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Verkehrsunfall – Schmerzensgeld wegen eines Migräneanfalls nach Auffahrunfall

AG Kitzingen, Az.: 2 C 470/12, Urteil vom 16.05.2014

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 575,62 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2012, sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 147,56 EUR zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Von den Kosten des Rechtstreits haben die Klägerin 78 %, die Beklagten 22 % zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung der Gegenseite durch Sicherheitsleistung in Höhe von 100 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Parteien streiten nach einem Verkehrsunfall um die Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld.

Am 04.12.2011 kam es in Kitzingen zu einem Auffahrunfall. Die Beklagte zu 1) hatte zu spät bemerkt, dass der vorausfahrende Pkw verkehrsbedingt anhalten musste. Der Pkw der Beklagten zu 1) war bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert. Die allgemeine Haftung der Beklagten zu 1) ist unstreitig.

Die Klägerin war Beifahrerin im vorderen Fahrzeug. Sie begab sich noch am Unfalltag zur Untersuchung in die Kreisklinik …. Dort wurde eine HWS-Distorsion diagnostiziert. Die Klägerin war in der Zeit vom 05.12.-16.12.2011 arbeitsunfähig krankgeschrieben.

Die Klägerin macht geltend, sie sei beim Unfall verletzt worden. Sie meint, ihr stünde zum einen Schmerzensgeld zu. Zum anderen sei ihr ein materieller Schaden durch Fahrt- und Attestkosten u. a. entstanden. Schließlich habe sie vom 04.12.2011 – 28.01.2012 nur eingeschränkt ihren Haushalt versorgen können.

Verkehrsunfall - Schmerzensgeld wegen eines Migräneanfalls nach Auffahrunfall
Symbolfoto: Von Dragana Gordic /Shutterstock.com

Die Klägerin beantragte daher:

1. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin 1.184,46 EUR nebst Zinsen hin Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.02.2012 zu bezahlen.

2. Die Beklagten werden weiter gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 01.02.2012 zu bezahlen.

3. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin die außergerichtliche Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG in Höhe von 341,77 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten machen geltend, es habe sich nur um einen leichten Aufprall gehandelt. Eine Verletzung der Klägerin sei daher nicht nachvollziehbar. Schließlich sei der Beklagten zu 1) nicht zuzurechnen, dass die Klägerin unter Umständen an einer besonderen Migräneanfälligkeit leide.

Mit Beweisbeschluss vom 05.10.2010 (Bl. 37 ff.) wurde die Einholung von technischen und medizinischen Gutachten veranlasst.

Der Sachverständige Dipl.-Ing. … erstellte das technische Gutachten am 13.01.2013 (Bl. 58-64 der Akte). Durch den Sachverständigen … wurde das rechtsmedizinische Gutachten am 07.06.2013 erstellt (Bl. 91-98 der Akte).

In der mündlichen Verhandlung vom 11.04.2014 wurde die Klägerin informatorisch gehört und die Rechtslage mit den Erschienen ausführlich erörtert.

Wegen der Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nur zum Teil begründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 175,62 EUR sowie Schmerzensgeld in Höhe von 400,00 EUR (§§ 7 StVG, 823, 249 ff., 421 BGB, 115 VVG).

1.

Durch die umfangreiche (und teure) Beweisaufnahme steht fest, dass das Unfallgeschehen nicht dazu geeignet war, die ursprünglich diagnostizierte HWS-Verletzung bei der Klägerin herbeizuführen. Nach den überzeugenden Feststellungen des technischen Sachverständigen betrug der Mittelwert der möglichen Fahrzeugbeschleunigung lediglich 1,65 g und lag damit deutlich unter dem Grenzwert, bei dem entsprechende Verletzungen in der Regel wahrscheinlich sind.

Der Sachverständige Dr. … erläutert in seinem Gutachten, dass die Entstehung von Verletzungen und Krankheitsanzeichen im Bereich der Halswirbelsäule in Folge einer Heckkollision der Überschreitung der individuellen Belastbarkeitsgrenzen des betroffenen Insassen bedürfen. Da diese retrospektive nicht mehr zu ermitteln seien, bediene man sich aus wissenschaftlichen Versuchen gewonnener Erfahrungswerte, die als Grenzbereiche zu verstehen seien. Der Sachverständige schließt auch eine erhöhte Verletzungsanfälligkeit auf Seiten der Klägerin aus.

Allerdings erkennt der Sachverständige, dass die von der Klägerin bei der Erstbehandlung geschilderten Beschwerden ohne Weiteres auf eine Migräne, für die die Klägerin anfällig ist, hinweist. Insoweit war der Verkehrsunfall für die Klägerin so stressbelastet, dass eine plötzliche Änderung im Stressniveau zu einem plötzlichen Migräneanfall geführt hat. In dieser Folge ist auch die Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit für den Sachverständigen nachvollziehbar. Das Gutachten des Sachverständigen schließt mit der Feststellung, dass das streitgegenständliche Unfallerlebnis mit hoher Wahrscheinlichkeit als geeignet angesehen werden muss, der Auslöser für die Migräne zu sein.

2.

