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Verkehrsunfall – Mithaftung bei Verletzung der Anschnallpflicht

OLG Rostock – Az.: 5 U 55/17 – Urteil vom 25.10.2019

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 12.06.2017, Az. 3 O 869/13 (3), abgeändert und als Grund- und Teilurteil wie folgt neu gefasst:

Die Klage ist dem Grunde nach zu 2/3 gerechtfertigt.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche künftigen materiellen Schäden zu 2/3 zu ersetzen und alle immateriellen Schäden unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens der Klägerin von 1/3, die aufgrund des Verkehrsunfalls, der sich am 10.04.2011 gegen 12.30 Uhr auf der Kreisstraße 24 ereignet hat, noch entstehen werden, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist oder übergeht. Der weitergehende Feststellungsantrag wird abgewiesen.

2. Die Entscheidung über die Kosten der I. und II. Instanz bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf bis zu 590.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die am … 1994 geborene Klägerin beansprucht von den Beklagten Schmerzensgeld und Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall, der sich am 10.04.2011 gegen 12.30 Uhr auf der Kreisstraße x ereignete und bei dem sie als Insassin in dem vom Beklagten zu 2) gefahrenen und bei der Beklagen zu 1) versicherten Pkw mit dem amtl. Kz xy schwer verletzt wurde. Der Unfall geschah ohne Beteiligung eines Drittfahrzeugs. Der von der Staatsanwaltschaft Rostock beauftragte Sachverständige Dipl.-Ing. H. ermittelte eine Bremsausgangsgeschwindigkeit von 102 bis 142 km/h. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit an der Unfallstelle betrug 80 km/h. Die Beklagte zu 1) zahlte vorgerichtlich an die Klägerin 30.000,00 €. Weitere Zahlungen lehnte sie mit der Begründung ab, dass die Klägerin während der Fahrt den Sicherheitsgurt nicht angelegt gehabt habe und dass die bei angelegtem Sicherheitsgurt zu erwartenden Verletzungen wesentlich geringer gewesen wären.

Die Kläger hat erstinstanzlich den Einwand, sie sei nicht angeschnallt gewesen, bestritten.

Das Landgericht hat Beweis erhoben zu der Frage, in welchem Umfang Verletzungen zu erwarten gewesen wären, wenn die Klägerin den Sicherheitsgurt angelegt gehabt hätte, durch Einholung eines medizinisch-technischen Biomechanikgutachtens des Sachverständigen Prof. Dipl.-Ing. O. vom 08.08.2016 nebst Ergänzungen vom 10.10.2016 und 13.12.2016.

Mit Urteil vom 09.06.2017 hat das Landgericht Rostock die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin müsse sich als Mitverschulden anspruchsmindernd anrechnen lassen, dass sie während der Fahrt den Sicherheitsgurt nicht angelegt hatte. Die Verletzungen bei angelegtem Gurt wären wesentlich geringfügiger gewesen und mit der bereits erfolgten Zahlung von 30.000,00 € seien die bei angelegtem Sicherheitsgurt zu erwartenden Verletzungsfolgen abgegolten.

Die Klägerin hat gegen das Urteil form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Sie beanstandet, dass das Landgericht den Umfang der anspruchsmindernden Haftung nach den Verletzungsfolgen bemessen und den Anspruch auf die fiktiv entstandenen Verletzungsfolgen bei unterstellt angelegtem Gurt reduziert hat.

