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Verkehrsunfall – Reiserücktrittskosten-Versicherung Regress gegen Kfz-Haftpflichtversicherung

LG Coburg – Az.: 14 O 298/13 – Urteil vom 17.03.2014

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.068,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 05.06.2012 sowie weitere 546,69 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19.06.2013 zu bezahlen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin, eine Reiseversicherung, macht aus übergegangenem Recht gegen die Beklagte, eine Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung, einen Schadensersatzanspruch auf Ersatz von Reiserücktrittskosten geltend.

Der Versicherungsnehmer der Beklagten verursachte am 12.12.2011 schuldhaft einen Verkehrsunfall, für dessen Folgen die Beklagte einzustehen hat. Bei diesem Unfall wurden Herr M. H. und Frau W… H., die Mutter von Herrn M. H., verletzt.

Der Geschädigte H. hatte im August 2011 für sich und für seine Mutter für die Zeit vom 09.01.2012 bis 31.12.2012 bei der Reiseveranstalterin … Kreuzfahrten GmbH eine Kreuzfahrt zum Gesamtpreis von 26.068 EUR gebucht (K 2). Im Reisepreis war eine Reiserücktrittskosten-Versicherung bei der Klägerin enthalten, die die Reiseveranstalterin pauschal für die Reiseteilnehmer gebucht hatte (vgl. K 2 und K 3).

Der Geschädigte H. erlitt bei dem Unfall eine Verstauchung und Zerrung der Halswirbelsäule sowie eine geschlossene Fraktur des Sternums (vgl. K 1, Schreiben des Klinikums vom 12.12.2011). Er wurde unmittelbar nach dem Unfall ambulant behandelt (vgl. K 1) und erhielt am 19.12.2011 ein weiteres ärztliches Attest, in dem der Arzt Folgendes vermerkte: „Aufgrund des Unfalls vom 12.12.11 kann eine geplante Urlaubsreise am 20.12.2011 nicht angetreten werden. Reiseunfähigkeit besteht voraussichtlich bis 31.01.2012“ (Bl. 56 d.A.). Die Geschädigte H. zog sich schwerwiegende Verletzungen, nämlich u.a. eine Rippenserienfraktur mit Beteiligung von drei Rippen zu und befand sich bis zum 17.12.2011 in stationärer Behandlung (vgl. K 1, Schreiben des Klinikums vom 16.12.2011). Im Schreiben des behandelnden Krankenhauses vom 16.12.2011 wurde der Geschädigten H. von einer Reise in den nächsten sechs Wochen abgeraten (vgl. K 1).

Die Reise wurde nach der Rücktrittserklärung des Geschädigten H. von der Reiseveranstalterin am 16.12.2011 storniert und ein Betrag von 6355 EUR als Entschädigung geltend gemacht (vgl. K 4). Die Klägerin sagte mit Schreiben vom 27. Januar 2012 dem Geschädigten H. die Erstattung der Stornokosten abzüglich eines Selbstbehalts zu (vgl. K 5) und zahlte einen Betrag in Höhe von 5068 EUR an den Geschädigten aus.

Mit Schreiben vom 30. Mai 2012 machte die Klägerin diesen Auszahlungsbetrag bei der Beklagten unter Verweis auf den gesetzlichen Forderungsübergang nach § 86 VVG geltend (K 6), was von der Beklagten mit Schreiben vom 04.06.2012 abgelehnt wurde (K 7).

Die Klägerin behauptet, dass die Geschädigten H. nach dem Unfall am 12.12.2011 im Hinblick auf die am 09.01.2012 anzutretende Reise aufgrund der bei dem Verkehrsunfall erlittenen Verletzungen reiseunfähig gewesen seien.

Die Klägerin ist ferner der Auffassung, dass den Geschädigten H. durch die reisevertragliche Verpflichtung zur Zahlung und der nachfolgend erfolgten Zahlung der Stornokosten ein Schaden entstanden sei, zu dessen Ersatz die Beklagte als Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung des Schädigers verpflichtet sei. Nachdem die Klägerin diesen Schaden aufgrund der Reiserücktrittskosten-Versicherung ausgeglichen habe, sei der Schadensersatzanspruch der Geschädigten gegen die Beklagte gemäß § 86 VVG auf sie übergegangen. Bei einer Reiserücktrittskosten-Versicherung handele es sich um eine Schadensversicherung und nicht um eine Summenversicherung, so dass § 86 VVG unmittelbare, jedenfalls aber analoge Anwendung finden müsse.

