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Verkehrsunfall – Schmerzensgeld wegen posttraumatischer Belastungsstörung

Oberlandesgericht Brandenburg – Az.: 12 U 119/18 – Urteil vom 06.06.2019

1. Die Berufung der Beklagten gegen das am 08.06.2018 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder), Az. 12 O 180/16, wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 22.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die am …1968 geborene Klägerin macht Schadensersatz und Schmerzensgeld nach einem Verkehrsunfall geltend.

Am 01.08.2015 befuhr die Klägerin zusammen mit dem Mitfahrer S… Sch… mit ihrem Kleintransporter die L … aus Richtung R… kommend in Richtung E…. Auf ihrer Fahrspur entgegen kam das bei der Beklagten versicherte Fahrzeug, das von Herrn U… geführt wurde. Es kam zur Kollision. Die Beklagte räumt ihre Einstandspflicht für die unfallkausalen Schäden ein.

Die Mitnahme in ein Krankenhaus durch den RTW lehnte die Klägerin ab. Zwei Tage nach dem Unfall – einem Montag – stellte sie sich erstmals dem Unfallchirurgen Dr. P… H… L… vor. Dieser stellte im Einzelnen vorgetragene, jedoch insbesondere zur Unfallkausalität bestrittene Beeinträchtigungen fest. In dem am 21.08.2015 von Dipl-med. Schn… durchgeführten MRT sind Wirbelsäulenschäden festgestellt worden, die degenerativer Natur sind.

Seit dem 13.11.2015 befindet sich die Klägerin in neurologischer Behandlung bei Prof. Dr. med. K… J…, sowie durch ihn vermittelt bei der Traumatherapeutin K… M…. Eine Behandlung bei der Psychiaterin Ma… brach sie nach 3 Sitzungen ab.

Die Klägerin, die als Selbständige ein Unternehmen „…“ in Berlin führt, ist seit dem Unfall arbeitsunfähig. Mit Vertrag vom 29.09.2015 hat sie ihre zuvor auf Basis einer geringfügigen Beschäftigung tätigen Tochter für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit mit einem Bruttogehalt von 3.000 € eingestellt.

Mit der Klage macht die Klägerin Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 11.500 € abzgl. gezahlter 3.000 €, Kosten der Heilbehandlung in Höhe von 3.134,14 € sowie Kosten der Einstellung ihrer Tochter als Ersatz für den eigenen Arbeitsausfall für die Monate Oktober bis Dezember 2015 in Höhe von 9.283,08 € geltend. Sie hat behauptet, durch den Unfall leide sie an einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung. Die ebenfalls festgestellten degenerativen Probleme seien im Vorfeld nicht deutlich geworden und nach Dipl.-med. Schn… auch ohne Auswirkungen. Die Arbeitsunfähigkeit resultiere daher allein aus den unfallbedingten körperlichen und psychischen Schäden.

Die Behandlungskosten habe sie allein getragen, da sie nicht krankenversichert gewesen sei. Die Angaben im ärztlichen Bericht vom 08.10.2015 zum Kostenträger seien fehlerhaft. Sie habe lediglich angegeben, Privatpatientin zu sein.

Die Beklagte hat unfallbedingte körperliche und psychische Beeinträchtigungen bestritten. Auch die Unfallbedingtheit der Krankschreibung werde bestritten. Diese beruhten vielmehr auf den degenerativen Prozessen. Bzgl. der Medikamentation bestreitet sie die Aktivlegitimation insoweit, als sie behauptet, die Klägerin sei bei der A… AG krankenversichert. Zudem seien die Verordnungen auch hier wegen der degenerativen Prozesse erfolgt. Rohypnol sei ein Schlafmittel und deshalb nicht zu erstatten.

Die Beschäftigung der Tochter sei ebenfalls nicht auf den Unfall zurückzuführen. Auch dies sei mit Blick auf die degenerativen Prozesse erfolgt.

