Übersicht:
- Das Wichtigste in Kürze
- Tragische Verkehrsunfälle: Rechtsabbiegen und die Gefahr für Radfahrer
- Der Fall vor Gericht
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Welche Rechtsfolgen hat das verbotswidrige Befahren eines Gehwegs mit dem Fahrrad?
- Wie wird die Haftungsquote bei Unfällen zwischen Radfahrern und Kraftfahrzeugen ermittelt?
- Welche Beweismittel sind nach einem Fahrradunfall besonders wichtig?
- Welche Rolle spielt das Mitverschulden bei der Bemessung des Schmerzensgeldes?
- Welche besonderen Sorgfaltspflichten haben Autofahrer gegenüber Radfahrern beim Rechtsabbiegen?
- Glossar
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht Schleswig-Holstein
- Datum: 19.11.2024
- Aktenzeichen: 7 U 90/23
- Verfahrensart: Schadensersatzprozess nach Verkehrsunfall
- Rechtsbereiche: Straßenverkehrsrecht, Deliktsrecht
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Ein 18-jähriger Radfahrer, der bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt wurde. Er argumentiert, dass der Autofahrer seine Vorfahrtsrechte missachtet hat und fordert Schadensersatz und Schmerzensgeld.
- Beklagte: Der Autofahrer (als Beklagter) und seine Haftpflichtversicherung. Sie argumentieren, dass der Unfall unvermeidbar war und dass der Radfahrer grob fahrlässig gehandelt hat, indem er den Gehweg verbotswidrig nutzte.
Um was ging es?
- Sachverhalt: Der Kläger überquerte mit seinem Fahrrad einen Gehweg ohne seine Wartepflicht zu beachten, als er von einem Taxi erfasst wurde, das von dem Beklagten gefahren wurde. Der Radfahrer erlitt schwere Verletzungen und forderte Schadensersatz sowie die Feststellung zukünftiger Ersatzpflichten.
- Kern des Rechtsstreits: Die Frage, in welchem Umfang die beteiligten Parteien für den Unfall verantwortlich sind, insbesondere ob der Autofahrer seine Pflicht zur Sorgfalt im Straßenverkehr verletzt hat, obwohl der Radfahrer den Gehweg widerrechtlich befuhr.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Die Berufung des Autofahrers wurde zurückgewiesen. Der Autofahrer haftet zu 25 % für den Unfall. Der Kläger erhält Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 7.810 Euro.
- Begründung: Trotz der verbotswidrigen Nutzung des Gehwegs durch den Kläger, hätte der Autofahrer den Unfall bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt verhindern können (Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot gemäß § 1 Abs. 2 StVO). Der Einsatz eines Sachverständigen ergab, dass der Unfall vermeidbar war.
- Folgen: Der Kläger erhält Entschädigungszahlungen. Das Urteil beantwortete, dass selbst bei eigenem Fehlverhalten eines Verkehrsteilnehmers, andere Beteiligte ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen müssen. Die Beklagten tragen die Kosten des Berufungsverfahrens; das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Eine Revision zum Bundesgerichtshof wurde nicht zugelassen.
Tragische Verkehrsunfälle: Rechtsabbiegen und die Gefahr für Radfahrer
Verkehrsunfälle gehören zu den häufigsten und tragischsten Ereignissen im Straßenverkehr, oft mit erheblichen Verletzungen für die Beteiligten. Besonders gefährdet sind Radfahrer, die beim Rechtsabbiegen eines PKW oft in Kollision mit Fahrzeugen geraten. In einem Moment der Unachtsamkeit oder Missverständnis bei den Verkehrsregeln kann es schnell zu einer dramatischen Unfallursache kommen. Unfallstatistiken zeigen, dass solche Situationen nicht nur für Radfahrer, sondern auch für PKW-Fahrer eine Herausforderung darstellen, die eine sorgfältige Fahrsicherheit und präventive Maßnahmen erfordern.
Die Verkehrsordnung sieht vor, dass Fahrer beim Rechtsabbiegen besonders auf Radfahrer achten müssen, um die Verkehrsicherheit zu gewährleisten. Dennoch kommt es immer wieder zu Situationen, in denen diese Vorschriften nicht ausreichend beachtet werden. Ein aktueller Fall verdeutlicht die Komplexität solcher Unfälle, die nicht nur rechtliche, sondern auch menschliche Aspekte beinhalten. Im Folgenden wird dieser Fall näher betrachtet und analysiert.