Die Klägerin beantragt, in Abänderung des Urteils des Landgerichts Rostock vom 09.06.2017

Verkehrsunfall - Mithaftung bei Verletzung der Anschnallpflicht
(Symbolfoto: Nataliia Orletska/Shutterstock.com)

1. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an sie ein in das freie Ermessen des Gerichts gestelltes weiteres Schmerzensgeld von mindestens 320.000,00 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 05.11.2012 zu zahlen,

2. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an sie eine in das freie Ermessen des Gerichts gestellte Schmerzensgeldrente von mindestens 500,00 € monatlich ab dem 05.11.2012, fällig dann jeweils am 1. eines jeden Monats nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz ab Fälligkeit der jeweiligen Monatsbeträge zu zahlen,

3. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an sie für den Zeitraum vom 01.09.2012 bis zum 01.08.2013 einen Verdienstschaden in Höhe von 19.192,80 € zu zahlen,

4. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilten, an sie ab Rechtshängigkeit der Klage bis zum 15. eines jeden Monats einen monatlichen Betrag von 1.744,80 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz als Verdienstausfallschaden zu zahlen,

5. festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, ihr alle auf dem Unfallereignis vom 10.04.2011 beruhenden zukünftigen Schäden zu ersetzen,

6. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an sie einen Betrag von 10.721,90 € nicht streitwerterhöhende außergerichtliche Anwaltskosten zuzüglich 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen.

Die Beklagten, die Zurückweisung der Berufung beantragen, verteidigen die erstinstanzliche Entscheidung.

Der Senat hat die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Rostock, Az: 446 Js 8557/11, zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.

II.

Soweit der Rechtsstreit in der Berufungsinstanz zur Entscheidung reif ist, hat die zulässige, insbesondere form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Klägerin in der Sache teilweise Erfolg. Die Beklagten haften ihr als Gesamtschuldner gem. §§ 7, 18 StVG, 823 Abs. 1, 253 Abs. 2, 426 BGB, 115 VVG dem Grunde nach unter Berücksichtigung eines Mitverschuldensanteils von 1/3 auf Schmerzensgeld sowie auf Ersatz von 2/3 der durch den streitgegenständlichen Unfall vom 10.04.2011 verursachten materiellen Schäden. Sie sind ferner verpflichtet, der Klägerin unter Berücksichtigung einer Mitverschuldensquote von 1/3 alle künftigen materiellen und immateriellen Schäden aus dem streitgegenständlichen Unfall zu ersetzen, soweit diese nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind.

Derzeit nicht zur Entscheidung reif sind die Höhe des Schmerzensgeldes und der geforderten Schmerzensgeldrente sowie der unfallbedingten materiellen Schäden. Der Senat entscheidet daher zunächst durch Grund- und Teilurteil.

1. Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach ist außer Streit.

2. Die Klägerin muss sich nach § 254 Abs. 1 BGB ein Mitverschulden an der Entstehung des Schadens anrechnen lassen, das allerdings nach der vom Landgericht abweichenden Ansicht des Senats nicht danach zu bemessen ist, welche unfallbedingten Verletzungen der Klägerin aus dem Nichtanlegen des Sicherheitsgurts resultieren.

2. 1. Der Klägerin ist ein schuldhafter Verstoß gegen die Anschnallpflicht nach § 21a Abs. 1 Satz StVO vorzuwerfen. Nach dieser Regelung müssen vorgeschriebene Sicherheitsgurte während der Fahrt angelegt werden, sofern kein Ausnahmetatbestand nach Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 – 6 StVO vorliegt, was hier nicht der Fall ist. In der Berufungsinstanz ist außer Streit, dass die Klägerin nicht angeschnallt war. Die Feststellung des Landgerichts, dass sie den Sicherheitsgurt nicht angelegt hatte, hat die Klägerin mit ihrer Berufung nicht angegriffen.

2. 2. In der Berufungsinstanz ist ebenfalls unstreitig, dass der Verstoß der Klägerin gegen die Anschnallpflicht die Verletzungen der Klägerin überwiegend verursacht hat.

Die Klägerin hat unfallbedingt folgende Verletzungen erlitten: ein schweres Schädel-Hirn-Trauma mit diffusem Axonschaden und Subarachnoidalblutung, eine Lungenkontusion, einen Pneumothorax, ein Mediastinalemphysem, ein Bauchtrauma mit Leber- und Milzkontusion, eine Rhabdomyolyse sowie eine ausgeprägte Tetraspastik.

