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Verkehrsunfall – Schadensminderungspflicht des Geschädigten – Arbeitsbemühungen

OLG Celle – Az.: 14 U 134/20 – Urteil vom 07.04.2021

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 29.7.2020 verkündete Urteil des Landgerichts Lüneburg – 2 O 381/18 – teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.303,80 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.11.2018 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 185.849,25 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin und Berufungsbeklagte (im Folgenden Klägerin) verlangt von der Beklagten und Berufungsklägerin (im Folgenden Beklagte) die Erstattung von Leistungen. Die Klägerin gewährte ihrer Versicherungsnehmerin (im Folgenden Geschädigte) Leistungen im Zeitraum vom 1.1.2004 – 31.8.2018 in Höhe von 218.830,64 €. Diesen Betrag verlangt die Klägerin, abzüglich bereits von der Beklagten gezahlter 32.981,39 €, zurück.

Die Geschädigte wurde bei einem Verkehrsunfall am 27.8.2001 mit einer Versicherungsnehmerin der Beklagten schwer verletzt. Sie erlitt aufgrund des Unfalls u.a. eine Femurtrümmerfraktur links, Tibiakopffraktur links, Nasenbeinfraktur, Mittelfußknochenfraktur rechts. Wegen der Unfallfolgen hatte sie u.a. eine Bewegungseinschränkung des linken Kniegelenks, ein Reizknie links, eine Muskelminderung am linken Bein. Aufgrund einer Beinverkürzung links wurde ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 anerkannt. Sie verlor unfallbedingt ihren Arbeitsplatz als Bürokauffrau. Die Beklagte, als Haftpflichtversicherung, haftet für ihr am Verkehrsunfall beteiligtes Fahrzeug dem Grunde nach zu 100%. In einem früheren Rechtsstreit zwischen der Geschädigten und der Beklagten wurde die Beklagte mit Urteil vom 9.12.2008 vom Landgericht Lüneburg – 4 O 22/07 – (Anlage K6) u.a. dazu verurteilt, der Geschädigten die Differenz zwischen dem fiktiven Nettoerwerbseinkommen bei Fortsetzung ihrer Erwerbstätigkeit als Bürokauffrau vor dem Unfall und der von der Klägerin gezahlten Erwerbsminderungsrente für die Monate August bis Dezember 2006 zu zahlen (sog. Spitzbetrag).

Nach dem Unfall holten beide Parteien Gutachten zum Gesundheitszustand der Geschädigten ein. Ein von der Klägerin eingeholtes orthopädisches Gutachten vom 5.11.2004 stellte fest, dass die Erwerbsfähigkeit der Geschädigten bis zum 31.12.2005 aufgehoben sei (Anlage K 2). Der Sachverständige Dr. P. erwartete allerdings, sollten keine Komplikationen auftreten, dass die Geschädigte Anfang 2006 wieder eine sitzende Tätigkeit vollschichtig werde aufnehmen können. Im Dezember 2006 nahm das Arbeitsamt die Geschädigte aus der Vermittlung heraus, da sie – nach Begutachtung durch einen Arzt – nicht mehr für vermittlungsfähig erachtet wurde. Nach einem von der Beklagten eingeholten Gutachten im Jahr 2006 bewertete der Sachverständige Dr. E. die unfallbedingten Beeinträchtigungen der Geschädigten in dem ausgeübten Beruf als Bürokauffrau mit 10%. Für den allgemeinen Arbeitsmarkt bewertete er die Erwerbsminderung mit 20% (Anlage B2).

Nach einer Reha-Maßnahme Anfang 2007 erfolgte am 26.7.2007 ein Entlassungsbericht, nach dem eine körperliche Leistungsfähigkeit für leichte Arbeiten, überwiegend im Sitzen bestehe (Anlage K3).

In einem weiteren von der Klägerin eingeholten Gutachten auf dem Gebiet der Orthopädie vom 18.9.2008 führte der Sachverständige Dr. L. aus, dass ein hinreichendes Leistungsvermögen für die zuletzt ausgeführte Büroarbeit bestünde. Ein qualitatives Leistungsvermögen wäre dabei arbeitstäglich für 3-6 Stunden anzunehmen (Anlage K4).

Im Rahmen einer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 20.9.2010 wurde von einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20% ausgegangen, weil die Geschädigte 3-6 Stunden in einer leichten sitzenden Tätigkeit arbeiten könne (Anlage K5).

Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin von der Beklagten ihre geleisteten Rentenzahlungen im Zeitraum 1.1.2005 – 31.8.2018 (151.288,20 €), ihre Beiträge zur Krankenversicherung der Rentner im selben Zeitraum (10.809,70 €), Beitragsregress für den Zeitraum vom 1.1.2004 – 30.11.2017 (55.428,94 €) sowie ihre Aufwendungen für Reha-Maßnahmen für den Zeitraum vom 26.1.2007 – 15.2.2007 (1.303,80 €), insgesamt 218.830,64 € abzüglich der Zahlungen der Beklagten in Höhe von 2.981,39 € vom 15.3.2005 und 30.000,00 € vom 21.9.2010, insgesamt: 185.849,25 € zurück. Für die geleisteten Zahlungen in den einzelnen Zeiträumen wird auf die Auflistung in der Klagschrift Bezug genommen.

Die Klägerin hat behauptet, die Geschädigte sei in der Zeit vom 1.1.2004 -31.8.2018 aufgrund des Unfalls so in ihrer Erwerbsfähigkeit eingeschränkt gewesen, dass sie in der konkreten Arbeitsmarktsituation kein Erwerbseinkommen hätte erzielen können.

Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 185.849,25 € nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.11.2018 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat bestritten, dass die Geschädigte aufgrund der Folgen des Verkehrsunfalls vom 27.9.2001 bis zum 31.8.2018 keinen leidensgerechten Arbeitsplatz hätte finden können. Sie rügt die Verletzung der der Geschädigten obliegenden Schadensminderungspflicht, weil diese sich nicht bemüht habe, einen neuen Arbeitsplatz zu finden.

Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen im Übrigen wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Das Landgericht hat der Klage vollständig stattgegeben. Zur Begründung führt es aus, es sei nicht erforderlich, dass die Klägerin Einzelheiten zu den Erwerbsbemühungen der Geschädigten darlege. Aus dem ärztlichen Entlassungsbericht vom 26.7.2007 ergebe sich, dass die Geschädigte vom Arbeitsamt aus der Vermittlung herausgenommen worden sei. Da bei der Geschädigten ein GdB von 50% festgestellt worden sei, sei nicht zu erwarten, dass ein Arbeitsgeber sie einstellen werde. Er müsse mit hohen Krankheitsausfällen rechnen. Zudem habe die Geschädigte eine Beschäftigungslücke von ca. sechs Jahren. Sie habe in dieser Zeit nicht an wesentlichen Entwicklungen in der Büro-und Kommunikationstechnik teilgenommen. Es gebe keine Anhaltspunkte, die Zweifel daran entstehen lassen könnten, dass die Geschädigte nicht mehr vermittelbar sei.

Hinzu komme, dass die Beklagte zwar ihre Zahlungen unter Vorbehalt geleistet habe, dies sei aber nur eine Klausel, mit der versucht werde, eine fehlende Verbindlichkeit darzustellen. Tatsächlich habe die Beklagte im Zeitraum vom 1.1.2004-31.8.2018 der Geschädigten den sogenannten Spitzbetrag, d.h. die Differenz zwischen dem fiktiven Nettoerwerbseinkommen bei Fortsetzung ihrer Erwerbsfähigkeit als Bürokauffrau vor dem Unfall und der von der Klägerin gezahlten Erwerbsminderungsrente gezahlt. Hätte die Beklagte ernsthaft eine Verwendung auf dem Arbeitsmarkt der Geschädigten in Erwägung gezogen, wäre es naheliegend gewesen, sich mit der Geschädigten hierüber direkt auseinander zu setzen.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Sie wendet ein, die Klägerin wäre im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast verpflichtet gewesen, vorzutragen, dass sich die Geschädigte – bei der unstreitig ein Leistungsvermögen für ihre zuletzt ausgeübte Bürotätigkeit im Rahmen von 3-6 Stunden bestanden habe – um eine leidensgerechte berufliche Tätigkeit bzw. Qualifizierung bemüht habe. Fehle es an einem solchen Vortrag, liege ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht vor. Das erkennende Gericht liege falsch mit seiner Ansicht, kein Arbeitgeber werde einen Arbeitnehmer mit einem Grad der Behinderung von 50% einstellen. Dies widerspreche der Wirklichkeit auf dem Arbeitsmarkt und sei diskriminierend.

