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Verkehrsunfall – Verdienstausfall bei objektiv falscher Krankschreibung?

OLG Dresden – Az.: 1 U 2039/21 – Urteil vom 13.07.2022

In dem Rechtsstreit pp. wegen Schadensersatzes und Schmerzensgeldes aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22.06.2022 für Recht erkannt:

1. Die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 12.08.2021 – Az.: 5 O 1438/20 – werden zurückgewiesen.

2. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger 42/100 und die Beklagten als Gesamtschuldner 58/100 zu tragen.

3. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 12.08.2021 – Az.: 5 O 1438/20 – sind vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung der Gegenpartei jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenpartei vor Vollstreckung jeweils Sicherheit in Höhe von 115 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird zugelassen, soweit die Berufung des Klägers auf Erstattung weiteren Verdienstausfalles zurückgewiesen worden ist.

Gründe

A. Der Kläger macht Schadensersatz und Schmerzensgeld aus einem Unfallereignis vom 08.05.2019 geltend, welches sich gegen 10.00 Uhr in der Waschstraße der Wpp. GmbH in der pp.straße xxx in Cpp. ereignete. Die Schäden wurden durch die Beklagte zu 2) bereits teilweise reguliert. Streitgegenständlich ist, ob noch über das bereits geleistete Schmerzensgeld weiteres Schmerzensgeld zu zahlen ist, dem Kläger ein Schadensersatzanspruch wegen Verdienstausfall über dem 05.09.2019 hinaus zusteht und die Höhe der zu erstattenden Kosten, die dem Kläger durch die vorgerichtliche Inanspruchnahme seiner Prozessbevollmächtigten entstanden sind.

Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen, vgl. § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO.

Das Landgericht hat mit Urteil vom 12.08.2021 der Klage teilweise stattgegeben. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe im Urteil des Landgerichts Bezug genommen.

Das Urteil ist den Parteien am 16.08.2021 zugestellt worden. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 16.09.2021, welcher am gleichen Tage beim Oberlandesgericht eingegangen ist, Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 15.10.2021, welcher wiederum am gleichen Tage beim Oberlandesgericht eingegangen ist, begründet. Den Beklagten ist die Berufungserwiderungsfrist bis zum 09.12.2021 verlängert worden. Mit Schriftsatz vom 08.12.2021, welcher am gleichen Tag beim Oberlandesgericht eingegangen ist, haben die Beklagten Anschlussberufung erhoben.

Der Kläger trägt in der Berufung vor: Das Landgericht habe wesentlichen Sachvortrag des Klägers außer Acht gelassen. Er habe vorgetragen, dass längere Zeit die Gefahr einer Beinamputation bestanden habe und der Kläger aufgrund dessen und des komplizierten Krankheitsverlaufes in psychologischer Behandlung gewesen sei. Diesbezüglich sei auf den Arztbericht des pp.schmerzzentrums Dpp. vom 16.01.2020 Bezug genommen worden. In diesem sei ausgeführt:

„pp. (seit dem berichteten Unfall) reduziert schwingungsfähig bei depressiv-gereizter Stimmungslage, Niedergeschlagenheit, Antrieb gemindert, Psychomotorik eingeschränkt, traumatische Unfallverarbeitung einhergehend mit wiederkehrenden Bildern vom Unfall, erhöhtes Aroulsal, Alpträume, Reizbarkeit, Angstgefühle und Hilflosigkeitserleben berichtet, kein Anhalt für eine akute Fremd- und Eigengefährdung. Aktuell regelmäßiger Alkoholkonsum (bis sechs Flaschen Bier/Tag) mit dämpfender und schmerzlindernder Wirkung.“

Verkehrsunfall – Verdienstausfall bei objektiv falscher Krankschreibung?
(Symbolfoto: Elnur/Shutterstock.com)

