LG Arnsberg – Az.: 3 S 54/16 – Urteil vom 07.12.2016
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Arnsberg vom 10.03.2016, Az.: 14 C 213/15, wird nach einem Streitwert von 345,10 EUR zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Die Parteien streiten über den Ausgleich von Sachverständigenkosten. Am 02.07.2015 kam es zu einem Unfall zwischen zwei PKW auf einem Parkplatz. Der Kläger ist KfZ-Meister und -Sachverständiger. Die Beklagte ist Versicherer des unfallverursachenden Fahrzeugs und unstreitig zu 100% einstandspflichtig für den Schaden, der der Geschädigten bei dem Unfall an ihrem PKW entstanden ist. Der Kläger erstellte im Auftrag der Geschädigten ein schriftliches Schadengutachten. Die Reparaturkosten bezifferte der Kläger auf 827,52 EUR netto. Er stellte folgende Hauptbeschädigungen fest: Stoßfängerverkleidung beschädigt und Kennzeichen beschädigt. Bezüglich des Schadenbildes wird auf Bl. 176 f. d. A. verwiesen. Der Kläger rechnete der Geschädigten gegenüber für die Gutachtenerstellung 345,10 EUR ab. Die Beklagte legte dieses Gutachten ihrer Schadenregulierung zugrunde. Die Geschädigte hat ihre Ansprüche gegen den Versicherer ihrer Unfallgegnerin, die Beklagte, an den Kläger abgetreten.
Die Beklagte hat behauptet, die Einholung des Sachverständigengutachtens sei nicht erforderlich gewesen, denn bei dem entstandenen Schaden habe es sich – ohne Weiteres erkennbar – um einen sog. Bagatellschaden gehandelt. Die Geschädigte habe nur einen Kostenvoranschlag einer Werkstatt einholen dürfen. Die finanzielle Grenze für einen Bagatellschaden setze die Rechtsprechung bei Netto-Reparaturkosten von 800,00 bis 1.000,00 EUR an.
Wegen der weiteren Feststellungen und der erstinstanzlichen Anträge wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Grundsätzlich gehörten die Kosten eines Sachverständigengutachtens zu den gemäß § 249 Abs. 1 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen. Für die Frage der Erforderlichkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens komme es auf die Sicht eines verständig und wirtschaftlich denkenden Geschädigten im Zeitpunkt der Beauftragung an. Bei Vorliegen eines sog. Bagatellschadens dürfe der Geschädigte kein Gutachten einholen; es reiche ein Kostenvoranschlag einer Werkstatt aus. Der BGH habe die finanzielle Grenze für einen Bagatellschaden im Jahr 2002 bei 715,00 EUR angesiedelt. Aufgrund erfolgter Preissteigerungen habe sich diese Grenze aus Sicht des Amtsgerichts auf inzwischen 1.000,00 EUR erhöht. Auch für die Geschädigte sei aufgrund der äußeren Umstände des Schadens erkennbar gewesen, dass lediglich Lackbeschädigungen eingetreten seien. Daher wäre ein Kostenvoranschlag ausreichend gewesen.
Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Zahlungsbegehren weiter. Zum Unfallhergang behauptet er, das bei der Beklagten versicherte Fahrzeug sei mit erheblicher Geschwindigkeit gegen die Front des geschädigten Fahrzeugs gefahren. Er ist der Auffassung, das Amtsgericht habe bei seiner Entscheidung nicht auf Erkenntnismöglichkeiten der Geschädigten abgestellt. Diese habe nicht ohne Weiteres erkennen können, dass der Unfall lediglich zu einem unbedeutenden Lackschaden geführt habe. Der Unfall sei ein Frontalzusammenstoß gewesen, den die Geschädigte als heftig empfunden habe; die Geschädigte habe daher unter dem Stoßfänger liegende Schäden befürchten müssen. Zudem liege nach BGH-Rechtsprechung die Bagatellgrenze bei 700,00 EUR und nicht bei 1.000,00 EUR. Weiter sei bei dieser Grenze auf Brutto- und nicht auf Netto-Reparaturkosten abzustellen.
