ansieht, tatsächlich keine Folge seines Sturzes sei, insbesondere auch nicht der nur vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit, sondern – sofern es die vermeintlichen wirtschaftlichen Verluste bereits im Jahre 2005 betreffe – schon vor dem Unfall angelegt gewesen sei. Der wirtschaftliche Niedergang sei offenbar Folge eines völlig überzogenen Lebensstils des Klägers. Die psychiatrischen Beeinträchtigungen ließen sich als unbeachtliche Begehrensneurose einordnen.

Wegen des weiter ausgeurteilten materiellen Schadens rügen die Beklagten, das Landgericht habe die von der Beklagten zu 2. geleisteten Zahlungen unberücksichtigt gelassen.

Mit Urteil vom 17.09.2015 hat der Senat, nach ergänzender Beweisaufnahme (gem. Beweisbeschluss vom 13.03.2014, Bl. 1776 f. GA) durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens des Sachverständigen Dr. K. vom 12.8.2014 und schriftlicher Ergänzung dieses Gutachtens vom 28.4.2015, das landgerichtliche Urteil teilweise geändert, die Klage dem Grunde nach lediglich für gerechtfertigt erklärt, soweit der Kläger Verdienstausfallschäden für die Jahre 2005/2006 geltend macht und zudem das Schmerzensgeld auf einen Betrag von 15.000 € reduziert.

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 10.07.2018 (BGH VI ZR 580/15) das Urteil des Senats aufgehoben, da der Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör dadurch verletzt worden sei, dass der Senat den Sachverständigen Dr. K. nicht mündlich zur Erläuterung seines Gutachtens angehört habe.

Der Senat hat nunmehr den Kläger ergänzend persönlich angehört und den Sachverständigen Dr. K. – auf die Einwendungen des Klägers – seine beiden schriftlichen Gutachten vom 12.8.2014 und 28.4.2015 mündlich erläutern lassen. Wegen des Inhalts der Anhörung wird auf die Sitzungsniederschrift vom 04.12.2018 (Bl. 1144 bis 1155 GA/Bd. VII) Bezug genommen.

Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 21.12.2018 hat der Kläger eine ergänzende Stellungnahme des erstinstanzlich tätigen Sachverständigen Dr. H. L. vom 17.12.2018 (Anlage K II, 15) vorgelegt.

Wegen der Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Parteien wird auf die zweitinstanzlich gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die Berufung des Klägers hat keinen, diejenige der Beklagten hingegen überwiegenden Erfolg.

Die Beklagten haften dem Grunde nach vollen Umfangs für die unfallbedingten materiellen und immateriellen Schäden des Klägers. Der geltend gemachte Verdienstausfallschaden sowie etwaige weitere unfallbedingt bereits entstandenen oder zukünftig noch entstehende materiellen Schäden sind der Höhe nach ab dem Jahr 2007 jedoch quotal zu beschränken (20 % für Schäden und Folgeschäden aus dem Jahr 2007 sowie 10 % ab dem Jahr 2008). Die über den Verdienstausfallschaden hinausgehenden, bereits bezifferten materiellen Schäden sind durch die Abschlagszahlungen der Beklagten zu 2. bereits ausgeglichen, mithin ist somit Erfüllung eingetreten. Das vom Landgericht zuerkannte Schmerzensgeld ist auf einen Betrag von 20.000 € zu reduzieren.

1. Dem Grunde nach haften die Beklagten dem Kläger gemäß §§ 7, 17 StVG, 1922 BGB, 115 VVG auf vollen Ersatz seines unfallbedingten materiellen und immateriellen Schadens. Ein Mitverschulden des Klägers (§§ 9 StVG, 254 BGB) an dem Unfallereignis haben die Beklagten nicht bewiesen.