Die sich hierin äußernde enorme psychische Belastung des Klägers durch den Unfall mit der damit einhergehenden Angst, sein Bein zu verlieren und in jungen Jahren bereits zum Invalidenfall zu werden, finde keinen Niederschlag in dem Urteil des Landgerichts. Dieses bezöge sich lediglich auf die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen. Dieser habe jedoch erst im laufenden Prozess zu dem dortigen Zeitpunkt die psychische Verfassung des Klägers berücksichtigt. Das eingeholte Gutachten konzentriere sich im Wesentlichen auf die körperlichen Schäden sowie die neurologischen Befunde zum Zeitpunkt der Untersuchung. Es sei zwar richtig, dass entgegen den ursprünglichen Annahmen keine Gefahr einer Beinamputation bestanden habe. Dies habe jedoch lediglich Auswirkungen auf den psychischen und emotionalen Zustand des Klägers nach Zugang des gerichtlichen Sachverständigengutachtens. Unmittelbar nach dem Unfallereignis sowie in den folgenden Wochen und Monaten sei der Kläger mit dieser Gefahr konfrontiert worden. Insofern bagatellisierten die Beklagten den Unfall.

Rechtsirrig sei das Landgericht davon ausgegangen, dass dem Kläger lediglich für vier Monate, abzüglich der Entgeltfortzahlung des Arbeitgebers von eineinhalb Monaten, mithin 2,5 Monate und nicht bis zum 14.09.2020 Verdienstausfall zu erstatten sei. Es habe übersehen, dass der Kläger sich auf die Krankschreibung seines Arztes habe verlassen und danach handeln dürfen. Der behandelnde Arzt eines Patienten genieße einen besonderen Vertrauensschutz. Der Geschädigte dürfe sich nach den Empfehlungen seines behandelnden Arztes verhalten und sein Verhalten danach ausrichten. Vorliegend habe der Kläger entsprechende Krankschreibungen seines behandelnden Arztes vorgelegt, welche eine Arbeitsunfähigkeit aufgrund des Unfallereignisses ausgewiesen hätten. Der Kläger habe zum Zeitpunkt dieser Krankschreibungen darauf vertrauen dürfen, dass die daraus hervorgehende Arbeitsunfähigkeit medizinisch korrekt festgestellt worden sei. Stelle sich im Nachhinein heraus, dass die Diagnose des behandelnden Arztes fehlerhaft gewesen sei, so könne dieses nicht zum Nachteil des Geschädigten gereichen. Das Risiko einer Fehldiagnose – sofern diese nicht grob fahrlässig oder vorsätzlich erstellt worden sei – gehe zu Lasten des Schädigers, mithin hier der Beklagten. Entsprechend habe der Bundesgerichtshof im Urteil vom 16.10.2001 entschieden.

Aufgrund der Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen werde deutlich, dass unterschieden werden müsse, ob eine weitere Krankschreibung nach dem 05.09.2019 gerechtfertigt oder der Kläger tatsächlich nach dem 05.09.2019 arbeitsunfähig krank gewesen sei. Die Ausführungen des Sachverständigen würden so verstanden, dass der Kläger nach dem 05.09.2019 zwar arbeitsunfähig krank gewesen sei, aber durch Behandlung mit Lidocain und Capsaicin-Pflaster ab dem 06.09.2019 wieder hätte arbeitsfähig sein können. Der Kläger habe aber von einer derartigen Behandlungsmöglichkeit keine Kenntnis gehabt. Unstreitig sei sie ihm auch nicht empfohlen worden. Es handele sich daher um einen Behandlungsfehler des Hausarztes des Klägers, welchen der Kläger nicht zu vertreten habe und welcher im Risikobereich des Schädigers liege. Gerne trete der Kläger die entsprechenden Ansprüche gegenüber dem Hausarzt an die Beklagte zu 2) ab.

Der Kläger beantragt in der Berufungsinstanz,

1. an den Kläger ein angemessenes weiteres Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird – mindestens jedoch 5.000,00 € -, zu zahlen,

2. an den Kläger gesamtschuldnerisch einen Betrag i.H.v. 2.257,44 € nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.10.2020 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren i.H.v. 799,80 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.10.2020 zu zahlen sowie

3. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche Schäden, die ihm künftig aus dem Unfall vom 08.05.2019 in der Waschstraße Wpp. GmbH in der pp.straße xxx in Cpp. in Bezug auf die neuropathetischen Schmerzen im Bereich des linken Unterschenkels entstehen, zu ersetzen, soweit diese nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergangen sind oder übergehen,

4. die Anschlussberufung zurückzuweisen.

