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Verkehrsunfall – Schadensersatzanspruch für unnötige Kfz-Werkstattkosten und Standgebühren

Oberlandesgericht Naumburg – Az.: 3 U 7/18 – Urteil vom 07.11.2019

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der Einzelrichterin der 1. Zivilkammer des Landgerichts Stendal vom 29. Dezember 2017 – 21 O 181/17 – abgeändert:

Der Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Aschersleben vom 15. September 2019 zu Zeichen 17 – 1445448 – 0 – 3 wird in Höhe von weiteren 1.335,20 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 29. August 2017 zuzüglich ausgerechneter Zinsen in Höhe von 2,91 € aufrechterhalten.

Die Beklagte wird ferner verurteilt, den Kläger von seinen außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten bezogen auf den Verkehrsunfall vom 12. Juni 2017 in Höhe von 71,76 € freizustellen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschluss: Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.335,20 € festgesetzt.

Gründe

I.

Von der Darstellung des Tatbestands wird gemäß §§ 520 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.

II.

Die gemäß §§ 511 ff. ZPO zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers hat in der Sache, nachdem der Kläger seinen Zahlungsantrag hinsichtlich der (restlichen) außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 71,76 € im Berufungsverfahren auf Freistellung umgestellt hat, in vollem Umfange Erfolg.

Der Kläger hat gegen die Beklagte über den erstinstanzlich, nach teilweiser übereinstimmender Erledigungserklärung zuerkannten Betrag von 534,77 € hinaus einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von weiteren 1.335,20 € aufgrund des Verkehrsunfalls vom 12. Juni 2017.

Der Anspruch des Klägers ist dem Grunde nach aus §§ 7 Abs. 1, 17 StVG, 823 Abs. 1 BGB begründet, wobei die Alleinhaftung der Beklagten für den unfallbedingten Schaden des Klägers zwischen den Parteien außer Streit steht.

Entgegen den Ausführungen im angefochtenen Urteil kann der Kläger gemäß § 249 BGB auch die Erstattung der noch streitigen Reparaturkosten in Höhe von insgesamt 650,43 € brutto (Kosten Lackierräder 41,58 € netto, Kosten Richtwinkelsatz 400,00 € netto und Standgebühren 105,00 € netto jeweils zzgl. Mehrwertsteuer) sowie weitere Mietwagenkosten in Höhe von 684,77 € (1.219,54 € abzüglich erstinstanzlich zuerkannter 534,77 €) beanspruchen, da diese Aufwendungen notwendig und erforderlich waren.

Nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB kann der Geschädigte den zur Wiederherstellung erforderlichen Geldbetrag verlangen. Erforderlich sind nur Aufwendungen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte (Palandt/Grüneberg, 78. Aufl., § 249 Rn. 12 ff, sog. Wirtschaftlichkeitsgebot). Dem Geschädigten sind allerdings im Rahmen dessen auch Mehrkosten zu ersetzen, die ohne seine Schuld durch unsachgemäße Maßnahmen der Reparaturwerkstatt entstehen. Der Schädiger trägt das so genannte Werkstatt- und Prognoserisiko, falls den Geschädigten nicht ausnahmsweise hinsichtlich der gewählten Fachwerkstatt ein Auswahlverschulden trifft (vgl. BGH, NJW 1992, Seite 302, 304). Die Reparaturwerkstatt ist nicht Erfüllungsgehilfe des Geschädigten im Sinne von § 278 BGB. Da der Schädiger gemäß § 249 Abs. 1 BGB grundsätzlich zur Naturalrestitution verpflichtet ist und § 249 Abs. 2 S. 1 BGB dem Geschädigten lediglich eine Ersetzungsbefugnis zuerkennt, vollzieht sich die Reparatur in der Verantwortungssphäre des Schädigers. Würde der Schädiger die Naturalrestitution gemäß § 249 Abs. 1 BGB selbst vornehmen, so treffe ihn gleichfalls das Werkstattrisiko. Allein die Ausübung der Ersetzungsbefugnis durch den Geschädigten gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB kann daher nicht zu einer anderen Risikoverteilung führen. Hierbei sind auch die begrenzten Kenntnis- und Einwirkungsmöglichkeiten des Geschädigten in den Blick zu nehmen. Sobald der Geschädigte das verunfallte Fahrzeug der Reparaturwerkstatt zwecks Reparatur übergeben hat, hat er letztlich keinen Einfluss mehr darauf, ob und inwieweit sodann unnötige oder überteuerte Maßnahmen vorgenommen werden. Dies darf nicht zulasten des Geschädigten gehen, welche ansonsten ein Teil seiner aufgewendeten Kosten nicht ersetzt bekommen würde (BGH, NJW 1975, 160; OLG Hamm, Urteil vom 31. Januar 1995 – 9 U168/94 –, juris). Zu den in den Verantwortungsbereich des Schädigers fallenden Mehrkosten gehören auch Kosten für unnötige Zusatzarbeiten, welche durch die Werkstatt ausgeführt wurden (OLG Hamm, a.a.O). Die Ersatzfähigkeit von unnötigen Mehraufwendungen ist nur ausnahmsweise dann ausgeschlossen, wenn dem Dritten ein äußerst grobes Verschulden zur Last fällt, so dass die Mehraufwendungen dem Schädiger nicht mehr zuzurechnen sind. Dem Schädiger entsteht hierdurch kein Nachteil, da er nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung Abtretung etwaiger Schadensersatzansprüche gegen die Werkstatt verlangen kann (OLG Hamm, a.a.O.).