Sie beantragt, das Urteil des Landgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie meint, mit der Zahlung des Spitzbetrages im Zeitraum vom 1.1.2004-31.8.2018 durch die Beklagte habe diese anerkannt, dass die Geschädigte entweder überhaupt keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen könne oder dass diese mit ihrer verbliebenen Restleistungsarbeitsfähigkeit keinen maßgeblichen Erwerb erzielen könne. Es sei der Beklagten gemäß dem Grundsatz venire contra factum proprium untersagt, nunmehr eine Verletzung der Schadensminderungspflicht seitens der Geschädigten einzuwenden. Überdies wäre die Beklagte verpflichtet gewesen, eine behauptete Schadensminderungspflichtverletzung zunächst direkt mit der Geschädigten zu thematisieren und diese und die Klägerin darauf hinzuweisen.

II.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben und begründet worden. Sie hat auch in der Sache überwiegend Erfolg.

Der Anspruch der Klägerin gem. §§ 7, 18 StVG, 823 BGB i.V.m. § 3 PflVG a.F. (bis 1.1.2008) i.V.m. §§ 116, 119 SGB X ist nur in geringem Umfang begründet.

Für die Jahre 2004-2005 wurde der Anspruch durch die Beklagte bereits erfüllt (1). Für den weiteren Zeitraum 2006-2018 besteht aufgrund eines Verstoßes der Klägerin und der Geschädigten gegen ihre Schadensminderungspflicht gem. § 254 Abs. 2 BGB kein Anspruch (2). Es verbleibt ein Anspruch der Klägerin auf Erstattung der Kosten für Reha-Maßnahmen in Höhe von 1.303,80 €, der mit der Berufung nicht angegriffen wurde (3).

1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rückzahlungen von Rentenzahlungen, Beiträgen zur Krankenversicherung und Beitragsregress für die Jahre 2004 und 2005 in Höhe von 16.951,13 €. Der Anspruch der Klägerin ist zwar zunächst entstanden (a). Er wurde jedoch durch die Zahlungen der Beklagten vom 15.3.2005 und vom 21.9.2010 in Höhe von 2.981,39 € und 30.000,00 € erfüllt gem. § 362 Abs. 1 BGB (b).

a) Der Anspruch der Geschädigten für den vorgenannten Zeitraum ist aufgrund der unstreitigen Kompensation der Klägerin gem. § 116 Abs. 1 SGB X auf diese übergegangen und wurde auch nicht durch ein Mitverschulden der Geschädigten gem. § 254 Abs. 2 BGB gemindert. Aus § 254 Abs. 2 BGB folgt, dass die verletzte Person in den Grenzen des Zumutbaren ihre ggf. verbliebene Arbeitskraft zur Schadensminderung einsetzen muss. Voraussetzung für eine derartige Anspruchskürzung ist jedoch ein vorwerfbarer Obliegenheitsverstoß des Geschädigten (Senat, Urteil vom 30. Mai 2007 – 14 U 189/06 –, Rn. 58, juris). Bei der Beurteilung der Obliegenheit, sich um die Wiederaufnahme der früheren Tätigkeit oder einer anderen Arbeit zu bemühen, ist nicht maßgeblich die retrospektive Beurteilung durch einen Sachverständigen, sondern maßgeblich ist die Sicht eines verständigen Geschädigten zur Zeit der Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 02. November 2015 – 25 U 159/12 –, Rn. 47, juris).

Mit orthopädischem Gutachten vom 5./11.11.2004 (Anlage K2) stellte der Sachverständige Dr. P. fest, dass die Erwerbsfähigkeit der Geschädigten bis zum 31.12.2005 aufgehoben ist (Seite 5 des Gutachtens). Für die Geschädigte bestand bis Ende 2005 insoweit keine Veranlassung, sich um eine Arbeit zu bemühen, weil ihr eine gutachterliche Erwerbsunfähigkeit attestiert worden war. Ihr lag bis Ende 2005 auch kein gegenteiliges Gutachten vor, so dass sie auf die Richtigkeit dieser gutachterlichen Feststellungen vertrauen durfte. Unterlassene Arbeitsbemühungen können ihr deshalb nicht zu ihrem Nachteil gereichen (vgl. BGH, Urteil vom 16. Oktober 2001 – VI ZR 408/00 –, Rn. 12, juris). Erst nachdem es über den 31.12.2005 hinaus keine weitere gutachterliche Feststellung der Erwerbsunfähigkeit gegeben hat und darüber hinaus der Sachverständige Dr. E. in seinem Gutachten vom 29.5.2006 (Anlage B2) eine Erwerbsminderung in Höhe von 10% für den Beruf der Geschädigten und in Höhe von 20% für den allgemeinen Arbeitsmarkt festgestellt hat, was in der Folge von dem Sachverständigen Dr. L. in seinem Gutachten vom 18.9.2008 (Anlage K4) für einen zeitlichen Umfang von 3-6 Stunden bestätigt worden war, hätte das Vertrauen der Geschädigten in die von ihr behauptete Erwerbsunfähigkeit erschüttert werden müssen.