Der Fall vor Gericht
Schwere Verletzungen nach Kollision zwischen Radfahrer und Taxi – OLG bestätigt Haftungsverteilung

Ein folgenschwerer Verkehrsunfall zwischen einem 18-jährigen Radfahrer und einem Taxifahrer beschäftigte das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein. Das Gericht bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung des Landgerichts Kiel zur Haftungsverteilung von 75 zu 25 Prozent zu Lasten des Radfahrers.
Schwerer Unfall mit weitreichenden Folgen
Der Unfall ereignete sich am 16. Mai 2019 gegen 18 Uhr an der Einmündung H-weg/S-straße in P. Der 18-jährige Radfahrer befuhr verbotswidrig den ausschließlich für Fußgänger vorgesehenen Gehweg. Als er die S-straße überqueren wollte, wurde er von einem nach rechts abbiegenden Taxi erfasst, vom Fahrrad gestoßen und überrollt. Der junge Mann erlitt schwerste Verletzungen, darunter ein Polytrauma, mehrere Rippenfrakturen, einen Leberriss, eine Blasenruptur sowie Beckenfrakturen. Nach mehreren Operationen musste ihm aufgrund einer Hüftkopfnekrose eine künstliche Hüfte eingesetzt werden.
Gutachter bestätigt Vermeidbarkeit des Unfalls
Ein vom Gericht beauftragter Sachverständiger untersuchte den Unfallhergang detailliert. Er kam zu dem Schluss, dass der Unfall für den Taxifahrer technisch und zeitlich vermeidbar gewesen wäre. Der Sachverständige berechnete verschiedene Szenarien mit Geschwindigkeiten zwischen 10 und 27,5 km/h für den Radfahrer sowie 10 bis 20 km/h für das Taxi. In allen Varianten wäre es dem Taxifahrer durch einen rechtzeitigen Schulterblick möglich gewesen, den Radfahrer zu erkennen und eine Gefahrenbremsung einzuleiten.
Gerichte sehen Hauptverschulden beim Radfahrer
Das Gericht lastete dem Radfahrer ein erhebliches Mitverschulden an. Er hatte nicht nur verbotswidrig den Gehweg benutzt, sondern auch seine Wartepflicht beim Überqueren der Straße missachtet. Dem Taxifahrer wurde hingegen ein Verstoß gegen das allgemeine Rücksichtnahmegebot vorgeworfen. Besonders da sich in der Nähe der Unfallstelle eine Schule befand, hätte der ortskundige Taxifahrer mit querenden Verkehrsteilnehmern rechnen müssen.
Gericht spricht Schmerzensgeld zu
Das Gericht sprach dem Radfahrer unter Berücksichtigung der Haftungsquote ein Schmerzensgeld von insgesamt 10.000 Euro zu. Nach Abzug bereits geleisteter Zahlungen von 2.300 Euro verblieb ein Anspruch von 7.700 Euro. Bei der Bemessung berücksichtigte das Gericht die erheblichen Verletzungen, die umfangreiche medizinische Versorgung mit mehreren stationären Aufenthalten sowie den Einsatz der künstlichen Hüfte. Aufgrund des jungen Alters des Geschädigten und möglicher zukünftiger Komplikationen mit der Hüftprothese stellte das Gericht zudem die Ersatzpflicht für künftige Schäden im Rahmen der 25-prozentigen Haftungsquote fest.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil zeigt, dass Radfahrer bei verbotswidrigem Befahren eines Gehwegs ein erhebliches Mitverschulden von 75% tragen, wenn sie ihre Wartepflicht missachten. Gleichzeitig müssen aber auch abbiegende Autofahrer besonders aufmerksam sein und mit verkehrswidrigem Verhalten anderer rechnen – insbesondere in der Nähe von Schulen. Auch wenn Radfahrer sich regelwidrig verhalten, entbindet dies Autofahrer nicht von ihrer allgemeinen Sorgfaltspflicht nach § 1 Abs. 2 StVO.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Wenn Sie als Radfahrer in einen Unfall verwickelt werden, während Sie verbotswidrig einen Gehweg benutzen, müssen Sie mit einem hohen Mitverschulden von 75% rechnen. Dies bedeutet, dass Sie nur 25% Ihrer Schadenersatz- und Schmerzensgeldforderungen durchsetzen können. Als Autofahrer müssen Sie besonders vorsichtig sein und auch dann aufmerksam nach Radfahrern Ausschau halten, wenn diese sich verkehrswidrig verhalten – vor allem in der Nähe von Schulen oder anderen sensiblen Bereichen. Eine Missachtung dieser Sorgfaltspflicht kann zu einer Mithaftung führen, selbst wenn der Radfahrer regelwidrig unterwegs war.
