LG Essen – Az.: 3 O 55/11 – Urteil vom 26.05.2011
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Die Klägerin macht als Sozialversicherungsträger Ansprüche aus übergegangenem Recht aus einem Busunfall geltend, der sich am 16.11.2007 gegen 17.40 Uhr in F, I-Str. , im Bereich der Haltestelle „C-Platz“ ereignete.
Verletzt wurde bei dem nachfolgend zu beschreibenden Ereignis die Zeugin A, die bei der Klägerin gesetzlich krankenversichert ist.
Die Zeugin A befand sich zunächst schräg gegenüber dem Bus auf der anderen Straßenseite vor einem Einzelhandelsgeschäft im Bereich der I-Straße, Haus Nr. … In der Mitte der zweispurigen Fahrbahn befindet sich eine Verkehrsinsel (Querungshilfe), jenseits dieser Verkehrsinsel stand auf der anderen Straßenseite der Linienbus der Beklagten. Dieser befand sich unstreitig bereits unmittelbar vor der Abfahrt, die Türen waren geschlossen.
Die Klägerin trägt vor, die Zeugin A habe die Fahrbahn überquert und noch an die geschlossene Tür des noch stehenden Busses geklopft, um diesen noch zu erreichen. Gleichwohl sei der Bus angefahren.
Daraufhin habe sich die Zeugin zur Seite weggedreht, um sich in Sicherheit zu bringen. Dabei sei sie nach hinten gerutscht und mit dem linken Bein von der Bordsteinkante abgerutscht. Mit dem Kopf sei sie auf dem Gehweg aufgeschlagen. Nachfolgend habe der Bus mit seinem hinteren rechten Zwillingsreifen ihren linken Fuß überrollt.
Dabei erlitt die Zeugin eine Platzwunde am Kopf und eine offene Wunde des Unterschenkels. Sie wurde mit dem RTW ins Krankenhaus verbracht, wo sie bis zum 03.02.2008 und in der Folgezeit vom 22.02. bis zum 20.08.2008 stationär verblieb.
Die Klägerin behauptet, aufgrund der Beinverletzung der Zeugin A habe sie Sozialleistungen in Höhe von insgesamt 18.160,43 EUR erbracht, die sich wie folgt zusammensetzten:
Stationäre Krankenhausbehandlung:
16.11.2007 bis 31.01.2008: 12.901,68 EUR
31.01.2008 bis 03.02.2008: 469,32 EUR
22.02.2008 bis 20.03.2008: 4.223,88 EUR
Kosten des RTW: 268,00 EUR
Verbandsschuh: 49,12 EUR
Gehstock: 5,43 EUR
Rollator: 96,00 EUR
ambulante Behandlung, pauschal: 147,00 EUR
Hinsichtlich der Belege für diese Leistungen wird auf Bl. 66 ff. d. A. verwiesen.
Aufgrund eines Teilungsabkommens der Versicherer wird nach einem Unfall der vorliegenden Art ohne weitere Prüfung eine bestimmte Quote eines festgelegten Limits von 10.300,00 EUR bezahlt, hier 45 % von 10.300,00 EUR, mithin also ein Betrag in Höhe von 4.635,00 EUR.
Mit der Klageschrift vom 28.12.2010 hat die Klägerin zunächst einen Betrag in Höhe von 3.930,22 EUR geltend gemacht unter Berücksichtigung eines angenommenen Mitverschuldens der Zeugin A in Höhe von 50 %. Wegen der Zusammensetzung des Betrages im Einzelnen wird auf das Protokoll vom 26.05.2011 Bezug genommen. Darüber hinaus macht die Klägerin mit dem Klageerhöhungsschriftsatz vom 13.01.2011 (Bl. 19 d. A.) weitere 2.162,51 EUR geltend, nämlich 50 % von 4.325,02 EUR für einen Klinikaufenthalt im Zeitraum 22.02. bis 20.03.2008.
Sie ist der Ansicht, der Busfahrer habe die Geschädigte bemerken müssen und habe nicht anfahren dürfen.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 6.092,73 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1.583,62 EUR seit dem 26.10.2008, aus 2.346,60 EUR seit Rechtshängigkeit und aus 2.162,51 EUR ab Zustellung dieses Schriftsatzes zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie erhebt die Einrede der Verjährung.
Darüber hinaus trägt sie vor, der Busfahrer habe sich durch einen Blick in den Rückspiegel überzeugt, dass kein Fahrgast mehr kommt, habe links geblinkt und sei angefahren. Erst nachdem er drei bis vier Meter von der Unfallstelle sich entfernt hatte, sei er auf den Unfall aufmerksam gemacht worden.
Die dunkel gekleidete Geschädigte könne die hintere Einstiegstür noch nicht erreicht gehabt haben. Sie ist der Ansicht, dass die Kopfverletzungen der Klägerin nicht im Zusammenhang mit dem Betrieb des Busses entstanden sind. Der Unfall sei durch höhere Gewalt oder die Standunsicherheit der Zeugin verursacht worden.
Den Umfang der geltend gemachten Aufwendungen bestreitet sie.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen in den Akten Bezug genommen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen P und T sowie durch urkundliche Verwertung der Aussage der Zeugin A im Ermittlungsverfahren … StA Essen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist nicht begründet.
Der Klägerin stehen aus übergegangenem Recht (§ 116 SGB X) keine Ansprüche aus dem streitgegenständlichen Busunfall vom 16.11.2007 gegenüber der Beklagten als Halterin des unfallbeteiligten Busses zu. Ansprüche ergeben sich insoweit weder aus §§ 7,9 StVG noch aus §§ 823, 831 BGB.
Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Unfall so überwiegend auf dem eigenen Verschulden der Geschädigten Zeugin A beruht, dass etwaige Haftungsanteile der Beklagten demgegenüber bei der Haftungsbewertung vollständig zurücktreten.
Grundsätzlich kommt eine Haftung der Beklagten als Halterin des beteiligten Busses nach den Vorschriften des Straßenverkehrsgesetzes in Betracht, denn der Unfall ereignete sich beim Betrieb des Busses, ohne dass höhere Gewalt einer Haftung entgegenstünde (§§ 7 Abs. 1 u. 2 StVG).
Bei dem Betrieb des KFZ (hier Bus) verwirklicht sich ein Unfall dann, wenn sich eine betriebsspezifische Fahrzeuggefahr verwirklicht hat. Nach der herrschenden sog. verkehrstechnischen Auffassung ist ein Fahrzeug im Betrieb, das sich im öffentlichen Verkehrsbereich bewegt. Hierzu zählen auch abgestellte Fahrzeuge, die den Verkehr beeinflussen können (BGHZ 29, 163).
Der unfallbeteiligte Bus befand sich nach dieser Definition unzweifelhaft im Betrieb, denn er war im Einsatz, fahrbereit und im Begriff anzufahren. Durch den Unfall hat sich auch eine betriebsspezifische Gefahr dieses Fahrzeugs verwirklicht, denn dieser stand im unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Anfahrvorgang des Busses.
Von einem Haftungsausschluss aufgrund höherer Gewalt kann auch nicht ausgegangen werden, denn es lag kein betriebsfremdes, von außen durch Naturkräfte oder Handlungen Dritter herbeigeführtes, nicht mit zumutbaren Mitteln vermeidbares Schadensereignis vor.
Der Unfall ereignete sich vielmehr unzweifelhaft aufgrund Fehlverhaltens der Beteiligten.
Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme steht jedoch fest, dass der Unfall ganz überwiegend aufgrund schuldhaften eigenen Fehlverhaltens der Geschädigten verursacht worden ist, so dann ein etwaiges geringes Fehlverhalten des Fahrers des Busses beim Anfahren in rechtlicher Hinsicht vernachlässigt werden kann.
Nach der Beweisaufnahme ist das Gericht davon überzeugt, dass die Geschädigte A (Jahrgang 1924) unmittelbar vor dem Unfall hastig die Straße überquert hatte, um den Bus noch zu erreichen.
Dies hat der Zeuge T, der als Unbeteiligter an der Unfallstelle zugegen war, anschaulich geschildert. Demnach hat die Geschädigte ihn beim Überqueren der Straße sogar überholt und ist, mit einer Hand winkend, auf den Bus zugelaufen. Daraus folgt, dass auch der Geschädigten selbst bewusst war, dass der Bus jeden Moment losfahren würde, anderenfalls das Winken, das einen Anhaltewunsch signalisieren sollte, überflüssig gewesen wäre. Nach der weiteren Aussage des Zeugen T, an deren Richtigkeit das Gericht keinerlei Zweifel hat, hat die Geschädigte sodann noch mit der flachen Hand gegen die hintere Tür geklopft, ebenfalls ein Zeichen dafür, dass sie unbedingt den eigentlich zur Abfahrt bereiten Bus erreichen wollte.
Dass der Busfahrer, der Zeuge P, dies bemerkt hätte, hat sich nicht erwiesen. Nach der ebenfalls glaubhaften und in sich schlüssigen Aussage des Zeugen P hat dieser die unstreitig dunkel gekleidete Geschädigte beim Blick in den Rückspiegel nicht wahrgenommen. Auch ein Klopfen habe er nicht gehört. Dies ist plausibel, wenn die Zeugin A, wie vom Zeugen T ausführlich beschrieben, lediglich mit der flachen Hand vor die hintere Tür geklopft hat und der Bus nach Angaben des Zeugen P gut besetzt war. In einer solchen Situation muss ein schwaches Klopfgeräusch mit der flachen Hand an der hinteren Tür, bei laufendem Motor ausgeübt, nicht zwingend bis zum Fahrersitz wahrgenommen werden. Es ist auch nicht etwa vorgetragen, dieses Klopfgeräusch sei so heftig gewesen, dass man von einer Wahrnehmbarkeit ausgehen muss.
Diesen Feststellungen steht nicht die Aussage der Geschädigten A entgegen, welche diese im Ermittlungsverfahren schriftlich abgegeben hat, und die in der mündlichen Verhandlung urkundlich durch Verlesung verwertet worden ist. Zwar will die Zeugin vor die vordere Tür geklopft haben. Dies hält das Gericht aufgrund der Schilderungen der zuvor genannten Zeugen für abwegig. Das Gericht legt der Würdigung des Sachverhalts den Inhalt der Aussage der Zeugen T und P zugrunde, wonach sich die Geschädigte im Bereich der hinteren Tür befunden hat. Träfe die Darstellung der Geschädigten zu, würde dies bedeuten, dass sie nicht nur den Bereich der hinteren Tür hätte erreichen müssen, sondern zusätzlich noch am gesamten Bus entlanggelaufen wäre. Dies erscheint aufgrund der Tatsache, dass auch der Geschädigten klar war, dass der Bus kurz vor dem Abfahren steht, unwahrscheinlich. Es liegt vielmehr nahe, dass derjenige, der gerade noch den Bus erreicht, zunächst den Einstieg im Bereich der ersten sich ergebenden Einstiegsmöglichkeit, hier also der hinteren Tür, nutzt.
Es kann offenbleiben, ob der Zeuge P als Fahrer bei einer weiteren Rückschau – dass er zunächst vor dem Anfahren in beide Rückspiegel geschaut hat, steht nach seiner glaubhaften Aussage fest und ist so auch nicht ausdrücklich bestritten – die Zeugin im Spiegel hätte wahrnehmen müssen, denn ein im Unterlassen einer weiteren Rückschau liegendes geringfügiges Fehlverhalten des Zeugen würde gleichwohl gegenüber dem Eigenverschulden der Geschädigten vollständig zurücktreten.
Denn die Konzentration des Zeugen P war auf den Anfahrvorgang und das damit verbundene Einfädeln in den Verkehr nach links gerichtet. Einen Blick in den rechten Außenspiegel hatte er zunächst nach eigener glaubhafter Aussage getätigt, ohne die Geschädigte bemerkt zu haben.
Eine Berührung des Fahrzeugs mit der Geschädigten hat ebenfalls nicht stattgefunden. Vielmehr ereignete sich der Sturz aus Unachtsamkeit der Zeugin nach ihrem hastigen Versuch, den anfahrenden Bus zu erreichen.
Der Sturz der Zeugin ist demnach nicht unmittelbar durch das langsame Anfahren des Zeugen P mit dem Bus hervorgerufen worden.
Demgegenüber hat die Geschädigte selbst die ihr obliegende Vorsicht bei der Annäherung an den Bus, der erkennbar im Anfahren begriffen war oder unmittelbar vor dem Anfahren stand, was die Zeugin selbst bemerkt hatte, nicht beachtet. Gleichwohl hat sie sich diesem Bus so stark genähert, dass sie, nachdem dieser ordnungsgemäß angefahren war, auf dem Bürgersteig ohne unmittelbare Beeinflussung durch den Bus ins Straucheln geriet mit der Folge, dass sodann tragischerweise ein Bein der Zeugin in den Bereich der Fahrspur des Busses geriet und überrollt wurde. In einem solchen Fall tritt die von dem anfahrenden Bus ausgehende Betriebsgefahr hinter dem groben eigenen Mitverschulden des Fußgängers zurück; vgl. dazu auch OLGR Celle 2005, 5 – 6.
Demnach war die Klage mit der sich aus § 91 ZPO ergebenden Kostenfolge abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.