Die Klägerin beantragt: Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.068 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.06.2012, sowie weitere 546,69 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt Klageabweisung.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass schon kein ersatzfähiger Schaden vorliege.

Sie behauptet, dass der Geschädigte H. wegen der nur geringfügigen Verletzungen nicht reiseunfähig und daher der Unfall nicht ursächlich für seinen Rücktritt von der Reise gewesen sei. Das ärztliche Attest vom 19.12.2011 enthalte keine Diagnose und nehme auf einen anderen Reisebeginn, nämlich am 20.12.2011 Bezug.

Die Beklagte ist weiter der Auffassung, dass allein der Geschädigte H. den Reisevertrag abgeschlossen habe und auch nur er durch diesen berechtigt und verpflichtet sei. Der Geschädigte sei ferner nicht Versicherungsnehmer der Klägerin, weil die Reiserücktrittskosten-Vereinbarung zwischen der Klägerin und der Reiseveranstalterin abgeschlossen worden sei.

Der Geschädigten H. sei deswegen kein Schaden entstanden, weil sie nicht Vertragspartnerin des Reisevertrags und daher auch nicht zum Ersatz der Reiserücktrittskosten verpflichtet gewesen sei. Der Geschädigten H. wiederum könne den Ersatz dieses Stornokostenanteils nicht verlangen, weil es sich insoweit um eine unzulässige Drittschadensliquidation handeln würde.

Ferner handele es sich bei den Stornokosten um „frustrierte Aufwendungen“, die keinen erstattungsfähigen Schaden darstellen würden.

Die Klägerin habe nicht vorgetragen, ob die Reiseveranstalterin ihrer Schadensminderungspflicht durch Vergabe der frei gewordenen Reiseplätze nachgekommen und infolge dessen möglicherweise kein oder nur ein geringerer Entschädigungsanspruch entstanden sei. Zudem habe der Geschädigte H. die Stornokosten nicht geschuldet, weil die reisevertraglichen Klauseln unwirksam gewesen seien.

Schließlich sei die Reiserücktrittskosten-Versicherung als Summenversicherung einzuordnen und § 86 VVG insoweit nicht anwendbar. Es bestehe auch keine sachliche Kongruenz zwischen Versicherungsleistung und Schaden.

Die Parteien haben der Entscheidung im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO zugestimmt.

Hinsichtlich des weiteren Sachvortrags wird auf die wechselseitig eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift vom 03.02.2014 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

I.

Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Ersatz der von ihr ausbezahlten Versicherungsleistungen aus § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG in Verbindung mit § 823 Abs. 1 BGB, § 7 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 VVG, § 3a Abs. 1 PflVersG.

1. Dem Geschädigten H. ist infolge des Unfalls am 12.12.2001 ein Schaden in Höhe der reisevertraglich geschuldeten Stornokosten entstanden.

a) Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass den Geschädigten H. gegen den Schädiger HE. bzw. gegen die Beklagte als dessen Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung dem Grunde nach Schadensersatzansprüche aus dem Unfall vom 12.12.2011 zustehen, § 823 Abs. 1 BGB, § 7 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 VVG, § 3a PflVersG.

b) Die Geschädigten H. waren aufgrund des Unfalls auch reiseunfähig.

Hinsichtlich der Verletzung der Geschädigten H. ist zwischen den Parteien auf Grundlage des ärztlichen Schreibens vom 16.12.2011 unstreitig, dass diese eine schwere Unfallverletzung im Sinne des § 2 Abs. 2 Buchstabe b, Teil A der Versicherungsbedingungen für Reiseversicherungen der Klägerin (im Folgenden: VB-ERV 2007) erlitten hatte.

