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Verkehrsunfall – Rücksichtnahmegebot bei Spurwechsel an mehrspuriger Kreuzung

Spurwechsel an Kreuzungen: Ein Fall von geteilter Verantwortung

In einer Verkehrssituation, die vielen nur allzu bekannt sein dürfte, hat das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz in einer aktuellen Entscheidung einen Fall von geteilter Verantwortung beurteilt. Zentrale Frage war dabei die korrekte Anwendung des sogenannten Rücksichtnahmegebots im Straßenverkehr, insbesondere bei einem Spurwechsel an einer mehrspurigen Kreuzung. Ein komplexer Fall, der sowohl Juristen als auch Verkehrsteilnehmer gleichermaßen interessieren dürfte.

Stellen Sie sich folgendes vor: Sie fahren an einer mehrspurigen Kreuzung und möchten die Spur wechseln. Gleichzeitig plant der Fahrer neben Ihnen dasselbe Manöver, allerdings ohne Ihr Wissen. Es kommt zum Unfall. Wer trägt die Schuld? Nach deutschem Verkehrsrecht gilt das Prinzip der gegenseitigen Rücksichtnahme. Doch wie wird dieses in der Praxis und vor Gericht gehandhabt? Genau mit dieser Frage hatte sich das OLG Koblenz zu befassen.

Direkt zum Urteil Az: 12 U 1517/21 springen.

Gleichgewicht der Verantwortung: Rücksichtnahmegebot im Fokus

Das Landgericht Koblenz hatte in erster Instanz entschieden, dass beide Parteien, sowohl Kläger als auch Beklagter, gleichermaßen zur Verursachung des Unfalls beigetragen haben. Somit wurde eine hälftige Schadensverteilung vorgenommen. Die Begründung: Beide Fahrer hatten gegen das Rücksichtnahmegebot verstoßen, indem sie den Spurwechsel ohne ausreichende Beachtung des anderen Fahrers durchgeführt hatten.

Das Berufungsverfahren: Keine Aussicht auf Erfolg

Gegen dieses Urteil legte der Kläger Berufung ein. Das OLG Koblenz sah jedoch keine Aussicht auf Erfolg für die Berufung. Die Richter waren einstimmig der Meinung, dass die Entscheidung des Landgerichts korrekt war. Zudem stellten sie fest, dass der Fall keine grundsätzliche Bedeutung für die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung hat. Daher beabsichtigten sie, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Die Beweislage: Kein Anlass für Zweifel

Ein weiterer wichtiger Aspekt war die Beweiswürdigung des Landgerichts, welche vom OLG Koblenz als korrekt angesehen wurde. Die Richter sahen keine konkreten Anhaltspunkte oder Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen. Solche Zweifel hätten eine erneute Beweisaufnahme erfordert, was aus Sicht des OLG nicht gerechtfertigt war.

Zusammenfassend wurde die Entscheidung des Landgerichts von der höheren Instanz bestätigt. Der Fall verdeutlicht eindrücklich, wie wichtig die Einhaltung der Verkehrsregeln und insbesondere des Rücksichtnahmegebots ist. Die Sicherheit auf unseren Straßen ist eine gemeinsame Aufgabe, die von jedem Einzelnen von uns erfordert, verantwortungsbewusst und rücksichtsvoll zu handeln. Unfälle können vermieden werden, wenn wir uns dieser Verantwortung bewusst sind und entsprechend handeln.


Das vorliegende Urteil

OLG Koblenz – Az.: 12 U 1517/21 – Beschluss vom 17.11.2021

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil der Einzelrichterin der 10. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 22.07.2021, Az.: 10 O 292/20, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 07.12.2021.

Gründe

Verkehrsunfall - Rücksichtnahmegebot bei Spurwechsel an mehrspuriger Kreuzung
(Symbolfoto: PV productions/Shutterstock.com)

Das Landgericht ist nach durchgeführter Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gelangt, dass der Verkehrsunfall sowohl von dem Kläger als auch von der Beklagten zu 1. verursacht worden sei. Die jeweiligen Verursachungsbeiträge seien hierbei gleich groß zu bewerten. Das Landgericht hat insoweit eine hälftige Schadensverteilung vorgenommen.

Dies und hierbei insbesondere die von dem Landgericht durchgeführte Beweiswürdigung ist nicht zu beanstanden.

Der Senat hat bei seiner Entscheidung die von dem Landgericht festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte, Zweifel an der Richtig- und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen, § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Dieser Maßstab gilt auch für die Beanstandungen der Beweiswürdigung des erstinstanzlichen Gerichts. Auch insofern müssen mit der Berufung schlüssig konkrete Anhaltspunkte aufgezeigt werden, die Zweifel an den erhobenen Beweisen aufzeigen, so dass sich eine erneute Beweisaufnahme gebietet (OLG Koblenz in r+s 2011, 522). Solche Zweifel setzen voraus, dass aus der Sicht des Berufungsgerichts eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Falle der nochmaligen Beweiserhebung die erstinstanzlichen Feststellungen keinen Bestand haben werden (BGH VI ZR 230/03, Urteil vom 08.06.2004, juris; BGH VI ZR 361/02, Urteil vom 15.07.2003, juris). Vorliegend sind keine Fehler des Landgerichts bei der erfolgten Würdigung der erhobenen Beweise erkennbar, so dass hier nicht davon ausgegangen werden kann, dass die erstinstanzlichen Feststellungen bei Wiederholung der Beweisaufnahme keinen Bestand haben würden. Die zugegeben (sehr) kurz gehaltene Beweiswürdigung der Einzelrichterin ist jedenfalls in ihrem Ergebnis nachvollziehbar und in sich widerspruchsfrei. Sie verstößt nicht gegen Denk-, Natur- oder Erfahrungssätze und ist insgesamt auch nach der eigenen Würdigung des Senats in der Sache zutreffend.