Verkehrsunfall mit dem Fahrrad?
Unfallbeteiligter und unsicher über Ihre Rechte und Pflichten? Die Rechtslage bei Verkehrsunfällen, insbesondere unter Beteiligung von Radfahrern, ist komplex. Gerade die Frage der Haftungsverteilung und des Mitverschuldens ist oft entscheidend für den Ausgang eines Verfahrens. In solchen Situationen ist es ratsam, sich frühzeitig rechtlichen Beistand zu suchen, um Ihre Interessen optimal zu wahren und die bestmöglichen Ergebnisse zu erzielen.
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Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Welche Rechtsfolgen hat das verbotswidrige Befahren eines Gehwegs mit dem Fahrrad?
Das verbotswidrige Befahren eines Gehwegs mit dem Fahrrad zieht sowohl ordnungsrechtliche als auch zivilrechtliche Konsequenzen nach sich.
Ordnungsrechtliche Folgen
Das Befahren des Gehwegs mit dem Fahrrad wird mit einem Bußgeld zwischen 15 und 30 Euro geahndet. Diese Regelung gilt für alle Erwachsenen, die nicht in Begleitung von Kindern unter 8 Jahren sind.
Zivilrechtliche Folgen bei Unfällen
Bei einem Unfall kann das verbotswidrige Befahren des Gehwegs zu einer vollständigen Haftung des Radfahrers führen. Dies gilt insbesondere dann, wenn ein Radfahrer von einem aus einer Grundstücksausfahrt kommenden PKW erfasst wird. Die Betriebsgefahr des Kraftfahrzeugs tritt in solchen Fällen vollständig zurück.
Besondere Haftungsrisiken
Besonders schwerwiegend wird das Befahren des Gehwegs in falscher Fahrtrichtung bewertet. In diesem Fall kann der Radfahrer bei einem Unfall zur Übernahme sämtlicher Schäden verpflichtet werden, einschließlich:
- Reparaturkosten am Fahrzeug
- Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten
- Zinsen auf den Schadensersatzanspruch
Ausnahmen von der Haftung
Eine legale Gehwegnutzung ist nur in folgenden Fällen möglich:
- Für Kinder bis zum vollendeten 10. Lebensjahr
- Für Begleitpersonen von Kindern unter 8 Jahren
- Bei ausdrücklicher Freigabe durch das Zusatzzeichen „Radfahrer frei“
- Bei gemeinsamen Geh- und Radwegen
In diesen Fällen gelten die normalen Haftungsregeln des Straßenverkehrs, und die Betriebsgefahr des Kraftfahrzeugs wird bei der Schadensverteilung berücksichtigt.
Wie wird die Haftungsquote bei Unfällen zwischen Radfahrern und Kraftfahrzeugen ermittelt?
Die Haftungsquote bei Unfällen zwischen Radfahrern und Kraftfahrzeugen basiert auf dem Verschuldensprinzip nach § 254 Abs. 1 BGB und berücksichtigt die Verursachungsbeiträge aller Beteiligten.
Grundsätzliche Haftungsverteilung
Bei Kollisionen zwischen Fahrrad und Kraftfahrzeug gilt zunächst eine Grundhaftung des Kraftfahrzeugs von mindestens 25-30% aufgrund der Betriebsgefahr. Diese Betriebsgefahr ergibt sich aus §§ 7, 18 Straßenverkehrsgesetz und besteht unabhängig von einem Verschulden des Autofahrers.