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b) Die auf die Klägerin übergegangenen Ansprüche wurden durch Zahlungen der Beklagten erfüllt gem. § 362 Abs. 1 BGB. Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagte ihre Zahlungen unter Vorbehalt ohne Anerkennung einer Rechtspflicht leistete. Denn auch ein Vorbehalt hindert nicht die Erfüllungswirkung der Leistung gem. § 362 Abs. 1 BGB (Armbrüster, in: Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 29. Aufl. 2015, vor § 74 VVG, Rn. 137 f.; OLG Dresden, Urteil vom 14. Januar 2020 – 4 U 1245/19 –, Rn. 4, juris m.w.N.).

Die Klägerin erbrachte ausweislich der von ihr mit der Klagschrift eingereichten Zahlungsauflistungen für das Jahr 2005 Rentenleistungen in Höhe von 9.853,44 €. Im gleichen Zeitraum zahlte sie Krankenversicherungsbeiträge in Höhe von 678,45 €. Beitragsregress zahlte die Klägerin vom 1.1.2004 bis zum 31.12.2005 in Höhe von 6.419,24 €. Insgesamt leistete sie Zahlungen in den vorgenannten Zeiträumen in Höhe von 16.951,13 €.

Die Beklagte zahlte auf den Schaden ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und ohne Verrechnungsbestimmung einen Vorschuss in Höhe von 30.000,00 € sowie einen weiteren Betrag in Höhe von 2.981,39 €, so dass Ansprüche der Klägerin für die Jahre 2004 und 2005 in Höhe von 16.951,13 € jedenfalls erfüllt sind.

2. Die Ersatzansprüche der Klägerin für die Jahre 2006 bis 2018 bestehen nicht. Die Geschädigte und die Klägerin haben in diesen Jahren gegen ihre Schadensminderungspflichten verstoßen. Es kann nicht festgestellt werden, ob und in welcher Höhe ein Anspruch entstanden ist, der auf die Klägerin übergegangen ist.

a) Gem. § 254 Abs. 2 BGB muss sich der Geschädigte ein Mitverschulden bei der Entstehung des Schadens zurechnen lassen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs obliegt es dem Verletzten im Verhältnis zum Schädiger, seine verbliebene Arbeitskraft in den Grenzen des Zumutbaren so nutzbringend wie möglich zu verwerten (st. Rspr. BGH, Urteil vom 05. Dezember 1995 – VI ZR 398/94 –, Rn. 10; Urteil vom 09. Oktober 1990 – VI ZR 291/89 –, Rn. 15; BGH, Urteil vom 23. Januar 1979 – VI ZR 103/78 –, Rn. 12 f., alles zitiert nach juris). Dies gilt nicht nur für das Bemühen, einen angemessenen Arbeitsplatz zu finden, sondern auch für die Teilnahme an Schulungen bzw. Umschulungen (vgl. BGH, Urteil vom 09. Oktober 1990 – VI ZR 291/89 –, Rn. 18, juris).

Die Begründung der Klägerin, das Arbeitsamt habe die Geschädigte bereits 2006 aus der Vermittlung genommen, entlastet sowohl die Geschädigte als auch die Klägerin nicht, ihrer Obliegenheit nachzukommen, sich um eine Arbeitsstelle für die Geschädigte zu bemühen, die nach dem unstreitigen Vortrag jedenfalls nicht vollständig in ihrem Beruf körperlich eingeschränkt gewesen wäre. Nur wenn derartige Bemühungen gescheitert wären, könnte die Klägerin sich mit Erfolg darauf berufen, dass der Arbeitsmarkt der Geschädigten verschlossen gewesen sei (vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 1979 – VI ZR 103/78 –, Rn. 12 f., juris).

