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Verkehrsunfall – Schmerzensgeldanspruch schweres Schädel-Hirn-Trauma und PTBS

Das Kammergericht Berlin hat in seinem Urteil vom 23. August 2023 die Beklagte verurteilt, an die Klägerin ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 200.000 Euro zu zahlen, nachdem die Klägerin bei einem Verkehrsunfall 2016 schwerste Verletzungen erlitten hatte. Die Entscheidung folgte einer umfassenden Abwägung der Verletzungen und langfristigen Auswirkungen auf die Lebensführung der Klägerin. Die Beklagte muss zudem verschiedene weitere Zahlungen leisten, um den fortlaufenden Bedarf der Klägerin zu decken.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 25 U 141/19

✔ Kurz und knapp


  • Schweres Schädel-Hirn-Trauma sowie andere schwerste Verletzungen der Klägerin mit dauerhaften Folgen wie posttraumatisches Psychosyndrom, kognitive Defizite, Verhaltensauffälligkeiten, chronisches Schmerzsyndrom und Funktionseinschränkungen rechtfertigen ein höheres Schmerzensgeld von 300.000 €.
  • Anerkennung eines Haushaltsführungsschadens auch für ein im elterlichen Haushalt lebendes Kind mit angemessenem Stundensatz von 10,82 €.
  • Pflegeschaden laut Gutachten mit wöchentlichem Pflegebedarf von mindestens 36 Stunden anzusetzen mit Stundensatz von 12 €.
  • Fahrtkosten zur Ergo-/Physiotherapie, Fuß-/Handpflege sowie weiteren Ärzten mit 0,30 €/km zu erstatten.
  • Zuzahlungen für Medikamente und Erwerbsschaden nach Studienabschluss als Ärztin zu ersetzen.
  • Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Schmerzensgeldrente, Haushalts- und Pflegeschadensrente sowie Rente für erhöhte Kosten.

Schmerzensgeld nach Verkehrsunfall: Hohe Entschädigung für schwere Verletzungen

PTBS nach Verkehrsunfall
(Symbolfoto: EugeneEdge /Shutterstock.com)

Verkehrsunfälle gehören leider zum Alltag auf unseren Straßen und können für die Betroffenen schwerwiegende Folgen haben. Insbesondere bei Unfällen mit Personenschäden stehen Geschädigte oft vor der Herausforderung, ihre Rechte geltend zu machen und eine angemessene Entschädigung zu erhalten. Ein zentraler Aspekt ist dabei der Anspruch auf Schmerzensgeld, der je nach Schwere der Verletzungen erhebliche finanzielle Leistungen umfassen kann.

Neben körperlichen Verletzungen können Verkehrsunfälle auch zu psychischen Traumata wie einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) führen. Solche Folgeschäden müssen ebenfalls bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt werden. Zudem können weitere finanzielle Ansprüche, etwa auf Ersatz von Pflegekosten oder Verdienstausfällen, entstehen.

Um Betroffene bei der Durchsetzung ihrer Rechte zu unterstützen, ist es wichtig, die rechtlichen Grundlagen und gängige Rechtsprechung zu kennen. Im Folgenden wird ein konkretes Gerichtsurteil zu einem Verkehrsunfall mit schweren Folgen für die Geschädigte analysiert und die wesentlichen Erkenntnisse zusammengefasst.

Unfallfolgen rechtlich bewältigen

Verkehrsunfälle mit schweren Folgen wie ein Schädel-Hirn-Trauma oder PTBS stellen nicht nur eine enorme emotionale, sondern auch rechtliche Belastung dar. Unsere Expertise in Schmerzensgeldansprüchen und Verkehrsrecht ermöglicht es uns, Ihre Rechte umfassend zu verteidigen und die Ihnen zustehende Entschädigung sicherzustellen. Nehmen Sie Ihre Zukunft in die Hand und lassen Sie uns gemeinsam eine unverbindliche Ersteinschätzung Ihrer Situation vornehmen. Dies könnte der entscheidende Schritt sein, um Ihre rechtlichen Herausforderungen effektiv zu bewältigen.

✔ Der Fall vor dem Kammergericht Berlin


Detaildarstellung des Unfallereignisses und der Beteiligten

Am 14. Januar 2016 ereignete sich ein schwerer Verkehrsunfall, bei dem die Klägerin, geboren am 21. Oktober 1998 und zum Unfallzeitpunkt Fahrerin eines Leichtkraftrads, schwerste Verletzungen erlitt. Das Fahrzeug, welches in den Unfall involviert war, wurde von einem Fahrer gelenkt, der bei der Beklagten versichert war. Die Schuldfrage bezüglich des Unfalls war zwischen den Parteien nicht umstritten; die Haftung der Beklagten wurde zu 100 % anerkannt. Die Klägerin erlitt durch den Unfall ein schweres Schädel-Hirn-Trauma sowie eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), was den Grundstein für die nachfolgende rechtliche Auseinandersetzung legte. Die rechtliche Herausforderung in diesem Fall lag insbesondere in der Bewertung des immateriellen Schadens sowie der daraus resultierenden Schmerzensgeldansprüche und der weiteren materiellen Ansprüche der Klägerin.

Urteilsbegründung und gerichtliche Feststellungen

Das Kammergericht Berlin fällte am 23. August 2023 ein Urteil, welches das ursprünglich am 27. August 2019 vom Landgericht Berlin erlassene Urteil teilweise abänderte. Die Beklagte wurde verurteilt, an die Klägerin zusätzlich zu bereits geleisteten 100.000 Euro ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 200.000 Euro sowie diverse andere Zahlungen zu leisten, die verschiedene Aspekte der Schadensregulierung abdeckten. Diese Entscheidung folgte einer umfassenden Abwägung der Schwere der Verletzungen der Klägerin, ihres daraus resultierenden Leidens und der langfristigen Auswirkungen auf ihre Lebensführung. Das Gericht stützte sich dabei auf vorhergehende Feststellungen und Gutachten, die die erheblichen und dauerhaften Beeinträchtigungen der Klägerin dokumentierten.

Spezifische Verpflichtungen und Zahlungsanordnungen

Neben dem Schmerzensgeld wurden spezifische Zahlungsverpflichtungen festgelegt, um den fortlaufenden Bedarf der Klägerin zu decken. Dazu gehörten die Zahlung einer Pflegeschadensrente von monatlich 1.495,30 Euro und eine Rente für unfallbedingte Zusatzkosten bei Medikamenten und Fahrkosten in Höhe von 908,04 Euro pro Quartal. Des Weiteren wurde festgestellt, dass die Beklagte ab Januar 2024 Erwerbsschäden der Klägerin, basierend auf ihrem Berufsbild einer Assistenzärztin und später als Funktionsoberärztin, zu ersetzen hat. Diese finanziellen Leistungen reflektieren den umfassenden und langfristigen Schaden, der durch den Unfall entstanden ist.

Kostenverteilung und Rechtsmittel

Das Gericht entschied auch über die Kostenverteilung des Rechtsstreits. Von den Kosten der ersten Instanz trägt die Klägerin ein Siebtel und die Beklagte sechs Siebtel. Im Berufungsverfahren wurden die Kosten zwischen Klägerin und Beklagter im Verhältnis 1:3 aufgeteilt. Die Entscheidung des Gerichts ist vorläufig vollstreckbar, wobei beiden Parteien die Möglichkeit gegeben wird, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung abzuwenden. Die Revision wurde nicht zugelassen, was die Endgültigkeit der Entscheidung unterstreicht und den Parteien die rechtliche Grenze ihrer Auseinandersetzung aufzeigt. Der festgesetzte Streitwert für das Berufungsverfahren beläuft sich auf bis zu 700.000 Euro, was die finanzielle und materielle Bedeutung des Falles hervorhebt.

