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Verkehrsunfall – unklare Verkehrslage beim Überholen einer fahrenden Kolonne

70% Haftung für Beklagte in Verkehrsunfall

Ein Gericht hat entschieden, dass die Beklagten für die aus einem Unfall resultierenden Schäden des Klägers eine Haftung in Höhe von 70% tragen.

Keine höhere Gewalt

Der Unfall beruhte für beide Parteien nicht auf höherer Gewalt und war auch nicht unabwendbar. Es wurde festgestellt, dass ein besonders vorsichtiger Fahrer den Unfall möglicherweise vermieden hätte.

Haftungsverteilung

Die Haftungsverteilung basiert auf den Umständen, insbesondere darauf, inwieweit der Schaden überwiegend von einer der beiden Parteien verursacht wurde. Das Gericht entschied, dass die Beklagten 70% der Verantwortung tragen, da der Unfall auf eine unzureichende Aufmerksamkeit des Beklagten zurückzuführen ist.

Verkehrsverstoß des Klägers nicht bewiesen

Ein für die Kollision mitursächlicher Verkehrsverstoß des Klägers wurde nicht bewiesen. Der Kläger hat sich für das Überholen einer Kolonne entschieden, was mit einem gesteigerten Risiko verbunden ist. Dies rechtfertigt eine Mithaftung des Überholenden in Höhe der Betriebsgefahr.

Kostenentscheidung und Revision

Die Kostenentscheidung folgt aus den entsprechenden Gesetzen. Die Revision wurde nicht zugelassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und keine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.

[…]


Urteil im Volltext

LG Hamburg – Az.: 323 S 25/21 – Urteil vom 28.04.2022

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Wandsbek vom 09.06.2021 (Az.: 712 C 189/20) im Hauptsacheausspruch wie folgt abgeändert und neugefasst:

1. Die Klageansprüche sind dem Grunde nach bezüglich einer Haftungsquote der Beklagten als Gesamtschuldner von 70% gerechtfertigt.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger 60% und die Beklagten als Gesamtschuldner 40%.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 540 Abs. 2 i.V.m. § 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen. Ein Rechtsmittel ist gegen das Urteil unzweifelhaft nicht zulässig. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nach § 544 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen.

II.

Die zulässige Berufung hat auch in der Sache teilweise Erfolg.

unklare Verkehrslage beim Überholen einer fahrenden Kolonne
(Symbolfoto: Sumate Gulabutdee/Shutterstock.com)

Die Beklagten trifft für die aus dem Unfall resultierenden Schäden des Klägers eine Haftung in Höhe einer Quote von lediglich 70%.

Der Unfall beruhte weder für den Kläger noch für den Beklagten zu 1. auf höherer Gewalt i.S.d. § 7 Abs. 2 StVG und war für beide auch nicht unabwendbar i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG. Es ist im Hinblick auf beide Unfallbeteiligten – unabhängig von den unterschiedlichen Unfalldarstellungen – jedenfalls nicht auszuschließen, dass ein besonders vorsichtiger Fahrer den Unfall vermieden hätte.

Steht die grundsätzliche Haftung der Parteien aus §§ 7, 17, 18 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 VVG fest, so hängt in ihrem Verhältnis zueinander die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes gemäß §§ 17, 18 StVG von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden überwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Für das Maß der Verursachung ist ausschlaggebend, mit welchem Grad von Wahrscheinlichkeit ein Verhalten geeignet ist, Schäden der vorliegenden Art herbeizuführen.

Die von beiden Teilen zu tragende Betriebsgefahr kann dabei durch das Verschulden der Beteiligten erhöht werden. Im Rahmen der Abwägung können zu Lasten einer Partei aber nur solche Tatsachen berücksichtigt werden, die als unfallursächlich feststehen.

1.

Zu Recht ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass zu Lasten der Beklagten ein gewichtiger Verkehrsverstoß zu berücksichtigen ist, da der Beklagte zu 1. entgegen § 9 Abs. 5 StVO bei dem Abbiegen in ein Grundstück eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer nicht ausgeschlossen hat.

Dass der Beklagte zu 1. die sich aus dieser Vorschrift ergebenden Sorgfaltspflichten gewahrt hat, ist entgegen den Ausführungen in der Berufungsbegründung nicht unstreitig. Es sei insoweit auf den Tatbestand des amtsgerichtlichen Urteils verwiesen, der nicht mit einem Tatbestandsberichtigungsantrag angegriffen worden ist.