Verkehrsunfall - Schadensersatzanspruch für unnötige Kfz-Werkstattkosten und Standgebühren
(Symbolfoto: Von Vereshchagin Dmitry /Shutterstock.com)

Bereits nach diesen Grundsätzen hat die Beklagte dem Kläger sämtliche Reparaturkosten (Lackierräder, Richtwinkelsatz, Standgebühren) zu erstatten, auch soweit diese, wie die Beklagte einwendet, aus technischer Sicht zur Schadensbeseitigung nicht notwendig gewesen sein sollten.

Allerdings waren die vorbezeichneten Reparaturkosten entgegen den Ausführungen im angefochtenen Urteil auch notwendig, so dass hier eine Zug um Zug Verurteilung hinsichtlich etwaiger Schadenersatzansprüche des Klägers gegen die Reparaturwerkstatt ausscheidet. Das pauschale Bestreiten der Beklagten, dass diese Positionen nicht notwendig gewesen sein sollen, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen.

Für die Reparatur hat die Reparaturwerkstatt, Firma Autohaus M. GmbH, insgesamt gemäß Rechnung vom 30. Juni 2017, Bl. 43 ff. der Akte, 8.268,43 € einschließlich Mehrwertsteuer abgerechnet. In der Rechnung des Autohauses sind unter der Position T9999A-X-D, Unterposition 0000, für den Ein- und Ausbau von Lackrädern Kosten in Höhe von netto 41,58 € enthalten. Unter der Position 1475 sind für den Richtwinkelsatz 400 € netto abgerechnet worden. Diese Kosten hatte bereits, entgegen den Ausführungen im angefochtenen Urteil, der zur Unfallbegutachtung eingeschaltete Privatsachverständige Dipl.-Ing. L. in seinem Gutachten vom 14. Juni 2017, Bl. 30 ff. der Akte, als zur Schadensbeseitigung notwendige Positionen mit denselben Nettobeträgen unter den Positionen 0000, Seite 12 des Gutachtens, und „SONSTIGES“, Seite 14 des Gutachtens, in Ansatz gebracht, wie die Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung des Senats nach entsprechendem Hinweis auch zugestanden hat. Angesichts dessen hat der Senat keine Zweifel an der Notwendigkeit der Kosten für die Lackierräder und den Richtwinkelsatz.

Bei den Standgebühren von 105,00 € netto handelt es sich ebenfalls um notwendige Aufwendungen, auch wenn diese in dem außergerichtlich eingeholten Gutachten vom 14. Juni 2017 nicht enthalten sind. Denn ausweislich des Reparaturablaufplans, Bl. 130 der Akte, Anl. K 7, wurde das unfallgeschädigte Fahrzeug des Klägers einen Tag nach dem Unfall zum Grundstück der Reparaturwerkstatt verbracht und dort auch „angenommen“. Der eigentliche Reparaturbeginn war zwar erst am 19. Juni 2017. Dies ist allerdings nicht auf ein verzögerliches Verhalten des Klägers oder der Reparaturausführung zurückzuführen.

Zunächst war der Kläger berechtigt, das Fahrzeug bereits am 13. Juni 2017 zur Reparaturwerkstatt zu verbringen. Denn das Fahrzeug war unfallbedingt nicht mehr verkehrs- und betriebssicher, wie den Ausführungen auf Seite 8 unter Ziffer 6. des außergerichtlichen Gutachtens vom 14. Juni 2017 zu entnehmen ist. Demzufolge durfte es nicht im öffentlichen Verkehrsraum abgestellt werden. Das Gutachten wurde sodann unter dem 14. Juni 2017 erstellt. Im Anschluss hieran erfolgte der Reparaturauftrag. Der Umstand, dass die Reparatur gleichwohl erst am 19. Juni 2017 begann, beruhte darauf, dass ausweislich des Reparaturablaufplans, Bl. 130 der Akte, Anl. K 7, zuvor noch Reparaturteile bestellt werden mussten. Dies kann weder dem Kläger noch der ausführenden Reparaturwerkstatt angelastet werden, da nicht erwartet werden kann, dass eine Reparaturwerkstatt stets alle erforderlichen Ersatzteile vorrätig hat. Angesichts dieses zeitlichen Ablaufs und der Erforderlichkeit der Bestellung von Ersatzteilen liegt weder beim Kläger noch bei der Reparaturwerkstatt ein Ausführungsverschulden vor. Da der eigentliche Reparaturbeginn erst der 19. Juni 2017 war, stand der Reparaturwerkstatt, Autohaus M. GmbH, der Anspruch auf die Standgebühren für 7 Tage zu. Die Kosten hierfür sind dem Kläger deshalb mit der Reparaturkostenrechnung vom 30. Juni 2017 mit 105,00 € netto (= 124,95 €) zutreffend berechnet worden und von der Beklagten zu erstatten.