Einflussfaktoren auf die Haftungsquote
Die konkrete Haftungsverteilung wird durch das Verhalten der Unfallbeteiligten bestimmt. Wenn Sie als Radfahrer grobe Verkehrsverstöße begehen, kann Ihre Haftungsquote deutlich steigen. Ein Beispiel: Fahren Sie verbotswidrig auf dem Gehweg, kann dies zu einer Haftungsquote von bis zu 75% zu Ihren Lasten führen.
Besondere Unfallkonstellationen
Bei Abbiegeunfällen ist der Kraftfahrzeugführer in 91% der Fälle der Hauptverursacher. Wenn Sie als Radfahrer jedoch durch eigenes Fehlverhalten zum Unfall beitragen, etwa durch eine fehlerhafte Bremsung oder falsches Einordnen, wird dies in der Haftungsquote berücksichtigt.
Technische Mängel und Sorgfaltspflichten
Technische Mängel am Fahrrad, wie defekte Bremsen, können zu einer erheblichen Mithaftung führen. Die Straßenverkehrszulassungsordnung schreibt vor, dass Ihr Fahrrad mit zwei unabhängig wirkenden Bremsen ausgestattet sein muss. Bei schwerwiegenden technischen Mängeln kann die Haftungsquote zu Ihren Lasten auf bis zu 70% steigen.
Welche Beweismittel sind nach einem Fahrradunfall besonders wichtig?
Nach einem Fahrradunfall mit einem rechtsabbiegenden PKW sind Zeugenaussagen von zentraler Bedeutung für die Klärung des Unfallhergangs. Wenn Sie einen Unfall erleiden, sprechen Sie umstehende Personen aktiv an und bitten Sie diese um ihre Kontaktdaten.
Dokumentation der Unfallsituation
Fotografische Beweise sind unmittelbar nach dem Unfall besonders wertvoll. Fotografieren Sie die Endposition der Fahrzeuge, eventuelle Bremsspuren sowie die Beschädigungen an Ihrem Fahrrad und am PKW. Die Dokumentation der Schäden am Auto des Unfallgegners kann wichtige Rückschlüsse auf den Unfallhergang geben – etwa ob es sich um einen seitlichen Kontakt oder einen frontalen Zusammenstoß handelte.
Behördliche und medizinische Dokumentation
Der Polizeibericht stellt ein wichtiges offizielles Dokument dar. Lassen Sie den Unfall von der Polizei aufnehmen, da dies die spätere Klärung der Schuldfrage erheblich erleichtert.
Bei Verletzungen sind ärztliche Atteste und Berichte unverzichtbar. Dokumentieren Sie Ihre Verletzungen durch:
- Arztberichte und Atteste
- Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen
- Fotos der Verletzungen
Technische Nachweise
Sachverständigengutachten können den Unfallhergang rekonstruieren und Aufschluss über Geschwindigkeiten, Aufprallwinkel und Reaktionszeiten geben. Bewahren Sie beschädigte Fahrradteile auf, da diese als Beweisstücke dienen können.
Notieren Sie sich das Kennzeichen des unfallbeteiligten Fahrzeugs. Über das Kennzeichen kann die zuständige Versicherung ermittelt werden.
Welche Rolle spielt das Mitverschulden bei der Bemessung des Schmerzensgeldes?
Das Mitverschulden spielt eine wesentliche Rolle bei der Bemessung des Schmerzensgeldes nach einem Verkehrsunfall. Wenn Sie oder eine andere beteiligte Person durch eigenes Fehlverhalten zum Unfall beigetragen haben, kann dies die Höhe des Schmerzensgeldes beeinflussen. Hier sind die wichtigsten Punkte, die Sie wissen sollten:
Rechtliche Grundlagen
Das Mitverschulden ist in § 254 Absatz 1 BGB geregelt. Dieser Paragraf besagt, dass die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen abhängen, insbesondere davon, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist.
Bemessung des Schmerzensgeldes
- Keine Quotenmäßige Berücksichtigung: Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) wird das Mitverschulden nicht quotenmäßig bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt. Stattdessen ist es ein Bewertungsfaktor neben anderen, wie der Schwere der Verletzung, der Dauer der Schmerzen und der Funktionsbeeinträchtigungen.
- Einfluss auf die Höhe: Das Mitverschulden kann die Höhe des Schmerzensgeldes mindern. Wenn beispielsweise ein Radfahrer ohne Helm fährt und dadurch zu einem Unfall beiträgt, kann dies als Mitverschulden gewertet werden und die Schmerzensgeldsumme entsprechend reduzieren.
