BGH, Az.: VI ZR 55/95,Urteil vom 30.04.1996
Leitsätze:
1. Der Schädiger hat für seelisch bedingte Folgeschäden einer Verletzungshandlung, auch wenn sie auf einer psychischen Anfälligkeit des Verletzten oder sonstwie auf einer neurotischen Fehlverarbeitung beruhen, haftungsrechtlich grundsätzlich einzustehen.
Eine Zurechnung kommt nur dann nicht in Betracht, wenn das Schadensereignis ganz geringfügig ist (Bagatelle) und nicht gerade speziell auf die Schadensanlage des Verletzten trifft.
2. Bei der Festsetzung des für angemessen gehaltenen Schmerzensgeldes sind dem Richter im Rahmen des ZPO § 308 durch die Angabe eines Mindestbetrages oder einer Größenordnung nach oben keine Grenzen gezogen.
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 21. Dezember 1994 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger macht Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall am 25. August 1983 in G. geltend, für dessen Folgen die Beklagte als Haftpflichtversicherer des Unfallgegners einzustehen hat.
Bei dem Zusammenstoß mit dem Pkw des Versicherungsnehmers der Beklagten, welcher aus der Gegenrichtung kommend vor ihm nach links abbog, erlitt der damals 46jährige, als technischer Fernmeldeamtmann bei der Bundespost tätige Kläger folgende Verletzungen: Hals- und Brustwirbelsäulenprellungen mit einem Schleudertrauma der Halswirbelsäule, eine Brustkorbquetschung und Stoßverletzung des Brustbeins, eine Schädelprellung links, ein stumpfes Bauchtrauma mit Buckelung des Zwerchfells rechts, Knieprellungen und eine Distorsion des rechten Handgelenks.
Der Kläger, der sich schon in den Jahren 1965 bis 1982 bei 8 Unfällen Verletzungen zugezogen hatte, war seit dem Unfalltag nahezu durchgehend krankgeschrieben. Mehrere stationäre Aufenthalte in verschiedenen Kliniken brachten keine spürbare Besserung seines Zustands. Er litt insbesondere unter Schmerzen im Brust-, Bauch- und Rückenbereich. Vom Betriebsarzt der Bundespost wurde der Kläger schließlich dienstunfähig geschrieben und daraufhin mit Wirkung vom 1. November 1985 in den Ruhestand versetzt.
Mit der Behauptung, er leide noch unter den Folgen des Unfalls und seine Pensionierung sei auch auf dieses Ereignis zurückzuführen, hat er u.a. Ersatz von Verdienstausfall und ein Schmerzensgeld, das er in Höhe von mindestens 25.000 DM (abzüglich vorprozessual gezahlter 12.500 DM) für angemessen erachtet, sowie Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz allen weiteren Schadens begehrt.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat ein Schmerzensgeld von 37.500 DM (50.000 DM abzüglich bereits gezahlter 12.500 DM) und den geltend gemachten materiellen Schadensersatz sowie Verdienstausfall teilweise zugesprochen und dem Feststellungsantrag stattgegeben. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht ist – sachverständig beraten – zu dem Ergebnis gelangt, daß die Verletzungen des Klägers ohne objektiv faßbare Folgen ausgeheilt seien.
Aufgrund psychischer Fehlverarbeitung des Unfalls habe sich bei dem Kläger eine zunehmende Schmerzreaktion im gesamten Bereich der Wirbelsäulenpartie, im Nacken, Kopf, Armen, Beinen, bis zu den Unterschenkeln und im Oberbauch und vorderen Thoraxbereich entwickelt; sie ergebe das Vollbild einer chronifizierten psychosomatischen Schmerzkrankheit, überwiegend psychovegetativer Genese.