Verkehrsunfall - Schmerzensgeld wegen posttraumatischer Belastungsstörung
(Symbolfoto: Bilanol/Shutterstock.com)

Das Landgericht hat nach Einholung eines psychiatrischen Gutachtens der Sachverständigen Dr. med. C… K… sowie deren Anhörung am 08.06.2018 ein Urteil verkündet, mit dem der Klage bei einem noch zu zahlenden Schmerzensgeld von 9.000 € in vollem Umfang stattgegeben wird. Dem Antrag der Beklagten auf Schriftsatznachlass auf das Ergebnis der Anhörung der Sachverständigen hat es unter Hinweis darauf, dass Rechtsausführungen auch nach Schluss der mündlichen Verhandlung zulässig seien, nicht stattgegeben.

In den Gründen hat es ausgeführt, das Bestreiten der Aktivlegitimation der Klägerin für die geltend gemachten Kosten liefe leer, da es Sache der Beklagten sei, das Fehlen zu beweisen. Eine sekundäre Darlegungslast der Klägerin greife nicht, da die Beklagte selbst die nötigen Kenntnisse habe. Die unfallkausale Primärverletzungen habe die Klägerin durch die ärztlichen Atteste nachgewiesen. Die zeitliche Nähe zwischen Unfall und Feststellung sei so naheliegend, dass das Bestreiten der Beklagten nicht ausreiche. Nach der Aussage der Zeugin M… und dem gerichtlichen Sachverständigengutachten stehe auch eine unfallkausale posttraumatische Belastungsstörung fest. Auf die im nicht nachgelassenen Schriftsatz der Beklagten gestellten Fragen bestehe kein Anlass, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen. Denn diese Fragen hätten auch in der Anhörung gestellt werden können. Im Übrigen sei die Wahrscheinlichkeit, dass die Beantwortung der Fragen eine andere Beurteilung begründen würde, gering.

Die geltend gemachten Schäden seien nach dem Maßstab des § 287 ZPO ersatzfähig, da durch ärztliche Atteste nachgewiesen. Auch die Kosten der Anstellung der Tochter der Klägerin beruhten auf dem Unfall und seien deshalb ersatzfähig. Als Schmerzensgeld werde ein Betrag von 12.000 € festgesetzt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Urteil Bezug genommen.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 12.06.2018 zugestellte Urteil am 21.06.2018 Berufung eingelegt und diese am 19.07.2018 begründet. Sie führt aus, das Landgericht habe fehlerhaft den Schriftsatz vom 13.04.2018 nicht berücksichtigt. So sei kein Hinweis auf die Präklusion einer Fristversäumnis nach § 411 Abs. 4 S. 1 ZPO erfolgt. Dadurch sei das Fragerecht der Beklagten abgeschnitten worden. Zudem sei der nicht sachkundigen Partei Gelegenheit zu geben, auf neue und ausführliche Beurteilungen Stellung zu nehmen. Anders könne sie nicht sachgerecht auf sachverständige Feststellungen ausführen. Jedenfalls hätte das Landgericht eine Erklärungsfrist einräumen müssen und diese nicht unter Vorwegnahme des Beweisergebnisses ablehnen dürfen. Auch die lediglich kursorische Stellungnahme der Sachverständigen, die von den Ergänzungsfragen erst wenige Minuten vor der Anhörung Kenntnis erhielt, genüge nicht für eine sachgerechte Auseinandersetzung mit den Fragen.

Bzgl. der Aktivlegitimation treffe die Klägerin die sekundäre Beweislast. Die Beklagte sei gerade nicht der Krankenversicherer und könne daher keine eigenen Erkenntnisse bzgl. des Bestehens einer Krankenversicherung haben.

Fehlerhaft habe das Landgericht die haftungsbegründende Kausalität angenommen. Allein der zeitliche Zusammenhang genüge insoweit nicht. Eine Beweisaufnahme habe im Übrigen allein bzgl. der posttraumatischen Belastungsstörung stattgefunden und sei deshalb noch nicht abgeschlossen.

Die Klägerin hat die Klage im Antrag zu Ziffer 2. mit Zustimmung der Beklagten in Höhe von 931,59 € wegen im Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 09.05.2019 im Einzelnen benannter Behandlungs- und Medikamentenkosten zurückgenommen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 08.06.2018 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung. Dazu, dass sie nicht bei der A… krankenversichert gewesen sei, biete sie Beweis durch Vernehmung des Vorstandes an.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen. Die Akte der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) – Az. 278 Js 27687/15 – war beigezogen.