Das Landgericht hat nach der Beweisaufnahme auf der Grundlage des Gutachtens des SV Prof. O. festgestellt, dass bei Anlegen des Sicherheitsgurtes lediglich ein Schädel-Hirn-Trauma ersten Grades sowie eine Rippenprellung möglich und wahrscheinlich gewesen wären. Die Klägerin hat diese Feststellungen mit ihrer Berufung ebenfalls nicht angegriffen.

2. 3. Streitentscheidend ist, nach welchen Kriterien der Mitverschuldensanteil der Klägerin zu bewerten ist, der daraus resultiert, dass sie zum Zeitpunkt des Unfalls den Sicherheitsgurt nicht angelegt hatte. Der Senat hält die vom Landgericht vorgenommene Bemessung des Mitverschuldens an den fiktiven Verletzungsfolgen für fehlerhaft.

a) Ein Verstoß gegen die Gurtanlegungsvorschrift ist als ein Verschulden gegen sich selbst zu werten mit der Folge einer zumindest anteiligen Mithaftung des Geschädigten für die Verletzungen, die durch den Gurt vermieden worden wären. Es handelt sich um ein Mitverschulden bei der Entstehung des Schadens im Sinne des § 254 Abs. 1 BGB (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 10. März 2003 – I-1 U 150/02 -, juris).

Bei der Haftungsverteilung im Rahmen des § 254 BGB ist in erster Linie das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben. Daraus folgt, dass den Insassen eines Pkw, der entgegen § 21a Abs. 1 Satz 1 StVO während der Fahrt den Sicherheitsgurt nicht angelegt hatte, im Falle einer Verletzung infolge eines Verkehrsunfalls dann eine anspruchsmindernde Mithaftung trifft, wenn – wie hier – festgestellt ist, dass nach der Art des Unfalls die erlittenen Verletzungen tatsächlich verhindert worden oder zumindest weniger schwerwiegend gewesen wären, wenn der Verletzte zum Zeitpunkt des Unfalls angeschnallt gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 2012 – VI ZR 10/11 , juris m.w.N.). Kommt danach ein Mitverschulden ohnehin nur hinsichtlich der gerade durch das Nichtangurten veranlassten Verletzungen in Betracht (vgl. Hentschel u.a., Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., § 21a StVO Rn. 21 m.w.N.), dann ist hinsichtlich der durch das Nichtangurten entstandenen Verletzungen eine Mitverschuldenskürzung entsprechend der nach § 254 Abs. 1 BGB zu bildenden Haftungsquote vorzunehmen, weil der Schädiger als Unfallverursacher auf Ersatz aller durch den Unfall verursachten Schäden haftet. Allein die Tatsache, dass es bei Anlegen des Gurtes überwiegend nicht zu den Verletzungen, insbesondere nicht mit den schweren Folgen gekommen wäre, kann hierbei nicht (mit)haftungssteigernd berücksichtigt werden, denn dies ist die Voraussetzung dafür, dass sich der Geschädigte überhaupt ein Mitverschulden anrechnen lassen muss (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 16. Mai 1986 – 3 U 103/84 -, juris).

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Bei der hier entscheidenden Streitfrage, ob und in welchem Ausmaß sich die Klägerin die Folgen des Nichtangurtens auf ihre Ersatzansprüche anrechnen lassen muss, ist grundsätzlich auch zu beachten, dass das Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes sich je nach der Art des Unfalls und der dabei erlittenen Verletzungen nicht stets in gleicher Weise auswirkt; die Ursächlichkeit dieses Versäumnisses kann selbst innerhalb desselben Unfallgeschehens für das Ausmaß der eingetretenen Schäden verschieden sein. Diese unterschiedliche Auswirkung eines Verstoßes gegen die Gurtanlegepflicht ergibt sich aus der naheliegenden, sich oft sogar aufdrängenden Überlegung, dass häufig im Verlaufe eines Verkehrsunfalls auch Schäden eintreten, die von diesem Pflichtverstoß nicht beeinflusst sind, weil sie in gleicher Weise und in gleichem Umfang auch entstanden wären, wenn der Verletzte angegurtet gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 1. April 1980 – VI ZR 40/79 -, juris).