Ursächlich für diese nichtorganischen psychosomatischen und funktionellen Beschwerden, zu denen es ohne den Unfall mit seinen eher leichteren akuten Verletzungen nicht gekommen wäre, hält das Berufungsgericht die prämorbide Persönlichkeit des Klägers. Weitere Bedingungen für die psychische Fehlverarbeitung seien aber auch andere Umstände, wie die Mißerfolge und Kränkungen infolge von Vorgutachten und der bisherigen Niederlagen im Rechtskampf, sowie die Entfremdung zwischen den Eheleuten.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts hätte zwar jedes subjektiv bedeutsame seelische oder körperliche Trauma ähnlich vermittelnd wirken und “das Faß zum Überlaufen bringen” können, wie der Verkehrsunfall mit seinen Folgen, so etwa eine akute Manifestation des Ehekonflikts, der seine Ursache freilich teilweise wiederum in dem Unfall habe, sowie der Tod der Mutter; eine sichere Aussage lasse sich jedoch nicht treffen. Es könne daher auch nicht festgestellt werden, daß sich bei dem Kläger lediglich das allgemeine Lebensrisiko verwirklicht habe.
II.
Das Berufungsurteil hält der revisionsrechtlichen Prüfung stand.
1. Ohne Erfolg macht die Revision geltend, das Berufungsgericht habe dem Kläger keinen Anspruch auf Ersatz von Verdienstausfall und Sachschäden zuerkennen sowie dem Feststellungsantrag nicht stattgeben dürfen, weil insoweit keine zulässige Berufung eingelegt worden sei. Die Revision beanstandet, daß der Kläger in der Berufungsbegründung nur einen Antrag auf Zahlung weiteren Schmerzensgeldes von zunächst 2.000 DM gestellt, einen Antrag auf Ersatz von Verdienstausfall und des Sachschadens sowie einen Feststellungsantrag erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist angebracht habe; soweit sich die Berufungsbegründung zu diesen Ansprüchen äußere, seien diese Ausführungen durch den Berufungsantrag nicht gedeckt.
Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Nach § 519 Abs. 3 Nr. 1 ZPO muß die Berufungsbegründung zwar die Erklärung enthalten, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge). Die Anträge können, wie es hier geschehen ist, bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung zulässigerweise noch erweitert werden, soweit sie sich im Rahmen der Rechtsmittelbegründung halten, und zwar auch in der Weise, daß Einzelanträge zu Beschwerdepunkten, die in der Berufungsbegründung noch nicht gestellt waren, nachgeholt werden (BGHZ 91, 154, 159). Im Streitfall ergibt die Berufungsbegründung eindeutig, daß sich der Kläger vorbehalten wollte, das landgerichtliche Urteil auch hinsichtlich der abgewiesenen Klage wegen Verdienstausfalls, der Sachschäden und der Feststellung anzufechten. So heißt es im unmittelbaren Anschluß an den eingerückten Antrag auf Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes, der Kläger beanstande das angefochtene Urteil nach allen Richtungen im einzelnen mit den nachfolgenden Gründen. Im weiteren Verlauf der Berufungsbegründung werden sodann detaillierte Ausführungen zum Ersatz des Verdienstausfallschadens und der Sachschäden gemacht, den die Beklagte neben dem Schmerzensgeld schulde. Damit war der Rahmen vorgegeben, der durch die späteren Anträge auch in bezug auf den Ersatz des Verdienstausfalles und der Sachschäden sowie auf die Feststellung der Ersatzpflicht ausgefüllt wurde.
