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Verkehrsunfall – Schmerzensgeldbemessung – Grundsätze

Oberlandesgericht Brandenburg – Az.: 12 U 250/20 – Urteil vom 02.09.2021

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 10.11.2020 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer – Einzelrichter – des Landgerichts Cottbus, Az.: 2 O 63/16, teilweise abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein weiteres Schmerzensgeld von 20.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.09.2016 sowie Verdienstausfall in Höhe von 13.543,95 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 324,17 € seit dem 30.09.2014, aus 2.780,29 € seit dem 20.01.2015 und aus 10.437,24 € seit dem 26.06.2016 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger den zukünftigen weiteren materiellen und immateriellen Schaden aus dem Verkehrsunfall vom 25.02.2012 zu erstatten, soweit der Anspruch nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist.

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.263,78 € freizustellen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger 1/4 und die Beklagte 3/4. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger 1/10 und die Beklagte 9/10 zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Verkehrsunfall - Schmerzensgeldbemessung - Grundsätze
(Symbolfoto: Pusteflower9024/Shutterstock.com)

Die Parteien streiten über weitergehende Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche des Klägers im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall, der sich am 25.02.2012 in … in der … ereignet hat, bei dem der Kläger verletzt wurde. Die vollständige Haftung der Beklagten für die unfallbedingten Verletzungen und Folgeschäden des Klägers ist zwischen den Parteien nicht im Streit. Streit besteht über einzelne Schadenspositionen, wie Fahrtkosten der Ehefrau und des Sohnes des Klägers zu Besuchen im Krankenhaus, vermehrte Bedürfnisse wegen Umzuges in eine Parterrewohnung, den geltend gemachten Haushaltsführungsschaden, Verdienstausfall, die Höhe eines angemessenen Schmerzensgeldes und die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für künftige Schäden.

Auf die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.

Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil die Beklagte verurteilt, an den Kläger 15.489,43 €, ein weiteres Schmerzensgeld von 20.000,00 €, Verdienstausfall in Höhe von 13.607,70 € sowie weitere 456,00 € jeweils nebst Zinsen zu zahlen und festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger zukünftig weiteren materiellen (einschließlich Rentenschaden) und immateriellen Schaden aus dem Verkehrsunfall vom 25.02.2012 zu erstatten, soweit Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind. Ferner hat es die Beklagte verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.263,78 € freizustellen, und im Übrigen die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.

Gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 20.11.2020 zugestellte Urteil richtet sich die am 02.12.2020 beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangene Berufung der Beklagten, die nach erfolgter Fristverlängerung zur Berufungsbegründung bis zum 17.02.2021 mit einem an diesem Tage eingegangenen Schriftsatz begründet worden ist.

Mit der Berufung verfolgt die Beklagte ihren erstinstanzlichen Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter. Sie rügt im Einzelnen:

Hinsichtlich des geltend gemachten Haushaltsführungsschadens habe das Landgericht schlicht den Vortrag des Klägers aus der Klageschrift übernommen, obwohl die Beweisaufnahme zum einen nicht sämtliche Einschränkungen des Klägers bestätigt und zum anderen nicht hinsichtlich sämtlich festgestellter Einschränkungen eine Unfallbedingtheit bejaht habe. Der Sachverständige (X) habe das klägerseits behauptete Lymphödem ebenso wie das Taubheitsgefühl in den Fingern nicht bestätigt. Ferner habe der Sachverständige in Bezug auf die Coxarthrose beider Hüftgelenke einen Kausalzusammenhang mit dem Unfall ausgeschlossen. Auch die behauptete funktionelle Einschränkung beim Gehen habe der Sachverständige nicht mit der ausreichenden Wahrscheinlichkeit auf die unfallbedingten Verletzungen zurückführen können. Zudem habe das Landgericht keinerlei Feststellungen zum Grad der Minderung der haushaltsspezifischen Leistungsfähigkeit des Klägers getroffen und dazu auch keinen Beweis erhoben. Es sei nicht nachgewiesen, dass nach Frühjahr 2013 noch eine schadensersatzrechtlich relevante Einschränkung in der Fähigkeit, Haushaltstätigkeiten durchzuführen, bestanden habe, so dass der nachgewiesene Haushaltsführungsschaden mit dem von ihr vorgerichtlich gezahlten Betrag von 3.000,00 € abgegolten sei. Den geltend gemachten Verdienstausfallschaden habe das Landgericht in voller Höhe zugesprochen, ohne ihre Einwände zu beachten. Es stehe nicht fest, dass der Kläger unfallbedingt erwerbsunfähig sei. Dem Kläger sei eine vollschichtige Tätigkeit am allgemeinen Arbeitsmarkt möglich. Selbst wenn aufgrund unfallbedingter Verletzungen eine eingeschränkte Erwerbsfähigkeit bestehen sollte, lägen unfallunabhängige Erkrankungen vor, die sich ebenfalls auf die Erwerbsfähigkeit auswirkten, was bei der Berechnung des Verdienstausfallschadens zu berücksichtigen sei. Auch habe der Kläger trotz mehrfacher Aufforderung nicht nachgewiesen, dass er sich um eine Vollzeitarbeitstätigkeit bemüht habe. Außerdem sei zu rügen, dass das Landgericht keine ersparten berufsbedingten Aufwendungen berücksichtigt habe.

Die Schmerzensgeldbemessung des Landgerichts sei ebenfalls vollkommen unzureichend begründet. Ein über die vorgerichtlich gezahlten 40.000,00 € hinausgehender Anspruch habe sich in der Beweisaufnahme nicht bestätigt. Das Landgericht habe auch keine Urteile benannt, die es bei der Bemessung herangezogen habe. Hinsichtlich der Mehraufwendungen für die Wohnungsrenovierung sei das Urteil ebenfalls fehlerhaft. Über die Angemessenheit der dem Kläger in Rechnung gestellten Preise sei keine Beweisaufnahme durchgeführt worden. Es habe sich auch nicht die Behauptung des Klägers bestätigt, er habe die Wohnung renovieren müssen. Unabhängig davon habe die Beweisaufnahme nicht bestätigt, dass die Wohnung in dem geltend gemachten Umfang habe renoviert werden müssen. Dem Kläger sei auch ein anrechenbarer Vorteil dadurch entstanden, dass bereits nach Ablauf von drei Jahren eine erneut vollständig renovierte Wohnung zur Verfügung gestanden habe. Mit dem gezahlten Betrag von 5.000,00 € habe ein ausreichender Betrag zur Verfügung gestanden, um eine Wohnung in der Größe der des Klägers zu malern und Fußbodenbeläge zu verlegen. Die Fahrtkosten habe das Landgericht ohne eine ausreichende Begründung zugesprochen. Eine medizinische Notwendigkeit für die geltend gemachten Aufwendungen habe der Sachverständige (Y) nicht bestätigt.

Mit einer fehlerhaften Begründung habe das Landgericht auch den Feststellungsantrag zugesprochen. Zum einen habe kein Feststellungsinteresse mehr bestanden, da sie sich bereits vorgerichtlich bereit erklärt habe, sämtliche weiteren unfallbedingten Schadenersatzansprüche dem Kläger zu erstatten. Zum anderen seien die Ausführungen des Landgerichts zum Rentenschaden falsch, da der Kläger keine Erwerbsminderungsrente erhalte. Schließlich seien auch die Mitgliedsbeiträge zum Sportverein nicht zu erstatten und könne die Berechnung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten nicht nachvollzogen werden.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landgerichts Cottbus vom 10.11.2020 zum Az. 2 O 63/16 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil unter Bezugnahme auf seinen erstinstanzlichen Vortrag.

Die Parteien haben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat einen Teilvergleich geschlossen, mit dem sich die Beklagte verpflichtet hat, zur Abgeltung der Schadenspositionen Fahrtkosten, Renovierungskosten, Haushaltsführungsschaden und Beiträge zum Sportverein an den Kläger einen Betrag in Höhe von 7.689,98 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.01.2015 zu zahlen. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29.07.2021 (Bl. 751 ff. GA) wird Bezug genommen.

II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht gemäß den §§ 517 ff. ZPO eingelegte Berufung ist in dem verbliebenen Umfang, nachdem sich die Parteien in dem Teilvergleich vom 29.07.2021 über einzelne Schadenspositionen verständigt haben, größtenteils unbegründet.

Die grundsätzliche Haftung der Beklagten dem Grunde nach aus den §§ 7 Abs. 1, 11 S. 2 StVG, 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB i.V.m. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG ist zwischen den Parteien nicht im Streit.

1.

Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes in Höhe von weiteren 20.000,00 €. Das Urteil des Landgerichts ist in diesem Punkt im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist in erster Linie dessen Ausgleichsfunktion zu beachten. Insoweit kommt es auf die Höhe und das Maß der Lebensbeeinträchtigung an. Maßgeblich sind Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden, Entstellungen und psychischen Beeinträchtigungen, wobei Leiden und Schmerzen wiederum durch die Art der Primärverletzung, die Zahl und Schwere der Operationen, die Dauer der stationären und ambulanten Heilbehandlungen, den Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit und die Höhe des Dauerschadens bestimmt werden (vgl. BGH VersR 1955, 615; Küppersbusch/Höher, Ersatzansprüche bei Personenschaden, 13. Aufl., Rn. 274 ff.). Dabei muss die Entschädigung zur Art und Dauer der erlittenen Schäden in eine angemessene Beziehung gesetzt werden (vgl. BGH VersR 1976, 968; OLG Hamm MDR 2003, 1249). Im Rahmen der bei normalen Straßenverkehrsunfällen nur eingeschränkt zu berücksichtigenden Genugtuungsfunktion ist insbesondere die Schwere des Verschuldens des Schädigers in Ansatz zu bringen (vgl. BGH NJW 1955, 1675; BGH NJW 1982, 985; BGH VersR 1992, 1410). Schließlich ist das Schmerzensgeld an Urteilen für vergleichbare Fälle zu orientieren (vgl. BGH VersR 1970, 134; Küppersbusch/Höher a.a.O. Rn. 281).

Im Streitfall erlitt der Kläger bei dem Verkehrsunfall eine zweitgradige offene Unterschenkelfraktur rechts sowie ein posttraumatisches Kompartmentsyndrom am rechten und linken Unterschenkel. Die Unterschenkelfraktur wurde mittels eines Fixateurs externe versorgt und eine Kompartmentspaltung an beiden Unterschenkeln sowie Revisionen vorgenommen. Der Kläger war an insgesamt 142 Tagen in stationärer Behandlung und musste sich insgesamt 15 Operationen unterziehen, wobei zusätzlich sich eine Infektion mit MRSA-Keimen im Markraum des Tibiaschaftes und des anliegenden Nagels einstellte, weshalb der Kläger über einen Zeitraum von vier Wochen auf der Isolierstation behandelt werden musste. Der Kläger war zur weiteren Mobilisation auf Unterarmgehstützen angewiesen und musste eine Orthese tragen. Nach den Feststellungen des Sachverständigen (Y) äußerte sich infolge der MRSA-Infektion und damit unfallbedingt eine rezidivierende depressive Störung in Form einer mittelgradigen Episode, die sich in einer gedrückten Stimmung, Antriebsminderung, reduzierten Freudfähigkeit, Schlafstörungen und Libidoverlust äußert. Darüber hinaus leidet der Kläger unter einer spezifischen Angst vor Dunkelheit und dem Alleinsein sowie einer Panikstörung. Wegen der Besiedlung mit MRSA-Keimen hatte der Kläger Angst vor einer Amputation des Beines. An den Beinen bestehen mehrere großflächige Narben, die zum Teil einen leichtgradig entstellenden Charakter haben. Ferner besteht nach dem Ergebnis des unfallchirurgischen Sachverständigengutachtens des Sachverständigen (X) beim Kläger eine Bewegungseinschränkung des rechten OSG und rechten USG, eine eingeschränkte Stand- und Gangvariante für das rechte Bein, eine Valgusstellung der rechtsseitigen Beinachse, eine Verdickung der rechtsseitigen Knöchelregion sowie Parästhesien im Bereich beider Füße. Nicht bestätigt als Unfallfolge haben sich die vom Kläger geltend gemachte Funktionsstörung des Lymphsystems, die Hüftgelenksarthrose und eine Herabsetzung der Belastungsfähigkeit der Beine, wonach der Kläger eine Wegstrecke von mehr als 150 m nicht ohne Unterarmgehstützen bewältigen könne. Ferner ist zu berücksichtigen, dass der Kläger über einen Zeitraum von mehr als drei Jahren arbeitsunfähig krankgeschrieben war und mittlerweile seine ursprüngliche Arbeitsstelle verloren hat. Seit dem 01.06.2016 ist er in einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis auf 11 Stunden-Basis als Hausmeister tätig. Nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren eingeholten sozialmedizinischen Gutachten des Sachverständigen (Z) vom 11.11.2016 besteht beim Kläger ein GdB von 50, wobei auch die Verschleißerscheinungen der Hüftgelenke einbezogen sind.

Diese Verletzungen und Beeinträchtigungen rechtfertigen die Zuerkennung eines weiteren Schmerzensgeldes in Höhe von 20.000,00 €. Der Senat hat sich dabei, soweit dies möglich ist, an folgenden Entscheidungen orientiert:

  • Senatsurteil vom 09.11.2006 (12 U 76/06): Schmerzensgeld in Höhe von 40.000,00 € bei einer offenen Unterschenkelfraktur dritten Grades mit großem Weichteildefekt und nach Sprungbeinhalsfraktur rechts. Die dortige Klägerin musste insgesamt elf Operationen, unter anderem auch mit Einsatz eines Fixateur externe, über sich ergehen lassen, war fünf Monate auf den Rollstuhl und anschließend ca. ein Jahr auf Unterarmstützen angewiesen. Es bestanden erhebliche Zukunftsängste wegen der befürchteten möglichen Amputation des Beines. Als Dauerschaden verblieb eine Einschränkung der Bewegungsfähigkeit mit einer MdE von 40 %;
  • Senatsurteil vom 02.03.2017 (12 U 18/16): 50.000,00 € Schmerzensgeld unter Berücksichtigung einer Mithaftung von 40 % bei einer Fraktur des linken Schulterblattes mit Nervschädigung des Oberarms, einer Fraktur des linken Handgelenks sowie einer offenen Fraktur des linken Unterschenkels mit erheblichem Weichteilverlust dritten Grades und Kompartmentsyndrom im linken Unterschenkel. Als Dauerschäden verblieben im dortigen Fall eine Gehbehinderung mit einem GdB von 100, eine vollständige Nervenlähmung, eine dauerhafte Instabilität des linken Knies und eine Beinverkürzung des linken Beines um 6 cm;
  • Urteil des LG Bückeburg vom 23.01.2004 (2 O 53/03): Schmerzensgeld von 50.000,00 € zzgl. 50,00 € monatlicher Rente unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 20 % bei einem offenen Bruch des linken Unterschenkels eines 17-jährigen Berufsschülers, zwei Operationen mit Verwendung eines Fixateurs und deutlichen Bewegungseinschränkungen und Narben sowie psychischen Verletzungen (Unzufriedenheit, Depressionen, Suizidgefahr);
  • Urteil des OLG Schleswig vom 23.02.2011 (7 U 106/09, www.schmerzensgeld.online, 39. Aufl. Nr. 420): 70.000,00 € Schmerzensgeld bei drittgradigen offenen Frakturen an beiden Unterschenkeln, mehrfachen Operationen, langfristigen Krankenhausaufenthalten und erheblichen psychischen Schädigungen sowie einer andauernden Gehbehinderung und entstellenden Narben am linken Bein und linken Unterarm.

Die von der Beklagten herangezogenen Vergleichsentscheidungen sind hingegen nur bedingt vergleichbar. In dem der Entscheidung des Senats 25.08.2009 (12 W 40/09) zugrunde liegenden Fall lässt sich der Entscheidung nicht entnehmen, dass der dortige Geschädigte ein Kompartmentsyndrom an beiden Beinen erlitten hat und psychische Beeinträchtigungen geltend machte. Auch der Entscheidung des OLG Frankfurt am Main vom 17.10.2001, die mittlerweile auch nahezu 20 Jahre alt ist, zum Az. 23 O 212/00 und der Entscheidung des LG Aachen vom 18.12.1998 (9 O 292/96) lagen weniger schwerwiegende Verletzungen und verbleibende Beeinträchtigungen zugrunde.

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Die beim Kläger vorliegenden degenerativen Veränderungen sind dabei nicht schmerzensgeldmindernd zu berücksichtigen, da unklar geblieben ist, inwieweit diese Veränderungen sich bereits vor dem Unfallgeschehen geäußert haben. Der Sachverständige (X) hat insoweit von einer erst beginnenden Coxarthrose gesprochen.

2.

Dem Kläger steht ferner ein Anspruch auf Zahlung von Verdienstausfall für den Zeitraum September 2013 bis Dezember 2015 in Höhe von 13.543,95 € zu.

Hinsichtlich der Berechnung der Zusammensetzung des geltend gemachten Betrages wird auf den Schriftsatz des Klägers vom 19.07.2016 Bezug genommen. Der von dem Kläger zugrunde gelegte durchschnittliche monatliche Verdienst von 1.794,45 €, der sich aus dem fiktiven Verdienst für den Zeitraum August 2012 bis Juli 2013 gemäß den Schreiben der … GmbH vom 05.03.2013 und vom 11.09.2013 ergibt, ist von der Beklagten nicht beanstandet worden. Auch im Übrigen sind Einwendungen zur Höhe mit Ausnahme der von der Beklagten geltend gemachten Ersparnis berufsbedingter Aufwendungen nicht erhoben worden. Soweit in erster Instanz die Aktivlegitimation des Klägers im Hinblick auf möglicherweise auf den Sozialversicherungsträger nach § 116 SGB X übergegangene Ansprüche streitig war, steht nunmehr fest, dass der Kläger insoweit aktivlegitimiert ist, nachdem sein Antrag auf Erwerbsunfähigkeitsrente bestandskräftig abgewiesen worden ist.

Der Einwand der Beklagten, die Beweisaufnahme habe nicht ergeben, dass der Kläger vollständig arbeitsunfähig sei, bleibt ohne Erfolg. Der Kläger war in dem gesamten streitgegenständlichen Zeitraum weiterhin bei seinem damaligen Arbeitgeber in einem bestehenden Arbeitsverhältnis, so dass der Einwand, er habe nicht vorgetragen, welche Anstrengungen er unternommen habe, um einen Arbeitsplatz zu finden, nicht durchgreift. Der psychiatrische Sachverständige (Y( hat bei dem Kläger ein mittelgradiges depressives Symptom festgestellt, das auch durch die Besiedlung mit MRSA-Keimen und der damit verbundenen Isolation begünstigt worden ist, so dass grundsätzlich von einer unfallbedingten Entstehung auszugehen ist. Diese durch den Unfall bedingte Veränderung der gesamten Lebensrealität im familiären und sozialen Umfeld wirkt sich weiterhin nach den Ausführungen des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung depressionsunterhaltend aus. Es steht damit zur Überzeugung des Senats fest, dass die bescheinigte krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit des Klägers in diesem Zeitraum auch auf die sich seit 2013 entwickelte Depression unabhängig von den weiteren, unfallunabhängigen Erkrankungen des Klägers zurückzuführen ist und damit unfallbedingt ist. Dass der Kläger auch ohne den Unfall aufgrund der bestehenden degenerativen Veränderungen arbeitsunfähig geworden wäre, steht zur Beweislast der Beklagten. Insoweit ist die Beklagte beweisfällig geblieben.

Anzurechnen hat sich der Kläger somit lediglich ersparte berufsbedingte Aufwendungen in Höhe der Fahrtkosten. Entgegen der Auffassung der Beklagten hat der Kläger mit Schriftsatz vom 09.11.2016 konkret vorgetragen, dass er Fahrtkosten im Monat lediglich an 15 Tagen für eine Strecke von 6 km gehabt hat, was einem Betrag von 2,25 € pro Monat entspricht. Dem ist die Beklagte in der Folgezeit nicht weiter entgegengetreten. Für den streitgegenständlichen Zeitraum von 27 Monaten ergibt sich somit eine Ersparnis in Höhe von 60,75 €, die von dem geltend gemachten Betrag von 13.604,70 € abzuziehen ist. Weitere ersparte Aufwendungen sind nicht in Abzug zu bringen. Hinsichtlich der Reinigung der Arbeitskleidung hat der Kläger unter Vorlage einer entsprechenden Bestätigung seines Arbeitgebers vom 26.09.2016 belegt, dass ihm keine dahingehenden Aufwendungen entstanden sind. Auch insoweit ist die Beklagte dem nicht weiter entgegengetreten. Ein pauschaler Abzug von 10 %, wie von der Beklagten geltend gemacht, ist daher nicht gerechtfertigt.