Vorliegend hat die Klägerin Verletzungen erlitten, die bei Anlegen des Sicherheitsgurtes überwiegend nicht und hinsichtlich der Kopf- und der Rippenverletzung nicht in der Schwere entstanden wären. Der Senat hält es dennoch für gerechtfertigt, die Mitverschuldensquote für die erlittenen Verletzungen einheitlich festzusetzen. Zwar war der Umstand des Nichtanschnallens für jede der erlittenen Verletzungen – unbeschadet der Ursächlichkeit des Versäumnisses für diese Verletzungen – von unterschiedlichem Gewicht. Dies nötigt aber nicht dazu, die Mitschuldquote für jede der Verletzungen verschieden hoch zu bewerten. Es ist nicht nur mit dem Sinn des § 254 Abs 1 BGB, der auf eine Gesamtbetrachtung der Schadensentstehung abhebt, vereinbar, sondern aus Gründen praktischer Handhabung geboten, bei verschiedener Auswirkung des Nichtangurtens auf einzelne Verletzungen unter Abwägung aller Umstände, insbesondere der von den Verletzungen ausgehenden Folgeschäden, deren vermögensrechtliches Gewicht je nach der Verletzung verschieden sein kann, der Verletzte also von einer Kürzung seiner Ersatzansprüche verschieden stark getroffen wird, eine einheitliche Mitschuldquote zu bilden (vgl. BGH, a.a.O.).

Auch in der obergerichtlichen Rechtsprechung sind in vergleichbaren Fällen wegen der Nichtanlegung des Sicherheitsgurts Haftungsquoten gebildet worden, die sich nicht nach den fiktiven Verletzungsfolgen sondern nach dem Maß der Verursachung richten, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben (vgl. OLG München, Urteil vom 7. Juni 2013 – 10 U 1931/12 -; OLG Düsseldorf, Urteil vom 10. März 2003 – I-1 U 150/02 -; OLG Karlsruhe, Urteil vom 9. Juli 1999 – 10 U 55/99 -; OLG Hamm, Urteil vom 26. November 1996 – 9 U 174/95 -; OLG München, Urteil vom 14. April 1983 – 24 U 813/82 -, jeweils in juris). Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an.

b) Die von den Beklagten in Bezug genommenen Entscheidungen rechtfertigen keine abweichende rechtliche Beurteilung.

Das Urteil des Oberlandesgerichts Hamm vom 16. Oktober 1979 – (9 U 156/79, VRS 59, 5-7) -, ist nicht einschlägig. Denn bei dem dort zu entscheidenden Sachverhalt wäre der Geschädigte bei Anlegen des Sicherheitsgutes unverletzt geblieben und das Gericht musste die Frage klären, ob der Geschädigte seine Verletzung unverschuldet i.S.v. § 12 Abs. 1 Nr. 2b BBiG erlitten hat und der Ausbilder (dort der Kläger) die an den geschädigten Auszubildenden geleistete Lohnfortzahlung von dem unfallverursachenden Dritten fordern kann.