Der Große Senat des Bundessozialgerichts fordert insoweit, dass der Rentenversicherungsträger der beruflichen Rehabilitation Vorrang vor einer Rente zu geben habe und aus eigener Verpflichtung – wenngleich mit Anspruch auf das Mittätigwerden anderer Stellen, insbesondere des Jobcenters – alle Möglichkeiten einer beruflichen Rehabilitation des Versicherten ausschöpfen müsse. Dazu gehöre das Bemühen, einem behinderten Versicherten den für ihn in Betracht kommenden Arbeitsplatz zu beschaffen. Diese Aufgabe verpflichte den Rentenversicherungsträger zu der Prüfung, ob dem leistungsgeminderten Rentenbewerber der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen ist oder nicht. Dahingehende Schlüsse seien am ehesten daraus zu ziehen, ob es dem Rentenversicherungsträger im Zusammenwirken mit dem für den Versicherten zuständigen Jobcenter gelinge, diesem innerhalb einer bestimmten Zeit einen seinem Leistungsvermögen und seinen beruflichen Fähigkeiten entsprechenden Teilzeitarbeitsplatz anzubieten. Als zeitlicher Maßstab sei dabei in der Regel die Zeit von einem Jahr seit der Stellung des Rentenantrages anzusehen. Dieser Zeitraum reiche im Regelfall aus, um das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein geeigneter Arbeitsplätze festzustellen (BSG, Beschluss vom 10. Dezember 1976 – GS 2/75 –, BSGE 43, 75-86, SozR 2200 § 1246 Nr 13, Rn.70- 71, juris).

Nach diesen Maßgaben, denen sich der Senat anschließt, reicht es im Rahmen der sekundären Darlegungslast der Klägerin nicht aus, allgemein zu behaupten, es hätten geeignete Arbeitsplätze für die Geschädigte gefehlt. Erst wenn die Klägerin vorgetragen bzw. unter Beweis gestellt hätte, dass der Geschädigten von ihr bzw. vom Jobcenter oder einer anderen Stelle, derer sich die Klägerin bedient hätte, erfolglos eine Tätigkeit, Qualifizierungsmaßnahme oder Umschulungsmaßnahme angeboten worden sei, hätte angenommen werden können, dass die Geschädigte keine Aussicht mehr auf eine erfolgreiche Vermittlung auf dem Arbeitsmarkt gehabt hätte.

Der Senat kann auch nicht feststellen, dass etwaige Bemühungen der Klägerin von vornherein zum Scheitern verurteilt wären und der Arbeitsmarkt für die Geschädigte praktisch verschlossen gewesen wäre.

Der von der Beklagten beauftragte Sachverständige Dr. E. hat in seinem Gutachten von 29.5.2006 (Anlage B2) unwidersprochen vorgetragen, er stelle eine Erwerbsminderung im Beruf der Geschädigten von 10% fest. Für den allgemeinen Arbeitsmarkt sei die Erwerbsminderung mit 20% einzuschätzen.

Der von der Klägerin beauftragte Sachverständige Dr. L. ist in seinem Gutachten von 2008 zu dem Ergebnis gekommen, dass ein hinreichendes Leistungsvermögen auch für die zuletzt ausgeübte Bürotätigkeit in einem zeitlichen Umfang von 3-6 Stunden täglich bestehe (Anlage K4). Dass es nach diesen Gutachten zu einer deutlichen Verschlechterung des Zustandes der Geschädigten gekommen wäre, die eine weitere Minderung der Erwerbsfähigkeit begründen würde, wurde seitens der Klägerin nicht behauptet.

Soweit das Landgericht ausgeführt hat, es habe in dem Zeitraum von ca. 6 Jahren, in dem die Geschädigte nicht beschäftigt gewesen sei, eine wesentliche Entwicklung im Bereich der Büro- und Kommunikationstechnik gegeben, an der die Geschädigte nicht teilgenommen habe, so dass sie auch aus diesem Grund nicht mehr vermittelbar gewesen sei, folgt der Senat dem nicht.