Unstreitig hatte der Beklagte zu 1. zum Zeitpunkt der Kollision bereits mit dem Abbiegevorgang begonnen, so dass der Fahrvorgang den höchsten Sorgfaltsanforderungen unterlag.

Ob der zu Lasten des Abbiegenden gehende Anschein eines Verkehrsverstoßes hinsichtlich sämtlicher zu erfüllenden Sorgfaltsanforderungen entfällt, wenn der Unfallgegner eine Kolonne überholt (vgl. OLG München, Urteil vom 19.05.2017 – Az. 10 U 3718/16; OLG Dresden, Urteil vom 18.02.2015 – Az. 7 U 1047/14; jeweils zitiert nach juris), kann vorliegend dahinstehen. Die vorliegend festgestellten Umstände führen nämlich jedenfalls zu dem Beweis des ersten Anscheins, dass der Beklagte zu 1. gegen seine zweite Rückschaupflicht aus §§ 9 Abs. 1 S. 4, Abs. 5 StVO verstoßen hat.

Insbesondere muss bei dem Abbiegen in ein Grundstück auch eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen werden. Bei Vornahme der gebotenen zweiten Rückschau unmittelbar vor dem Abbiegen ist es praktisch nicht möglich, dass ein überholendes Fahrzeug übersehen wird, so dass auch vorliegend die Kollision nur mit einer unzureichenden Aufmerksamkeit des Beklagten zu 1. erklärt werden kann. Wenn dieser unmittelbar vor dem Einlenken nach links tatsächlich eine Rückschau gehalten und der Kläger zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal zum Überholen angesetzt haben sollte, dann wäre die nachfolgende Kollision lebensnah nicht zu erklären.

Diese Bewertung drängt sich angesichts des Schadensbildes an beiden Fahrzeugen auch dem technischen Laien geradezu auf, so dass die Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens nicht veranlasst ist. Die Fahrzeuge haben sich mit Blick auf die dokumentierten Schäden mit der vorderen rechten bzw. linken Ecke getroffen (vgl. die Fotos Anlagen K 2, B 1 und 2), so dass sich die Kollision unmittelbar nach Beginn des Abbiegevorgangs ereignet haben muss.

Bei der wiederum unmittelbar vor Beginn des Einlenkens gebotenen zweiten Rückschau muss für den Beklagten zu 1. das Fahrzeug des Klägers dann aber schon zwingend wahrnehmbar gewesen sein, da es vor dem Erreichen der Kollisionsstelle sogar noch das Fahrzeug des Zeugen S. überholte und eine sprungartige Beschleunigung oder das plötzliche Auftauchen an diesem Punkt auszuschließen sind.

2.

Demgegenüber ist ein für die Kollision mitursächlicher Verkehrsverstoß des Klägers nach der zutreffenden Bewertung des Amtsgerichts nicht bewiesen.

Einen Verstoß des Klägers gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO ist zu Recht verneint worden. Dass sich eine mit langsamer Geschwindigkeit fahrende Kolonne gebildet hat, begründet für sich genommen ebensowenig eine unklare Verkehrssituation wie die Möglichkeit, dass ein in der Kolonne befindliches Fahrzeug zum Abbiegen auf ein Grundstück ausscheren könnte. Ohne weitere Anhaltspunkte muss der nachfolgende Verkehr nicht mit einer Auswirkung auf den Überholvorgang rechnen, da auf die Einhaltung der äußersten Sorgfaltspflicht vor Einleitung eines möglichen Abbiegevorgangs vertraut werden darf.

Zudem ist ein Verstoß gegen § 5 Abs. 7 S. 1 StVO nach den aus berufungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstandenden Feststellungen des Amtsgerichts nicht nachgewiesen.

Mit nachvollziehbarer Begründung ist das Amtsgericht auf der Grundlage der Angaben des Zeugen S. nicht zu der Überzeugung gelangt, dass der Beklagte zu 1. den Abbiegevorgang rechtzeitig angekündigt und sich ordnungsgemäß eingeordnet hat. Die Erklärung des Beklagten zu 1., er habe „rechtzeitig“ geblinkt stellt schon keine einer Bewertung zugängliche Sachverhaltsdarstellung dar, sondern ausschließlich eine nicht überprüfbare eigene Bewertung. Überdies verbleiben hinsichtlich seiner Schilderung ohnehin Zweifel, weil aus den vorstehend genannten Gründen die von ihm angegebene Rückschau überhaupt nicht plausibel ist.