Aus den vorgenannten Gründen hat die Beklagte dem Kläger auch die geltend gemachten Mietwagenkosten abweichend von der landgerichtlichen Entscheidung nicht nur für 6 Tage, sondern für den gesamten Zeitraum vom 13. Juni 2017 (Ablieferung zur Reparatur) bis zum 28. Juni 2017 (Reparatur Fertigstellungstag), mithin für 16 Tage, zu erstatten, wie sie in der Rechnung vom 4. Juli 2017, Bl. 51 der Akte, berechnet worden sind.

Der Höhe nach sind die Mietwagenkosten wie in der Rechnung vom 4. Juli 2017 mit 1.219,54 Euro berechnet zu erstatten. Die Höhe der Mietwagenkosten kann nach § 287 ZPO geschätzt werden. Die hier berechneten Mietwagenkosten sind angemessen, wobei auf die Vergleichsberechnung des Klägers, Bl. 136 der Akte, verwiesen wird, wobei unter Zugrundelegung der „Fracke“-Liste, Preisgruppe 6, für den gesamten Zeitraum sogar ein Mietwagenpreis von 1.338,56 € gerechtfertigt gewesen wäre. Soweit die Beklagte hier den Ansatz für die Kosten eines 2. Fahrers bemängelt, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Ausweislich des Automietvertrages vom 13. Juni 2017, Bl. 131 der Akte Anl. K 8, ist ein zusätzlicher Fahrer vereinbart worden. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb der Kläger eine solche Verpflichtung eingegangen wäre, wenn dies nicht notwendig gewesen wäre.

Als notwendige Kosten der Rechtsverfolgung kann der Kläger gemäß § 249 BGB auch die Rechtsanwaltskosten für die außergerichtliche Tätigkeit beanspruchen. Die Höhe dieser Kosten sind auf Seite 6 des Schriftsatzes des Klägers vom 26. Oktober 2017, Bl. 28 der Akte, auf den Bezug genommen wird, zutreffend unter Zugrundelegung eines Gegenstandswertes bis zu 13.000,00 € mit insgesamt 958,19 € berechnet worden. Unter Berücksichtigung der hierauf geleisteten Zahlungen in Höhe von 887,03 €, insoweit haben die Parteien den Rechtsstreit bereits erstinstanzlich übereinstimmend für erledigt erklärt, verbleibt noch ein Restbetrag von 71,76 €. Allerdings kann der Kläger nicht Zahlung dieses Restbetrages beanspruchen, sondern lediglich Freistellung, da er diese Kosten noch nicht beglichen hat, wie er im Termin zur mündlichen Verhandlung des Senats auf Nachfrage erklärt hat. Entsprechend war die Beklagte auf den im Berufungsverfahren umgestellten Freistellungsantrag, zulässig gemäß § 264 Nr. 2 ZPO, zu verurteilen.

Der Zinsanspruch in Höhe von 2,91 € ist aus Verzug gemäß §§ 280 Abs. 2, 286, 288 Abs. 1 BGB begründet. Es handelt sich hierbei um den Restbetrag der im Vollstreckungsbescheid für die Hauptforderung bis zum 28. August 2017 zutreffend ausgerechneten Zinsen in Höhe von insgesamt 74,98 €. Hierauf hat die Beklagte 72,07 € gezahlt. In Höhe dieses Betrages haben die Parteien den Rechtsstreit erstinstanzlich ebenfalls übereinstimmend für erledigt erklärt, so dass ein Restbetrag von 2,91 € verbleibt.

Der Zinsanspruch hinsichtlich des mit dieser Entscheidung weiter zuerkannten Betrages ist ebenfalls aus Verzug gemäß §§ 280 Abs. 2, 286, 288 Abs. 1 BGB begründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 91a ZPO. Die Beklagte hat die Kosten beider Instanzen zu tragen, auch soweit der Rechtsstreit erstinstanzlich übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist, da der Anspruch des Klägers in vollem Umfang begründet war.

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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO.

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