Denn die Geschädigte hätte im Rahmen ihrer Schadensminderungspflicht die Obliegenheit gehabt, an entsprechenden Qualifizierungen teilzunehmen. Aus dem Lebenslauf der Geschädigten ergibt sich auch nicht, dass eine solche Fortbildung ihr von vornherein nicht zu einer Integrierung auf dem Arbeitsmarkt hätte verhelfen können.

Die Geschädigte verfügt über eine abgeschlossene Lehre zur Bürokauffrau. In diesem Beruf arbeitete sie über zehn Jahre (teilweise in Teilzeit) bis zu dem Verkehrsunfall. Die Geschädigte ist daher durchaus mit modernen Kommunikationsmitteln vertraut gewesen. Insoweit konnten weder die Geschädigte noch die Klägerin davon ausgehen, dass ein Bemühen um eine Rückkehr in ihren zuvor ausgeübten Beruf von vornherein keinen Erfolg gehabt hätte.

Der Senat folgt auch nicht der weiteren Argumentation der Klägerin, die Beklagte habe durch die Zahlung des sogenannten Spitzbetrages anerkannt, dass die Geschädigte auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr vermittelbar sei. Das Anerkenntnis eines Anspruchs setzt Eindeutigkeit und Bedingungslosigkeit voraus (vgl. Feskorn, in: Zöller, ZPO, 32. Aufl. § 307, Rn. 3). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. In der alleinigen Zahlung, die vorliegend auch noch unter Vorbehalt erfolgt ist, liegt kein Anerkenntnis eines Anspruchs.

Soweit die Ausführungen der Klägerin dahingehend zu verstehen sein sollen, dass sie ihr Zahlungsbegehren hilfsweise auf ein abstraktes (§ 781 BGB) oder deklaratorisches Schuldanerkenntnis stützen will, so kann ihr auch darin nicht gefolgt werden. Es fehlt bereits an der erforderlichen Schriftform, gem. § 781 Satz 1 BGB. Das abstrakte Schuldanerkenntnis setzt weiter voraus, dass der Anerkennende eine selbständige, von den zugrundeliegenden Rechtsbeziehungen losgelöste Verpflichtung übernimmt (vgl. BAG, Urteil vom 21. April 2016 – 8 AZR 474/14 – Rn. 25, juris). Das deklaratorische Schuldanerkenntnis setzt voraus, dass eine bereits bestehende Schuld bestätigt wird. Ein diesbezüglicher Rechtsbindungswille der Beklagten ist weder behauptet, noch sonst ersichtlich.

b) Es ist der Beklagten auch nicht aus dem Einwand „Treu und Glauben“ gem. § 242 BGB heraus verwehrt, sich auf den Obliegenheitsverstoß der Klägerin bzw. der Geschädigten zu berufen. Gem. § 242 BGB findet der Grundsatz von Treu und Glauben in dem gesetzlichen Schuldverhältnis zwischen dem Geschädigten bzw. der Klägerin aus übergegangenem Recht und dem Haftpflichtversicherer des Schädigers zwar Beachtung (vgl. OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 19. Dezember 2005 – I-1 U 128/05 –, Rn. 33, juris), missbräuchlich wäre ein widersprüchliches Verhalten aber nur dann, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen wurde und dieser im Hinblick darauf Dispositionen getroffen hat oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen. Es muss objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens vorliegen, weil das frühere Verhalten mit dem späteren unvereinbar ist und die Interessen der gegnerischen Partei im Hinblick hierauf vorrangig schutzwürdig sind (BGH, Urteil vom 12. Juli 2016 – XI ZR 501/15 –, Rn. 20, Urteil vom 07. Mai 2014 –, Rn. 40, juris; Grüneberg, in: Palandt, BGB, 77. Aufl. § 242, Rn. 55 m.w.N.).

Gemessen daran hat sich die Beklagte nicht treuwidrig verhalten. Es konnte sich bereits kein Vertrauenstatbestand für die Klägerin und die Geschädigte aufbauen, weil die Zahlungen der Beklagten unter Vorbehalt erfolgten und die Beklagte stets darauf hingewiesen hat, dass sie von einer Arbeitsfähigkeit der Geschädigten ausgeht (bspw. Schreiben vom 29.6.2009, Bl. 233 d.A.).