✔ Die Schlüsselerkenntnisse in diesem Fall


Das Kammergericht Berlin hat entschieden, dass der Klägerin aufgrund der Schwere ihrer Verletzungen und der daraus resultierenden langfristigen Folgen ein Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 300.000 Euro zusteht. Die Entscheidung verdeutlicht, dass bei der Bemessung des Schmerzensgeldes die Gesamtheit der Umstände, insbesondere die Schwere und Dauer der Beeinträchtigungen, maßgeblich sind.

Darüber hinaus statuiert das Urteil die Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz weiterer materieller Schäden, darunter eine Pflegeschadensrente, eine Rente für unfallbedingte Mehrkosten sowie den Ersatz des Erwerbsschadens. Dies unterstreicht den Grundsatz der umfassenden Schadensregulierung im Rahmen der Haftung für Verkehrsunfälle.

✔ FAQ – Häufige Fragen: Verkehrsunfall-Entschädigung


Wie wird Schmerzensgeld nach einem Verkehrsunfall berechnet?

Die Berechnung von Schmerzensgeld nach einem Verkehrsunfall in Deutschland basiert nicht auf einer festen Formel, sondern erfolgt individuell und berücksichtigt eine Vielzahl von Faktoren. Entscheidend sind die Schwere der Verletzungen, die Dauer der Genesung, mögliche dauerhafte Beeinträchtigungen und die Auswirkungen auf die Lebensqualität des Geschädigten.

Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) sieht in § 253 einen immateriellen Schuldanspruch vor, der als Schmerzensgeld bekannt ist. Dieses ergänzt den materiellen Schadensersatz und zielt darauf ab, nicht vermögensrechtliche Schäden auszugleichen. Die Höhe des Schmerzensgeldes wird von Gerichten festgelegt und kann erheblich variieren, abhängig von den spezifischen Umständen des Einzelfalls.

Bei der Festlegung des Schmerzensgeldes werden unter anderem folgende Aspekte berücksichtigt:

  • Art und Schwere der Verletzungen: Je schwerwiegender die Verletzungen, desto höher ist in der Regel das Schmerzensgeld.
  • Dauer der medizinischen Behandlung und Genesung: Langwierige und intensive Behandlungen können zu einem höheren Schmerzensgeld führen.
  • Dauerhafte Beeinträchtigungen: Dauerhafte körperliche oder psychische Schäden, die die Lebensqualität und Erwerbsfähigkeit des Geschädigten beeinträchtigen, werden besonders berücksichtigt.
  • Psychische Folgen: Auch psychische Folgen eines Unfalls, wie eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), können zu einem Anspruch auf Schmerzensgeld führen.

Schmerzensgeldtabellen, die Urteile und in der Vergangenheit gezahlte Entschädigungen enthalten, können als Orientierungshilfe dienen, ersetzen jedoch nicht die individuelle Beurteilung durch ein Gericht. Es ist wichtig zu betonen, dass jeder Fall individuell betrachtet wird und die Höhe des Schmerzensgeldes maßgeblich von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängt.

In Fällen schwerer Verletzungen, wie einem Schädel-Hirn-Trauma, können die Schmerzensgeldbeträge besonders hoch ausfallen, da solche Verletzungen oft langfristige oder dauerhafte Auswirkungen auf die Lebensführung des Geschädigten haben.


Welche weiteren Ansprüche können neben dem Schmerzensgeld geltend gemacht werden?

Neben dem Schmerzensgeld können Geschädigte nach einem Verkehrsunfall in Deutschland verschiedene weitere Ansprüche geltend machen, die darauf abzielen, die finanziellen und persönlichen Folgen des Unfalls zu kompensieren. Diese Ansprüche umfassen:

  • Heilbehandlungskosten: Geschädigte haben Anspruch auf die Erstattung der Kosten für medizinische Behandlungen, die notwendig sind, um die Gesundheit wiederherzustellen oder zu verbessern. Dazu gehören Kosten für ärztliche Behandlungen, Krankenhausaufenthalte, Medikamente, und auch für notwendige Rehabilitationsmaßnahmen.
  • Verdienstausfall: Wenn ein Unfallopfer aufgrund der Verletzungen vorübergehend oder dauerhaft nicht arbeiten kann, besteht ein Anspruch auf Ersatz des entgangenen Verdienstes. Dieser Anspruch setzt voraus, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem Verdienstausfall besteht.
  • Haushaltsführungsschaden: Wenn Verletzungen aus dem Unfall dazu führen, dass das Opfer seinen Haushalt nicht mehr wie gewohnt führen kann, können Kosten für eine Haushaltshilfe geltend gemacht werden.
  • Pflegekosten: Bei schweren Verletzungen, die eine dauerhafte Pflegebedürftigkeit nach sich ziehen, können Kosten für professionelle Pflegedienste oder für die Anschaffung von Pflegehilfsmitteln gefordert werden. Dies schließt auch das Pflegegeld ein, das zur Deckung allgemeiner Pflegebedürfnisse dient.
  • Kosten für behindertengerechte Umbauten: Wenn aufgrund der Unfallverletzungen Umbauten in der Wohnung oder am Fahrzeug des Geschädigten notwendig werden, können die hierfür anfallenden Kosten ebenfalls als Schadensposition geltend gemacht werden.
  • Schadensersatz für zerstörte oder beschädigte Gegenstände: Dies umfasst beispielsweise die Reparatur oder den Ersatz eines beschädigten Fahrzeugs und anderer persönlicher Gegenstände.
  • Moralischer Schaden: In bestimmten Fällen kann auch ein Anspruch auf Entschädigung für seelische Leiden bestehen, die durch den Unfall verursacht wurden, wie beispielsweise bei einem Schockschaden.

Diese Ansprüche sind jeweils abhängig von den spezifischen Umständen des Einzelfalls und erfordern oft detaillierte Nachweise über die entstandenen Kosten und den Zusammenhang mit dem Unfall. Es ist daher empfehlenswert, zur Durchsetzung dieser Ansprüche rechtliche Unterstützung in Anspruch zu nehmen.


 

Was versteht man unter posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) und wie beeinflusst diese den Schmerzensgeldanspruch?

Eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist eine psychische Erkrankung, die nach dem Erleben oder dem Bezeugen von extrem belastenden, bedrohlichen oder katastrophalen Ereignissen auftreten kann. Typische Symptome einer PTBS umfassen wiederkehrende, ungewollte und belastende Erinnerungen an das Ereignis, Albträume, Flashbacks, starke psychische Belastungen bei Konfrontation mit Erinnerungen an das Trauma, Vermeidung von Situationen, die Erinnerungen an das Trauma hervorrufen könnten, sowie anhaltende negative Veränderungen in Gedanken und Stimmung.

Die Diagnose einer PTBS erfolgt in der Regel durch Fachpersonal auf Basis der klinischen Symptomatik und der Anamnese des Betroffenen. Die Behandlung kann Psychotherapie, medikamentöse Therapie oder eine Kombination aus beidem umfassen, abhängig von der Schwere der Symptome und den individuellen Bedürfnissen des Patienten.

Einfluss der PTBS auf den Schmerzensgeldanspruch

Die Auswirkungen einer PTBS auf den Schmerzensgeldanspruch sind signifikant, da sie eine erhebliche Beeinträchtigung der Lebensqualität darstellen kann. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes werden psychische Folgen eines Unfalls, wie eine PTBS, explizit berücksichtigt. Dies geschieht unter der Prämisse, dass das Schmerzensgeld nicht nur physische Verletzungen, sondern auch psychische und emotionale Schäden abdecken soll.

Die Anerkennung einer PTBS als Folge eines Verkehrsunfalls und deren Einfluss auf die Höhe des Schmerzensgeldes hängt von mehreren Faktoren ab, darunter:

  • Die Schwere der PTBS und wie sie das tägliche Leben des Betroffenen beeinträchtigt.
  • Die Notwendigkeit und Dauer der therapeutischen Behandlung.
  • Das Ausmaß, in dem die PTBS die Arbeitsfähigkeit, soziale Beziehungen und allgemeine Lebensführung des Betroffenen beeinflusst.