Vielmehr steht nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme fest, dass der verstorbene Ehemann der Beklagten zu 1. das Abbiegemanöver nach rechts in die Einfahrt zur „Fischkiste“ einleitete, ohne in irgendeiner Weise auf den zuvor von ihm überholten Kläger Rücksicht zu nehmen. Ob der Rechtsvorgänger der Beklagten zu 1. damit gegen § 5 Abs. 4 S. 4 StVO, wonach beim Überholen der Überholte durch das Wiedereinordnen nach rechts nicht behindert werden darf, verstoßen hat, mag dahinstehen. Denn jedenfalls liegt ein erheblicher Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO vor, wonach beim Abbiegen in ein Grundstück – auch nach rechts – die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen sein muss. Dieser von ihm als Abbiegendem zu verlangenden höchstmöglichen Sorgfalt hat der verstorbene Ehemann der Beklagten zu 1. nicht genügt, vielmehr musste nach den übereinstimmenden Aussagen der Zeuginnen B. und S. der Kläger, um nicht mit dem unmittelbar vor ihm nach rechts abbiegenden Fahrzeug zu kollidieren, eine Vollbremsung unternehmen.

Auch durch das zweitinstanzlich eingereichte Privatgutachten des Sachverständigen B. ist ein Mitverschulden des Klägers nicht bewiesen. Denn den Verstoß des verstorbenen Ehemannes der Beklagten zu 1. gegen § 9 Abs. 5 StVO vermag auch der Sachverständige B. nicht auszuräumen. Selbst wenn man aber zu Gunsten der Beklagten unterstellen wollte, der Kläger hätte geringfügig früher bremsen können, überwiegt das schuldhafte Verhalten des verstorbenen Ehemannes der Beklagten zu 1. so weit, dass ein allenfalls geringfügiges Mitverschulden des Klägers dahinter vollständig zurücktreten müsste.

2. Grundsätzlich haftet ein Schädiger für alle gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die der Geschädigte durch die Schädigungshandlung erleidet, gleich ob körperlicher oder seelischer Art, auch für das unfallbedingte Zutagetreten vorhandener Schadensanlagen. Für den Beweis der haftungsbegründenden Kausalität des Unfalls für den Primärschaden gilt der Maßstab des § 286 ZPO. Dies bedeutet, dass das Gericht nicht nur von der überwiegenden Wahrscheinlichkeit, sondern von der Wahrheit der behaupteten Tatsache zu überzeugen ist; hierfür genügt ein so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit, dass er Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen. Für die Ursächlichkeit zwischen feststehender Verletzung des Rechtsguts (Körper oder Gesundheit) und der Weiterentwicklung oder dem Umfang der Schadens (haftungsausfüllende Kausalität) gilt hingegen § 287 ZPO mit der Folge, dass hierfür der Beweis einer überwiegenden oder erheblichen Wahrscheinlichkeit genügt (vgl. KG Berlin, Urteil vom 16.10.2003, 12 U 58/01, VersR 2004, 1193-1196, juris RN. 62 und 63).

Im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität ist – nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme – die Einstandspflicht der Beklagten sowohl hinsichtlich des materiellen Schadens als auch hinsichtlich des geltend gemachten immateriellen Schadens beschränkt. Insoweit hat die Berufung der Beklagten teilweise Erfolg.

a) Verdienstausfallschaden und materieller Schaden

aa) Die unmittelbar durch den Unfall entstandenen Primärverletzungen des Klägers – Tossy I-Verletzung, leichte Schädelprellung, HWS-Distorsion und multiple Schürfwunden – sind unstreitig. Nach den Gutachten der beiden psychiatrischen Sachverständigen Dr. K. und Dr. L. ist auch bewiesen, dass der Verkehrsunfall vom 21.08.2005 Auslöser und damit (mit-)ursächlich für die Verschlechterung der psychischen Befindlichkeit des Klägers und – chronologisch quotal abnehmend – seinen damit verbundenen wirtschaftlichen Niedergang gewesen ist. Die bei dem Kläger bereits seit der Jugend angelegte narzisstische Störung hatte – auch durch den Unfall und die damit verbundenen Regulierungsschwierigkeiten – eine mittelschwere und belastungsabhängig sogar schwergradige depressive Störung (ICD 10 F32.1 und 32.2) ausgelöst.