2. Mit Recht hat das Berufungsgericht auch die Haftung der Beklagten für die psychosomatischen Beschwerden des Klägers, die sich in einer chronischen Schmerzkrankheit manifestieren, bejaht. Die dagegen vorgebrachten Einwände der Revision greifen nicht durch.
a) Hat jemand schuldhaft die Körperverletzung oder Gesundheitsbeschädigung eines anderen verursacht, für die er haftungsrechtlich einzustehen hat, so erstreckt sich die Haftung grundsätzlich auch auf die daraus resultierenden Folgeschäden. Das gilt gleichviel, ob es sich dabei um organisch oder psychisch bedingte Folgewirkungen handelt. Der Senat hat wiederholt ausgesprochen, daß die Schadensersatzpflicht für psychische Auswirkungen einer Verletzungshandlung nicht voraussetzt, daß sie eine organische Ursache haben; es genügt vielmehr die hinreichende Gewißheit, daß die psychisch bedingten Ausfälle ohne den Unfall nicht aufgetreten wären (Senatsurteile vom 12. März 1991 – VI ZR 232/90 – VersR 1991, 777, 778; vom 9. April 1991 – VI ZR 106/90 – VersR 1991, 704, 705; vom 16. März 1993 – VI ZR 232/92 – VersR 1993, 589, 590). Nicht erforderlich ist, daß die aus der Verletzungshandlung resultierenden (haftungsausfüllenden) Folgeschäden für den Schädiger vorhersehbar waren (BGHZ 59, 30, 39; Senatsurt. v. 10. November 1992 – VI ZR 45/92 – VersR 1993, 230, 231 m.w.N.).
Handelt es sich bei den psychisch vermittelten Beeinträchtigungen hingegen nicht um schadensausfüllende Folgewirkungen einer Verletzung, sondern treten sie haftungsbegründend erst durch die psychische Reaktion auf ein Unfallgeschehen ein, wie dies in den sogenannten Schockschadensfällen regelmäßig und bei Aktual- oder Unfallneurosen häufig der Fall ist, so kommt eine Haftung nur in Betracht, wenn die Beeinträchtigungen selbst Krankheitswert besitzen, also eine Gesundheitsbeschädigung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB darstellen (vgl. BGHZ 56, 163; 93, 351, 355; Senatsurteil vom 12. November 1985 – VI ZR 103/84 – VersR 1986, 240; OLG Frankfurt, Urteil vom 23. September 1994 in Verbindung mit NA-Beschluß des Senats vom 24. Oktober 1995 – VI ZR 349/94 – OLG-Report Frankfurt 1994, 242), und für den Schädiger vorhersehbar waren (Senatsurteil vom 3. Februar 1976 – VI ZR 86/74 – VersR 1976, 639 f.).
Im Streitfall geht es um (haftungsausfüllende) Folgewirkungen von Unfallverletzungen. Der Kläger hat bei dem Unfall körperliche Verletzungen erlitten, die aufgrund psychischer Fehlverarbeitung zu psychosomatischen Beschwerden geführt haben. Diese bestehen nach den Feststellungen des Berufungsgerichts in einer organisch nicht faßbaren, psychogenen Schmerzkrankheit, die sich in zunehmenden Schmerzreaktionen von Kopf bis Fuß, nämlich im Kopf, im gesamten Bereich der Wirbelsäule und in den Extremitäten äußert und zu der es ohne den Unfall nicht gekommen wäre. Ohne Erfolg rügt die Revision, daß das Berufungsgericht zum Ausmaß dieser Schmerzzustände keine näheren Feststellungen getroffen hat. Für die Haftung der Beklagten reicht es aus, daß sie als Beschwerden vorhanden sind, die als Hauptursache unstreitig zur Dienstunfähigkeit des Klägers und deshalb zu seiner vorzeitigen Pensionierung geführt haben.