Beispiel
Stellen Sie sich vor, Sie sind Radfahrer und werden von einem rechts abbiegenden PKW erfasst. Wenn Sie keinen Helm trugen und dies als Mitverschulden gewertet wird, könnte das Gericht das Schmerzensgeld entsprechend der Mitverschuldensquote kürzen. Angenommen, Ihre Verletzungen rechtfertigen ein Schmerzensgeld von 10.000 Euro, könnte das Gericht aufgrund Ihres Mitverschuldens von 20% die Summe auf 8.000 Euro reduzieren.
Rechtliche Schritte
- Polizei hinzuziehen: Nach einem Unfall ist es wichtig, die Polizei zu rufen, um das Fehlverhalten festzustellen und die Mitverschuldensquote zu ermitteln.
- Anwaltliche Unterstützung: Ein Anwalt kann Ihnen helfen, Ihre Ansprüche durchzusetzen und sicherzustellen, dass Ihr Mitverschulden fair bewertet wird.
Zusammenfassung
Das Mitverschulden beeinflusst die Bemessung des Schmerzensgeldes, indem es als ein Bewertungsfaktor neben anderen Umständen berücksichtigt wird. Es führt nicht zu einer direkten Quotenmäßigen Kürzung, sondern wird in den Gesamtkontext der Schadensberechnung eingebettet. Wenn Sie in einen Unfall verwickelt sind, ist es wichtig, die rechtlichen Schritte zu kennen und gegebenenfalls rechtliche Unterstützung in Anspruch zu nehmen, um Ihre Ansprüche optimal durchzusetzen.
Welche besonderen Sorgfaltspflichten haben Autofahrer gegenüber Radfahrern beim Rechtsabbiegen?
Grundsätzliche Vorfahrtsregelung
Die Straßenverkehrsordnung regelt eindeutig: Ein abbiegender Autofahrer muss den Vorrang des geradeaus fahrenden Radfahrers beachten. Dies gilt auch dann, wenn der Autofahrer den Radfahrer kurz zuvor überholt hat und etwas früher an der Einmündung ankommt.
Konkrete Sorgfaltspflichten
Vor dem Abbiegevorgang muss der Autofahrer folgende Schritte beachten:
- Sich frühzeitig auf der rechten Fahrspur einordnen und den Blinker setzen
- Den rechten Außenspiegel kontinuierlich im Blick behalten
- Einen zusätzlichen Schulterblick durchführen, um keine Radfahrer zu übersehen
- Das Rechtsabbiegen erst beginnen, wenn kein Fahrrad mehr zu sehen ist – weder auf der Straße, in die eingebogen werden soll, noch hinter oder neben dem Fahrzeug
Besondere Verkehrssituationen
Beim Überholen eines Radfahrers gilt besondere Vorsicht: Wenn Sie als Autofahrer einen Radfahrer überholen und danach rechts abbiegen möchten, müssen Sie den Radfahrer erst passieren lassen. Ein Übersehen des kurz zuvor überholten Radfahrers ist in dieser Situation nicht entschuldbar.
Rechtliche Konsequenzen
Ein Verstoß gegen diese Sorgfaltspflichten stellt eine Ordnungswidrigkeit dar. Dies hat das Oberlandesgericht Düsseldorf bereits 1989 klargestellt. Dabei ist nicht erst die Gefährdung unzulässig, sondern bereits die bloße Behinderung des Radfahrers. Der Rechtsabbieger darf Radfahrer nicht behindern, wenn diese sich vor oder auf gleicher Höhe mit ihm befinden oder nahe aufgerückt sind.
Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung ersetzen kann. Haben Sie konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – wir beraten Sie gerne.
Glossar
Juristische Fachbegriffe kurz erklärt
Mitverschulden
Im Schadenersatzrecht beschreibt Mitverschulden die Situation, wenn der Geschädigte selbst zur Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens beigetragen hat. Dies führt zu einer anteiligen Minderung des Schadenersatzanspruchs. Geregelt ist dies in § 254 BGB. Die Haftung wird dann entsprechend der Verantwortungsanteile zwischen Schädiger und Geschädigtem aufgeteilt. Beispiel: Ein Radfahrer fährt verbotswidrig auf dem Gehweg und wird von einem unachtsamen Autofahrer verletzt – hier tragen beide eine Mitschuld.