Auf den geltend gemachten materiellen Schaden haben die Beklagten vorgerichtlich bereits Abschläge in Höhe von insgesamt 40.000 € geleistet. Infolge der vorgenannten Zahlungen war die Klage in Höhe des geltend gemachten weiteren materiellen Schadens von 2.700,34 € (= Schäden an Fahrrad und Bekleidung, ärztliche Behandlungen und Medikamente) nebst Zinsen (5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz seit dem 22. 5. 2006) sowie hinsichtlich der als Folgeschaden geltend gemachten Mahn-, Vollstreckungs- und Prozesskosten aus den Jahren 2005 – 2007 in Höhe von 9.670,32 € unbegründet. Diese Ansprüche waren bereits vor Klageerhebung durch Erfüllung erloschen (§ 362 BGB). Der noch offene Restbetrag ist auf den unfallbedingt entstandenen Verdienstausfallschaden anzurechnen.

Für die durch die unfallbedingten physischen und psychischen Gesundheitsbeeinträchtigungen entstandenen Gewinneinbußen (= Verdienstausfallschaden) im Sinne von § 252 BGB – die nicht gleichzusetzen sind mit entgangenem Umsatz – haften die Beklagten sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach zunächst vollen Umfanges. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich aufgrund der Besonderheiten der Versicherungsbranche die entgangenen Abschlüsse nicht nur einmalig, sondern auch über einen längeren Zeitraum gewinnmindernd auswirken können. Ein Versicherungsagent bezieht seine Einkünfte nämlich nicht nur aus einmaligen Abschlussprovisionen, sondern auch aus Folge-, Leistungs- und Bestandsprovisionen sowie Bonifikationen und Zuschüssen. Mithin können sich (zumindest potentiell) entgangene Abschlüsse über mehrere Jahre hinaus gewinnmindernd auswirken. Dies rechtfertigt den Tenor zu Ziffer 2. des Urteils.

bb) Für eine psychische Fehlverarbeitung als haftungsausfüllende Folgewirkung des Unfalls Geschehens hat der Schädiger grundsätzlich einzustehen, wenn eine hinreichende Gewissheit besteht, dass diese Folge ohne den Unfall nicht eingetreten wäre. Die Zurechnung solcher Schäden scheitert auch nicht daran, dass der Verletzte infolge körperlicher oder seelischer Dispositionen besonders schadensanfällig ist, weil der Schädiger keinen Anspruch darauf hat, so gestellt zu werden, als habe er einen bis dahin Gesunden verletzt (BGH Urteil vom 11.11.1997, VI ZR 376/96; BGHZ 137, 142, 145; BGH Urteil vom 30.4.1996, VI ZR 55/ 95, BGHZ 132, 341, 346). Der Zurechnungszusammenhang ist ausnahmsweise dann zu verneinen, wenn der Geschädigte den Unfall in neurotischem Streben nach Versorgung und Sicherheit lediglich zum Anlass nimmt, um den Schwierigkeiten und Belastungen des Erwerbslebens auszuweichen (sog. Renten- oder Begehrensneurose; vgl. KG NZV 2002,173). Eine Zurechnung kann auch dann ausscheiden, wenn das Schadensereignis ganz geringfügig ist (Bagatelle; vgl. BGH Urteil vom 10.2.2015, VI ZR 8/14, NZV 2015, 281, 282 m.w.N.). Die Haftung kann aus Gründen der Kausalität zudem entfallen oder zeitlich begrenzt sein, wenn der durch den Unfall ausgelöste Schaden aufgrund der Vorschäden auch ohne den Unfall früher oder später eingetreten wäre (BGH Urteil vom 30. 4. 1996, VI ZR 55/95, a. a. O.; BGH Urteil vom 10.7.2018, VI ZR 580/15). Unter dem Gesichtspunkt der überholenden Kausalität (Reserveursache) fehlt es an einer Zurechnung, wenn der Erwerbsschaden oder die vermehrten Bedürfnisse infolge einer bereits vorhandenen Erkrankung oder Disposition auch ohne das schadenstiftende Ereignis zu einem bestimmten Zeitpunkt ganz oder teilweise eingetreten wären (BGH Beschluss vom 31.5.2016, VI ZR 305/15, NJW 2016, 3785 – 3787). Ein solcher Umstand kann zuungunsten des Geschädigten allerdings nur dann Beachtung finden, wenn der Schädiger zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen hat, dass dieser Umstand tatsächlich eingetreten wäre (OLG Hamm vom 30.4.1996, VersR 1996, 990 ff, juris Rn. 24; BGH Urteil vom 22.3.2016, VI ZR 467/14; BGH Beschluss vom 31.5.2016, a. a. O.).