Gerichte berücksichtigen diese Faktoren bei der Festlegung des Schmerzensgeldes, um sicherzustellen, dass die Entschädigung die tatsächlichen Auswirkungen der Verletzung auf das Leben des Geschädigten widerspiegelt. In Fällen, in denen eine PTBS diagnostiziert wird, kann dies zu einer erheblichen Erhöhung des Schmerzensgeldanspruchs führen, um den umfassenden psychischen und emotionalen Schaden angemessen zu kompensieren.


§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils


  • § 253 Abs. 2 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch): Regelung des Anspruchs auf Schmerzensgeld im deutschen Zivilrecht. Schmerzensgeld dient dazu, immaterielle Schäden auszugleichen. Im vorliegenden Fall spielt dieser Paragraph eine zentrale Rolle, da die Klägerin aufgrund der erlittenen schweren körperlichen und psychischen Verletzungen Schmerzensgeld fordert. Der Paragraph ermöglicht die finanzielle Kompensation für Schmerzen und Leiden, die nicht in direktem monetären Schaden ausgedrückt werden können.
  • § 823 BGB: Regelt die Schadensersatzpflicht bei Verletzung des Körpers oder der Gesundheit. Dies ist relevant, da die Klägerin durch den Unfall körperliche Schäden erlitten hat, die eine Schadensersatzforderung nach sich ziehen. Der Paragraph bildet die rechtliche Grundlage für die Haftung bei Personenschäden im Rahmen von Verkehrsunfällen.
  • § 287 ZPO (Zivilprozessordnung): Regelung zur Schadensschätzung im Zivilprozess. Dieser Paragraph wird herangezogen, um die Höhe des Schadens in Fällen zu schätzen, wo direkte Berechnungen schwierig oder unmöglich sind, wie bei Schmerzensgeldforderungen nach Verkehrsunfällen mit komplexen Verletzungsmustern.
  • § 249 BGB: Bestimmt, dass der Schädiger den Zustand wiederherstellen muss, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Im Kontext des Falles bedeutet dies, dass die Beklagte verpflichtet ist, alle Kosten zu tragen, die zur Wiederherstellung der Gesundheit und Lebenssituation der Klägerin nötig sind, einschließlich Pflegekosten und Kosten für zusätzliche medizinische Behandlungen.
  • TV-Ärzte VKA (Tarifvertrag für Ärzte an kommunalen Krankenhäusern): Spezifiziert die Gehaltsstrukturen für Ärzte im öffentlichen Dienst. In diesem Fall relevant für die Berechnung der zukünftigen Erwerbsschäden der Klägerin, die als Assistenzärztin und später als Funktionsoberärztin tätig sein wird. Der Tarifvertrag liefert die Grundlage zur Ermittlung des Verdienstausfalls aufgrund der unfallbedingten Berufsunfähigkeit der Klägerin.


⬇ Das vorliegende Urteil vom Kammergericht Berlin

KG Berlin – Az.: 25 U 141/19 – Urteil vom 23.08.2023

Das am 27. August 2019 verkündete Urteil der Zivilkammer 45 des Landgerichts Berlin wird teilweise abgeändert und unter Zurückweisung der jeweiligen Rechtsmittel der Parteien im Übrigen wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von weiteren 200.000 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2. März 2016 zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 38.604,81 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10. Mai 2016 zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ab 1. April 2019 eine vierteljährlich im Voraus zu leistende Pflegeschadensrente in Höhe von 1.495,30 € jeweils zum 1. Januar, 1. April, 1. Juli und 1. Oktober eines jeden Jahres zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ab dem 1. April 2019 eine vierteljährlich im Voraus zu leistenden Rente für unfallbedingte Zusatzkosten bei Medikamenten und unfallbedingten Fahrkostenmehrbedarf in Höhe von 908,04 € jeweils zum 1. Januar, 1. April, 1. Juli und 1. Oktober eines jeden Jahres zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab dem 1. Januar 2024 ihre Erwerbsschäden auf Basis des Berufsbildes einer Assistenzärztin und ab dem 1. Januar 2030 auf Basis des Berufsbildes einer Funktionsoberärztin (Facharzt) nach dem Tarifvertrag für Ärzte und Ärztinnen an kommunalen Krankenhäusern im öffentlichen Dienst (TV – Ärzte VKA) zu ersetzen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits der ersten Instanz haben die Klägerin 1/7 und die Beklagte 6/7 zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin zu 1/4 und die Beklagte zu 3/4 zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, sofern nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf bis zu 700.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die am 21.10.1998 geborene Klägerin macht gegen die Beklagte Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche auf Grund eines Unfalls vom 14.01.2016 geltend, den sie als Fahrerin eines Leichtkraftrads erlitt. Der Verschuldensanteil des Fahrers des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs und die Haftung der Beklagten zu 100 % dem Grunde nach sind unstreitig.

Die Klägerin erlitt bei dem Unfall schwerste Verletzungen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Die Beklagte hat vorprozessual 50.000 € und im Laufe des Prozesses weitere 50.000 € Schmerzensgeldzahlungen an die Klägerin geleistet.

Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben.

Es hat ein Schmerzensgeld in Höhe von 250.000 € für angemessen gehalten und die Beklagte zur Zahlung von weiteren 150.000 € Schmerzensgeld verurteilt.

Des Weiteren hat das Landgericht die Auffassung vertreten, dass auch einem im elterlichen Haushalt lebenden Kind grundsätzlich ein Haushaltsführungsschaden entstehen kann. Als Stundensatz hat es einen Betrag in Höhe von 8 € für angemessen gehalten.

Beim Anspruch auf Ersatz eines Pflegeschadens hat das Landgericht lediglich einen Aufwand in Höhe von 20 Wochenstunden für schlüssig erachtet, der sich aus den eigenen Angaben der Eltern gegenüber dem MDK ergebe. Insoweit sei ein Stundensatz in Höhe von 9 € als angemessen zu betrachten, dieser richte sich nach dem Nettolohn einer vergleichbaren entgeltlich eingesetzten Pflegekraft.

Auch die Erstattung der Fahrkosten hat das Landgericht grundsätzlich als erstattungsfähig angesehen, jedoch nur die Fahrten zum Psychologen, zur Handspezialistin beim UKB und zum Hausarzt als ausreichend vorgetragen angesehen. Dabei sei eine Kilometerpauschale von 0,30 € entsprechend § 5 Abs. 2 Nr. 1 JVEG anzusetzen. Die weiteren Kosten seien mangels Angabe der Anschriften nicht nachzuvollziehen.

Die Kosten für Zuzahlungen für Medikament seien grundsätzlich als vermehrte Bedürfnisse erstattungsfähig, jedoch seien die Zuzahlungen nur teilweise schlüssig vorgebracht und stünden nicht in Übereinstimmung mit dem festgestellten Umfang in den Entlassungsberichten des Krankenhauses und dem gerichtlich eingeholten Gutachten.

Bei der Berechnung der vorgerichtlichen Anwaltskosten sei eine Gebühr von 2,3 als angemessen zu betrachten. Allerdings habe die Klägerin einen unzutreffenden Gegenstandswert zugrunde gelegt.

Die Klägerin habe auch einen Anspruch auf Erstattung ihres Erwerbsschadens. Dieser sei nach dem Vortrag der Klägerin schlüssig mit dem Verdienst auf Grundlage eines abgeschlossenen Medizinstudiums vorgetragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Gegen diese Entscheidung, welche der Klägerin am 26.09.2019 und der Beklagten am 27.09.2019 zugestellt worden ist, haben die Klägerin am 23.10.2019 und die Beklagte am 28.10.2019 Berufung eingelegt und diese nach entsprechender Fristverlängerung am 27.12.2019 bzw. 11.12.2019 im Einzelnen begründet.

Die Berufung der Klägerin richtet sich gegen das Urteil im Umfang der Klageabweisung. Die Klägerin ist der Auffassung, dass angesichts der Verletzungsfolgen ein weiterer Schmerzensgeldbetrag in Höhe von 50.000 € – also insgesamt 300.000 € – angemessen sei.

Beim Haushaltsführungsschaden sei ein Betrag in Höhe von 10,82 € pro Stunde anzusetzen. Bei der Berechnung der Haushaltsführungsschadensrente liege ein Rechenfehler des Landgerichts vor, denn ein Quartal umfasse 13 Wochen und nicht 12 Wochen.

Bei der Darlegung des Pflegeaufwandes sehe das Landgericht zu Unrecht Widersprüchlichkeiten. Denn die Klägerin habe ihren Aufwand (geltend gemacht mit Klageerweiterung vom 4.3.2019) anhand des tatsächlichen Aufwands geltend gemacht. In jedem Falle hätte es eines Hinweises des Landgerichts bedurft. Im Übrigen habe der MDK einen Aufwand von „wenigstens 10 Stunden, verteilt auf mindestens 2 Tage“ ermittelt. Der Stundensatz sei mit 12 € zu bemessen, denn für 9 € sei eine Pflegekraft nicht zu bekommen. Bei der Rente sei wiederum von 13 Wochen pro Quartal auszugehen.

Auch der Ersatz für die weiteren Fahrtkosten für Ergo – und Physiotherapie sowie Hand – und Fußpflege sei ausreichend substantiiert vorgetragen, die Behandler würden sich in 5 km Entfernung befinden. Diese Angabe reiche für eine Schadensschätzung nach § 287 ZPO aus.

Die Berechnung des Landgerichts zu den Zuzahlungen für Medikament sei nicht nachvollziehbar, offensichtlich sei die Zuzahlung in Höhe von 24 € nur für einen Monat berechnet.

Bei den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sei der Gegenstandswert mit 330.000 € zutreffend in Ansatz gebracht worden. Weiteren Vortrag zur Behauptung, dass die Rechtsschutzversicherung die Klägerin zur Geltendmachung ermächtigt habe, sei nicht notwendig.

Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des am 27.08.2019 verkündeten Urteils des Landgerichts Berlin die Beklagte zu verurteilen, an sie ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes weiteres Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 50.000 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2.3.2016 zu zahlen,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin weitere 38.931,83 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.05.2019 sowie anteilige vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 4.843,48 € zu zahlen,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ab 01.04.2019 eine weitere, vierteljährlich im Voraus zu leistende Haushaltsführungsschadensrente in Höhe von 675,26 € jeweils zum 1. Januar, 1. April, 1. Juli und 1. Oktober eines jeden Jahres zu zahlen,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ab 1. April 2019 eine weitere, vierteljährlich im Voraus zu leistende Pflegeschadensrente in Höhe von 2.821 € jeweils zum 1. Januar, 1. April, 1. Juli und 1. Oktober eines jeden Jahres zu zahlen und

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ab 1. April 2019 eine weitere, vierteljährlich im Voraus zu leistende Rente für unfallbedingte Zusatzkosten bei Medikamenten und unfallbedingten Fahrkostenmehrbedarf in Höhe von 468,48 € jeweils zum 1. Januar, 1. April, 1. Juli und 1. Oktober eines jeden Jahres zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen und des Weiteren das angefochtene Urteil teilweise abzuändern und die Klage abzuweisen, soweit das Landgericht der Klage zu den Klageanträgen zu 2. bis 6. – also den Schadenspositionen Haushaltsführungsschaden, Pflegeschaden für Vergangenheit und Zukunft, Fahrtkosten und entgangene Verdienste stattgegeben hat.

Die Klägerin beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil im Umfang der Klageabweisung und wiederholt und vertieft ihren Vortrag aus erster Instanz.

Soweit die Beklagte verurteilt worden ist, wendet sie sich gegen die Entscheidung in dem im Antrag beschriebenen Umfang.

Die Berechnung des Haushaltsführungsschadens sei zu beanstanden. Das Landgericht habe sich hier ausschließlich auf die Tabellenwerke gestützt. Es fehle an einer konkreten Darstellung, welche Tätigkeiten die Klägerin im Haushalt übernommen habe. Die Berechnung sei im Übrigen auch rechnerisch nicht nachvollziehbar.

Den Umfang des Pflegeschadens habe die Beklagte mit Nichtwissen bestritten, gleichwohl habe das Landgericht ohne Beweisaufnahme entschieden. Dies sei verfahrensfehlerhaft, denn der Hinweis auf das Gutachten des Medizinischen Dienstes reiche insoweit nicht aus, die Klägerin hätte vielmehr konkret zu den jeweiligen Verrichtungen vortragen müsse.

Die Fahrtkosten seien nur mit 0,25 € pro Kilometer zu vergüten.

Ein Anspruch auf Ersatz des Erwerbsschadens sei nicht schlüssig vorgetragen. Bei der Berechnung nach § 287 ZPO sei zwar naturgemäß eine Prognose anzustellen, es bedürfe aber eines Mindestmaßes an tatsächlichen Anhaltspunkten, die hier fehlten. Insbesondere könne angesichts der Schulnoten der Klägerin nicht davon ausgegangen werden, dass sie die Zulassung zum Medizinstudium hätte erreichen können.

Der Senat hat gemäß Beschluss vom 2. Februar 2022 zur Frage des Pflegeaufwandes Beweis durch Sachverständigengutachten erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen YYY vom 13. Februar 2023 Bezug genommen.

Die Parteien haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erteilt.

II.

Der Senat entscheidet gemäß § 128 Abs. 2 ZPO mit Zustimmung der Parteien ohne weitere mündliche Verhandlungen. Die Rechtsmittel beider Parteien sind gemäß §§ 517, 519, 520 ZPO form – und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig.

Sie haben in der Sache jeweils teilweise Erfolg.

1. Schmerzensgeld

Die Berufung der Klägerin ist begründet, soweit sie die Zuerkennung eines weiteren Schmerzensgeldes begehrt. Ihr steht nach Auffassung des Senats über den bereits zuerkannten Betrag hinaus ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 50.000 € (insgesamt also 300.000 €) zu.

Maßgebend für die Höhe des Schmerzensgeldes sind im Wesentlichen die Schwere der Verletzungen, das durch diese bedingte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den Verletzten und der Grad des Verschuldens des Schädigers. Dabei geht es nicht um eine isolierte Schau auf einzelne Umstände des Falles, sondern um eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls. Diese hat das Gericht zunächst sämtlich in den Blick zu nehmen, dann die fallprägenden Umstände zu bestimmen und diese im Verhältnis zueinander zu gewichten. Dabei ist in erster Linie die Höhe und das Maß der entstandenen Lebensbeeinträchtigung zu berücksichtigen; hier liegt das Schwergewicht. Auf der Grundlage dieser Gesamtbetrachtung ist eine einheitliche Entschädigung für das sich insgesamt darbietende Schadensbild festzusetzen, die sich jedoch nicht streng rechnerisch ermitteln lässt. Diesen Grundsätzen wird die sog. „taggenaue Berechnung“ des Schmerzensgeldes – wie von der Klägerin in der Berufungsbegründung vertreten – nicht gerecht (vgl. BGH MDR 2022, 561, 562).

Bei der Bemessung der Schmerzensgeldhöhe sind vorliegend in erster Linie die erheblichen Verletzungsfolgen für die Klägerin zu berücksichtigen. Sie hat bei dem Unfall u. a. ein schweres Schädel – Hirn – Trauma, eine Oberarmfraktur sowie eine Lungenkontusion erlitten. Als deren Folgen sind u. a. ein posttraumatisches Psychosyndrom mit kognitiven Defiziten, Verhaltensauffälligkeiten und Wesenveränderungen, darüber hinaus ein chronisches Schmerzsyndrom und hochgradige Funktionseinschränkungen des linken Arms zu verzeichnen. Diese Feststellungen lassen sich dem unstreitigen Tatbestand der angefochtenen Entscheidung entnehmen und werden mit der Berufung auch nicht in Frage gestellt.

Der Sachverständige XXX hat in dem erstinstanzlich eingeholten Sachverständigengutachten zu den Verletzungsfolgen (insbesondere Schulunfähigkeit und Sehstörungen mit daraus resultierendem Schwindel) im Einzelnen ausgeführt. Auch diese Feststellungen des Sachverständigen werden in der Berufung von den Parteien nicht in Frage gestellt. Danach ist davon auszugehen, dass die Klägerin vor allem wegen neurologischer/psychologischer Defizite und körperlicher Beeinträchtigung nur sehr eingeschränkt in der Lage sein wird, eine Ausbildung zu realisieren. Sie war zwar in der Lage, das Abitur zu bestehen, dies ist aber nach Meinung des Sachverständigen nur auf Grund einer starken Unterstützung der Schule und Nutzung der Vornoten möglich gewesen. Ohne diese Sonderregelung wäre es aus neurologischer Sicht mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht möglich gewesen, den Abschluss zu bewältigen.

Bei der Schmerzensgeldbemessung hat das Landgericht die wesentlichen Punkte, insbesondere Verletzungsfolgen berücksichtigt. Nach Auffassung des Senats erscheint jedoch auf Grund der erheblichen Verletzungsfolgen eine Erhöhung des Schmerzensgeldes auf insgesamt 300.000 € angemessen. Die gravierenden Verletzungen und deren Folgen sind unstreitig bzw. bewiesen. Insbesondere fällt ins Gewicht, dass die Klägerin als sehr junger Mensch durch die Einschränkungen in ihrer Lebensführung und die Tatsache, dass sie voraussichtlich keine oder nur unter sehr erschwerten Bedingungen eine Ausbildung absolvieren kann, besonders hart getroffen wird. Die in der Berufungsbegründung angeführte Entscheidung des OLG Karlsruhe (NZV 2014, 404) erscheint insoweit durchaus vergleichbar. Vorliegend kommt noch hinzu, dass zu Lasten der Klägerin kein Mitverschuldensanteil zu berücksichtigen ist.

2. Haushaltsführungsschaden

Der Klägerin steht kein Anspruch auf Ersatz eines Haushaltsführungsschadens zu. Die Berufung der Beklagten hat daher Erfolg, soweit sie sich gegen die Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 20.200,32 € sowie einer vierteljährlichen Haushaltsführungsrente in Höhe von 1.451,52 € richtet. Die Berufung der Klägerin, die eine Erhöhung der Rente auf 675,26 € begehrt, bleibt ohne Erfolg.

Als Anspruchsgrundlage zu Gunsten der Klägerin in Betracht kommt hier insoweit nur § 843 Abs. 1 BGB. Soweit die zu leistende häusliche Arbeit dem eigenen Bedarf des Geschädigten dient, geht es um dessen vermehrte Bedürfnisse; soweit die Hausarbeit den Beitrag des Geschädigten zum Familienunterhalt darstellt, handelt es sich um einen Teil seines Erwerbsschadens (vgl. BGH NZV 1998, 456; NZV 1990, 21). Ein Schaden i. S. v. §§ 249, 842, 843 BGB entsteht grundsätzlich nicht bereits durch die Beeinträchtigung der Arbeitskraft als solcher, die für sich genommen gerade keinen ersatzfähigen Vermögenswert darstellt (vgl. BGH NJW – RR 1992, 853; OLG Frankfurt a. M. ZfS 1982, 327; Grüneberg/Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 249 Rndr. 65 m. w. N.).

Soweit es um Haushaltsleistungen der Klägerin im Interesse der übrigen Familienangehörigen geht, wäre ein derartiger Anspruch daher nur begründet, wenn diese Haushaltsleistung als Erwerbsschaden angesehen werden könnte. Das – auch volljährige – Kind ist aber gemäß § 1619 BGB zu entsprechenden Arbeiten verpflichtet. Wird deren Ausübung dem sog. Hauskind unmöglich gemacht, dann folgt das Fehlen eines eigenen Ersatzanspruchs nicht nur begrifflich aus dem Fehlen eines vermögenswerten Schadens, sondern auch aus der Regelung des § 845 BGB, die davon ausgeht, dass ein Schaden dem Kind gerade nicht entsteht (vgl. BGH NJW 1978, 159; OLG Frankfurt VersR 1982, 908; OLG Saarbrücken, Urteil vom 31.3.2009 – 4 U 26/08; Münchener Kommentar/Oetker, § 249 Rndr. 92; Staudinger/Hager, (2015) § 842 BGB Rndr. 145 m. w. N.).

Soweit die Klägerin Hausarbeiten für sich selbst vorgenommen hat, die nunmehr durch andere Familienangehörige durchgeführt werden müssen, entsteht ihr ein Schaden durch vermehrte Bedürfnisse als eigener Schaden. Als solche Tätigkeiten kommen insbesondere die Reinigung ihres Zimmers, die Zubereitung ihrer Mahlzeiten etc. in Betracht. Ein derartiger Schaden wird jedoch durch den gesondert geltend gemachten Pflegeaufwand gedeckt, wie sich auch am Gutachten des Sachverständigen XXX zeigt, in welchem diese Tätigkeiten aufgeführt und berücksichtigt werden.

3. Pflegeschaden

Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Ersatz der vermehrten Bedürfnisse zu, die ihr infolge der unfallbedingten dauernden Beeinträchtigung ihrer Gesundheit entstanden sind (§ 843 Abs. 1 Alt. 2 BGB). Zu den vermehrten Bedürfnissen gehört auch der Betreuungsaufwand naher Angehöriger, der über die üblicherweise im Krankheitsfall zu erwartende persönliche Zuwendung innerhalb der Familie hinausgeht (vgl. BGH VersR 2019, 51 m.w.N.). Die Höhe des zu ersetzenden Schadens richtet sich dabei grundsätzlich nach dem Nettolohn einer vergleichbaren entgeltlich eingesetzten Pflegekraft (vgl. BGH VersR 2019, 51 m.w.N.).

Nach dem Ergebnis des Gutachtens des Sachverständigen XXX vom 13. Februar 2023 ist der Senat davon überzeugt, dass der Pflegeaufwand für die Klägerin wöchentlich 24,5 Stunden beträgt. Der Sachverständige hat den Betreuungsbedarf anhand der Berechnungsgrundlage des SGB XI (Anlage 2 zu § 15 SGB XI) ermittelt und nachvollziehbar dargelegt. Dabei kommt er auf eine notwendige tägliche Betreuungszeit von 3,5 Stunden, mithin 24,5 Stunden in der Woche. Die Beklagte hat sich den Ausführungen des Sachverständigen angeschlossen und hält diesen Pflegebedarf ebenfalls für plausibel. Die Klägerin ist den Feststellungen innerhalb der gesetzten Stellungnahmefrist nicht entgegengetreten.

Der Senat hält für die Berechnung einen Stundensatz von 9,80 € netto für angemessen. Dies entspricht einem Bruttolohn von 14 € pro Stunde. Diesen erachtet der Senat unter Berücksichtigung des Mindestlohns, des Personalmangels im Pflegebereich einerseits und der Art der bei der Klägerin zu leistenden Tätigkeiten andererseits, die sich eher auf die Unterstützung im Alltag beziehen und eine ausgebildete Pflegekraft nicht erfordern, für sachgerecht. Auf die von ambulanten Pflegediensten verlangten Stundensätze kann bereits deshalb nicht abgestellt werden, weil diese nicht nur die Löhne der Pflegekräfte erfassen, sondern auch sonstige Betriebsausgaben sowie Gewinne der entsprechenden Unternehmen. Außerdem bedarf es keiner Pflegefachkraft, wie sich aus den Feststellungen des Sachverständigen XXX zu den erforderlichen Betreuungsleistungen ergibt.