b) Die Zurechnung solcher Schäden scheitert nicht daran, daß sie auf einer konstitutiven Schwäche des Verletzten beruhen. Der Schädiger kann sich nach ständiger Rechtsprechung nicht darauf berufen, daß der Schaden nur deshalb eingetreten oder ein besonderes Ausmaß erlangt hat, weil der Verletzte infolge von körperlichen Anomalien oder Dispositionen zur Krankheit besonders anfällig gewesen sei. Wer einen gesundheitlich schon geschwächten Menschen verletzt, kann nicht verlangen, so gestellt zu werden, als wenn der Betroffene gesund gewesen wäre (BGHZ 20, 137, 139; 107, 359, 363; Senatsurteil vom 7. Oktober 1960 – VI ZR 136/59 – VersR 1960, 1092, 1093; vom 11. März 1986 – VI ZR 64/85 – VersR 1986, 812, 813). So ist die volle Haftung auch in Fällen bejaht worden, in denen der Schaden auf einem Zusammenwirken körperlicher Vorschäden und der Unfallverletzungen beruhte (Senatsurteile vom 9. Januar 1962 – VI ZR 138/61 – VersR 1962, 351; vom 10. Mai 1966 – VI ZR 243/64 – VersR 1966, 737; vom 15. Oktober 1968 – VI ZR 226/67 – VersR 1969, 43; vom 22. September 1992 – VI ZR 293/91 – VersR 1993, 55 – Aneurysma).
Der Grundsatz, daß eine besondere Schadensanfälligkeit des Verletzten dem Schädiger haftungsrechtlich zuzurechnen ist, gilt grundsätzlich auch für psychische Schäden, die regelmäßig aus einer besonderen seelischen Labilität des Betroffenen erwachsen (BGHZ 20, 137, 139; 56, 163, 165; Senatsurteil vom 16. März 1993 aaO S. 590; RG DJZ 1915, 207). Dementsprechend ist die Haftung bejaht worden bei unfallbedingter Wesensveränderung (Senatsurteil vom 8. Dezember 1959 – VI ZR 36/58 – VersR 1960, 225), bei Depressionen (Senatsurteil vom 14. Juni 1966 – VI ZR 270/64 – VersR 1966, 931 und vom 8. Februar 1994 – VI ZR 68/93 – VersR 1994, 695, 696), Aktual- oder Unfallneurosen (BGH, Urteil vom 25. Januar 1968 – III ZR 122/67 – VersR 1968, 396; Senatsurteil vom 12. November 1985 – aaO S. 241) sowie bei Konversionsneurosen (Senatsurteile vom 12. November 1985 und vom 16. März 1993 jeweils aaO; OLG Frankfurt VersR 1993, 853).
c) Hieraus ergibt sich, daß der Schädiger für seelisch bedingte Folgeschäden, auch wenn sie auf einer psychischen Prädisposition oder sonstwie auf einer neurotischen Fehlverarbeitung beruhen, haftungsrechtlich grundsätzlich einzustehen hat. Freilich sind einer solchen Haftung auch Grenzen gesetzt.
aa) So hat die Rechtsprechung eine Haftung für Renten- oder Begehrensneurosen abgelehnt, in denen der Geschädigte den Unfall in dem neurotischen Streben nach Versorgung und Sicherheit lediglich zum Anlaß nimmt, den Schwierigkeiten und Belastungen des Erwerbslebens auszuweichen (BGHZ 20, 137; Senatsurteile vom 8. Juli 1960 – VI ZR 174/59 – VersR 1960, 740; vom 21. April 1961 – VI ZR 105/60 – VersR 1961, 597; vom 28. September 1965 – VI ZR 87/64 – VersR 1965, 1080; vom 8. Mai 1979 – VI ZR 58/78 – VersR 1979, 718).
bb) Ebenso wie im Bereich körperlicher Schäden sich Grenzen der Zurechenbarkeit in Extremfällen ergeben können, kann eine Haftungsbegrenzung in Fällen extremer Schadensdisposition auch bei psychisch bedingten Schäden eintreten. Das ist freilich nur dann der Fall, wenn das schädigende Ereignis ganz geringfügig ist (Bagatelle) und nicht gerade speziell die Schadensanlage des Verletzten trifft und deshalb die psychische Reaktion im konkreten Fall, weil in einem groben Mißverhältnis zu dem Anlaß stehend, (schlechterdings) nicht mehr verständlich ist. Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt auch für die Konversionsneurose (Urteile vom 12. November 1985 aaO S. 242 und vom 16. März 1993 aaO S. 590).
d) Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist das Berufungsgericht in rechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gelangt, daß die psychosomatischen Beschwerden, an denen der Kläger leidet, der Beklagten haftungsrechtlich zuzurechnen sind.
aa) Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht den Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfall und den jetzigen Beschwerden des Klägers verfahrensfehlerfrei bejaht. Nach den Ausführungen des Sachverständigen, denen sich das Berufungsgericht angeschlossen hat, hatte der Unfall zwar nur eine “vermittelnde, nicht kausale und nicht richtunggebende Rolle gespielt”. Er hat jedoch, wie das Berufungsgericht weiter feststellt, klargestellt, daß es ohne den Unfall mit seinen akuten Verletzungen nicht zu dessen psychischer Fehlverarbeitung hätte kommen können. Damit bildete der Unfall einen Auslöser für die psychische Fehlreaktion und die darauf zurückführende Dienstunfähigkeit des Klägers. Dies genügt, um ihn als Ursache im haftungsrechtlichen Sinne anzusehen, mögen daneben auch andere Ursachen gegeben sein.
Die Haftung könnte aus Gründen der Kausalität nur entfallen oder zeitlich begrenzt sein, wenn der durch den Unfall ausgelöste Schaden auf Grund der Vorschäden auch ohne den Unfall früher oder später eingetreten wäre. Diese Voraussetzungen hat das Berufungsgericht jedoch nicht feststellen können. Nach seinen Darlegungen hätte zwar jedes subjektiv bedeutsame seelische oder körperliche Trauma ähnlich vermittelnd wirken und ebenfalls “das Faß zum Überlaufen bringen” können. Als eine solche Ersatzursache hat das Berufungsgericht eine akute Manifestation des Ehekonflikts in Betracht gezogen. Doch hat es nicht feststellen können, daß es zu der Entfremdung zwischen den Eheleuten auch ohne den Unfall gekommen wäre. Ebensowenig hat es feststellen können, daß etwa der Tod der Mutter eine ähnliche Folge gehabt hätte wie der Unfall. Soweit der erstinstanzliche Sachverständige Prof. H. als Neurologe eine unfallabhängige Neurose verneint und die Beschwerden des Klägers auf eine hypochondrische Persönlichkeitsentwicklung zurückgeführt hatte, brauchte sich das Berufungsgericht damit nicht auseinanderzusetzen. Es durfte vielmehr dem Psychiater Dr. K., den es zweitinstanzlich zur Beurteilung der psychosomatischen Zusammenhänge einschaltet hatte, die größere Sachkunde beimessen und sich seiner Auffassung anschließen.
bb) Mit Recht hat das Berufungsgericht der Beklagten auch die psychische Fehlverarbeitung des Klägers, die sich in chronifizierten Schmerzzuständen äußert, haftungsrechtlich zugerechnet. Wie bereits ausgeführt, hat der Schädiger für unfallbedingte seelische Fehlverarbeitung grundsätzlich einzustehen. Umstände, die eine Zurechnung ausnahmsweise entfallen lassen könnten, sind im Streitfall nicht ersichtlich und werden von der Revision auch nicht aufgezeigt.
(1) Das Vorhandensein einer Renten- oder Begehrensneurose hat das Berufungsgericht nicht festzustellen vermocht. Der Kläger hat sich, wie das Berufungsgericht ausführt, nicht etwa in die Krankheit geflüchtet, um dem Lebenskampf auszuweichen, sondern eher umgekehrt hatten die zweifelsohne vorhandenen Beschwerden einen mobilisierenden Charakter im Kampf um sein Recht, bis sich seine Lebensressourcen in diesem Rechtskampf erschöpft hatten. Einen revisionsrechtlich beachtlichen Fehler vermag die Revision insoweit nicht darzutun.