Greift keiner der vorgenannten Ausnahmefälle ein, ist der Schädiger bzw. die dahinter stehende Haftpflichtversicherung zwar grundsätzlich eintrittspflichtig. Allerdings ist es auch insoweit möglich, die Länge der Schadenersatzverpflichtung oder den Umfang des Ersatzanspruchs gemäß §§ 287 ZPO, 252 BGB zu beschränken. Bei der Bemessung des Schadensumfangs muss der Tatrichter – im Gegensatz zu den Anforderungen des § 286 ZPO – nicht allen Beweisanträgen nachgehen, sondern kann sich mit einer Schadenschätzung nach § 287 ZPO begnügen. Eine zeitliche oder quotale Beschränkung des Schadenumfangs ist möglich, wenn sich aus der psychischen Natur des Geschädigten mit einer für § 287 ZPO ausreichenden Wahrscheinlichkeit ernsthaft unfallunabhängige Risiken für die gesundheitliche Entwicklung ergeben (BGH Urteil vom 11.11.197, VI ZR 376/96, NJW 1998, 810 – 813 = BGHZ 137, 142-153 OLG Schleswig, Urteil vom 2.6.2005, 7 U 124/01, SchlHA 2006, 163 – 164 = OLGR Schleswig 2006, 5-8; OLG Köln, DAR 2006, 325; Halm/Staab, Posttraumatische Belastungsstörungen nach einem Unfall, DAR 2009, 677 ff., 679 m.w.N.).

Eine Bagatellausnahme liegt nicht vor. Der Unfall und die von dem Kläger dabei erlittenen Primärverletzungen (siehe oben) waren zwar nur leichteren Umfanges, hatten aber keinesfalls Bagatellcharakter in dem Sinne, dass es sich um Beeinträchtigungen gehandelt hätte, die jedermann täglich und regelmäßig folgenlos erleiden kann.

Auch eine Renten- oder Begehrensneurose liegt nicht vor. Ein solcher Fall wäre nur dann gegeben, wenn der Geschädigte den Unfall in dem neurotischen Bestreben nach Versorgung und Sicherheit lediglich zum Anlass nähme, den Schwierigkeiten und Belastungen des Erwerbslebens auszuweichen, wobei es ausreichend ist, dass die Beschwerden entscheidend durch eine neurotische Begehrenshaltung geprägt sind (BGH Urteil vom 11. Juli 2012, VI ZR 127/11). Die Voraussetzungen haben sowohl der Sachverständige Dr. K. als auch bereits der erstinstanzlich tätige Sachverständige Dr. L. überzeugend ausgeschlossen. Der Sachverständige K. hat ausgeführt, dass eine Begehrensneurose im juristischen Sinne willentlich getragen sein muss. Bei dem Kläger liegt ein narzisstisches Kränkungsbegehren vor, das im Unterschied zur Begehrensneurose von einer begleitenden seelischen Störung mit Krankheitswert ausgelöst wird (Bl. 1152 GA).