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Dies ist entgegen der Auffassung der Beklagten auch hinsichtlich des Geschädigten H. anzunehmen. Dieser erlitt durch den Unfall die sich aus dem ärztlichen Schreiben vom 12.12.2011 ergebenden Verletzungen, die ambulant versorgt wurden. Daraufhin stornierte er am 16.12.2011 für sich und seine Mutter die Reise. In einem weiteren ärztlichen Attest vom 19.12.2011 wird ihm die Reiseunfähigkeit bis „voraussichtlich zum 31.01.2012“ attestiert. Die Beklagten hat zwar zutreffend darauf hingewiesen, dass das Attest erst nach der Stornierung ausgestellt wurde und damit nicht ursächlich für die Stornierung gewesen sein kann. Auch ist der Reisende gehalten, ein ärztliches Attest unmittelbar nach Eintritt des Versicherungsfalls zu erholen (vgl. Beckmann/Matusche/Beckmann, Versicherungsrechtshandbuch, 2. Aufl. 2009, § 41 Rn. 28). Dennoch ist hier von einem berechtigten Rücktritt nach § 2 Abs. 2 Buchstabe b, Teil A VB-ERV 2007 wegen der durch den Unfall erlittenen Verletzungen auszugehen. Der Geschädigte H. verfügte zum Zeitpunkt der Stornierung über eine ärztliche Bestätigung seiner Verletzungen durch die unmittelbar nach dem Unfall behandelnden Ärzte vom 12.12.2011 (K 1). Dass darin noch nicht zur Reisefähigkeit Stellung genommen wurde, darf bei lebensnaher Betrachtung nicht zu Lasten des Geschädigten gehen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der gesundheitliche Zustand des Geschädigten, der für die Stornierung ursächlich war und der später auch dem ärztlichem Attest vom 19.12.2011 zugrunde lag, bereits seit dem Unfall bestand und dieser Umstand von dem Arzt lediglich am 19.12.2011 nochmals bestätigt wurde. Die im Schreiben des Krankenhauses vom 12.12.2011 aufgeführten Verletzungen, vor allem der Bruch des Sternums, sind auch keineswegs als derart geringfügig einzustufen, dass von einem Abklingen der Beschwerden innerhalb von sieben Tagen auszugehen wäre. Dafür spricht auch, dass der Arzt am 19.12.2011 eine übereinen sehr langen Zeitraum anzunehmende Reiseunfähigkeit, nämlich bis zum 31.01.3012 attestiert hat, also einen Zeitraum, der weit über den Termin des Reisebeginns am 09.01.2012 hinausging. Es ist daher davon auszugehen, dass sich der Geschädigte H. zu Absicherung seiner Ansprüche gegen die Reiserücktrittskosten-Versicherung seine unfallbedingte Reiseunfähigkeit zusätzlich zu dem ärztlichen Schreiben vom 12.12.2011 nochmals ärztlich attestieren ließ. Zudem ist zu berücksichtigen, dass ein Reisender schon wegen der Höhe der je nach Rücktrittszeitpunkt gestaffelten Stornokosten und damit seiner eigenen Schadensminderungsobliegenheit gehalten ist, diesen Rücktritt sobald als möglich, hier alsbald nach dem Eintritt des Unfallereignisses und dem Überblick über die Unfallfolgen, zu erklären. Daher ist dem Geschädigten H. die ex ante Beurteilung seiner Reisefähigkeit auf der Basis der ärztlichen Stellungnahme vom 12.12.2011 zuzugestehen, die er dann durch ein weiteres ärztliches Attest zu seiner Absicherung hat bestätigen lassen. Spätestens aber mit dem Vorliegen des Attests vom 19.11.2011 musste er in jedem Fall davon ausgehen, reiseunfähig zu sein. Ihm konnte dann auch nicht zugemutet werden, die Reise gegen den ausdrücklichen ärztlichen Rat anzutreten.

c) Aufgrund der unfallbedingten Reiseunfähigkeit und des deswegen erklärten Reiserücktritts ist dem Geschädigten H. ein Schaden in Höhe der vertraglich geschuldeten Reiserücktrittskosten entstanden.