(2) Nach den Ausführungen des Berufungsgerichts liegt die Ursache für die psychosomatischen Beschwerden vor allem in der prämorbiden Persönlichkeit des Klägers, wie sie sich bis zu dem Unfall entwickelt habe. Der Kläger habe schon zahlreiche andere Unfälle mit ähnlichen Verletzungen erlitten; die Folgen dieser Verletzungen habe er aber aufgrund seiner kämpferischen Natur überwunden; doch sei seine Widerstandskraft dadurch nahezu erschöpft gewesen; insoweit habe der Unfall als “letzter Tropfen” genügt, um bei dem vorgeschädigten Kläger “das Faß zum Überlaufen zu bringen”.
Die Tatsache, daß der Kläger durch frühere Unfälle in seiner seelischen Widerstandskraft soweit vorgeschädigt war, daß nur noch ein geringfügiger Anlaß genügte, um psychische Fehlreaktionen auszulösen, kann die Beklagte nicht entlasten (vgl. Senatsurteil vom 11. März 1986 aaO S. 813). Wie bereits ausgeführt, erstreckt sich die Haftung nach allgemeinen schadensrechtlichen Grundsätzen auch auf solche Folgewirkungen einer Verletzungshandlung, die auf einer besonderen konstitutionellen Schwäche des Betroffenen beruhen. Es spielt daher auch bei psychischen Fehlreaktionen, wie sie namentlich bei Konversionsneurosen und ähnlichen neurotischen Reaktionen mit psychosomatischen Folgeerscheinungen wie hier vorkommen, keine Rolle, daß der eigentliche Grund für die Beschwerden in der Persönlichkeit des Verletzten liegt und vom Schädiger nicht zu vertreten ist. Mag auch der Unfall in solchen Fällen nur der Auslöser für seelische Fehlreaktionen sein, so stellt das Unfallereignis doch eine Mitursache für die psychosomatischen Folgewirkungen dar, die wie jede andere Ursache zur vollen Haftung nach § 823 BGB führt (vgl. BGHZ 56, 163, 165; Senatsurteile vom 9. Januar 1962; vom 10. Mai 1966; vom 15. Oktober 1968 und vom 22. September 1992 jeweils aaO).
Im Streitfall war das Unfallereignis nicht geringfügig, weshalb sich die oben erörterte Frage des Ausschlusses der Zurechenbarkeit bei Bagatellfällen hier nicht stellt. Der Kläger hat bei dem Zusammenstoß, der zum Totalschaden an seinem Fahrzeug führte, neben einer Gehirnerschütterung immerhin ein Schleudertrauma der Halswirbelsäule sowie Quetschungen und Prellungen anderer Körperteile erlitten.
Seelische Fehlreaktionen, die durch eine psychische Prädisposition des Verletzten mitbedingt sind, wirken sich lediglich bei der Bemessung des Schmerzensgeldes, die nach billigem Ermessen erfolgt, anspruchsmindernd aus (Senatsurteil vom 19. Dezember 1969 aaO S. 284; vom 9. April 1991 aaO S. 705), was das Berufungsgericht im Streitfall auch bedacht hat.
3. Die Zuerkennung eines Betrages von 2.241 DM für die Anschaffung eines Spezialbettes ist entgegen der Revision ebenfalls aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Das Berufungsurteil, nach dessen Worten die Beschaffung eines solchen Bettes mit den Beschwerden des Klägers “zu tun” habe, muß dahin verstanden werden, daß dieses zur Linderung der Beschwerden des Klägers für erforderlich gehalten wird, nachdem es dem Kläger wegen seiner unfallbedingten Schlafstörungen und sonstigen Beschwerden ärztlich empfohlen worden ist.