Den Eintritt einer Reserveursache zu einem späteren Zeitpunkt nach dem Unfall haben die Beklagten zur Überzeugung des Senats ebenfalls nicht bewiesen.

Allerdings rechtfertigt sich nach gefestigter Rechtsprechung des erkennenden Senats (Urteil vom 02.06.2005, a. a. O.; Urteil vom 06.07.2006, 7 U 148/01, SchlHA 2007, 157-159 = NJW-RR 2007, 171 – 173) sowie der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 11.11.197, VI ZR 376/96, BGHZ 137, S. 142 ff., Leitsatz Ziffer 2) eine zeitliche oder quotale Beschränkung eines etwa in Betracht kommenden Verdienstausfallschadens, wenn die vom Geschädigten geltend gemachte Erwerbsunfähigkeit auf einer psychischen Fehlverarbeitung des Schadenereignisses beruht und mit einer für § 287 ZPO ausreichenden Wahrscheinlichkeit die Prognose aufgestellt werden kann, dass sich für die Entwicklung der Berufslaufbahn des Geschädigten aufgrund seiner vorgegebenen psychischen Struktur ernsthafte Risiken ergeben.

So verhält es sich beim Kläger, was die zeitlichen und quotalen Beschränkungen hinsichtlich des Feststellungsausspruchs (Tenor Ziffer 2) rechtfertigt.

Zwar ist die seit dem 31.10.2007 andauernde Arbeitsunfähigkeit des Klägers mit der Folge der Aufgabe der Versicherungsagentur (im Jahr 2010) sowie dem damit verbundenen „Fall“ in die sog. Grundsicherung letztlich unfallkausal. Nach den auch insoweit übereinstimmenden Ausführungen der Sachverständigen Dr. K. und Dr. L. war der Unfall dafür jedenfalls mitursächlich. Allerdings ist bewiesen, dass es sich dabei lediglich um die psychische Fehlverarbeitung eines „an sich“ relativ harmlosen Unfallgeschehens handelt. Diese Fehlverarbeitung beruht zur Überzeugung des Gerichts auf einer entsprechenden Prädisposition des Klägers, wobei das ernsthafte Risiko bestand, dass es auch ohne den Unfall früher oder später zu einer vergleichbaren Entwicklung gekommen wäre.

Sowohl der erstinstanzlich tätige Sachverständige Dr. L. als auch der zweitinstanzlich tätige Sachverständige Dr. K. attestieren dem Kläger eine „narzisstische Persönlichkeitsstruktur“ (Gutachten Dr. L. vom 16.11.2012, S. 48, Bl. 1189 GA; Sachverständiger Dr. K. vom 12.08.2014, S. 32 und 41: „narzisstische Persönlichkeitsstörung“, vgl. Bl. 1823 GA), wobei diese Persönlichkeitsstruktur schon weit vor dem Unfall vorlag und ihren Grund in dem vom Kläger im Kindesalter erlittenen Unfall mit einem Chemiebaukasten und dessen Folgen hatte.