Alleiniger Vertragspartner der Reiseveranstalterin war der Geschädigte (H., wie sich aus der Buchungsbestätigung vom 09.08.2011 (K 2) ergibt. Zwar ist in der Buchungsbestätigung auch die Geschädigte H. als Reiseteilnehmerin aufgeführt. Da diese aber aufgrund ihres Namens erkennbar in einem Näheverhältnis zu dem Geschädigten H. steht, ist mangels weiterer Erklärungen nicht von einer Stellvertretung im Sinne von § 164 BGB auszugehen (vgl. BGH, NJW 2012, S. 3368 (3370); Sprau, in: Palandt, BGB, 73. Aufl. 2014, § 651a BGB, Rn. 2). Vielmehr kam der Geschädigten H. die Stellung einer Begünstigten bei einem Vertrag zu Gunsten Dritter, ohne eigene vertragliche Verpflichtung, zu (vgl. Tonner, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 4, 6. Aufl. 2012, § 651a Rn. 9).

Damit war allein der Geschädigte H. aus § 651i Abs. 2 und Abs. 3 BGB in Verbindung mit Nr. 10 der Reisebedingungen der Reiseveranstalterin (K 10) zur Leistung einer angemessen Entschädigung nach dem Rücktritt vom Reisevertrag verpflichtet. Diese Verpflichtung traf ihn als alleinigen Vertragspartner nicht nur hinsichtlich seines eigenen Stornokostenanteils, sondern auch hinsichtlich der Stornokosten für den Reiseteil der Geschädigten H.. Dabei war der Geschädigte H. insoweit nicht nur mittelbar Geschädigter, so dass die Grundsätze der Drittschadensliquidation, die im Fall einer Haftung aus unerlaubter Handlung ohnehin keine Anwendung finden, hier nicht herangezogen werden müssen (vgl. hierzu: Grüneberg, in: Palandt, BGB, 73. Aufl. 2014, vor § 249 BGB, Rn. 105): Dem Geschädigten H. ist in dieser Konstellation als Geschädigten des Unfallereignisses ein Gesamtschaden in Höhe der vollen Stornokosten von 6355 EUR entstanden (vgl. K 4).

d) Dass der Geschädigte H. für das Risiko des Reiserücktritts bei der Klägerin versichert war, führt nicht dazu, dass ihm im Verhältnis zu dem Schädiger kein Schaden entstanden ist. Der Geschädigte war nämlich aus dem Reisevertrag verpflichtet, die Stornokosten unabhängig vom Bestehen einer Reiserücktrittskosten-Versicherung zu tragen. Dem entsprechend wurden von der Reiseveranstalterin bei Rückzahlung des Reisepreises die Stornokosten einbehalten.

e) Bei den Stornokosten handelt es sich auch nicht lediglich um „frustrierte Aufwendungen“ wie die Beklagte meint. Die Stornokosten sind nämlich erst nach und aufgrund des Unfallereignisses entstanden (vgl. auch LG Traunstein, Urteil vom 20.10.2008 – 7 O 2602/06 -, Juris, Rn. 41; Grüneberg, in: Palandt, BGB, 73. Aufl. 2014, vor § 249 BGB, Rn. 19).

f) Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Geschädigte H. bzw. die Reiseveranstalterin ihren Schadensminderungspflichten nicht nachgekommen seien. Der Geschädigte hat den Rücktritt vom Reisevertrag zeitnah erklärt, um die Stornokosten gering zu halten. Es kommt ferner nicht darauf an, dass die Klägerin nicht dargelegt hat, ob eine weitere Schadensminderung durch der Vergabe der freigewordenen Reiseplätze möglich gewesen sei. Nach den gesetzlichen Regelungen kann im Fall eines Reiserücktritts eine pauschalierte Entschädigung vereinbart und verlangt werden (§ 651i Abs. 3 BGB). In diesem Fall ist die konkrete Berechnung der Entschädigung nach § 651i Abs. 2 Satz 3 BGB nicht erforderlich und kann von der Reiseveranstalterin bzw. dem Reisenden auch nicht verlangt werden. So ist es auch hier: Im Reisevertrag war eine pauschale Entschädigung vereinbart. Der Geschädigte H. bzw. die Klägerin waren daher nicht gehalten, bei der Reiseveranstalterin auf die Darlegung und Berechnung einer konkreten Entschädigung hinzuwirken.