II.

1.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig. Mit der Behauptung, das Landgericht habe unzureichend Beweis erhoben und den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt, macht sie die fehlerhafte Tatsachenermittlung und Rechtsfehler geltend, auf denen das Urteil beruhen kann.

2.

Die Berufung ist jedoch – nachdem die Klage im Umfang von 931,59 € nebst entsprechenden Zinsen teilweise zurückgenommen wurde – unbegründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz i.H.v. 11.485,63 € und Schmerzensgeld i.H.v. weiteren 9.000,00 € aus §§ 7, 17 StVG, 115 VVG, 1 PflVG, 823, 845 BGB. Sie erlitt bei Betrieb eines bei der Beklagten haftpflichtversicherten Kraftfahrzeuges materiellen und immateriellen Schaden. Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach ist unstreitig.

a)

Hinsichtlich der Unfallfolgen – soweit diese noch Klagegegenstand sind – geht das Landgericht zutreffend und verfahrensfehlerfrei davon aus, dass die Klägerin durch den Unfall eine posttraumatische Belastungsstörung erlitten hat.

Bereits die Zeugin M… hat den psychischen Zustand der Klägerin in ihrer Aussage vor dem Landgericht eindrucksvoll und glaubhaft beschrieben. Danach leide die Klägerin an auf den Autounfall bezogenen Angstträumen und Schlaflosigkeit. Sie sei emotional abgestumpft, kraftlos, zeige starke Vermeidungssymptome und sei durch den Unfall schwerst traumatisiert. Sie habe einen Vollschock erlitten. Auch wenn die Zeugin keine sachverständigen Aussagen zur Unfallkausalität treffen kann, ist ihr Vortrag ein erhebliches Indiz dafür. Ebenfalls spricht die von dem behandelnden Neurologen vorgelegte Behandlungsdokumentation für eine unfallbedingte Neurose, die über einen bloßen zeitlichen Zusammenhang hinausgeht. So beschreibt er in seiner ärztlichen Stellungnahme vom 03.07.2016, die Klägerin habe bei dem Unfall neben Schnittverletzungen und Prellungen einen Schock und Todesängste erlitten. Seitdem erlebe sie den Unfall durch „Flashes“ immer wieder. Dadurch sei eine posttraumatische Belastungsstörung entstanden, in deren Folge sie antriebs- und energielos sei und sich auf nichts konzentrieren könne. Der Unfall sei eindeutig das allein ausschlaggebende auslösende Ereignis gewesen. Diese Indizien münden letztlich in das gerichtliche Sachverständigengutachten, nach dessen in sich schlüssigen und nachvollziehbaren Feststellungen, denen sich der Senat in vollem Umfang anschließt, die Klägerin ein Unfalltrauma erlebt hat, das zu einer posttraumatischen Belastungsstörung und Depression geführt hat. Die Sachverständige Dr. med. C… K… hat in ihrem psychiatrischen Gutachten vom 10.08.2017 nach einer eingehenden Exploration der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung gemäß DSM IV (SKID-II), eine mittelgradige Depression sowie ein Schmerzsyndrom linke Schulter bestätigt und führt diese mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf den Verkehrsunfall am 01.08.2015 zurück. Die Gesamtschau der zeitlichen Entwicklung, der Feststellungen der behandelnden Ärzte und die ausführliche Stellungnahme der Sachverständigen auch auf die Fragen der Beklagten in der Anhörung am 20.02.2018 geben hierbei – wie auch das Landgericht, auf dessen Ausführungen ergänzend verwiesen wird, zutreffend ausgeführt hat – keinen Anlass zu Zweifeln.