Der Kläger beantragt, den Berufungsbeklagten und Beklagten unter Aufhebung des am 10.03.2016 erlassenen und am 18.03.2016 zugestellten Urteils des Amtsgerichts Arnsberg, 14 C 213/15, zu verurteilen, an den Berufungskläger und Kläger 345,10 EUR nebst Jahreszinsen von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das amtsgerichtliche Urteil. Sie behauptet, das bei ihr versicherte Fahrzeug habe beim Ausparken das geschädigte Fahrzeug lediglich touchiert. Ihre Versicherungsnehmerin habe die Berührung des anderen Fahrzeugs nicht einmal bemerkt. Sie ist der Auffassung, das äußere Erscheinungsbild des Schadens habe bereits für einen einfachen Lackschaden gesprochen. Es habe sich bei dem Unfall nicht um einen Frontalzusammenstoß gehandelt, sondern um eine Schadensverursachung i.R.e. Rangierens beim Ausparken auf einem Parkplatz. Schadenbild und Unfallsituation sprächen nicht für die Beauftragung eines Sachverständigen, sondern für das Vorliegen eines Bagatellschadens.
II.
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
1.
Ein Anspruch des Klägers gemäß §§ 823 BGB, 7, 8 StVG, 115 VVG i.V.m. § 398 BGB gegen die Beklagte auf Zahlung von 345,10 EUR besteht nicht, da die Kosten seines Sachverständigengutachtens keine erforderlichen Kosten i.S.d. § 249 Abs. 1 BGB darstellen.
Die Kosten eines Sachverständigengutachtens gehören zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 Abs. 1 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadenersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist (vgl. BGH, Urteil v. 29.11. 1988 – X ZR 112/87 – X ZR 112/87 – juris) Etwas Anderes gilt nur bei sog. Bagatellschäden, bei denen der Geschädigte von der Einholung eines Sachverständigengutachtens Abstand zu nehmen hat, da insoweit ein Kostenvoranschlag ausreichen soll.
Vorliegend ist die Bagatellgrenze unterschritten. Die Kammer setzt diese – wie das Amtsgericht – im Bereich von 1.000,00 EUR an.
a)
Für die Frage der Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit einer Begutachtung ist auf die Sicht des Geschädigten zum Zeitpunkt der Beauftragung abzustellen (BGH, Urteil v. 08.11.1994 – VI ZR 3/94 – juris). Es kommt darauf an, ob ein verständig und wirtschaftlich denkender Geschädigter nach seinen Erkenntnissen und Möglichkeiten die Einschaltung eines Sachverständigen für geboten erachten durfte. Für die Frage, ob der Schädiger die Kosten eines Gutachtens zu ersetzen hat, ist nicht allein darauf abzustellen, ob die durch die Begutachtung ermittelte Schadenhöhe einen bestimmten Betrag überschreitet oder in einem bestimmten Verhältnis zu den Sachverständigenkosten steht, denn zum Zeitpunkt der Beauftragung des Gutachters ist dem Geschädigten diese Höhe gerade nicht bekannt. Allerdings kann der später ermittelte Schadenumfang im Rahmen tatrichterlicher Würdigung nach § 287 ZPO oft ein Gesichtspunkt für die Beurteilung sein, ob eine Begutachtung tatsächlich erforderlich war oder ob nicht möglicherweise andere, kostengünstigere Schätzungen – wie beispielsweise ein Kostenvoranschlag eines Reparaturbetriebs – ausgereicht hätten (BGH, Urteil v. 30.11.2004 – VI ZR 365/03 –, juris). Aus der Sicht des Geschädigten müssen die Gutachterkosten in Relation zu den erwarteten Reparaturkosten verhältnismäßig sein und der Geschädigte muss besondere Gründe darlegen, warum er die Einholung des Gutachtens für erforderlich gehalten und nicht einen Kostenvoranschlag oder eine einfache Kostenkalkulation eingeholt hat (LG Arnsberg, Urteil v. 16.03.2016 – 3 S 179/15 – juris).