g) Soweit die Beklagte der Auffassung ist, dass der Geschädigte H. zur Zahlung der Stornokosten nicht verpflichtet gewesen sei, weil die reisevertragliche Klausel unwirksam sei, ist der Vortrag der Beklagten nicht hinreichend substantiiert. Sie trägt vorliegend noch nicht einmal vor, welche konkreten Klauseln des Versicherungsvertrages sie für unwirksam hält. Der Hinweis auf Rechtsprechung ersetzt diesen Sachvortrag nicht. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, im Parteiprozess auf lediglich allgemeine Ausführungen hin eine Überprüfung der gesamten Versicherungsbedingungen der Reiseveranstalterin anhand der Rechtsprechung vorzunehmen. Vielmehr müsste die Beklagte konkret vortragen, welche konkrete Regelung in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen gegen geltendes Recht verstößt. Dies hat sie nicht getan.

2. Der Geschädigte H. hatte aufgrund des Reisevertrages mit der Reiseveranstalterin vom 09.08.2011 (K 2) in Verbindung mit dem Vertrag der Reiseveranstalterin mit der Klägerin Nr. 270715637 (K 3) auch einen eigenen Anspruch gegen die Klägerin aus dem Versicherungsvertrag auf Erstattung der Reiserücktrittskosten.

Bei diesem Versicherungsvertrag zwischen der Klägerin und der Reiseveranstalterin handelt es sich um einen sogenannten „Kollektiv-Vertrag“, der eine Deckungszusage aus der vereinbarten Versicherungssparte zugunsten eines jeden gebuchten Reisenden des Reiseveranstalters enthält (vgl. Beckmann/Matusche/Beckmann, Versicherungsrechtshandbuch, 2. Aufl. 2009, § 41 Rn. 28). Bei einem solchen Vertrag zugunsten Dritter erwerben die Reisenden, hier also auch der Geschädigte H., einen eigenen Anspruch gegen den Versicherer auf Ersatz der Reiserücktrittskosten. Diesen hat der Geschädigte H. im Einklang mit den Versicherungsbedingungen der Klägerin geltend gemacht, worauf ihm die Klägerin die Stornokosten abzüglich des Selbstbehalts in Höhe von 5068 EUR ausbezahlt hat.

3. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Ersatz der von ihr ausbezahlten Versicherungsleistungen gemäß § 86 Abs. 1 VVG, weil die hier vorliegende Reiserücktrittskosten-Versicherung der Regelung des § 86 VVG unterfällt.

§ 86 VVG regelt den gesetzlichen Forderungsübergang von dem Versicherungsnehmer auf die Versicherung, wenn einem Versicherungsnehmer ein Ersatzanspruch gegen einen Dritten zusteht, die Versicherung den entsprechenden Schaden jedoch ersetzt hat. Aus der systematischen Stellung der Vorschrift im Versicherungsvertragsgesetz (Teil 1, Kapitel 2 „Schadensversicherungen“) wie auch aus der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs. 16/3945, S. 81: für alle Bereiche der Schadensversicherung“) ergibt sich, dass § 86 VVG nur bei Schadensversicherungen zur Anwendung kommen kann (vgl. Römer/Langheid, VVG, 4. Aufl. 2014, § 86 VVG, Rn. 2 m.w.N.). Bei der Reiserücktrittskosten-Versicherung ist in der Literatur und der Rechtsprechung umstritten, ob es sich um eine Schadens- oder um eine Summenversicherung handelt (vgl. Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 28. Aufl. 2010, § 86 Rn. 3 (Schadensversicherung); a.A.: LG München, VersR 2007, 354 f. (Summenversicherung); Burmann/Henke/Jahnke/Janker, StVR, 22. Aufl.2012, § 86 VVG Rn. 12). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu der Vorgängervorschrift § 67 VVG a.F. sind für die Abgrenzung folgende Kriterien maßgeblich: Geht es in der Versicherung um die Deckung eines konkreten Schadens handelt es sich um eine Schadensversicherung (vgl. BGH, VersR 2001, 1100). Deckt sie hingegen einen abstrakt zu berechnenden Bedarf, ist von einer Summenversicherung auszugehen. Diese Frage ist nicht pauschal, sondern anhand der konkreten Versicherungsbedingungen zu prüfen. Steht dem Versicherten danach eine im Voraus feststehende Entschädigung zu, ohne Rücksicht darauf, welchen Schaden er konkret erleidet, handelt es sich um eine Summenversicherung (vgl. BGH, a.a.O.).