Das Landgericht geht nach durchgeführter Beweisaufnahme davon aus, dass der Unfall sich dergestalt ereignet hat, dass sich der Kläger nach dem von ihm durchgeführten Abbiegevorgang nach links wieder in Geradeausfahrt auf dem linken von drei Fahrstreifen befand und die Beklagte zu 1. ihren Abbiegevorgang nach rechts über mehrere Fahrspuren (von rechts nach links) vollzog und schließlich auf der linken Fahrspur mit dem dort befindlichen Pkw des Klägers kollidierte. Das Landgericht ist zu diesen Feststellungen insbesondere aufgrund der überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. …[A] in der mündlichen Verhandlung vom 28.05.2021 gelangt. Weiter hat sich das Landgericht erkennbar von den Angaben des Klägers – die Beklagte zu 1. mochte bei ihrer persönlichen Anhörung „nichts weiter sagen“ – in der mündlichen Verhandlung vom 28.05.2021 leiten lassen. Dies ist von dem Senat nicht zu beanstanden. § 286 ZPO fordert den Richter auf, nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden. Dies bedeutet, dass der Richter lediglich an die Denk-, Natur- und Erfahrungssätze gebunden ist, ansonsten aber die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse grundsätzlich ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln nach seiner individuellen Einschätzung bewerten darf. Der Vorgang der Überzeugungsbildung ist insoweit auch nicht von objektiven Kriterien oder Wahrscheinlichkeitsberechnungen abhängig (BGH in NJW 1989, 3161), sondern beruht auf dem Erfahrungswissen und dem Judiz des erkennenden Richters (Zöller/Greger, ZPO, 32. Auflage, § 286 Rdnr. 13). Die obigen Feststellungen zum Unfallablauf spiegeln die in der mündlichen Verhandlung von der Einzelrichterin gewonnene Überzeugung wider und sind Ergebnis ihres Erfahrungswissens und ihres Judiziums (siehe insoweit oben).

Diesen Sachverhalt zugrunde gelegt gelangt aber auch der Senat zu einer hälftigen Haftungsverteilung. Auch der Senat sieht die Verursachungsbeiträge der Parteien als gleichwertig an. Zwar hatte der Kläger der Beklagten zu 1. grundsätzlich zunächst einmal Vorfahrt zu gewähren. Wie oben dargelegt ereignete sich der Unfall aber zu einem Zeitpunkt, als die Beklagte zu 1. bereits in den …[Z] eingebogen war und diesen, hätte sie weiter den rechten Fahrstreifen benutzt, hätte gefahrlos weiter befahren können. Der Unfall kam somit auch dadurch zustande, dass die Beklagte zu 1. einen mehrfachen Spurwechsel vorgenommen hat ohne sich erkennbar in irgendeiner Weise zu orientieren, ob die von ihr insoweit in Beschlag genommenen Fahrspuren (vor allem die linke Fahrspur) überhaupt frei waren. Dies ist mit einer „klassischen Vorfahrtsituation“ nur noch entfernt zu vergleichen. Insoweit war auch zu beachten, dass der Linksabbieger, der zwar gleichzeitig, aber in so großem Abstand von der rechten Bordkante abbiegt, dass er den entgegenkommenden Rechtsabbieger nicht hemmt, dessen Vorrecht grundsätzlich nicht verletzt (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage, § 9 StVO Rdnr. 37). Dieses Ergebnis widerspricht im Übrigen auch nicht den von den Beklagten im Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 18.10.2021 aufgeführten Entscheidungen. So ist unter anderem in der Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 28.12.1972 (BayObLG 1 St 652/72 OWI, Beschluss vom 28.12.1972), ausgeführt, dass für den Fall, dass mehrere Verkehrsströme durch Grünlicht in dasselbe für ein Nebeneinander-Fahren in mehreren Spuren hinreichend breite Straßenstück eingelassen werden, um in ihnen in gleicher Richtung weiterzufahren, keinem der Fahrzeuge ein Vorrang vor dem anderen eingeräumt und keinem eine Wartepflicht auferlegt wird. Aufgrund der Besonderheiten des hier zu entscheidenden Einzelfalles war damit im Ergebnis aber nur das allgemeine Rücksichtnahmegebot des § 1 Abs. 2 StVO in Ansatz zu bringen. Gegen dieses haben gemäß den zutreffenden Ausführungen des Landgerichts beide Parteien in gleich groß zu bewertender Art und Weise verstoßen.

Da die Berufung damit keine Aussicht auf Erfolg hat, legt der Senat aus Kostengründen die Rücknahme des Rechtsmittels nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).

Der Senat beabsichtigt den Streitwert für das Berufungsverfahren auf bis zu 4.000,00 € festzusetzen.

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