Haftungsquote
Die Haftungsquote legt fest, zu welchen prozentualen Anteilen Schädiger und Geschädigter die Verantwortung für einen Schaden tragen müssen. Sie bestimmt, welchen Teil des Gesamtschadens jede Partei zu tragen hat. Die Quote wird vom Gericht nach Abwägung aller Umstände festgelegt, insbesondere nach dem Grad des jeweiligen Verschuldens. Grundlage ist § 254 BGB. Beispiel: Bei einer 75/25-Quote muss der Hauptverursacher 75% des Schadens ersetzen.
Schmerzensgeld
Schmerzensgeld ist eine finanzielle Entschädigung für erlittene immaterielle Schäden wie körperliche und seelische Schmerzen, aber auch für dauerhafte Beeinträchtigungen. Geregelt in § 253 Abs. 2 BGB. Die Höhe richtet sich nach Art, Schwere und Dauer der Verletzungen sowie nach Alter und wirtschaftlicher Situation des Geschädigten. Bei der Bemessung werden auch vergleichbare Fälle aus der Rechtsprechung herangezogen. Im Verkehrsrecht besonders relevant bei Personenschäden.
Sachverständiger
Ein Sachverständiger ist ein unabhängiger, öffentlich bestellter und vereidigter Experte, der aufgrund seiner Fachkenntnisse Gerichte bei der Entscheidungsfindung unterstützt. Im Verkehrsrecht analysieren sie typischerweise Unfallhergänge, erstellen technische Gutachten und berechnen Vermeidbarkeitsszenarien. Ihre Tätigkeit ist in der ZPO (§§ 402 ff.) geregelt. Sie müssen objektiv und neutral arbeiten. Ihre Gutachten sind wichtige Beweismittel vor Gericht.
Wartepflicht
Die Wartepflicht bezeichnet die gesetzliche Verpflichtung, anderen Verkehrsteilnehmern in bestimmten Situationen Vorrang zu gewähren. Sie ergibt sich aus der StVO, insbesondere aus §§ 8 und 9. Bei Missachtung der Wartepflicht liegt ein Verkehrsverstoß vor, der bei Unfällen zu einer erhöhten Haftung führen kann. Beispiel: Ein Radfahrer muss beim Überqueren einer Straße den fließenden Verkehr durchlassen, wenn kein Zebrastreifen vorhanden ist.
Rücksichtnahmegebot
Das Rücksichtnahmegebot ist ein fundamentaler Grundsatz der Straßenverkehrsordnung (§ 1 Abs. 1 StVO). Es verpflichtet alle Verkehrsteilnehmer, sich so zu verhalten, dass andere nicht gefährdet, geschädigt oder mehr als unvermeidbar behindert werden. Besondere Bedeutung hat es beim Schutz schwächerer Verkehrsteilnehmer wie Radfahrer oder Fußgänger. Bei Verstößen kann eine erhöhte Haftung entstehen, besonders in Gefahrenzonen wie Schulen.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 1 Abs. 2 StVO (Allgemeines Rücksichtnahmegebot):
Diese Vorschrift verlangt von allen Verkehrsteilnehmern, sich so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr als unvermeidbar behindert oder belästigt wird. Sie stellt eine allgemeine Sorgfaltspflicht dar, die auch in Situationen greift, in denen spezielle Verkehrsregeln nicht direkt anwendbar sind. Wer abbiegt oder die Fahrtrichtung ändert, muss sicherstellen, dass keine Gefahren entstehen.Der Beklagte zu 2) hat gegen diese Pflicht verstoßen, weil er den Radfahrer trotz seiner verkehrswidrigen Fahrt auf dem Gehweg bei ausreichender Aufmerksamkeit hätte erkennen und den Unfall durch ein rechtzeitiges Anpassen seiner Fahrweise verhindern können. Das Gericht hat dies als ein relevantes Mitverschulden des Autofahrers gewertet.