Gemessen an dieser Rechtsprechung liegt nach Überzeugung des Gerichts eine Schadensversicherung vor: Die Höhe der Entschädigung nach der zwischen der Reiseveranstaltern und der Klägerin abgeschlossenen Reiserücktrittskosten-Versicherung ist in Teil A, § 2 Abs. 1 der Versicherungsbedingungen der Klägerin (VB-ERV 2007, K 3) geregelt. Darin ist vorgesehen, dass die Klägerin die vertraglich geschuldeten Stornokosten abzüglich des in § 7 der Versicherungsbedingungen geregelten Selbstbehalts erstattet. Damit ist sie vertraglich verpflichtet, die von der versicherten Person zu tragenden Stornokosten zu übernehmen. Diese stehen jedoch bei Abschluss der Versicherung noch nicht fest, sondern richten sich nach den zum Zeitpunkt der Reisestornierung für den Versicherten zu tragenden Kosten, die in der Regel wiederum von mehreren Faktoren abhängen, nämlich dem individuellen Reisepreis, dem Zeitpunkt der Stornierung bzw. dem Stornierungsumfang. Dies unterscheidet hier die vorliegende Reiserücktrittskosten-Versicherung maßgeblich von der vom Bundesgerichtshofs überprüften konkreten Krankentagegeldversicherung, bei der der zu bezahlende Betrag nicht anhand des konkreten Verdienstausfalls, sondern pauschal anhand eines abstrakt anzunehmenden Verdienstausfalls bei Arbeitsunfähigkeit im Voraus festgelegt war. Eine derartige Vorabpauschalierung ist bei der hier in Frage stehenden Versicherung gerade nicht gegeben, weder wird ein bestimmter Betrag pro Reisetag noch ein bestimmter an der Höhe der Reisekosten angelehnter Betrag von vorneherein bestimmt. Vielmehr richtet sich die Erstattungshöhe nach den konkreten Stornokosten für den Versicherten aus dem Reisevertrag, die sich wiederum aus individuellen Umständen ergeben. Dass in dem Verhältnis zwischen dem Reiseanbieter und dem Reisenden/Versicherten aus Gründen der Vereinfachung mit Pauschalen gearbeitet wird, bedeutet gerade nicht, dass in dem davon streng zu unterscheidenden Verhältnis zwischen Reiserücktrittskosten-Versicherer und dem Versicherten ebenfalls eine abstrakte Pauschale vorab vereinbart wurde. Würde beispielsweise der Reiseveranstalter keine pauschal berechneten Stornokosten oder die frei gewordenen Reiseplätze mit Auswirkung auf die Stornokosten zu einem günstigeren Preis vergeben können, läge es auf der Hand, dass insoweit konkrete, nicht von vorneherein bestimmbare und Stornokosten vorlägen. Deswegen überzeugt auch die in der Rechtsprechung vertretene Auffassung (vgl. LG München I, Urteil vom 27.04.2006 – 31 S 21056/05 -, juris) nicht, denn darin wird nicht strikt zwischen den vertraglichen Verhältnissen zwischen Reisendem und Reiseveranstalter (hier zumeist abstrakte Berechnung) einerseits und Reisendem/Versichertem und Reiserücktrittskosten-Versicherer (hier nach konkreter Stornokostenhöhe) andererseits unterschieden.