Schließlich hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 11.04.2014 zur Überzeugung des Gerichts deutlich gemacht, dass sie unmittelbar nach dem Unfall ganz erheblich in ihrer Gesundheit beeinträchtigt wurde. Sie schilderte auch überzeugend, dass sie im normalen Jahresverlauf frühzeitig bemerken kann, ob eine Migräne auftritt und mit entsprechender Medikamenteneinnahme entgegensteuern kann. Dies war ihr bei dem plötzlichen Unfall nicht möglich. Das Gericht ist überzeugt, dass die von der Klägerin geschilderten Beschwerden zum einen tatsächlich Vorlagen und zum anderen unfallkausal waren.

3.

Aufgrund der erheblichen Gesundheitsbeeinträchtigung sind die von der Klägerin geltend gemachten materiellen Schadensersatzpositionen ohne Weiteres nachvollziehbar. Dabei handelt es sich um Liquidationskosten für den ärztlichen Bericht vom 13.12.2011 (40,22 EUR) um Fahrtkosten (29,40 EUR) und um Zuzählungen beim Arzt und für Medikamente (25,00 EUR). Darüberhinaus kann die Klägerin eine allgemeine Kostenpauschale in Höhe von 25,00 EUR für die mit der Rechtsverfolgung verbundenen Aufwendungen geltend machen.

Der Gesamtbetrag dieser Aufwendungen beläuft sich auf 119,62 EUR.

4.

Darüberhinaus steht der Klägerin auch ein eigener Schadensersatzanspruch wegen Beeinträchtigung in der Führung des Haushalts zu (§ 843 BGB). Dieser Anspruch wird teilweise als Ausgleich für vermehrte Bedürfnisse, teilweise als Erwerbsschaden angesehen. Die Höhe des Ersatzanspruches richtet sich nach Arbeitszeitaufwand und Qualifikation wobei insbesondere auszuführende Tätigkeiten, Größe des Haushalts, Kinderzahl und das Verhältnis zur Erwerbstätigkeit der Geschädigten als Kriterien dienen.

Für einen anerkennenswerten Schaden ist eine konkrete haushaltsspezifische Beeinträchtigung nicht nur unerheblichen Umfangs erforderlich.

Die Klägerin schätzte ihren eigenen Aufwand mit 2 Stunden täglich ein. Insoweit geht das Gericht von einem Ausfall von 14 Stunden in der ersten Krankheitswoche aus. Bei der vom Sachverständigen Dr. T für nachvollziehbar gehaltenen Einschränkung von 50 % schätzt das Gericht gem. § 287 ZPO einen Betrag von 56,00 EUR (7 x 8,00 EUR). Eine mögliche zeitlich weitergehende Einschränkung führt nicht zu einem weiteren Schadensersatz, da es dann den übrigen Familienmitgliedern zumutbar ist, diesen Ausfall zu kompensieren.

5.

Im Hinblick auf die dokumentierten und von der Klägerin glaubhaft geschilderten Verletzungsfolgen hält das Gericht ein Schmerzensgeld in Höhe von 400,00 EUR für billig und gerecht. Schmerzensgeld ist nach § 253 BGB kein gewöhnlicher Schadensersatzanspruch, sondern ein Anspruch eigener Art mit doppelter Funktion. Es soll dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich für diejenigen Schäden bieten, die nicht vermögensrechtlicher Art sind und zugleich dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger dem Geschädigten Genugtuung schuldet für das was er ihm angetan hat. Bei der Feststellung dieser billigen Entschädigung dürfen grundsätzlich alle in Betracht kommenden Umstände des Falles berücksichtigt werden, darunter auch der Grad des Verschuldens des Verpflichteten und die wirtschaftlichen Verhältnisse beider Teile. Dabei hat die Rücksicht auf Höhe und Maß der Lebensbeeinträchtigung (Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen) durchaus im Vordergrund zu stehen, während das Rangverhältnis der übrigen Umstände den Besonderheiten des Einzelfalles zu entnehmen ist (vgl. BGHZ 18, 1149 ff.). Das Gericht berücksichtigt dabei, dass es sich um einen Verkehrsunfall bei fahrlässigem Verhalten der Beklagten zu 1) gehandelt hat. Allerdings ist sehr wohl zu berücksichtigen, dass durch die Beklagte zu 2) die Klägerin trotz der vorliegenden ärztlichen Nachweise quasi als Simulantin hingestellt wurde. Auch die bekannte Migräneanfälligkeit der Klägerin rechtfertigt nicht, ihre Beschwerden, die einer HWS-Distorsion ähneln, zu bagatellisieren. Der Schmerzensgeldbetrag orientiert sich daher an dem Wert der im unteren Bereich einer HWS-Distorsion angemessen wäre.

6.

Die Beklagten waren mit Ablauf der im Schreiben vom 17.01.2012 gesetzten Frist, also ab 01.02.2012 mit der Zahlung in Verzug. Sie haben daher den berechtigten Anspruch mit dem gesetzlichen Zinssatz zu verzinsen (§§ 286, 288,247 BGB).

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7.

Die über den Betrag von 575,62 EUR hinausgehende Klage war abzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708Nr. 11, 711 ZPO.

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