4. Unbegründet ist die Revision auch, soweit das Berufungsgericht dem Kläger, der ein Schmerzensgeld von mindestens 25.000 DM beantragt hatte, ein solches von 50.000 DM (abzüglich bereits gezahlter Beträge) zuerkannt hat. In der Überschreitung der Mindestsumme um das Doppelte liegt kein Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO, wonach das Gericht nicht über den Antrag der Partei hinausgehen darf.
a) Bei Ansprüchen, die wie das Schmerzensgeld auf eine angemessene und billige Entschädigung für erlittene Beeinträchtigungen gerichtet sind, ist die Anbringung unbezifferter Anträge, durch die die Bemessung der begehrten Leistung in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, grundsätzlich zulässig (st. Rspr. seit RGZ 21, 386; vgl. auch BGHZ 45, 91 m.w.N.). Allerdings muß der Kläger nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, um dem Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zu genügen, auch bei unbezifferten Leistungsanträgen nicht nur die tatsächlichen Grundlagen, sondern auch die Größenordnung des geltend gemachten Betrages so genau wie möglich angeben (Senatsurteil vom 9. Juli 1974 – VI ZR 236/73 – VersR 1974, 1182, 1183; Beschluß vom 21. Juni 1977 – VI ZA 3/75 – VersR 1977, 861; Urteil vom 13. Oktober 1981 – VI ZR 162/80 – VersR 1982, 96; vom 9. November 1982 – VI ZR 23/81 – VersR 1983, 151; vom 15. Mai 1984 – VI ZR 155/82 – VersR 1984, 739, 740; vom 24. September 1991 – VI ZR 60/91 – VersR 1992, 374; BGH, Urteil vom 24. April 1975 – III ZR 7/73 – VersR 1975, 856, 857).
b) Die Frage, inwieweit das Gericht an die Angabe einer Größenordnung gebunden und inwieweit die Überschreitung dieses Betrages mit § 308 Abs. 1 ZPO vereinbar ist, hat der Senat bisher offengelassen (Beschluß vom 20. Februar 1979 – VI ZB 4/78 – VersR 1979, 472). Sie ist nunmehr dahin zu entscheiden, daß die Angabe eines Mindestbetrages oder einer Größenvorstellung dem Ermessen des Gerichts bei Festsetzung des für angemessen gehaltenen Schmerzensgeldes im Hinblick auf § 308 ZPO keine Grenzen zieht und deshalb auch die Zuerkennung eines den Mindestbetrag (oder die Größenvorstellung) um das Doppelte übersteigenden Betrages von dem Antrag des Klägers gedeckt ist.
Der Kläger hat im vorliegenden Fall ein Schmerzensgeld von mindestens 25.000 DM gefordert. Darin liegt die Angabe eines Mindestbetrages in der Weise, daß der Kläger das Ermessen des Gerichts jedenfalls nach unten durch diesen Betrag begrenzen wollte. Er ist demgemäß bei Unterschreitung dieses Betrages beschwert und kann die Entscheidung mit einem Rechtsmittel anfechten (Senatsurteil v. 24. September 1991 – aaO S. 375; BGH, Beschluß vom 25. Januar 1996 – III ZR 218/95 – NZV 1996, 194). Nach oben ist das Ermessen des Gerichts hingegen nur dann begrenzt, wenn der Kläger eine Obergrenze angibt und damit erkennen läßt, daß er die Ausübung des Ermessens nur bis zur Höhe des genannten Betrages begehre (Senatsurteil v. 12. November 1991 – VI ZR 369/90 – VersR 1992, 237, 238 m.w.N.; vgl. auch OLG München NJW 1986, 3089). Hat er dagegen wie hier keine Obergrenze angegeben, ist das Gericht in seinem Ermessen nach oben frei und an der Zuerkennung eines die Mindestsumme auch erheblich übersteigenden Betrages nicht gehindert.