Die Anhörung der Sachverständigen war auch nicht deshalb verfahrensfehlerhaft und das Ergebnis etwa nicht verwertbar, weil sie von den im Schriftsatz der Beklagten vom 12.09.2017 gestellten umfassenden Fragen erst 10 Minuten vor dem Termin Kenntnis erlangte. Zu keiner der gestellten Fragen hat die Sachverständige auch nur angedeutet, nicht aussagefähig zu sein. Die Fragestellungen wurden im Termin abgearbeitet und von der Sachverständigen vorbehaltlos und umfassend beantwortet. So sei ein Vorerkrankungsverzeichnis deshalb nicht erforderlich gewesen, weil sich in der Anamnese kein entsprechender Anhalt für eine Behandlung ergeben habe. Dies entspricht darüber hinaus der Aktenlage. Auch die noch immer offene Frage der „Nahtoderfahrung“ bzw. ob ein mehrfaches Überschlagen des Transporters erfolgte, spielt nach Aussage der Sachverständigen in objektiver Sicht keine Rolle, da für die Beurteilung maßgebend die Wahrnehmung der Klägerin sei. Auch insoweit wird ergänzend auf die zutreffenden Entscheidungsgründe Bezug genommen.

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Daher war es mit Blick auf den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör auch nicht zu beanstanden, dass das Landgericht die Beweisaufnahme bzgl. der psychischen Schäden mit der Anhörung abgeschlossen hat. Die Beklagte hat im Rahmen der ihr eröffneten Möglichkeiten zum schriftlichen Gutachten Stellung genommen. Die daraus resultierenden Fragen wie auch weitere Fragen konnte sie in der Anhörung an die Sachverständige stellen. Einen Anspruch auf ein schriftliches Ergänzungsgutachten besteht nicht. Dies entspricht dem Grundsatz der Mündlichkeit der Verhandlung, wie er auch in § 411 Abs. 3 S. 1 ZPO zum Ausdruck kommt.

Unerheblich ist ferner der Einwand der Berufung, das Landgericht habe keine Frist gemäß § 411 Abs. 4 ZPO gesetzt, der Schriftsatz vom 13.04.2018 könne schon deshalb nicht verspätet sein. Denn der Schriftsatz ist nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangen. Dessen Zulässigkeit richtet sich deshalb nach § 296a ZPO und nicht nach § 411 ZPO.

Es bestand für das Landgericht auch kein Anlass, den beantragten Schriftsatznachlass zu gewähren oder die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes gebietet es der Grundsatz der Waffengleichheit – jedenfalls in Arzthaftungssachen – dann, wenn der Sachverständige vor seiner mündlichen Anhörung noch kein gründliches schriftliches Gutachten erstattet hat oder das mündlich erstattete Gutachten gegenüber dem früheren schriftlichen neue und ausführlichere Beurteilungen enthält, auf Antrag den Parteien Gelegenheit zu geben, auch sachliche Einwendungen gegen das Gutachten oder die Fachkunde des Gutachters zu erheben (BGH, Urteil vom 31. Mai 1988 – VI ZR 261/87 –, Rn. 11, juris). So liegt der Fall hier jedoch nicht. Unabhängig davon, dass kein Arzthaftungsprozess vorliegt und eine Partei gegenüber der anderen mit Blick auf den Grundsatz der Waffengleichheit keine besondere Fachkunde mitbringt, liegt hier bereits ein schriftliches Gutachten vor, das sich sehr eingehend mit den Beweisfragen befasst. Die Beklagte hat in der Folge auch das ihr zustehende Fragerecht durch die schriftliche Stellungnahme auf das Gutachten und die Anhörung der Sachverständigen genutzt. Es ist nicht zu erkennen oder im Ansatz vorgetragen, dass die Sachverständige neue, bislang nicht erörterte Aspekte in die Bewertung einbezogen hat, die die Beklagte nicht ohne sachverständige Beratung verarbeiten und bewerten, mithin in ihr Fragerecht einbeziehen konnte. Vor diesem Hintergrund war ihr auch ein Schriftsatznachlass nicht zu gewähren. Der – möglicherweise missverständliche – Hinweis des Landgerichts am Ende der Sitzung gibt keinen Anlass, weiteren Sachvortrag und neue Fragen zuzulassen. Das Landgericht hat die Sitzung auch aus Sicht der Beklagten zweifelsfrei geschlossen. Neuer Tatsachenvortrag oder Fragen an die Sachverständige unterliegen deshalb § 296a ZPO. Dies hat auch die Beklagte so erfasst. Denn mit Schriftsatz vom 29.03.2018 hat die Beklagte allein eine „Würdigung der Beweisaufnahme“ angekündigt.