Auch steht schließlich nicht fest, dass der Kläger bei Einhaltung der gebotenen Sorgfalt i.S.d. § 1 Abs. 2 StVO durch Abbremsen oder Ausweichen die Kollision noch hätte vermeiden können.

Vielmehr ist es nach den Feststellungen des Amtsgerichts möglich, dass er keine Reaktionsmöglichkeit mehr hatte, als der Beklagte zu 1. zum Abbiegen ansetzte.

Soweit die Beklagten erstmals in der Berufungsbegründung eine unfallursächliche Geschwindigkeitsüberschreitung des Klägers unter Verstoß gegen § 3 Abs. 3 StVO geltend machen, ist das Vorbringen gemäß § 531 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen.

3.

Bei der Abwägung dieser unterschiedlichen Verursachungsbeiträge der beteiligten Fahrzeugführer hält das Berufungsgericht aber eine Haftung der Beklagten in Höhe von lediglich 70% für angemessen.

Angesichts des Sorgfaltsmaßstabes des § 9 Abs. 5 StVO handelt es sich um ein erhebliches Verschulden des Beklagten zu 1. Die vorgenannte Norm stellt grundlegende Sorgfaltsanforderungen auf, durch deren Beachtung eine Kollision mit einem überholenden Fahrzeug durch den Abbiegenden ohne Weiteres ausgeschlossen werden kann. Diesen trifft daher die überwiegende Verantwortung für die eingetretene Kollision, was auch in der Haftungsverteilung entsprechend Ausdruck finden muss.

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Andererseits ist aber auch eine Mithaftung des Klägers in Höhe der Betriebsgefahr seines Fahrzeuges vorliegend sachgerecht, da diese vorliegend nicht vollständig hinter dem Verschulden des Beklagten zu 1. zurücktritt.

Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der Kläger sich für einen zwar nicht grundsätzlich unzulässigen Fahrvorgang entschieden hat, das Überholen einer Kolonne aus mehreren Fahrzeugen aber doch mit einem gesteigerten Risiko verbunden ist. Bereits bei einem Überholen von zwei Fahrzeugen ist die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Fahrvorgänge anderer Verkehrsteilnehmer infolge einer Sichteinschränkung durch das weitere in der Kolonne befindliche Fahrzeug später wahrgenommen und Reaktionsmöglichkeiten dementsprechend erschwert werden. Diese objektive Gefahrerhöhung rechtfertigt regelmäßig eine Mithaftung des Überholenden in Höhe der Betriebsgefahr (vgl. OLG München a.a.O.).

4.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1 S. 1, 97 Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO.

Die Entscheidung über das Rechtsmittel gegen ein Grundurteil hat – weil es sich nicht um eine Zurückverweisung handelt – eine Kostenentscheidung zu enthalten (BGH NJW-RR 2004, 1294 m.w.N.).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.


Die folgenden rechtlichen Bereiche sind in diesem Urteil relevant:

  • Verkehrsrecht: Im vorliegenden Fall geht es um einen Verkehrsunfall, der durch einen Verstoß gegen Verkehrsvorschriften verursacht wurde. Insbesondere sind die §§ 7, 9, 17 und 18 StVG relevant, die die Haftung im Straßenverkehr regeln. Es wird untersucht, ob die Verkehrsteilnehmer ihre Sorgfaltspflichten erfüllt haben und wer in welchem Maße für den entstandenen Schaden haftet. Auch die Vorschriften der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) wie § 5 (Überholen) und § 3 (Geschwindigkeitsbeschränkungen) spielen eine Rolle.
  • Haftungsrecht: Im Zivilrecht geht es um die Frage, wer für den entstandenen Schaden haftet. Im vorliegenden Fall geht es um die Haftung der Beklagten für die aus dem Unfall resultierenden Schäden des Klägers. Dabei spielt die Betriebsgefahr der beteiligten Fahrzeuge eine Rolle, die bei der Haftungsverteilung berücksichtigt wird.
  • Zivilprozessrecht: Das Zivilprozessrecht regelt das Verfahren vor den Zivilgerichten. Im vorliegenden Fall geht es um eine Berufung gegen ein Urteil des Amtsgerichts. Dabei wird untersucht, ob das Urteil in der Sache richtig ist und ob Verfahrensfehler gemacht wurden. Auch die Frage der Zulässigkeit von Rechtsmitteln wird behandelt.

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