Die Beklagten können sich auch nicht mit Erfolg auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 20. Mai 2014 – (VI ZR 187,13 juris) – berufen, wonach in Fällen der abgrenzbaren Teilkausalität die Beschränkung der Haftung auf die Folgen des jeweiligen Verursachungsbeitrages entspreche. In der genannten Entscheidung hat der Bundesgerichtshof, der über Schadensersatzansprüche nach einem Behandlungsfehler zu urteilen hatte, u. a. ausgeführt, dass, auch wenn eine Mitursächlichkeit der Alleinursächlichkeit haftungsrechtlich grundsätzlich in vollem Umfang gleichsteht, dies ausnahmsweise dann nicht der Fall sei, wenn feststeht, dass der Behandlungsfehler nur zu einem abgrenzbaren Teil des Schadens geführt hat, also eine sogenannte abgrenzbare Teilkausalität vorliegt. Erforderlich sei, dass sich der Schadensbeitrag des Behandlungsfehlers einwandfrei von dem anderen Schadensbeitrag – etwa einer Vorschädigung des Patienten – abgrenzen und damit der Haftungsanteil des Arztes bestimmen lässt. Andernfalls verbleibe es bei der Einstandspflicht für den gesamten Schaden, auch wenn dieser durch andere, schicksalhafte Umstände wesentlich mitverursacht worden ist (vgl. BGH, a.a.O.). Eine vergleichbare Situation ist hier nicht gegeben, weil zum einen die Klägerin gesundheitlich nicht vorgeschädigt war und weil im weiteren der vom Beklagten zu 2) verursachte Unfall unstreitig ursächlich für alle Verletzungen der Klägerin ist.

3. Der Senat bemisst den nach § 254 Abs. 1 BGB zu berücksichtigenden Mitverschuldensanteil der Klägerin mit 1/3.

3. 1. Bei der Abwägung nach § 254 Abs. 1 BGB ist in erster Linie das Maß der Verursachung maßgeblich, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; das beiderseitige Verschulden ist nur ein Faktor der Abwägung. Es kommt danach für die Haftungsverteilung entscheidend darauf an, ob das Verhalten des Schädigers oder das des Geschädigten den Eintritt des Schadens in wesentlich höherem Maße wahrscheinlich gemacht hat.

Zum Verursachungs- und Verschuldensbeitrag des Beklagten zu 2) hat das Landgericht keine Feststellungen getroffen, was wegen der dort vertretenen Rechtsansicht auch nicht erforderlich war. Der Senat hat deshalb die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Rostock zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht und – da sich die Klägerin hierauf bezogen hat – das in dieser Akte befindliche Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. H. vom 29.06.2011 als Urkunde i.S.v § 142 ZPO verwertet (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl., vor § 402 Rn. 11).

3. 2. Auf Grund der Feststellungen des Sachverständigen H. ist eine überhöhte Geschwindigkeit des Beklagten zu 2) ursächlich für den streitgegenständlichen Unfall vom 04.10.2011. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit am Unfallort beträgt 80 km/h. Die Bremsausgangsgeschwindigkeit hat der Sachverständige mit 102 bis 142 km/h rekonstruiert. Die Kurvengrenzgeschwindigkeit unter ausschließlicher Nutzung des rechten Fahrstreifens und einer idealen Fahrlinie liege, so der Sachverständige, bei 92 km/h. Der Fahrzeugführer habe zweifelsfrei ein vollständiges Schneiden der Linkskurve unter Nutzung des Gegenfahrstreifens vorgenommen. Bei idealer Fahrweise errechne sich hier eine Kurvengrenzgeschwindigkeit von 102 km/h. Diese liege somit an der errechneten Untergrenze der Ausgangsgeschwindigkeit. Der Pkw müsse zu einem Zeitpunkt vor Beginn der ersten sichtbaren Spuren in etwa auf diesem idealen Radius gefahren sein. Dass das Fahrzeug dennoch in eine Drift-/Schleuderbewegung geraten ist, lasse darauf schließen, dass die gefahrene Geschwindigkeit oberhalb der rekonstruierten Untergrenze von 102 km/h gelegen habe und ursächlich für die Drift-/Schleuderbewegung und letztlich ursächlich für den hier in Rede stehenden Verkehrsunfall sei.