Der Kläger hat im Übrigen seinen Verdienstausfallschaden nach der teilweisen Erledigungserklärung in dem Schriftsatz vom 19.07.2016 auf 13.604,70 € beziffert (Bl. 198 GA). Abzüglich ersparter Aufwendungen von 60,75 € verbleibt somit ein zuzusprechenden Betrag in Höhe von 13.546,95 €. Soweit das Landgericht dem Kläger einen Betrag von 13.607,70 € zugesprochen hat, handelt es sich um einen offensichtlichen Schreibfehler.

3.

Der Feststellungsantrag ist nach § 256 Abs. 1 ZPO zulässig und mit Ausnahme eines Rentenschadens, der nicht ersichtlich ist, nachdem die vom Kläger begehrte Erwerbsunfähigkeitsrente nicht bewilligt worden ist, auch begründet. Der Kläger hat vorgetragen, dass infolge des Unfallereignisses möglicherweise noch weitere Schäden entstehen können, deren tatsächlicher Eintritt zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht absehbar ist.

Der Zulässigkeit steht ein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis im Hinblick auf die von der Beklagten in ihrem Schreiben vom 14.01.2015 abgegebene Erklärung nicht entgegen. Diese Erklärung lässt ein Feststellungsinteresse nur dann entfallen, wenn es sich um ein sogenanntes titelersetzendes Anerkenntnis handelt, die Beklagte also mit diesem Schreiben den Kläger materiell-rechtlich so hat stellen wollen, als ob er eine gerichtliche Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten erwirkt hätte (vgl. BGH NJW 1985, 791; OLG Karlsruhe, DAR 2000, 267; OLG Celle, Urteil vom 18.09.2013 – 14 O 167/12, juris Rn. 108; OLG Hamm, Beschluss vom 02.12.2016 – I-9 U 170/16, juris Rn. 4). In einem solchen Fall kann in dem Anerkenntnis eine vergleichsähnliche Vereinbarung zwischen den Parteien gesehen werden, mit der der Haftpflichtversicherer den Geschädigten hinsichtlich der Ersatzansprüche für künftige Schäden so stellt, als habe er eine gerichtliche Feststellung der Ersatzpflicht erwirkt, und der Geschädigte auf die Erlangung eines Feststellungsurteils verzichtet. So liegt der Fall hier jedoch nicht. Dass das Anerkenntnis in dem Schreiben vom 14.01.2015 die Funktion haben sollte, ein rechtskräftiges Feststellungsurteil zu ersetzen, kommt darin nicht eindeutig zum Ausdruck. Weder hat die Beklagte ausdrücklich erklärt, dass das Anerkenntnis eine solche Funktion haben sollte, noch hat sie dauerhaft auf die Einrede der Verjährung verzichtet. Unter diesen Umständen gehen verbleibende Unklarheiten zulasten der Beklagten.

4.

Der Kläger kann schließlich auch eine Freistellung von den geltend gemachten außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.263,78 € verlangen. Soweit die Beklagte beanstandet hat, der angesetzte Gegenstandswert sei nicht nachvollziehbar, hat sie selbst mit ihrer Streitwertbeschwerde vom 23.11.2020 einen Gegenstandswert von 113.490,99 € errechnet, den das Landgericht dann auch entsprechend festgesetzt hat. Der nächste Gebührensprung liegt dann bei 125.000,00 €. Der Ansatz einer 2,0 Geschäftsgebühr ist von der Beklagten nicht beanstandet worden.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91 a Abs. 1, 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Soweit die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend teilweise für in der Hauptsache erledigt erklärt haben, fallen die Kosten der Beklagten zur Last, da sie voraussichtlich auch in diesem Punkt unterlegen gewesen wäre.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711, 709 S. 2 ZPO.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da Zulassungsgründe nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

Der Gebührenstreitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 3 ZPO i.V.m. § 47 Abs. 1 S. 1 GKG auf bis zu 80.000,00 € festgesetzt.

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