- § 2 Abs. 1 und Abs. 5 StVO (Fahren auf Gehwegen):
Nach § 2 Abs. 1 StVO müssen Radfahrer die Fahrbahn benutzen, sofern nicht ausdrücklich Radwege ausgewiesen sind. Gemäß § 2 Abs. 5 StVO dürfen Gehwege grundsätzlich nur von Fußgängern genutzt werden; Radfahrer dürfen diese nur schiebend oder mit besonderer Erlaubnis befahren. Die Missachtung dieser Vorschrift stellt ein erhebliches Fehlverhalten dar.Im vorliegenden Fall hat der Kläger gegen § 2 Abs. 5 StVO verstoßen, da er den Gehweg verbotswidrig und mit hoher Geschwindigkeit befuhr. Dieses Fehlverhalten wurde als überwiegende Unfallursache betrachtet und führte zu einer Mithaftungsquote von 75 % zu seinen Lasten.
- § 10 StVO (Wartepflicht beim Einfahren in den fließenden Verkehr):
Wer aus einem Grundstück, Fußgängerbereich oder über einen abgesenkten Bordstein in den fließenden Verkehr einfährt, muss sich so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Dabei gilt die Wartepflicht, was bedeutet, dass die Einfahrt nur dann erfolgen darf, wenn der Verkehr sicher und störungsfrei verläuft.Der Kläger hat beim Überqueren der Straße über den abgesenkten Bordstein gegen seine Wartepflicht gemäß § 10 StVO verstoßen. Er hätte sich vergewissern müssen, dass kein Fahrzeugverkehr bevorsteht. Sein Fehlverhalten trägt maßgeblich zur Haftungsverteilung bei.
- § 7 Abs. 1 StVG (Gefährdungshaftung für Kraftfahrzeuge):
Nach § 7 Abs. 1 StVG haftet der Halter eines Kraftfahrzeugs, wenn beim Betrieb des Fahrzeugs ein Schaden verursacht wird. Die Haftung tritt verschuldensunabhängig ein, es sei denn, der Schaden ist auf höhere Gewalt zurückzuführen. Allerdings kann die Haftung durch ein Mitverschulden des Geschädigten gemäß § 254 BGB reduziert werden.Hier haftet der Beklagte zu 1) als Halter des Fahrzeugs gemäß § 7 Abs. 1 StVG. Die Mithaftung wurde durch das Verhalten des Klägers begrenzt, da dessen Fehlverhalten die überwiegende Ursache für den Unfall war. Dennoch bleibt eine Resthaftung des Fahrzeughalters bestehen.
- § 254 Abs. 1 BGB (Mitverschulden):
Nach § 254 Abs. 1 BGB wird die Ersatzpflicht des Schädigers reduziert, wenn der Geschädigte durch eigenes Verschulden zur Schadensentstehung beigetragen hat. Die Haftungsquote hängt von der Gewichtung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile ab.Das Gericht hat im vorliegenden Fall eine Haftungsquote von 75 % zu 25 % zu Lasten des Klägers festgesetzt. Grund dafür war sein erhebliches Mitverschulden aufgrund des verbotswidrigen Fahrens auf dem Gehweg und der Verletzung der Wartepflicht, während dem Beklagten zu 2) lediglich ein Verstoß gegen das allgemeine Rücksichtnahmegebot zur Last gelegt wurde.
Das vorliegende Urteil
Oberlandesgericht Schleswig-Holstein – Az.: 7 U 90/23 – Urteil vom 19.11.2024
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Ich bin seit meiner Zulassung als Rechtsanwalt im Jahr 2003 Teil der Kanzlei der Rechtsanwälte Kotz in Kreuztal bei Siegen. Als Fachanwalt für Verkehrsrecht und Fachanwalt für Versicherungsrecht, sowie als Notar setze ich mich erfolgreich für meine Mandanten ein. Weitere Tätigkeitsschwerpunkte sind Mietrecht, Strafrecht, Verbraucherrecht, Reiserecht, Medizinrecht, Internetrecht, Verwaltungsrecht und Erbrecht. Ferner bin ich Mitglied im Deutschen Anwaltverein und in verschiedenen Arbeitsgemeinschaften. Als Rechtsanwalt bin ich bundesweit in allen Rechtsgebieten tätig und engagiere mich unter anderem als Vertragsanwalt für […] mehr über Dr. Christian Gerd Kotz