Sowohl die Fragen als auch die Berufung der Beklagten auf die Verletzung rechtlichen Gehörs geben keinen Anlass für einen erneuten Eintritt in die Beweisaufnahme. Für die Berufungsinstanz ist das Vorbringen zwar nicht nach § 531 Abs. 1 ZPO ausgeschlossen, sondern als neues Vorbringen nach § 531 Abs. 2 ZPO zu behandeln (Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, 32. Aufl. 2018, § 296a ZPO, Rn. 3). Unabhängig davon, dass nicht erkennbar wird, warum die Beklagte die (allgemeinen) Fragen nicht bereits in der Anhörung stellen konnte, sind die Fragen durch die Sachverständige – worauf das Landgericht zutreffend hinweist – bereits beantwortet. Einer erneuten Sachverständigenanhörung bedarf es jedenfalls vor diesem Hintergrund nicht mehr.

Danach hat die Beklagte den Nachweis einer auf den Unfall zurückzuführenden posttraumatischen Belastungsstörung geführt, § 286 ZPO. Dabei ist zu berücksichtigen, dass psychische Beschwerden, auch wenn andere Ursachen bei dem Geschädigten mit einfließen, äquivalent kausal auf dem Unfallgeschehen beruhen, wenn sie ohne dieses nicht oder nicht in dem erreichten Ausmaß aufgetreten wären und lediglich eine Mitursache bilden (BGH, Urteil vom 10. Juli 2012 – VI ZR 127/11 – BGH, Urteil vom 26. Januar 1999 – VI ZR 374/97 –, juris). Es kommt mithin nicht darauf an, ob die nicht unfallbedingte Humeruskopfnekrose die psychische Spirale mit unterhält. Dies gilt auch für die Adäquanz. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin aufgrund eines Strebens nach Sicherheit eine Begehrensneurose entwickelt hätte, werden weder von der Beklagten behauptet, noch liegen dazu Anhaltspunkte vor.

Soweit die Beklagte meint, dass es auch bei Versterben der Mutter oder bzgl. der Humeruskopfnekrose zur gleichen Fehlreaktion gekommen wäre, könnte dies zwar unter dem rechtlichen Blickpunkt einer hypothetischen Entwicklung des Schadens oder der überholenden Kausalität Bedeutung gewinnen (BGH, Urteil vom 11. November 1997 – VI ZR 376/96 –, BGHZ 137, 142-153, Rn. 18). Allerdings ist bereits der Vortrag dazu unzureichend. Zudem ist nach den Äußerungen der Sachverständigen in der Anhörung der Krankheitsverlauf durch den Tod der Mutter nicht beeinflusst worden.

b)

Daran, dass die sachverständig festgestellte posttraumatische Belastungsstörung jedenfalls im Schwerpunkt Grund für die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin war, besteht für den Senat nach dem Sachverständigengutachten und den ärztlichen Berichten kein Zweifel, § 287 ZPO. Denn die degenerativen Veränderungen bei der Klägerin waren nach dem Attest des Dr. Schn… vom 24.08.2015 nicht aktiviert und die psychischen Beeinträchtigungen nach den weiteren vorgelegten Unterlagen akut. Die psychischen Beeinträchtigungen sind für die ausgesprochene Arbeitsunfähigkeit damit zumindest als Mitursache unfallkausal. In der Folge sind die der Höhe nach unstreitigen Kosten für die Anstellung der Tochter als ersatzfähiger Schaden jedenfalls für die Monate Oktober bis Dezember 2015 in Höhe von 9.283,08 € (mtl. 3.651,75 € – 557,39 €) anzusehen.

c)

Nach der ärztlichen Dokumentation, insbesondere des Prof. Dr. med. J… (Bl. 95 ff GA) – die Höhe und Zahlung sind nicht bestritten – sind ferner folgende Kosten auf die psychische Behandlung zurückzuführen:

  • 13.11.15 Praxis J… 216,33 €
  • 21.01.16 Rohypnol 15,41 €
  • 11.02.16 Rohypnol 15,41 €
  • 23.02.16 (Escitalopram, Oxazepam) 42,17 €
  • 23.03.16 Pipamperon 22,41 €
  • 11.04.16 Heilpraktikerin M… 586,00 €
  • 17.04.16 MediServ 393,48 €
  • 24.05.16 Venlafaxin, Stangyl     76,34 €
  • 03.06.16 Heilpraktikerin M… 275,00 €
  • 14.06.16 Befundbericht M… 25,00 €
  • 23.06.16 Befundbericht Ma… 25,00 €
  • 28.06.16 Heilpraktikerin M…   510,00 €
  • Summe: 2.202,55 €

Die Kosten für die weiteren Verordnungen/Behandlungen macht die Klägerin nach der teilweisen Klagerücknahme nicht mehr geltend.

Die Kosten sind auch unter dem Gesichtspunkt der Aktivlegitimation erstattungsfähig. Wenn die Beklagte geltend macht, Schadensersatzansprüche der Klägerin seien auf Dritte, insbesondere die Krankenversicherung übergegangen, ist es grundsätzlich an ihr, die Voraussetzungen für einen derartigen Forderungsübergang zu beweisen (vgl. BGH NJW 1956, 912 f. für Forderungsabtretung). Dabei besteht besonders bei Sozialleistungen im Rahmen des § 116 SGB X ein Risiko für die Beklagte. Denn sie kann sich bereits dann nicht auf §§ 412, 407 BGB berufen, wenn ihr bekannt sein musste, dass die Geschädigte sozialversicherungspflichtig war. Andererseits verbleiben, wenn die Klägerin die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht in Anspruch genommen, sondern die Kosten selbst getragen hat und somit feststeht, dass der Sozialversicherer für diesen Krankheitsfall keinerlei Aufwendungen hat, die Ansprüche des Verletzten gegen den Schädiger beim Verletzten. Trägt der Verletzte die Heilbehandlungskosten selbst, so verbleibt ihm auch der Ersatzanspruch gegen den Schädiger; für einen Rechtsübergang ist dann kein Raum (BGH, VersR 1965, 161). So liegt der Fall auch nach dem Vortrag der Beklagten hier. Denn aus dem Vermerk im ärztlichen Attest ergibt sich kein Eintritt einer gesetzlichen Krankenversicherung. Vielmehr findet sich der Vermerk „Privat“. Unabhängig davon, dass der Vermerk auch die Auslegung der Klägerin zulässt, sie sei Privatpatientin und gehe lediglich davon aus, dass die A… als Haftpflichtversicherer für die Kosten aufkommt, ergibt sich daraus keine Kostenübernahme durch Dritte. Mithin kann die Beklagte mit Blick auf §§ 412, 407 BGB Zahlungen bis zum Zeitpunkt der Kenntnis vom Forderungsübergang mit befreiender Wirkung an den bisherigen Gläubiger erbringen (vgl. zum Ganzen KG Berlin, Urteil vom 06. Dezember 2004 – 12 U 28/04 –, Rn. 4, juris). Auch ist die Klägerin ihrer sekundären Darlegungslast nachgekommen, indem sie ausgeführt hat, über keine Krankenversicherung verfügt zu haben. Dies gilt in gleichem Maße nach § 86 VVG.

d)

Bereits die danach festgestellten Verletzungsfolgen rechtfertigen das vom Landgericht in Ansatz gebrachte Schmerzensgeld von 12.000 €.

Ist wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Schadensersatz zu leisten, kann auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden (§ 253 Abs. 2 BGB).