Aus § 308 ZPO läßt sich die Bindung an einen bestimmten Betrag oder die Aufrichtung einer bestimmten – etwa prozentual einzugrenzenden – Schwankungsbreite, die nicht überschritten werden dürfte, nicht herleiten, denn ein Kläger, der wie hier ein angemessenes Schmerzensgeld verlangt, gibt mit einem solchen Antrag gerade zu erkennen, daß er die Festsetzung der Höhe im Einklang mit § 847 BGB dem Ermessen des Gerichts überlassen will. Eben zu diesem Zweck erlaubt ihm das Gesetz die Anbringung eines unbezifferten Antrages.
Wenn die Rechtsprechung von dem Kläger gleichwohl die Mitteilung einer Größenordnung verlangt, so zunächst deshalb, weil die Auffassung der Partei für das Gericht eine wesentliche Hilfe bei der Ermittlung des angemessenen Betrages darstellen kann (Senatsurteil vom 27. Oktober 1964 – VI ZR 146/63 – BGH Warn 1964 Nr. 235, S. 545). Vor allem aber soll der Kläger durch die Angabe seiner Größenvorstellung deutlich machen, mit welchem Schmerzensgeldbetrag das Gericht jedenfalls sein Klagebegehren hinreichend befriedigen würde; daher kann der Kläger nachträglich keine Beschwer geltend machen, wenn ein Betrag zugesprochen worden ist, der die von ihm bezeichnete Größenordnung nicht unterschreitet.
Der angegebenen Größenvorstellung kommt ferner für die Festsetzung des Streitwertes Bedeutung zu. Da das Begehren des Klägers nicht unterschritten werden kann, ohne daß er beschwert wäre, erreicht der Streitwert jedenfalls die angegebene Höhe. Nach oben ist das Gericht hingegen streitwertmäßig nicht an die Angaben des Klägers gebunden, da sich der Streitwert am angemessenen Schmerzensgeld auszurichten hat. Gegebenenfalls hat das Gericht – auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen – nach Anhörung von Kläger und Beklagtem den Streitwert im Hinblick auf einen ihm angemessen und billig erscheinenden Betrag höher festzusetzen, als dies der angegebenen Größenvorstellung des Klägers entspricht.
Das Bedürfnis nach Rechtsklarheit erfordert eine Bindung des Gerichts an die vom Kläger angegebene Größenordnung nicht. Da der Beklagte seinerseits durch Antrag auf Streitwertfestsetzung jederzeit die dem Gericht als angemessen erscheinende Bewertung des Schmerzensgeldes in Erfahrung bringen kann, ist seinem Interesse, im Rechtsstreit Klarheit darüber zu haben, welchen Verurteilungsrisiken er ausgesetzt ist, im erforderlichen Umfang genüge getan; an der Streitwertfestsetzung des Gerichts kann er seine prozessualen Dispositionen (Verteidigung gegen die Klage oder – ggfs. teilweises – Anerkenntnis) ausrichten.
Da weder das Gebot einer prozessualen Rechtssicherheit noch andere durchgreifende Gründe eine Bindung des Richters an die vom Kläger genannte Mindestsumme oder Größenordnung im Rahmen des § 308 ZPO erfordern, kommt auch eine Eingrenzung auf einen prozentual bestimmten Rahmen (etwa 20 % nach oben und unten), wie sie zum Teil vorgeschlagen wird (vgl. Dunz NJW 1984, 1734, 1736 f; Wurm JA 1989, 65, 69; Steinle VersR 1992, 425; Butzer MDR 1992, 539, 541), nicht in Betracht.
Das Berufungsgericht war daher durch den auf Zahlung von mindestens 25.000 DM gerichteten Antrag nicht gehindert, dem Kläger den doppelten Betrag von 50.000 DM (abzüglich geleisteter 12.500 DM) zuzusprechen.
Im übrigen lassen die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Höhe des Schmerzensgeldes keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Beklagten erkennen.
III.
Nach alledem muß die Revision gegen das angefochtene Urteil zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.