Nach den Feststellungen des Sachverständigen hat der Beklagte zu 2) mithin in einer Linkskurve die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um mehr als 25 % überschritten. Er hat deshalb die Gewalt über sein Fahrzeug verloren, ist nach rechts von der Fahrbahn abgedriftet und dort in voller Fahrt mit einer Kollisionsgeschwindigkeit von mindestens 85 km/h mit dem ersten Straßenbaum und mit einer solchen von noch mindestens 77 km/h mit dem zweiten Straßenbaum kollidiert. Die durch eine solche Kollision hervorgerufene höchste Gefahr für Leib und Leben der Beteiligten hat sich auch im vorliegenden Fall dramatisch verwirklicht. Alle drei Insassen des klägerischen Fahrzeugs wurden schwer verletzt, der Beifahrer so schwer, dass er noch an der Unfallstelle verstarb.

3. 3. Dem gegenüber steht lediglich der Verstoß der Klägerin gegen die Anschnallpflicht nach § 21a Abs. 1 StVO und das damit verbundene Versäumnis, sich selbst nicht geschützt zu haben. Der Senat hält deshalb auch unter Berücksichtigung, dass nach der erstinstanzlichen Beweisaufnahme auf Grund des Gutachtens des Sachverständigen Prof. O. vom 08.08.2016 nebst Ergänzungen feststeht, dass die Klägerin bei Anlegen des Sicherheitsgurtes durch das Unfallgeschehen nicht so schwerwiegende Verletzungen erlitten hätte, im Ergebnis eine Haftungsverteilung von 1/3 zu 2/3 zu Lasten der Beklagten für sachgerecht.

Eine geringere Haftungsquote der Klägerin hält der Senat nicht für gerechtfertigt. Zwar kann nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs das Gewicht, das der Verletzung der Anschnallpflicht bei der Abwägung der Schadensbeiträge zukommt, ausnahmsweise hinter dem Verursachungs- und Verschuldensbeitrag des Schädigers zurücktreten (vgl. Urteil vom 20. Januar 1998 – VI ZR 59/97 -, juris). In dem dort zu entscheidenden Fall war die Gefahr, die von einem mit voller Geschwindigkeit bei Dunkelheit auf der Gegenfahrbahn fahrenden Kraftfahrzeug ausgeht, ungewöhnlich hoch. Hinzu trat das gleichfalls als außergewöhnlich hoch zu bewertende Verschulden des Unfallverursachers, der sich mit einer Blutalkoholkonzentration von (etwa) 1,83 Promille mit seinem Fahrzeug in den Verkehr begeben hat. Demgegenüber habe das Berufungsgericht den Unfallbeitrag des dortigen Klägers trotz des Verstoßes gegen § 21a Abs. 1 StVO ohne Rechtsfehler als vergleichsweise gering einstufen und bei der Abwägung nach § 254 Abs. 1 BGB außer Ansatz lassen können (vgl. BGH a.a.O.). Diesem Urteil folgend hat auch das OLG Karlsruhe entschieden, dass der durch Verletzung der Anschnallpflicht begründete Mitverschuldensbeitrag des Geschädigten in Ausnahmefällen zurücktreten könne, wobei in dem dort zu entscheidenden Fall allerdings zu berücksichtigen war, dass der Klägerin bei angelegtem Gurt Verletzungen ähnlicher Schwere mit der Gefahr tödlicher Bauchraumblutungen jedenfalls konkret drohten, weshalb bei Abwägung aller Umstände ihr Schadensbeitrag nach dortigen Ansicht zwingend hinter dem überragenden Verursachungsbeitrag des Versicherungsnehmers der Beklagten zurücktreten müsse (vgl. Urteil vom 06. November 2009 – 14 U 42/08 -, juris).