Das Schmerzensgeld verfolgt dabei vordringlich das Ziel, dem Geschädigten einen Ausgleich für die erlittenen immateriellen Schäden zu gewähren und ihm zugleich Genugtuung für das ihm zugefügte Leid zu geben (BGH, NJW 1993, 1531; NZV 2017, 179, beck-online). Für die Bemessung der Schmerzensgeldhöhe sind Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen die wesentlichen Kriterien (vgl. BGHZ 18, 149, 154). Als objektivierbare Umstände sind u.a. maßgebend die Art und Schwere der Verletzungen, das durch diese bedingte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den Verletzten, die Dauer der Arbeitsunfähigkeit und der Grad des Verschuldens des Schädigers (BGH, NJW 1998, 2741, beck-online). Darüber hinaus sind die speziellen Auswirkungen des Schadensereignisses auf die konkrete Lebenssituation des Betroffenen zu berücksichtigen. Auch die beruflichen Folgen der Verletzung, das Alter und ihre Auswirkungen auf die Freizeitgestaltung des Geschädigten sind Faktoren bei der Bestimmung des Schmerzensgeldes. Verlangt die Klägerin für erlittene Körperverletzungen – wie im Streitfall – uneingeschränkt ein Schmerzensgeld, so werden auch alle diejenigen Schadensfolgen erfasst, die entweder bereits eingetreten und objektiv erkennbar waren oder deren Eintritt jedenfalls vorhergesehen und bei der Entscheidung berücksichtigt werden konnte (BGH, Urteil vom 10. Juli 2018 – VI ZR 259/15 –, Rn. 6, juris). Bei der Schmerzensgeldbemessung verbietet sich eine schematische, zergliedernde Herangehensweise. Einzelne Verletzungen bzw. Verletzungsfolgen dürfen nicht gesondert bewertet und die so ermittelten Beträge addiert werden. Vielmehr ist die Schmerzensgeldhöhe in einer wertenden Gesamtschau aller Bemessungskriterien des konkreten, sich an den von der Rechtsprechung sonst bei der Bemessung des Schmerzensgeldes angewandten Maßstäben zu orientieren (BGH, Urteil vom 18. November 1969 – VI ZR 81/68 –, Rn. 33, juris). Die Orientierung an in anderen Fällen von der Rechtsprechung zugebilligten Beträgen ist dabei nicht nur zulässig, sondern wenigstens als Ausgangspunkt auch erforderlich, weil sich eine unmittelbare Relation zwischen einer Geldentschädigung und nur im seelischen Bereich liegenden Beeinträchtigungen nicht gewinnen lässt. Inwieweit alsdann der Tatrichter die früheren Maßstäbe einhält oder – sei es unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Entwicklung, sei es im Zuge einer behutsamen Fortentwicklung der Rechtsprechung – überschreitet, liegt wiederum in seinem pflichtgemäßen Ermessen (BGH, VersR 1970, 281; VersR 1976, 967 f.; VersR 1986, 59).

Die bei der Klägerin bestehende posttraumatische Belastungsstörung rechtfertigt im vorliegenden Fall ein Schmerzensgeld im oberen Bereich vergleichbarer, in der Rechtsprechung entschiedener Fälle, auch wenn auf Seiten des Unfallverursachers lediglich menschliches Versagen und nicht etwa ein vorsätzliches Verhalten zugrunde gelegt werden kann. Der Senat konnte sich im Termin einen persönlichen Eindruck von der noch immer erheblichen psychischen Beeinträchtigung der Klägerin machen, die – und das ergibt sich aus dem gesamten Behandlungsverlauf, der Aussage der Zeugin M… und der Sachverständigen – die Lebensqualität der Klägerin in erheblichem Maße bis hin zur Arbeitsunfähigkeit beeinträchtigen. Der Unfall im Verlauf, der Kollision und den unmittelbaren Kollisionsfolgen ist ein Umstand, der das Leben der Klägerin auf lange Zeit prägt und beeinflusst. Die in der beigezogenen Ermittlungsakte zum Unfall aufgenommenen Fotos belegen dabei die Heftigkeit des Unfalls und machen den weiteren Verlauf wie auch die subjektive Einschätzung der Klägerin, eine Nahtoderfahrung erlitten zu haben, nachvollziehbar. Auch ohne die noch offene Frage, ob durch den Unfall auch körperliche Beschwerden eingetreten sind, ist deshalb das vom Landgericht zugesprochene Schmerzensgeld von 12.000 €, auf das die Beklagte bereits 3.000 € gezahlt hat, angemessen und erforderlich, um der Klägerin einen Ausgleich zu gewähren.

3.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 BGB.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorlagen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Es war keine klärungsbedürftige Frage zu entscheiden, deren Auftreten in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten ist und die deshalb das Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern keine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1, 97 Abs. 1, 269 Abs. 3 ZPO. Die Vollstreckbarkeitsentscheidung folgt aus § 708 Nr. 10 S. 2, 711 ZPO.

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