Der Kläger definierte sich selbst über beruflichen Erfolg und insbesondere sein finanzielles Einkommen. Er pflegte einen aufwendigen Lebensstil mit Wohnung in prominenter Lage in T. sowie einem geleasten Porsche Boxster. Nach eigenen Angaben will er vor dem Unfall in den Jahren 2004/2005 monatlich circa 10.000 € zum Leben zur Verfügung gehabt haben, wobei er allein für die private Lebenshaltung mtl. ca. 6.000,– € ausgegeben haben will. Der Rest sei wieder in seine Versicherungsagentur geflossen. Dass der Kläger vor dem Unfall einen derartigen Lebensstil pflegte, nimmt der Senat ihm ab. Dies entspricht nicht nur der Darstellung im Rahmen seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat, sondern auch seinen Angaben sowohl gegenüber dem Sachverständigen Dr. L. als auch gegenüber dem Sachverständigen Dr. K.. Nach Aktenlage lebte der Kläger vor dem Unfall über seine Verhältnisse. Die Gewinne aus seiner Versicherungsagentur rechtfertigten jedenfalls nicht die hohen Privatausgaben. Nach dem betriebswirtschaftlichen Gutachten D. vom 29.07.2014 wurden in den letzten drei Jahren vor dem Unfall aufgrund der relativ hohen Kostenstruktur des Unternehmens keine derartig hohen Gewinne (nach Steuern) erzielt. Die von dem Gutachter festgestellten Provisionsumsätze (ohne Rückstellungen) lagen bei maximal rund 197.000,- € p.a. (im Jahre 2004), demgegenüber lagen die betrieblichen Kosten bei rund 63 % (im Jahr 2004 = ca. 125 T€) bis rund 70 % (im Jahr 2005 = ca. 136 T€; vgl. die Tabelle auf S. 61 des Gutachtens D., Bl. 1921 GA). Dies gilt selbst dann, wenn man berücksichtigt, dass beispielsweise ein Arbeitszimmer sowie Teile der Leasingkosten des Porsche Betriebsausgaben darstellen und steuermindernd geltend gemacht werden können. Die Einnahmen des Klägers beruhten vor dem Unfall außerdem zu einem nicht unwesentlichen Teil auf befristeten Zuschüssen der A. Versicherung. Der Kläger hat selbst vorgetragen, dass er anfangs als Handelsvertreter von der A. einen sog. „Eingliederungszuschuss“ von mtl. 6.500 DM erhalten hatte (Blatt 1147 GA). In den Jahren 2002 – 2005 erhielt er zur Etablierung seiner Vertretung einen mtl. „Aufbauzuschuss“ von anfangs 1.738,39 € (mit jährlicher Kürzung bis Ende 2005; vgl. Gutachten D. Seite 21 und 22, Blatt 1901 GA). Die vorgenannten finanziellen Verhältnisse verbunden mit dem aufwendigen privaten Lebensstil erklären möglicherweise auch, dass es bei dem Kläger schon alsbald nach dem Unfall vom 21.08.2005 wegen verhältnismäßig geringfügiger Beträge zu Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gekommen ist, auch das Finanzamt hatte zeitnah Pfändungen bei der Beklagten zu 2) ausgebracht.

Zugleich rechtfertigt sich dadurch die Feststellung des Sachverständigen Dr. K., der Kläger habe „aufgrund seiner narzisstischen Persönlichkeitsstruktur ein riskantes Lebens- und Geschäftsmodell“ entwickelt, das im höchsten Maße die Gefahr des Scheiterns enthielt (S. 9 des Ergänzungsgutachtens vom 28.04.2015, Bl. 2012 GA). Im Rahmen der Erläuterung seiner schriftlichen Ausführungen hat der Sachverständige Dr. K. (S. 10 des Protokolls vom 4.12.2018) ausgeführt, der Kläger habe schon vor dem Unfall persönlichkeitsbedingt überhöhte Ansprüche gehabt („ein zugespitztes, risikoreiches Leben geführt“), die nach dem Unfall und mit Beginn des Jahres 2006 erst recht nicht mehr zu befriedigen gewesen wären. Weiter hat der Sachverständige (S. 8 des Protokolls vom 04.12.2018) erläutert, der Begriff des (riskanten) Geschäftsmodells sei so zu verstehen, dass privater und beruflicher Erfolg und große Bestätigung eine überhöhte Bedeutung im Leben des Klägers gehabt hätten und andererseits das Korrelat eine erhebliche Kränkbarkeit gewesen sei.

Auf den so strukturierten Kläger traf nun (zufällig) der hier in Rede stehende Unfall. Das eigentliche Unfallereignis war für den wirtschaftlichen Niedergang nicht das Entscheidende. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. K. hatte der konkrete Unfall keine anhaltenden Auswirkungen auf das körperliche und seelische Wohlbefinden des Klägers und hatte auch mit Sicherheit nicht dazu beigetragen, das Selbstwertgefühl des Klägers nachhaltig zu erschüttern (vgl. S. 7 des Protokolls v. 4.12.2018). Vielmehr haben den Kläger – so der Sachverständige Dr. K. – Anfang 2006 zwei maßgebliche Umstände aus dem Takt gebracht: Erstens seine narzisstische Persönlichkeitsstörung und zweitens die Nichtanerkennung seiner Einbußen durch den Schädiger (vgl. S. 7 des Protokolls vom 4.12.2018).

Der Sachverständige Dr. K. hat ganz überzeugend weiter erläutert, dass auch andere „Kränkungen“ außerhalb eines Unfallgeschehens geeignet gewesen wären, eine derartige „Abwärtsspirale“ in Gang zu setzen (wie z. B. äußere Eingriffe in die Selbstbestimmung und private/berufliche Anerkennung, Vorwürfe bei der beruflichen Tätigkeit, Partnerverlust, betriebliche Schwierigkeiten und Insolvenzgründe, wenn sie gleichzeitig mit persönlichen Kränkungen verbunden gewesen wären). Auch die alsbald nach dem Unfall gegen den Kläger eingeleiteten Zwangsvollstreckungsmaßnahmen hätten ein wesentlicher Faktor für die Aktivierung der „Abwärtsspirale“ sein können.

Dies zeigt, dass aufgrund des privaten Lebensmodells verbunden mit der psychischen Struktur des Klägers ganz erhebliche Risiken für seine geschäftliche Laufbahn bestanden. Wäre der Kläger, statt Ende August 2005 einen Unfall zu erleiden, ernsthaft erkrankt und für längere Zeit ausgefallen, wäre es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ebenfalls zu den Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gekommen, die – wie ausgeführt – auch die nämliche „Abwärtsspirale“ in Gang zu setzen geeignet waren.

Nach den Ausführungen des Sachverständigen K. hatte spätestens ab dem Jahr 2007 die bei dem Kläger angelegte narzisstische Persönlichkeitsstörung die dominierende Rolle übernommen. Die überhöhten Ansprüche des Klägers wären wahrscheinlich bereits mit Beginn des Jahres 2006 nicht mehr zu befriedigen gewesen. Spätestens mit Beginn des Jahres 2007 wäre die Negativspirale jedoch aufgrund der narzisstischen Persönlichkeitsstörung auch durch eine angemessene Schadensregulierung der Versicherung nicht mehr aufzuhalten gewesen. Das eigentliche Unfallereignis sowie die verzögerte Schadensregulierung spielten ab Beginn des Jahres 2007 für den wirtschaftlichen Niedergang mithin eine immer kleinere Rolle. Dies rechtfertigt es, unter Zugrundelegung der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sowie des erkennenden Senats, die Verpflichtung der Beklagten zur Leistung unfallbedingten materiellen Schadensersatzes für das Jahr 2007 auf 20 % und für die Folgezeit auf 10 % zu beschränken. Den v.g. Wirkanteil des Unfalles und seiner Regulierungsfolgen hat der Sachverständige Dr. K. dem Unfall zugewiesen (vgl. S. 9 und 11 des Protokolls vom 4.12.2018). Dieser Schätzung schließt sich der Senat an.

Die Beurteilung der medizinischen Fragen erfolgt auf Grundlage der Ausführungen des im zweiten Rechtszug tätigen Sachverständigen Dr. K.. Der Sachverständige verfügt über eine langjährige berufliche Erfahrung als Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie. Er war 20 Jahre lang als Direktor am Psychiatrischen Krankenhaus in Marburg tätig, außerdem verfügt auch über eine langjährige Erfahrung als gerichtlicher Sachverständiger. Seine Aussagen trifft der Sachverständige Dr. K. erst nach sorgfältiger Überprüfung der konkreten Situation und nach gewissenhafter Abwägung aller Umstände. Die Ausführungen des Sachverständigen sind deshalb eine nachvollziehbare und zuverlässige Grundlage für die Überzeugungsbildung des Senats.

Eine erneute Anhörung des erstinstanzlich tätigen Sachverständigen Dr. L. hält der Senat – auch mit Blick auf seine ergänzende Stellungnahme vom 17.12.2018 – für nicht erforderlich. Die von dem Sachverständigen Dr. L. – der sein Gutachten im Übrigen unter noch einer anderen Fragestellung erstattet hatte – vertretene These der „Retraumatisierung“ des Klägers hält der Senat mit dem Sachverständigen Dr. K. für nicht zutreffend. Dies allein schon deshalb, weil die Eltern des Klägers nach dem im Jugendalter erlittenen Unfall mit dem Chemiebaukasten einen „erfolgreichen“ Entschädigungskampf geführt hatten, hingegen nunmehr der Kläger selbst versucht, mit offenbar weit überzogenen Forderungen und Entschädigungsvorstellungen gegen die Schädiger vorzugehen. Eine posttraumatische Belastungsstörung (Definition: ICD 10, 1. Aufl. 1991, Seite 157) nach dem Verkehrsunfall liegt bei dem Kläger nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. K. nicht vor. Der Verkehrsunfall als solcher hat bei dem Kläger kein Trauma ausgelöst und kann deshalb auch kein Schlüssel für die Reaktivierung des Kindheitstraumas gewesen sein.

b) Schmerzensgeld

Zieht ein Unfallereignis tatsächlich unfallbedingte, nachhaltige psychische Störungen nach sich, steht dem Betroffenen in der Regel auch insoweit ein Anspruch auf Schmerzensgeld zu. Bei der Schmerzensgeldbemessung wirkt sich eine spezielle Schadensanfälligkeit oder eine unangemessene Erlebnisverarbeitung des Geschädigten jedoch in der Regel anspruchskürzend aus (vgl. Halm/Staab, a.a.O., DAR 2009, 677, 679). Zur Legitimation einer Kürzung des Schmerzensgeldes für seelische Fehlreaktionen, die durch psychische Prädisposition mit verursacht worden sind, ist auf die „Billigkeit“ als Bemessungsfaktor abzustellen (BGH Urteil vom 30.4.1996, VI ZR 55/95, BGHZ 132, 341-353 = NJW 1996, 2425ff, 2427). Deshalb gilt auch für die immateriellen Ansprüche des Klägers die vorgenannte beschränkende Wirkung der Fehlverarbeitung des Schadensgeschehens sowie der vorbestehenden psychischen Beeinträchtigung des Klägers.

Unter Berücksichtigung der körperlichen Unfallschäden selbst, der Dauer der unfallbedingten Krankschreibung und der – wenn auch nur beschränkt zu berücksichtigenden – psychischen Dauer (Folge-)Schäden und der weitergehenden Auswirkungen auf das Leben des Klägers hält der Senat ein Schmerzensgeld von 20.000 € für angemessen, aber auch bei weitem ausreichend. Weitergehende Ansprüche des Klägers auf immateriellen Schadenersatz bestehen nicht. Die reinen Unfallfolgen selbst hätten nach der Rechtsprechung des Senats ein Schmerzensgeld in einer Größenordnung von lediglich bis zu 7.500 € gerechtfertigt.

3. Der nachgereichte, nicht nachgelassene Schriftsatz des Klägers vom 21.12.2018 gebietet keine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung i.S.v. § 156 ZPO, insbesondere auch keine erneute Beweiserhebung.

4. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 Abs. 1, 97, 708 Nr. 10 und 711 ZPO.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

 

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