Demgegenüber hat das Oberlandesgericht München für einen solchen Ausnahmefall jedenfalls dann keinen Raum gesehen, wenn gerade die Verletzung der Anschnallpflicht für den Grad der Verletzungen prägende Wirkung hatte und einen Körperschaden von solcher Schwere verursachte, die den Bereich gewöhnlicher Unfallfolgen bei angeschnallten Beifahrern weit übersteigt (vgl. Urteil vom 13. Januar 1999 – 7 U 4576/98 -, juris). So ist die Sachlage hier. Auf Grund des Gutachtens des Sachverständigen Prof. O. ist der Senat wie das Landgericht überzeugt, dass die Klägerin bei Anlegen des Sicherheitsgurtes durch das Unfallgeschehen nicht so schwerwiegende Verletzungen erlitten hätte. Auch ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der Sicherheitsgurt für die Klägerin deutlich sichtbar und dass sie verpflichtet war, diesen bereits vor Fahrtantritt anzulegen. Der Senat teilt zudem die Ansicht des Landgerichts, dass dem Beklagten zu 2) hinsichtlich der Gurtanlegepflicht der Klägerin weder eine Hinweis-, noch eine Kontrollpflicht oblag.

4. Der Feststellungsantrag auf Ersatz künftiger materieller und immaterieller Schäden, soweit diese nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind, ist im Hinblick darauf, dass wegen der Art der Verletzung bisher nicht absehbare Folgeschäden nicht auszuschließen sind, zulässig und unter Berücksichtigung des Mitverschuldensanteils der Klägerin von 1/3 begründet.

5. Die Beklagten sind gem. §§ 7, 18 StVG, 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB, 115 VVG dem Grunde nach verpflichtet, der Klägerin als Gesamtschuldner unter Berücksichtigung eines Mitverschuldensanteils von 1/3 und unter abzüglicher Berücksichtigung des bereits gezahlten Betrages von 30.000,00 € ein weiteres Schmerzensgeld sowie eine Schmerzensgeldrente zu zahlen. Zur Höhe eines angemessenen Schmerzensgeldes ist die Sache noch nicht entscheidungsreif, weil die Feststellung der aus dem streitgegenständlichen Unfall resultierenden dauerhaften gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin eine aktuelle medizinische Begutachtung erfordert.

Die Beklagte schulden der Klägerin zudem Ersatz aller unfallbedingten materiellen Schäden zu 2/3. Der behauptete Verdienstausfallschaden ist streitig und derzeit nicht zur Entscheidung reif. Auch die Höhe der von den Beklagten dem Grunde nach zu erstattenden vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, die die Klägerin aus abgetretenem Recht ihrer Rechtsschutzversicherung beansprucht, kann noch nicht festgestellt werden, da Grundlage für die Berechnung die Höhe der begründeten Forderungen der Klägerin gegen die Beklagte ist.

III.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Aus dem Grund- und Teilurteil kann die Vollstreckung insoweit betrieben werden, als erst die Vorlage eines für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteils das Vollstreckungsorgan nach §§ 775 Nr. 1, 776 ZPO nötigt, eine eingeleitete Vollstreckung aus dem abgeänderten erstinstanzlichen Urteil, hier hinsichtlich der Kosten für die I. Instanz, einzustellen und getroffene Maßnahmen aufzuheben.

Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht. Weder hat die Sache grundsätzliche Bedeutung, noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

IV.

Der Wert der Berufung errechnet sich aus den Werten der einzelnen Berufungsanträge wie folgt:

  • Schmerzensgeld (Antrag zu 1)320.000,00 €
  • Schmerzensgeldrente (Antrag zu 2)21.000,00 €
  • (42 Monate x 500,00 € – § 9 ZPO)Verdienstausfall (Antrag zu 3) 19.192,80 €
  • monatl. Verdienstausfall (Antrag zu 4) 73.281,60 € (42 Monate x 1.744,80 € – § 9 ZPO)
  • Feststellungsantrag 150.000,00 €
  • Gesamt: 583.474,40 €
  • – > bis 590.000,00 €

 

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