Es kann daher auch dahingestellt bleiben, ob die fiktiven Berechnungen der Klägerin zutreffen, nach denen der Erwerbsschadensausgleich der Beklagten nur hätte gezahlt werden müssen, wenn die Beklagte selbst von einer vollständigen Erwerbslosigkeit der Geschädigten ausgegangen wäre. Denn die Zahlung allein reicht nach den vorgenannten Umständen nicht aus, um einen Vertrauenstatbestand zu begründen. Soweit der Klägerin meint, aus der rechtskräftigen Verurteilung des Landgerichts Lüneburg vom 9.12.2008 – 4 O 22/07 – der Beklagten zur Zahlung des Spitzbetrages für die Monate August bis Dezember 2006 folge, dass es der Beklagte verwehrt sei, sich auf den Obliegenheitsverstoß für den Zeitraum 2006 bis 2018 zu berufen, folgt der Senat dem aus den vorgenannten Gründen nicht. Überdies trifft eine Verurteilung der Beklagten zur Zahlung des Spitzbetrages für den Zeitraum August bis Dezember 2006 keine Aussage über die Erwerbsfähigkeit der Geschädigten im streitgegenständlichen Zeitraum, sondern nur darüber, dass diese in diesem Zeitraum nicht erwerbstätig gewesen ist. Wenn die Beklagte den Obliegenheitsverstoß für den damals relevanten Zeitpunkt nicht erhoben hat, bedeutet dies nicht, dass er ihr damit auch für die folgenden Jahre abgeschnitten ist. Dies gilt umso mehr, als die Beklagte stets unter Vorbehalt geleistet hat.

Soweit die Klägerin meint, die Beklagte hätte sie auf ihre Obliegenheit der Schadensminderungspflicht hinweisen müssen, sieht der Senat für einen derartigen Hinweis keinen rechtlichen Anhaltspunkt. Eine solche Fürsorgepflicht ist bereits deshalb nicht anzunehmen, weil die Klägerin über geschultes Personal verfügt und in der Bearbeitung von Schadensfällen erfahren ist.

Weitere Umstände, die die Rüge der Beklagten auf Verletzung einer Schadensminderungspflicht als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen, sind nicht ersichtlich. Es gibt auch keine rechtliche Verpflichtung der Beklagten, mit ihren Einwänden zuerst an die Geschädigte heranzutreten, wie die Klägerin meint.

Insbesondere liegt auch keine Verwirkung vor, weil die Beklagte bereits seit 2004 den Spitzbetrag zahlt, ohne jemals den Mitverschuldenseinwand erhoben zu haben. Verwirkung als Unterfall der wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben unzulässigen Rechtsausübung kommt in Betracht, wenn der Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht geltend gemacht hat, obwohl er hierzu in der Lage war, und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen werde, sodass die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 20. Januar 2021 – 4 U 68/20 –, Rn. 70, juris).Zu dem Zeitablauf müssen mithin besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde sein Recht nicht mehr geltend machen (Senat, Urteile vom 13. November 2019 – 4 U 7/19 – und vom 3. April 2019 – 4 U 99/18 -, Rn. 30; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 20. Januar 2021 – 4 U 68/20 –, Rn. 70 – 71, alle zitiert nach juris). Ferner muss sich der Verpflichtete im Vertrauen auf das Verhalten des Berechtigten in seinen Maßnahmen so eingerichtet haben, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstünde (st. Rspr. BGH, NJW 2014, 1230, Rn. 13 m.w.N.).

Vorliegend fehlt es bereits am Umstandsmoment. Die Beklagte hat stets unter Vorbehalt bezahlt und die vollständige Arbeitsunfähigkeit der Geschädigten bestritten. Dass besondere Umstände hinzugetreten sind, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigten, der Berechtigte werde sein Recht nicht mehr geltend machen, sind weder vorgetragen und noch sonst ersichtlich.

3. Der auf die Klägerin übergangene Anspruch auf Ersatz der von ihr gezahlten Reha-Leistungen für den Zeitraum vom 26.1.2007 – 15.2.2007 in Höhe von 1.303,80 €, der bereits erstinstanzlich gewährt wurde, wurde mit der Berufung nicht angegriffen und ist insoweit begründet.

Die Zinsansprüche folgen aus den § 286 Abs. 1, § 288 Abs. 1 BGB.

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und der Senat nicht von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes oder eines anderen Oberlandesgerichts abweicht, so dass auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern, § 543 ZPO.

Die Festsetzung des Streitwertes für das Berufungsverfahren folgt aus § 3 ZPO, § 47 Abs. 1 GKG.

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