b)
Die Literatur geht unter Verweis auf Rechtsprechung von Bagatellschäden bei Reparaturkosten von bis zu 700,00 EUR (Palandt/Grüneberg, BGB, 75. Aufl. 2016, § 249, Rz. 58) bzw. im Regelfall bei 1.000,00 EUR (MüKo/Oetker, BGB, 7. Aufl. 2016, § 249, Rz. 398) aus. Zahlreiche Amtsgerichte setzten die Grenze inzwischen bei rund 1.000,00 EUR an (vgl. u.a. AG Menden, Urteil v. 05.03.2015 – 4 C 325/14, Bl. 29 ff. d. A.; AG Bochum, Urteil v. 07.03.2012, Bl. 32 ff. d. A.; AG Cuxhaven, Urteil v. 09.12.2012, Bl. 36 d. A.). Andere Gerichte nehmen einen geringeren Wert von rund 500,00 bis 750,00 EUR (vgl. OLG Naumburg, Urteil vom 20.01.2006 – 4 U 49/05 – juris) oder 700,00 bis 800,00 EUR an (vgl. AG Hamm, Urteil v. 03.09.2012 – 24 C 567/11 – juris).
Zur Bestimmung des Bagatellschadenbereiches geht die Kammer von der Rechtsprechung des BGH aus. Die jüngste hierzu ergangene Entscheidung (Urteil v. 30.11.2004 – VI ZR 365/03 –, juris) geht von einem Bagatellschaden aus bei Reparaturkosten i.H.v. 715,81 EUR netto aus. In Anbetracht der Preissteigerungen in den vergangenen 12 Jahren ist diese Größenordnung nicht mehr angemessen. Der Verbraucherpreisindex 2010 ist in dieser Zeit um 18,44% angestiegen. Allein unter Berücksichtigung dieser allgemeinen Preissteigerung dürfte die Bagatellgrenze bereits bei mind. 850,00 EUR liegen. Aus der Entwicklung der Reparaturpreise für Kraftfahrzeuge in dieser Zeit hält die Kammer jedoch eine Bagatellgrenze im Bereich von 1.000,00 EUR für angemessen. Zum einen hat sich der Kraftfahrer-Preisindex stärker erhöht als die allgemeinen Verbraucherpreise. Zum anderen ist der Kammer bekannt, dass in den vergangenen Jahren, die Kosten für Kraftfahrzeugreparaturen auch bei Klein- und Kleinstreparaturen i.d.R. den Bereich von 1.000,00 EUR erreichen.
c)
Auch unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles und der Erkenntnismöglichkeiten der Geschädigten ist vorliegend von einem Bagatellschaden auszugehen. Das Schadenbild deutet nicht darauf hin, dass am PKW Schäden vorhanden sind, die mehr als bloße Lackschäden darstellen. Dies war auch für die Geschädigte erkennbar. Dabei ist nicht allein auf das Empfinden der Geschädigten hinsichtlich der Heftigkeit des Zusammenstoßes abzustellen. Denn dabei handelt es sich um ein rein subjektives Merkmal. Es sind dabei auch die weiteren Umstände des Unfalles und das Schadenbild zu berücksichtigen. Dieses hält die Kammer i.R. tatrichterlicher Würdigung nach § 287 ZPO für aussagekräftig genug, um auf einen reinen Bagatellschaden zu schließen. Die erkennbaren Lackschäden zeigen einem verständig und wirtschaftlich denkenden Geschädigten, dass die Einholung eines Sachverständigengutachtens hier nicht erforderlich war. Dies auch im Zusammenhang mit der vorgelegten Verkehrsunfallanzeigen, die die Aussagen von zwei Zeuginnen des Unfallherganges wiedergibt.
Nach alledem ist der finanzielle Rahmen eines Bagatellschadens nicht überschritten und die Kammer nicht davon überzeugt, dass weitere Anhaltspunkte vorliegen, die die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich erschienen ließen.
2.
Die Entscheidung über die Kosten ergeht gemäß § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO.