OLG Koblenz: Kläger hat Recht auf Schadensersatz bei wirtschaftlichem Totalschaden
Das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz hat in einem Beschluss vom 01.02.2022 (Az.: 12 U 2148/21) entschieden, dass ein Kläger bei einem Verkehrsunfall mit wirtschaftlichem Totalschaden Anspruch auf Schadensersatz in Höhe des Wiederbeschaffungsaufwands hat. Dabei wurde die Berechnung des Schadens auf der Grundlage eines Privatsachverständigengutachtens anerkannt.
Direkt zum Urteil: Az.: 12 U 2148/21 springen.
Übersicht:
Schadensersatzanspruch trotz Wirtschaftlichkeitspostulat
Im vorliegenden Fall stritten die Parteien über die Höhe des dem Kläger zustehenden Schadensersatzes nach einem Unfall. Der Beklagte argumentierte, dass der Kläger gegen das Wirtschaftlichkeitspostulat verstoße, indem er den Wiederbeschaffungsaufwand geltend mache, der durch einen Privatsachverständigen ermittelt wurde. Der Beklagte forderte, dass die Schadensberechnung auf der Grundlage günstigerer Instandsetzungskosten erfolgen solle.
Das OLG Koblenz schloss sich dieser Ansicht nicht an. Es entschied, dass der Kläger berechtigt sei, seine Schadenskalkulation auf der Grundlage des Privatsachverständigengutachtens vorzunehmen. Damit wurde ein wirtschaftlicher Totalschaden des Fahrzeugs anerkannt, der den Kläger in die Lage versetzt, die Erstattung des von ihm geltend gemachten Schadens in Höhe des gutachterlich kalkulierten Wiederbeschaffungsaufwands zu verlangen.
Eigentümerbefugnis und Dispositionsgrundsatz
Die Entscheidung des Gerichts beruht auf der Anerkennung der Eigentümerbefugnis des Geschädigten gemäß § 903 BGB und dem schadensrechtlichen Dispositionsgrundsatz. Demnach hat der Geschädigte die Freiheit, über das beschädigte Fahrzeug zu verfügen und eigenständig darüber zu entscheiden, in welcher Weise er die Restitution des durch den Unfall entstandenen Schadens vornimmt.
Keine Einschränkung der Eigentümerbefugnis durch Wartepflicht
Das Gericht betonte auch, dass der Eintritt eines Schadensfalls nicht dazu führt, die Eigentümerbefugnis durch eine Wartepflicht bei der Veräußerung einzuschränken. Der Geschädigte kann bei einem Verkauf zum im Gutachten ausgewiesenen Restwert davon ausgehen, zu einem objektiv „richtigen“ Wert zu veräußern. Die allgemein anerkannte Prüfungspflicht der Versicherung bei der Schadensabwicklung wurde in der Entscheidung ebenfalls berücksichtigt.
Berücksichtigung des „Erforderlichkeit“ im Schadensrecht
Das Gericht wies darauf hin, dass das Integritätsinteresse des Geschädigten im Rahmen des Schadensrechts eine Einschränkung erfährt, indem er die „Erforderlichkeit“ gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 beachten muss. Das bedeutet, dass der Geschädigte nur die Kosten geltend machen kann, die zur Wiederherstellung des Zustands erforderlich sind, der ohne das schädigende Ereignis bestehen würde.
Zusammenfassend
Der Beschluss des OLG Koblenz stärkt die Rechte von Geschädigten in Fällen von Verkehrsunfällen mit wirtschaftlichem Totalschaden. Die Anerkennung von Privatsachverständigengutachten als Grundlage für die Schadensberechnung und die Bestätigung der Eigentümerbefugnis sowie des schadensrechtlichen Dispositionsgrundsatzes bieten Geschädigten größere Handlungsfreiheit und Sicherheit bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen. Gleichzeitig verdeutlicht die Entscheidung, dass die „Erforderlichkeit“ im Schadensrecht beachtet werden muss, um angemessene und gerechte Lösungen für alle Beteiligten zu gewährleisten.
Benötigen Sie Hilfe in einem ähnlichen Fall? Jetzt Ersteinschätzung anfragen oder Beratungstermin vereinbaren: 02732 791079.
Das vorliegende Urteil
OLG Koblenz – Az.: 12 U 2148/21 – Beschluss vom 01.02.2022
Gründe
I. Der Senat weist auf Folgendes hin:
Die Parteien streiten mit der Berufung noch um restlichen Schadensersatz aus einem Unfallereignis, das sich am 02.05.2020 in …[Z] in Höhe der Straße …[Y] zugetragen hat. Die jeweiligen Haftungsverantwortlichkeiten zwischen den Unfallbeteiligten sind außer Streit; lediglich die Höhe des dem Kläger entstandenen Sachschadens bildet die Grundlage des Rechtsstreits in zweiter Instanz. Im Kern geht es dabei um die Frage, ob der Kläger bei der der Klageforderung zugrundeliegenden Schadensberechnung gegen das Wirtschaftlichkeitspostulat verstößt, indem er, ausgehend von einem wirtschaftlichen Totalschaden, den von dem (Privat-)Sachverständigen Dipl.-Ing. …[A] ermittelten „Wiederbeschaffungsaufwand“ geltend macht. Der Beklagte ist insoweit der Auffassung der Kläger sei vorliegend unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots gehalten gewesen, die Schadensberechnung auf der Grundlage des ihm mit Schreiben vom 24.06.2020 aufgezeigten – im Vergleich zu den Berechnungen des Sachverständigen …[A] – günstigeren Instandsetzungskosten vorzunehmen. Dieser Ansicht vermag sich der Senat nicht anzuschließen.
Hinsichtlich dieser zentralen Fragestellung geht der Senat – vor allem im Hinblick auf die Besonderheiten des hier zu beurteilenden Sachverhalts – nicht mit der dem Standpunkt des Beklagten folgenden landgerichtlichen Beurteilung konform. Der Kläger ist entgegen der Ansicht des Beklagten vorliegend berechtigt, seine Schadenskalkulation auf der Grundlage der durch das „Schadensgutachten …[A]“ ausgewiesenen Wertansätze vorzunehmen, sodass für die hier in Rede stehende Schadensabwicklung von einem „wirtschaftlichen Totalschaden“ des Fahrzeugs auszugehen ist, die den Kläger rechtlich in die Lage versetzt, betragsmäßig die Erstattung des von ihm geltend gemachten Schadens in Höhe des gutachterlich kalkulierten Wiederbeschaffungsaufwands zu verlangen.
Hierbei ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Freiheit, jederzeit nach Belieben über das beschädigte Fahrzeug verfügen zu dürfen, ein zentraler Ausdruck der Eigentümerbefugnis des Geschädigten ist (§ 903 BGB). Sie entspricht zugleich dem schadensrechtlichen Dispositionsgrundsatz, wonach der Geschädigte als Herr des Restitutionsverfahrens sowohl in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung als auch in der Verwendung des vom Schädiger zu leistenden Schadensersatzes frei ist (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 2009 – VI ZR 110/08, BGHZ 181, 242 ff.; Urteil vom 12. März 2009 – VII ZR 88/08, MDR 2009, 743; Urteil vom 23. Mai 2006 – VI ZR 192/05, BGHZ 168, 43 ff.; Urteil vom 29. April 2003 – VI ZR 398/02, juris-Rdn. 16, BGHZ 155, 1 ff.). Der Geschädigte soll also grundsätzlich eigenständig und autonom darüber entscheiden können, in welcher Weise er die Restitution des ihm durch den Unfall entstandenen Schadens vornimmt, ob durch Instandsetzung des beschädigten oder durch die Ersatzbeschaffung eines gleichwertigen Fahrzeugs. Der Eintritt des Schadensfalls rechtfertigt es nicht, diese Eigentümerbefugnis durch Einführung einer Wartepflicht – die insoweit gebotene Abgrenzung zu dem allgemein anerkannten Prüfungsrecht der Versicherung bei der Schadensabwicklung wird im Folgenden näher erläutert werden – bei der Veräußerung einzuschränken, wenn der Geschädigte bei dem Verkauf zu dem im Gutachten ausgewiesenen Restwert davon ausgehen darf, zu dem objektiv „richtigen“ Wert zu veräußern. Zwar erfährt das dem Grunde nach anzuerkennende Integritätsinteresse des Geschädigten eine Einschränkung dahingehend, dass er – ausgehend von dem Tatbestandsmerkmal der „Erforderlichkeit“ in § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB – grundsätzlich die Restitutionsform mit dem den Schädiger geringstmöglich belastenden Aufwand wählen muss, will er die von ihm erbrachten Aufwendungen vollständig ersetzt erhalten; diesen Anforderungen trägt das Regulierungsverlangen des Klägers vorliegend jedoch in hinreichendem Maße Rechnung.
Der Kläger hatte zur Bemessung seines Schadens das Gutachten eines auch dem Senat aus langjähriger Erfahrung als zuverlässig und kompetent bekannten Gutachters eingeholt. Auch die Ausführungen des Beklagten lassen insoweit keine Anhaltspunkte erkennen, die aus Sicht des Klägers die fachliche Geeignetheit des Sachverständigen und die Ergebnisse der Schadensbewertung infrage stellen mussten. Der Kläger durfte damit grundsätzlich auf den Inhalt der gutachterlichen Feststellungen und deren fachliche Richtigkeit vertrauen. Ob er angesichts dieser Sachlage berechtigt gewesen wäre, ausgehend von einem „wirtschaftlichen Totalschaden“ die Fakten für eine derartige Schadensberechnung auf Totalschadensbasis durch die Veräußerung des Unfallfahrzeugs zu dem von dem Gutachter festgestellten Restwert zu schaffen, ohne den Beklagten zuvor von dem Ergebnis der Schadensbegutachtung in Kenntnis zu setzen, hatte der Senat vorliegend nicht zu beurteilen. Der Kläger hatte das Schadensgutachten mit anwaltlichem E-Mail-Schreiben vom 19.05.2020 (Anlage z. Klageschrift [Bl. 1 ff d. e.A. 1. Instanz]) mit dem Zusatz an den Beklagten übersandt: „Sollte mein Mandant bis zum Montag, den 25.05.2020 nichts Gegenteiliges hören, wird mein Mandant das Fahrzeug an den höchstbietenden Restwertaufkäufer veräußern.“ Damit war der Beklagte über die Verkaufsabsichten des Klägers ebenso informiert wie über die wirtschaftlichen Grundlagen, auf denen eine solche rechtsgeschäftliche Disposition erfolgen würde. Selbst wenn die Frist von sechs Tagen bis zum 25.05.2020 als zu kurz bemessen angesehen werden könnte – was beklagtenseits jedoch in keiner Weise moniert wurde und auch die Tatsache außer Acht lassen würde, dass der Beklagte selbst darüber hinaus, bis zu dem Verkauf des Fahrzeugs mit Vertrag vom 08.06.2020 keine Reaktion gezeigt hatte – war der Beklagte jedenfalls gehalten, dies gegenüber dem Kläger kundzutun und erforderlichenfalls um eine Verlängerung der Stellungnahmefrist anzutragen. Bei dem E-Mail-Schreiben des Klägers vom 19.05.2020 handelte es sich in der Sache eindeutig um eine an den Beklagten bzw. die Regulierungsbeauftragte gerichtete zulässige Reaktionsaufforderung, die diese(r) nicht – wie offensichtlich geschehen – ignorieren oder jedenfalls unbeantwortet (und den Kläger damit im Unklaren) lassen durfte.
In diesem Zusammenhang kann sich der Beklagte auch nicht – wie im vorliegenden Fall auch nicht eingewandt – darauf berufen, dass ihr eine Prüfungsfrist hinsichtlich der Schadensabwicklung zustand. Auch der Senat verkennt nicht, dass dem Haftpflichtversicherer, der nach einem Verkehrsunfall unter Beteiligung seines Versicherungsnehmers auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird, bei durchschnittlichen Verkehrsunfällen eine Prüfungszeit von bis zu sechs Wochen zuzubilligen ist, wobei diese Frist im Falle der „Auslandsbeteiligung“, wenn eine Abwicklung über das Deutsche Büro Grüne Karte erfolgt, mit Blick auf die erforderliche Einschaltung eines Regulierungsbeauftragten durchaus auch länger zu bemessen sein kann. Die Zubilligung einer solchen Prüfungsfrist erscheint gerechtfertigt, um die Versicherung in die Lage zu versetzen zu überprüfen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang sie für die Folgen des Unfallgeschehens, an dem ihr Versicherungsnehmer bzw. der ausländische Verkehrsteilnehmer, für dessen Regulierung sie beauftragt ist, beteiligt war, einzustehen hat. Es bedarf hier keiner näheren Erläuterung, dass die Klärung des Unfallhergangs und der Haftungsverantwortlichkeiten gegebenenfalls mit umfangreichen Ermittlungen und mit einer zeitaufwendigen Informationsbeschaffung einhergehen kann, sodass der Anspruchsteller, der im Hinblick auf die Schadensliquidation vor Ablauf dieser Prüfungsfrist gerichtliche oder außergerichtliche Kosten verursacht und/oder sonstige Aufwendungen macht, diese gegebenenfalls nicht erstattet verlangen kann, wenn diese nicht erforderlich waren, weil der Versicherer den Schaden „fristgemäß“ anerkennt. Anders liegt der Fall indes dann, wenn – wie hier – der Geschädigte die Höhe des entstandenen Schadens durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens feststellen lässt, der Haftpflichtversicherung des Unfallgegners sodann das Ergebnis dieser Begutachtung zur Verfügung stellt und sie mit dem Hinweis auf die geplante Vorgehensweise auffordert, Stellung zu nehmen. Insoweit steht dann nicht die (fristgebundene) Haftungsfrage als solche im Raum, sondern die Entscheidung darüber, welche Maßnahmen der Geschädigte im Hinblick auf die Schadensbehebung ergreifen darf, unabhängig davon, in welchem Verhältnis die Unfallbeteiligten hier dem Grunde nach für die Folgen des Schadensereignisses einzustehen haben. Auch die Versicherung mag sich insoweit für die Beantwortung der an sie herangetragen Fragestellung im Vorfeld eines Sachverständigen bei der Überprüfung der ihr vorgelegten Informationen bedienen. Sofern dies jedoch zu einer zeitlichen Verzögerung hinsichtlich der geforderten Stellungnahme führte, war sie gehalten, dies dem Anspruchsteller mitzuteilen und entsprechend um Zeitaufschub nachzusuchen. Lässt die Versicherung den Geschädigten durch Unterlassen jeglicher Reaktion binnen der ihr gesetzten Frist im Unklaren, kann sie sich nicht im Nachhinein darauf berufen, dieser habe sich nicht entsprechend dem Wirtschaftlichkeitsgebot verhalten, selbst dann nicht, wenn sich herausstellen sollte, dass die Feststellungen in dem von den Geschädigten in Auftrag gegebenen Gutachten nicht fachgerecht oder zumindest auch anders vertretbar sein sollten. Diese Konsequenz ihrer nicht bzw. nicht fristgerecht erfolgten Reaktion auf das Schreiben des Klägervertreters vom 19.05.2020 waren ihr durch den Inhalt dieser Aufforderung auch hinreichend vor Augen geführt worden, denn es wurde in diesem Schreiben klar und unmissverständlich unterschieden zwischen der geforderten Stellungnahme zu dem übersandten Schadensgutachten einerseits und der gesetzten Frist für die Schadensabwicklung andererseits wenn es dort im Anschluss an die bereits zitierte Passage weiter wie folgt heißt: „Namens und in Vollmacht meines Mandanten habe ich Sie aufzufordern, den vorerwähnten Schadensersatzbetrag bis zum Freitag, den 29.05.2020 auf eines der unten angegebenen Konten zur Einzahlung zu bringen.“. Nach allem war der Kläger vorliegend berechtigt, unter Berücksichtigung der von dem Sachverständigen Dipl.-Ing. …[A] getroffenen Wertermittlung auf Basis des Wiederbeschaffungsaufwands abzurechnen.
Soweit der Kläger vorliegend mit seinem Berufungsantrag zu 1. die Zahlung weiterer 2.987,44 € geltend macht, ist in rechnerischer Hinsicht bereits hier klarstellend auszuführen: Das Landgericht, das entgegen der vorstehenden Erwägungen hier von einer Leistungsverpflichtung des Beklagten auf der Grundlage des kalkulierten Reparaturkostenaufwands und nicht auf Basis des wirtschaftlichen Totalschadens ausgegangen war, hat – gutachterlich beraten – hierfür den Betrag von 3.560,56 € in Ansatz gebracht und nach Abzug des von dem Beklagten bzw. der Regulierungsbeauftragten geleisteten Betrages von 1.442,56 € den Betrag von 2.118,00 € als für die Reparaturkosten erstattungsfähig ausgeurteilt. Ausgehend von einem zu ersetzenden Wiederbeschaffungsaufwand in Höhe von 6.700,00 € würden sich die noch ausstehenden reinen Sachschäden betreffend das streitgegenständliche Fahrzeug auf den Betrag von weiteren 3.139,44 € (6.700,00 €-3.560,56 €) belaufen. Wenn der Kläger mit der Berufung seinen mit dem Antrag zu 1. geltend gemachten Anspruch betreffend diese Schadensposition nunmehr lediglich noch mit einem Betrag in Höhe von 2.987,44 € weiterverfolgt, resultiert dies daraus, dass er offensichtlich den Betrag der ihm durch das Landgericht zuerkannten Nutzungsausfallentschädigung von 152,00 € (vier Tage à 38,00 €) hiervon in Abzug gebracht hat. Aus rein rechnerischer Sicht erscheint dies konsequent mit Blick auf die Tatsache, dass der Kläger mit dem Antrag zu 3. in der Berufung die gesamte von ihm erstinstanzlich geltend gemachte Nutzungsausfallentschädigung einschließlich der An- und Abmeldekosten in Höhe eines Betrages von 619,50 € verlangt, die unter Außerachtlassung der Tatsache, dass ihm 152,00 € bereits durch das Landgericht zuerkannt wurden. Bei einer sachgerechten, nicht auf die spezifische Schadensposition beschränkte Betrachtung der mit der Berufung weiterverfolgten Klageforderung insgesamt ist daher vorliegend davon auszugehen, dass in der in reduziertem Umfang erfolgten Aufrechterhaltung des Klageantrags zu 1. keine (Teil-)Klagerücknahme zu sehen ist, sondern lediglich – bezogen auf den geltend gemachten Gesamtanspruch – der erstinstanzlich gewährte Teilanspruch für die Nutzungsausfallentschädigung rechnerisch im Klageantrag zu 1. Berücksichtigung gefunden hat, während dieser Betrag in dem die Nutzungsausfallentschädigung unmittelbar betreffenden Klageantrag zu 3. nicht anspruchsmindernd Eingang gefunden hat. Der unmittelbare Sachschaden am Fahrzeug beläuft sich daher vorliegend über den durch das landgerichtliche Urteil zuerkannten Betrag hinaus auf weitere 3.139,44 €.
Jedoch ist in materiell-rechtlicher Hinsicht auszuführen, dass – über den rechtskräftig zuerkannten, mit der Berufung nicht angegriffenen Betrag von 152,00 € – Bedenken in bestehen, als nicht klar erkennbar wird, dass dem hier in Rede stehenden Nutzungsentgang tatsächlich ein Nutzungswille des Klägers zugrundeliegt. Der Nutzungswille ist – neben der Nutzungsmöglichkeit – Voraussetzung für die Entschädigung des vorübergehenden Gebrauchsverlustes in Bezug auf ein Kraftfahrzeug. Der Kläger, der für einen entsprechenden Nutzungswillen hinsichtlich des verunfallten Fahrzeuges darlegungs- und beweispflichtig ist, hat erst am 28.09.2020, mithin nahezu fünf Monate nach dem Unfallereignis, bei dem sein Fahrzeug in einem Umfang beschädigt wurde, dass es nicht mehr fahrbereit war, ein Ersatzfahrzeug beschafft. Wartet der Geschädigte über einen längeren Zeitraum zu, bis er sich ein Ersatzfahrzeug anschafft, besteht bereits die Vermutung eines fehlenden Nutzungswillens (so auch OLG Celle, Urteil vom 13. Oktober 2011 – 5 U 130/11 -, juris). Inwieweit trotz des genannten Zeitablaufs von nahezu fünf Monaten ein Nutzungswille des Klägers gleichwohl vorhanden war, kann jedenfalls aufgrund des bisherigen Sach- und Streitstandes nicht abschließend beurteilt werden.
Angesichts der dem Grunde nach berechtigten Abrechnung auf Basis eines wirtschaftlichen Totalschadens steht dem Kläger darüber hinaus ein Anspruch auf Erstattung der Kosten für die erfolgte Abmeldung des Unfallfahrzeugs und die Anmeldung des Ersatzfahrzeugs in Höhe des mit der Klage in angemessenem Umfang geltend gemachten Betrages von 87,50 € zu.
Soweit der Kläger zu Lasten des Beklagten um die Auferlegung der gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten hinsichtlich der mit der Klage ursprünglich geltend gemachten Aufwendungen für die vorgerichtliche Beauftragung eines Sachverständigen mit der vorgerichtlichen Erstellung eines Schadensgutachtens anträgt, ist das Landgericht diesem Antrag zu Recht nicht gefolgt. Im Rahmen einer zu treffenden Ermessensentscheidung über die Kosten der (Teil-)Klagerücknahme gemäß § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO durfte nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Zahlung durch den Beklagten bzw. die Regulierungsbeauftragte am 24.06.2020, und damit bereits nahezu drei Monate vor Klageerhebung erfolgt war. Der Kläger hätte sich daher vor gerichtlicher Geltendmachung ohne weiteres über den Fortbestand der Forderung bei dem Gutachter und/oder der Beklagten/Regulierungsbeauftragten erkundigen können; dies war ihm zumutbar und im konkreten Fall auch geboten, jedenfalls mit Blick auf die Tatsache, dass der Beklagte/die Regulierungsbeauftragte auch im Übrigen (Teil-) Zahlungen hinsichtlich der Regulierung des Schadensereignisses geleistet hatte.
Der Kläger hat schließlich Anspruch auf Erstattung der ihm entstandenen Aufwendungen für die außergerichtliche Inanspruchnahme der Klägervertreter aus einem Gegenstandswert von insgesamt 7.679,38 €, mithin in Höhe einer Gesamtforderung von 729,23 €. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch die Aufwendungen für die Einschaltung eines Gutachters mit der Erstellung eines Schadensgutachtens hier Gegenstand der außergerichtlichen Tätigkeit war. Nach Abzug der beklagtenseits mit Abrechnung vom 24.06.2020 vorgenommenen Zahlung von 201,71 € und eines ihm erstinstanzlich zuerkannten weiteren Betrages von 290,83 € verbleibt eine Restforderung in Höhe von 236,69 €.
II. Dies vorausgeschickt sollten die Parteien mit Blick auf den auch wertmäßig überschaubaren Gegenstand der Berufung schon aus prozessökonomischen und wirtschaftlichen Gründen erwägen, die Angelegenheit gütlich beizulegen. Unter Berücksichtigung der wechselseitigen Risiken, die mit einer Fortsetzung des Rechtsstreits verbunden sind, sowie der jeweiligen Erfolgsaussichten schlägt der Senat den Parteien vor, sich wie folgt zu vergleichen:
1. Der Beklagte verpflichtet sich, zum Ausgleich der Schadensersatzansprüche aus dem Unfallereignis vom 02.05.2020 auf der Straße „…[Y]“ über die vorgerichtlich bereits geleistete Zahlung hinaus an den Kläger weitere 5.496,94 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.06.2020 zu zahlen.