Auch der Schutzzweck des § 86 VVG ist durch die hier vertretene Auffassung nicht gefährdet. Die Anwendung des § 86 VVG nur auf Schadensversicherungen soll nämlich ausschließen, dass der Versicherte sich nicht bereichert und am Schadenfall verdient, sondern die Leistung durch die Höhe des konkreten Schadens bestimmt und begrenzt wird. Der hier von der Reiserücktrittskosten-Versicherung zu entschädigende Versicherte hat lediglich Anspruch auf die von ihm konkret zu tragenden Stornokosten. Eine Bereicherung in seiner Person ist nicht ersichtlich. Dass eine solche wegen der Pauschalierung der Stornokosten unter Umständen bei dem Reiseveranstalter eintreten mag, führt nicht dazu, dass eine solche auch bei dem Versicherten entsteht. Damit ist hier im Ergebnis von einer Schadensversicherung auszugehen.

Selbst wenn jedoch nach anderer Auffassung eine Summenversicherung anzunehmen wäre, käme hier eine analoge Anwendung des § 86 VVG in Betracht, weil der Summenversicherung im vorliegenden Fall nur die Funktion der Schadenskompensation zukommt (vgl. Römer/Langheid, VVG, 4. Aufl. 2014, § 86 Rn. 7)

Ein Forderungsübergang kann schließlich nur dann stattfinden, wenn der bürgerlich-rechtliche Erstattungsanspruch (also hier die Ansprüche der Geschädigten H. gegen den Schädiger HE. wegen des Verkehrsunfalls) und der versicherungsrechtliche Deckungsanspruch kongruent sind (vgl. Römer/Langheid, VVG, 4. Aufl. 2014, § 86 Rn. 2, Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 28. Aufl. 2010, § 86 Rn. 9). Diese Voraussetzung ist hier ebenfalls gegeben. Der Geschädigte H. war aus dem Reisevertrag verpflichtet, die Stornokosten zu bezahlen. Aus dem Versicherungsvertrag hatte er zugleich einen Anspruch gegen die Klägerin auf Erstattung dieser Kosten. Damit bestehen an der Kongruenz der Ansprüche keine Zweifel. Der Schaden des Geschädigten H. hat keinesfalls nur in der in den Reisepreis „eingepreisten“ Prämie für die Reiserücktrittskosten-Versicherung gelegen. Der Schaden liegt in der Verpflichtung zur Zahlung der Stornokosten. Bei der Versicherungsprämie handelt es sich um eine Aufwendung, die von den Reisenden auch ohne schädigendes Ereignis getragen worden und damit von dem Schädiger auch nicht zu ersetzen wäre.

Dem Geschädigten H. ist infolge des schädigenden Unfallereignisses der Antritt der Reise nicht möglich gewesen. Die Stornierung der Reise führte für ihn dazu, dass er Stornokosten in Höhe von 6.355 EUR zu tragen hatte. Diese Stornokosten hat die Klägerin im Rahmen ihrer Versicherungsleistungen abzüglich des vereinbarten Selbstbehalts übernommen und unstreitig direkt in Höhe von 5.068 EUR an den Geschädigten H. überwiesen.

Damit ist unter Anwendung von § 86 VVG der Schadensersatzanspruch des Geschädigten H. gegen die Beklagte in Höhe von 5068 EUR auf die Klägerin übergegangen.

II.

Die Klägerin hat wegen des Erfolgs der Hauptsache auch einen Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher und nicht anrechenbarer Rechtsanwaltskosten in Höhe von 546,69 EUR (vgl. K 8). Dieser folgt aus § 280 Abs. 1 und Abs. 2, § 286 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3, § 280 Abs. 2 BGB, weil sich die Beklagte nach endgültiger Ablehnung der Leistung mit Schreiben vom 04.06.2012 (K 7) ab dem 05.06.2012 im Verzug befand.

Der Anspruch auf Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz (§ 247 BGB) folgt aus § 280 Abs. 1 und Abs. 2, § 286 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 3, § 288 Abs. 1 BGB, der Anspruch auf Prozesszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ergibt sich aus § 280 Abs. 1 und Abs. 2, § 286 Abs. 1 Satz 2, § 288 Abs. 1 BGB.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1 und 2 ZPO.

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