Für den geltend gemachten Zeitraum vom 2.4.2016 bis 31.3.2019 ergibt sich daher folgende Berechnung: 24,5 Stunden x 156 Wochen x 9,80 € = 37.455,60 € abzüglich des erhaltenen Pflegegeldes von 9.217,77 € ergibt einen Betrag in Höhe von 28.237,83 €.

Die Pflegerente berechnet sich darauf basierend wie folgt:

24,5 Stunden x 13 Wochen x 9,80 € abzüglich 1.626 € anzurechnendes Pflegegeld ergibt einen vierteljährlichen Betrag in Höhe von 1.495,30 €.

In diesem Umfang hat die Berufung der Klägerin Erfolg. Die Berufung der Beklagten ist unbegründet.

4. Erstattung von Fahrtkosten und Zuzahlungen, Rechtsanwaltsgebühren

a) Fahrtkosten:

Die Klägerin hat grundsätzlich einen Anspruch auf Erstattung von notwendigen Fahrtkosten aus § 843 Abs. 1 BGB, da die Fahrten zu Behandlungsterminen zu den vermehrten Bedürfnissen gehören. Die Kosten für die Fahrten zu Ergo – und Physiotherapie hat das Landgericht mit der Begründung abgewiesen, dass sich die Kosten mangels näherer Angaben nicht nachvollziehen ließen. Die Klägerin hat zu diesen Fahrten in der Berufungsbegründung nunmehr vorgetragen, dass die Örtlichkeit sich in Schwedt in ca 5 km Entfernung befinde. Da das Landgericht zuvor nicht auf die fehlende Substantiierung hingewiesen hat, ist dieser Vortrag nach § 531 Abs. 2 ZPO noch zuzulassen. Unabhängig von dieser Frage, ob der Vortrag nunmehr hinreichend konkret ist, hat die Beklagte den Anfall dieser Kosten zulässigerweise mit Nichtwissen (§ 138 Abs. 4 ZPO) bestritten. Hieraufhin ist ein Beweisantritt durch die Klägerin nicht erfolgt, was zu ihren Lasten geht, da sie insoweit die Darlegungs – und Beweislast trägt. Die Berufung der Klägerin ist insoweit unbegründet.

Für die Fahrten zum Psychologen, Handspezialisten und zum Hausarzt hat das Landgericht 0,30 € pro Kilometer entsprechend (zutreffend) § 5 Abs. 2 Nr. 2 JVEG angesetzt. Die Beklagte beschränkt ihren Berufungsangriff darauf, dass der Kilometersatz mit lediglich 0,25 € zu bemessen sei. Auch die Berufung der Beklagten bleibt insoweit ohne Erfolg.

Der vom Landgericht veranschlagte Betrag in Höhe von 0,30 € pro Kilometer ist gemäß § 287 ZPO nicht zu beanstanden. Im Rahmen einer Schätzung nach § 287 ZPO kann der Maßstab von § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 JVEG herangezogen werden (vgl. BGH NJW 2016,3092 Tz 18 m. w. N.). Mit dem aufgrund dieser Regelung geltenden Kilometersatz werden nicht nur die Betriebskosten sowie die Abnutzung des Kraftfahrzeugs, sondern auch die Anschaffungs- und Unterhaltungskosten und damit alle mit der Haltung, dem Betrieb, der Steuer, der Versicherung und der Wiederbeschaffung eines PKW verbundenen Kosten ausgeglichen. Nicht maßgeblich ist dagegen der für Zeugen nach § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 JVEG (a. F.) geltende geringere Kilometersatz von 0,25 Euro. Ein Zeuge erfüllt mit seiner Anreise zu einem Termin eine staatsbürgerliche Pflicht und benutzt seinen eigenen PKW nicht im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit, weshalb ihm gemäß § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 JVEG lediglich die Betriebskosten sowie die Abgeltung der Abnutzung des Kraftfahrzeugs erstattet werden (vgl. BAG MDR 2020, 806).

Die von der Beklagten angeführte Entscheidung des OLG Koblenz (2 Ws 220/19) betrifft die Reisekosten eines Angeklagten, welche unter § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 JVEG fallen und daher mit der vorliegenden Konstellation nicht vergleichbar sind.

Der seit 1.1.2021 geltende höhere Kilometersatz ist nicht maßgeblich, da die Klägerin nur 0,30 € pro Kilometer verlangt.

b) Medikamente

Die Berufung der Klägerin ist insoweit teilweise begründet, als sie einen Rechenfehler im erstinstanzlichen Urteil beanstandet. Das Landgericht hat pro Quartal 72 € Zuzahlung (S. 24 UA) errechnet, jedoch dann bei der Berechnung (Addition Fahrkosten und Medikamentenzuzahlung) lediglich 24 € in Ansatz gebracht. Dies war zu korrigieren. Des Weiteren hat das Landgericht für den Zeitraum vom 1.11.2018 bis zu 31.3.2019 eine Zuzahlung von 24 € monatlich für berechtigt gehalten (S. 22 UA), dies ergibt einen Gesamtbetrag in Höhe von 120 €, so dass der Gesamtbetrag für diesen Zeitraum sich auf 334,50 € beläuft (214,50 € + 120 €). Die weitergehende Berufung der Klägerin ist insoweit jedoch unbegründet.

Soweit über die im Urteil akzeptierten Kosten in der Berufungsbegründung weitere Medikamente aufgezählt werden, fehlt es an näherem Vortrag zur medizinischen Indikation und einer Auseinandersetzung mit der Begründung des erstinstanzlichen Urteils. Soweit die Klägerin meint, dass die Beklagte diese Kosten in einem Teilvergleich für die Zeit bis zum 30.09.2017 akzeptiert habe, lässt sich daraus kein Anerkenntnis der Kosten auch für den Zeitraum danach schließen. Der Teilvergleich wurde vom Landgericht angeregt und im Schriftsatz der Beklagtenseite vom 11.5.2018 auch akzeptiert. Zur einer Feststellung nach § 278 Abs. 6 ZPO kam es dann aber nicht mehr.

Die Berufung der Beklagten greift die Position „Medikamentenzahlung“ inhaltlich nicht an.

c) Reste für Fahrtkosten und Medikamente

Aus a) und b) ergibt sich folgende Berechnung:

Die Zuzahlung für Medikamente ergibt 72 € pro Quartal, zusammen mit den für die Fahrten anfallenden Kosten in Höhe von 836,04 € ergeben sich pro Quartal 908,04 €. Es ergibt sich daher über den bereits zuerkannten Betrag in Höhe von 860,04 € hinaus eine Verpflichtung zur Zahlung von weiteren 48 €, pro Quartal.

d) vorgerichtliche Anwaltskosten

Die Berufung ist unbegründet, soweit die Klägerin Erstattung vorgerichtlich entstandener Rechtsanwaltsgebühren verlangt.

Diese sind nach eigenem Vortrag von der Rechtsschutzversicherung der Klägerin entrichtet worden, so dass es an der Aktivlegitimation der Klägerin mangelt. Soweit die Klägerin in der Klageschrift behauptet hat, dass sie von der Rechtsschutzversicherung ermächtigt worden sei, den Anspruch im eigenen Namen geltend zu machen, ist dies von der Beklagten gemäß § 138 Abs. 4 ZPO in zulässiger Weise mit Nichtwissen bestritten worden. Das Landgericht hat die Klage insoweit abgewiesen, da die Klägerin die Höhe des zu Grunde gelegten Gegenstandswertes nicht ausreichen dargelegt hat und zum anderen die Ermächtigung nur pauschal behauptet, nicht jedoch die konkreten Umstände der Ermächtigung dargelegt hat. Die Klägerin hat auch in der Berufungsbegründung zu diesen Umständen nicht näher vorgetragen, sondern sich auf die Auffassung beschränkt, dass dies nicht notwendig sei. Dies ist unzutreffend, weil die Klägerin die Voraussetzungen einer gewillkürten Prozessstandschaft geltend macht. Hierzu muss deutlich gemacht werden, durch wen konkret eine Ermächtigung zur Prozessführung erteilt worden ist, unter welchen Voraussetzungen diese erteilt wird und ob die Zahlung an sich selbst hiervon überhaupt erfasst wird. Eine Vernehmung des benannten Sachbearbeiters würde dazu dienen, diese Umstände erst zu erfahren und daher – wie das Landegericht zutreffend ausgeführt hat – einen unzulässigen Ausforschungsbeweis darstellen. Da die Klägerin auch in der Berufungsbegründung hierzu nicht nähere Einzelheiten vorgetragen hat, bleibt das Rechtsmittel insoweit ohne Erfolg.

5) Verdienstausfallschaden

Der Antrag, mit welchem die Klägerin die Feststellung der Beklagte begehrt, ihr zukünftige Erwerbsschäden auf der Basis einer Tätigkeit als Ärztin zu ersetzen ist zulässig, insbesondere hat die Klägerin ein Feststellungsinteresse i. S. v. § 256 ZPO.

Der Antrag ist auch im Wesentlichen begründet, so dass die Berufung der Beklagten insoweit weitgehend ohne Erfolg bleibt.

Die Klägerin macht hier einen Erwerbsausfallschaden für den Zeitpunkt ab 1.1.2024 geltend und stützt diesen darauf, dass sie ohne das schädigende Ereignis das Fach Medizin studiert und ab dem genannten Zeitpunkt als Ärztin tätig gewesen wäre.

Der Erwerbsschaden ist ein Unterfall des entgangenen Gewinns nach § 252 S. 1 BGB. Dem Geschädigten kommen insoweit die Darlegungserleichterungen des § 287 ZPO zu Gute. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Geschädigte bei der Darlegung seiner voraussichtlichen beruflichen Entwicklung zwar konkrete Anhaltspunkte für die erforderliche Prognose darlegen, es dürfen insoweit jedoch nicht zu hohe Anforderungen gestellt werden (vgl. BGH NJW 2011, 1148 Tz 18 m. w. N.). Dies gilt insbesondere dann wenn das haftungsauslösende Ereignis den Geschädigten zu einem Zeitpunkt getroffen hat, als er noch in der Ausbildung oder am Anfang einer beruflichen Entwicklung stand und deshalb noch keine Erfolge in der von ihm angestrebten Tätigkeit nachweisen konnte (vgl. BGH a. a. O.; KG VersR 2006, 794). Je jünger der Geschädigte bei Eintritt des schädigenden Ereignisses ist, desto größer sind naturgemäß die Unwägbarkeiten, die mit einer Prognose verbunden sind. Dem ist nach der Rechtsprechung des BGH Rechnung zu tragen und ein entsprechend großzügigerer Maßstab anzulegen. Denn es darf dem Geschädigten nicht zum Nachteil gereichen, dass die Beurteilung in diesen Fällen mit nicht zu beseitigenden erheblichen Unsicherheiten behaftet ist, da es in der Verantwortlichkeit des Schädigers liegt, dass der Geschädigte in seinem sehr frühen Zeitpunkt seiner Entwicklung aus der Bahn geworfen wurde, und dass sich daraus die besondere Schwierigkeit ergibt, eine Prognose über den Verlauf anzustellen (vgl. BGH a. a. O. Tz 19 für den Fall der Schädigung eines Kindes bereits bei der Geburt).

Daraus ergibt sich eine gleitende Absenkung der Darlegungs – und Beweislast: je weniger Tatsachen dem Geschädigten ohne eigenes Verschulden zum Vortrag und Beleg seines Schadens zur Verfügung stehen, desto geringer sind die Anforderung an die Substantiierung und die Überzeugungsbildung (vgl. BGH a. a. o.; NJW 2011, 1145). Daher wird – wie oben bereits ausgeführt – die Darlegungslast umso großzügiger gehandhabt werden müssen, je jünger der Geschädigte bei Eintritt des Schadenereignisses ist, in diesen Fällen ist ihm ein gewisser Schätzbonus zuzubilligen (vgl. BGH NJW 1997, 937; OLG München Schaden – Praxis 2012, 146; OLG Köln, Urteil vom 9.8.2013, 19 U 137/09 Tz 104 nach juris).

Die Schätzung setzt in jedem Fall eine hinreichende Tatsachengrundlage voraus. Anknüpfungstatsachen müssen daher vom Anspruchsteller schlüssig dargelegt werden und über ihr Vorhandensein muss im Streitfall Beweis erhoben werden (vgl. OLG Celle, Urteil vom 9.11.2011, 14 U 98/11).

Bei der Beurteilung sind primär die persönlichen Eigenschaften des Geschädigten heranzuziehen, also seine intellektuelle Befähigung, seine Begabungen und Neigungen, aber auch die charakterlichen Eigenschaften wie Willenskraft, Beharrungsvermögen und Durchsetzungsfähigkeit (vgl. BGH VersR 1965, 489).

Anhaltspunkte, welche für eine Prognose herangezogen werden können, sind gerade bei jüngeren Menschen auch das soziale Umfeld, also auch der Beruf, die Vor – und Weiterbildung der Eltern, deren Qualifikation in der Berufstätigkeit sowie die beruflichen Pläne für das Kind sowie schulische und berufliche Entwicklungen von Geschwistern (vgl. BGH a. a. O.,; OLG Frankfurt VersR 1989, 48; OLG Karlsruhe VersR 1989, 1101; OLG Köln a. a. O. Tz 123).

Die Klägerin war zum Zeitpunkt des Unfalls 17 Jahre alt und besuchte die 11. Klasse eines Gymnasiums, im Sommer 2017 hätte sie die Abiturprüfung ablegen sollen. Ausgehend von den oben genannten Grundsätzen liegen ausreichende Anhaltspunkte für die Annahme i. S. v. § 252 S. 2 BGB vor, dass sie ein Studium der Medizin absolviert und den Berufsweg als Ärztin eingeschlagen hätte.

Dass ihr Interessenschwerpunkt bereits in der Schule auf Medizin lag, hat sie dadurch belegt, dass sie ihr berufsbildendes Praktikum in der 9. Klasse bei einer Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie abgeleistet hat. Ihre Seminarfachabschlussarbeit hat sie im medizinischen Bereich mit mündlicher Verteidigung (jeweils mit „1“ bewertet) abgeschlossen. Zudem hat sie einen Kurs Ersthelferin in Notfällen absolviert. Dem Einwand der Beklagten, dass derartige Praktika kein ausreichendes Indiz für einen konkreten Berufswunsch darstellten, ist entgegenzuhalten, dass die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit hier entsprechend den o. g. Grundsätzen großzügig zu sehen sind. Die Klägerin befand sich mitten in der Schulausbildung, so dass konkrete Anhaltspunkte für die zu erwartende berufliche Laufbahn naturgemäß schwierig darzutun sind. Angesichts dessen sind die von ihr vorgetragenen Aspekte geeignet, eine hinreichende Wahrscheinlichkeit zu belegen. Auch ein Schülerpraktikum im 9. Schuljahr kann durchaus als Indiz für eine Interessenneigung angesehen werden, hier kommt noch die Fertigung einer Seminarabschlussfacharbeit auf diesem Gebiet hinzu. Diese Angaben hat die Klägerin durch die mit Schriftsatz vom 22. März 2021 eingereichten Anlagen (K 22 – 27) ausreichend substantiiert. Diese belegen des Weiteren, dass die Klägerin ihren Berufswunsch auf verschiedenen Informationsveranstaltungen wie u. a. der Hochschulmesse Berlin/Brandenburg, „Tag der offenen Tür“ an verschiedenen staatlichen und privaten Universitäten und Hochschulen und der Messe im Berufsinformationszentrum Eberswalde auf seine Realisierbarkeit hin geprüft hat.