2. Über die von ihm bereits erbrachte Leistung hinaus stellt der Beklagte den Kläger von vorgerichtlichen Kosten des Rechtsanwalts …[B] in …[Z] in Höhe von weiteren 527,52 € frei.
3. Beide Parteien erklären, aus dem Urteil des Landgerichts Koblenz vom 04.11.2021, Az.: 10 O 289/20, nicht zu vollstrecken.
4. Die erstinstanzlichen Kosten dieses Rechtsstreits tragen der Kläger zu 1/5 und der Beklagte zu 4/5. Von den zweitinstanzlichen Kosten tragen der Kläger 1/9 und der Beklagte 8/9; die Kosten des Vergleichs werden gegeneinander aufgehoben.
III. Die Parteien erhalten Gelegenheit, bis zum 21.02.2022 mitzuteilen, ob sie den Vergleichsvorschlag des Senats annehmen. Im Falle einer Annahme durch beide Parteien soll gemäß § 278 Abs. 6 ZPO verfahren werden.
Die folgenden rechtlichen Bereiche sind u.a. in diesem Urteil relevant
- § 249 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) – Schadensersatz in Natur: Im vorliegenden Fall hat das OLG Koblenz entschieden, dass der Kläger einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe des Wiederbeschaffungsaufwands hat, da das Fahrzeug einen wirtschaftlichen Totalschaden erlitten hat. Dabei ist insbesondere § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB relevant, der besagt, dass der Geschädigte nur die Kosten geltend machen kann, die zur Wiederherstellung des Zustands erforderlich sind, der ohne das schädigende Ereignis bestehen würde.
- § 903 BGB – Eigentum und Besitz: Das Gericht stützt seine Entscheidung auf die Anerkennung der Eigentümerbefugnis des Geschädigten gemäß § 903 BGB. Dieser Paragraph gibt dem Eigentümer das Recht, mit der Sache nach Belieben zu verfahren und andere von jeder Einwirkung auszuschließen. Im Schadensersatzrecht bedeutet dies, dass der Geschädigte die Freiheit hat, über das beschädigte Fahrzeug zu verfügen und eigenständig darüber zu entscheiden, in welcher Weise er die Wiederherstellung des durch den Unfall entstandenen Schadens vornimmt.
- Schadensrechtlicher Dispositionsgrundsatz: Dieser Grundsatz besagt, dass der Geschädigte grundsätzlich frei entscheiden kann, wie er den ihm zustehenden Schadensersatz verwendet. Im vorliegenden Fall hat das OLG Koblenz festgestellt, dass der Kläger berechtigt ist, seine Schadenskalkulation auf der Grundlage des Privatsachverständigengutachtens vorzunehmen, was den schadensrechtlichen Dispositionsgrundsatz bestätigt.
- Wirtschaftlichkeitspostulat: Der Beklagte argumentierte, dass der Kläger gegen das Wirtschaftlichkeitspostulat verstoße, indem er den Wiederbeschaffungsaufwand geltend mache, der durch einen Privatsachverständigen ermittelt wurde. Das OLG Koblenz entschied jedoch, dass der Kläger nicht gegen das Wirtschaftlichkeitspostulat verstoßen hat und das Privatsachverständigengutachten als Grundlage für die Schadensberechnung anerkannt wurde.
- Prüfungspflicht der Versicherung: Das Gericht hat in seiner Entscheidung auch die allgemein anerkannte Prüfungspflicht der Versicherung bei der Schadensabwicklung berücksichtigt. Dies bedeutet, dass die Versicherung verpflichtet ist, die Angemessenheit und Richtigkeit der Schadensberechnung zu prüfen, um eine gerechte und angemessene Lösung für alle Beteiligten zu gewährleisten.