Auch die Durchführung eines Kurses als Ersthelfer in Notfällen ist für einen Schüler sicherlich nicht der Regelfall und dokumentiert das Interesse in dieser Richtung.

Die Beurteilung wird des Weiteren durch die im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung nach § 141 ZPO geäußerten Angaben der Klägerin im Termin vor dem Senat am 20. Dezember 2021 gestützt. Dort hat sie anschaulich geschildert, dass und auf welche Weise sie zu ihrem Berufswunsch Ärztin zu werden gelangt ist. Dass ihr Interesse durch das Praktikum bei einer Ärztin geweckt worden ist, ist ohne weiteres nachvollziehbar, wobei sie offenkundig auch schon vorher in dieser Richtung durch die Lektüre von Büchern über Psychologie eine Neigung zeigte. Sie berichtete des Weiteren von ihrer Freundin, die ebenfalls Interesse zeigte und das Praktikum mit ihr zusammen absolvierte. Auch von den durch die einzelnen Belege dokumentierten Informationstagen hat die Klägerin aus eigenem Erleben gesprochen und dabei dem Senat den Eindruck vermittelt, dass sie diese Informationen auf Grundlage eigener Motivation eingeholt hat. Dies bestätigt auch das Ergebnis der Vernehmung des Zeugen Z, ihres Vaters, welcher ausgesagt hat, dass der Berufswunsch Ärztin zu werden sich bei der Klägerin schon zu Schulzeiten verfestigt habe. Dabei hinterließ der Zeuge nicht den Eindruck, dass er bestrebt war, zielorientiert auszusagen, sondern so wie er es tatsächlich wahrgenommen hat. So hat er hinsichtlich der Ursache des Interesses nur seine Vermutung mitgeteilt, dass das Interesse auch durch ihre Freundin – die ebenfalls Medizin studieren wollte – geweckt worden sein könnte. Im Einklang mit den Angaben der Klägerin und den diesbezüglich vorgelegten Belegen hat er auch von den Recherchen und Aktivitäten berichtet, durch welche die Klägerin sich über ihre Möglichkeiten für ein Medizinstudium informiert hat. Dabei hat er auch nachvollziehbar erklärt, dass das Interesse auch für andere Bereiche wie Psychologie da gewesen sei, aber „es doch in Richtung Humanmedizin gehen sollte“. Diese Aussage vermittelte den Gesamteindruck, dass der Berufswunsch der Klägerin nicht nur vage Dimensionen hatte, sondern sie sich sehr konkret in diese Richtung orientierte.

Da die Klägerin noch zu Schulzeiten verletzt wurde, spielt bei der Beurteilung auch ihr soziales Umfeld eine wichtige Rolle. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass es zwar nicht sicher aber jedenfalls wahrscheinlicher ist, dass Kinder einen ähnlichen beruflichen Erfolg wie Eltern und Geschwister erreichen (vgl. Freyman ZfSch2013, 125 unter Hinweis auf BGH NJW 2011,1148). Unstreitig sind beide Elternteile der Klägerin Akademiker. Der Vater ist Diplom-Bauingenieur, die Mutter ist seit 2008 Schulleiterin einer Grundschule. Bei beiden Eltern ist darüber hinaus der Wille zur beruflichen Weiterqualifikation unverkennbar (hierzu BGH a. a. O), insbesondere die Mutter verfügt über einen postgraduellen Abschluss „Schulmanagement“, der Vater war zuletzt in leitender Position tätig. Die jüngere Schwester studiert nach der Aussage des Zeugen Z mittlerweile Rechtswissenschaft. Das soziale Umfeld der Klägerin spricht daher sehr deutlich dafür, dass auch sie einen Universitätsabschluss angestrebt hätte. Soweit die Beklagte einwendet, dass in der Familie keine Mediziner zu finden sein, überspannt dies die Anforderungen an die Darlegung.

Wichtig bei der Prognoseentscheidung sind weiter die persönlichen Neigungen, intellektuellen Fähigkeiten und charakterlichen Fähigkeiten, also die sogenannten Schlüsselqualifikationen (vgl. Freymann a. a. O. m. w. N.). Hier ist zunächst zu beachten, dass die schulischen Leistungen der Klägerin laut Sachverständigengutachten sich im Zeitpunkt des Unfalls „zwischen 2 und 3“ bewegt hätten, was für einen Numerus Clausus Zulassung im Fach Medizin zwar nicht ausgereicht hätte. Dieser Umstand alleine kann nach Auffassung des Senats aber nicht ausreichen, um die Wahrscheinlichkeit zu verneinen. Es wird von der Klägerin unbestritten vorgetragen, dass sie sportlich und musikalisch außerordentlich engagiert und aktiv war (Schriftsatz vom 11.2.2019: deutsche Jugendmeisterin im Volleyball, Schiedsrichterschein, Grundschein Windsurfen etc.). Auch ihr Verhalten nach dem Unfall zeigt eine erhebliche Willenskraft, da sie es schaffte – mit Unterstützung der Schule – trotz ihrer erheblichen Einschränkungen den Abiturabschluss zu erlangen. Auch sportlich hat sie sich in der Rehabilitation betätigt (Bogenschießen). Ihre Fähigkeit, ein Ziel ehrgeizig zu verfolgen, kann somit als sicher belegt angesehen werden. Dies lässt aber mit ausreichender Wahrscheinlichkeit zum einen erwarten, dass sie bis zum Abitur ihr Noten so weit verbessern hätte können, dass ein Medizinstudium möglich gewesen wäre.

Unabhängig davon hat die Klägerin – auch dies wird durch die Aussage des Zeugen Z bestätigt – intensive Recherche betrieben, auf welche Weise auch ohne Erreichen des erforderlichen Notenschnitts ein Medizinstudium für sie möglich gewesen wäre. So hat sie sich über Studienmöglichkeiten im Ausland (Polen, Ungarn) und an Privatuniversitäten (Brandenburg) informiert, die keine Zulassung über einen Numerus clausus erforderten. Dass die hierfür notwendige finanzielle Unterstützung durch ihre Eltern erhalten hätte, hat der Zeugen Z in seiner Vernehmung bestätigt. Dass die Eltern die Kosten von geschätzt insgesamt 100.000 € auch tatsächlich hätten aufbringen können, hat der Zeuge ebenfalls glaubhaft bestätigt, was angesichts der von den beiden Eltern ausgeübten Berufe auch ohne weiteres realistisch erscheint. Des Weiteren hat die Klägerin auch die Möglichkeit erwogen, zunächst eine Ausbildung als Krankenschwester zu absolvieren und über entsprechende Wartezeiten ein eventuelles Defizit bei der Abiturnote auszugleichen.

Aus diesen Umständen ergibt sich ein Gesamtbild, welches nach Überzeugung des Senats nach dem Maßstab des § 287 ZPO ausreicht, um davon auszugehen, dass die Klägerin ohne den Unfall, einen Berufsweg als Ärztin beschritten hätte.

Allerdings ergeben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, dass bei der Höhe der Einkünfte auf die Tätigkeit als Ärztin an einem Universitätsklinikum abzustellen gewesen wäre. Angesichts des Umstandes, dass der Anteil kommunaler Krankenhäuser wesentlich höher liegt, ist daher nach Auffassung des Senats eine Orientierung an dem Tarifvertrag für Ärzte an kommunalen Krankenhäusern im öffentlichen Dienst (TV – Ärzte VKA) sachgerecht.

6) Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Gründe für eine Revisionszulassung nach § 543 ZPO liegen nicht vor.

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