Die Beklagten beantragen in der Berufungsinstanz,

1. die Berufung zurückzuweisen,

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 352,73 € nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 31.10.2020 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren i.H.v. 376,10 € nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 31.10.2020 zu zahlen,

3. im Übrigen die Klage abzuweisen.

Die Beklagten tragen in der Berufungsinstanz vor:

Soweit die Klage der Abweisung unterlegen sei, sei dieses zu Recht geschehen.

Eine vom Kläger behauptete angebliche Gefahr einer Beinamputation sei von den Beklagten ausdrücklich bestritten worden. Dies gelte auch für eine vorgeblich unfallbedingte psychologische Behandlung. Aus dem Bericht des Unfallschmerzzentrums Dresden ergebe sich nichts Anderweitiges.

Dem Kläger sei auch nicht gelungen, seine bestrittenen Behauptungen zu belegen. So habe sich das gerichtliche Sachverständigengutachten sehr ausführlich mit dem psychopathologischen Zustand des Klägers auseinandergesetzt, sich auch zur Frage eines depressiven Syndroms geäußert und ein solches verneint. Diese Feststellungen seien vom Kläger nicht angegriffen worden. Insoweit werde auf den vorgelegten Arztbericht vom 16.01.2020 Bezug genommen, der eine Unfallkausalität einer depressiven Störung ausdrücklich verneine. Bezüglich einer vorgeblich in Anspruch genommenen psychologischen Behandlung werde nicht hinreichend konkret vorgetragen. Da das zu Beweiszwecken eingeholte gerichtliche Gutachten den diesbezüglichen Vortrag des Klägers nicht habe bestätigen können, sei dieser bei der Schmerzensgeldbemessung auch nicht zu berücksichtigen.

Aus Sicht der Beklagten sei das vom Landgericht zuerkannte Schmerzensgeld überzogen. Das Landgericht habe sich insbesondere nicht auf das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt/M. vom 23.11.2008 stützen können. Diesem könne zwar entnommen werden, dass der dortigen Klägerin für eine fehlerhafte Korrektur einer Valgus-Fehlstellung ein Schmerzensgeld von 8.000,00 € zuerkannt worden sei, indes nicht vom Oberlandesgericht, sondern vom Landgericht Frankfurt/M. Die erstinstanzliche Entscheidung sei in diesem Punkt nicht angegriffen worden. Insoweit seien im Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt/M. keine Erwägungen aufgeführt, die für die Bemessung des Schmerzensgeldes leitend gewesen seien. Dem Urteil könne lediglich entnommen werden, dass die dortige Klägerin Gefahr gelaufen sei, ein künstliches Kniegelenk werde eingesetzt, wenn sie sich nicht einer operativen Revision unterziehe. Derart erhebliche Spätschäden habe der Kläger indes glücklicherweise nicht zu gegenwärtigen. Zudem ergebe sich aus den Entscheidungsgründen, dass ein grober Behandlungsfehler vorgelegen habe. Ohne das Verhalten der Beklagten zu 1) bagatellisieren zu wollen, dürfte bei dieser jedoch lediglich ein Augenblicksversagen vorgelegen haben. Mit der Berücksichtigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme erscheine daher das bereits gezahlte Schmerzensgeld in Höhe von 5.000,00 € ausreichend und angemessen.

Für einen Anspruch auf Verdienstausfall über den Zeitraum von zweieinhalb Monaten hinaus bestehe keine Grundlage. Dem vom Kläger zitierten Urteil des Bundesgerichtshofs habe eine nicht vergleichbare Konstellation zugrunde gelegen, als dort eine Arbeitgeberin aus übergegangenem Recht Schadensersatzansprüche wegen geleisteter Entgeltfortzahlung an ihren Arbeitnehmer geltend gemacht habe. Der Nachweis einer Arbeitsunfähigkeit werde vom Arbeitnehmer gegenüber der Arbeitgeberin durch Nachweis einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung geführt. Hierüber könne sich die Arbeitgeberin nicht hinwegsetzen und müsse diese grundsätzlich akzeptieren. Vorliegend gehe der Kläger aber nicht aus übergegangenem Recht, sondern aus vermeintlich eigenem Recht vor. Daher sei er nach der Ansicht der Beklagten und auch der höchstrichterlichen Rechtsprechung für sämtliche anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale darlegungs- und beweisbelastet, insbesondere hinsichtlich einer behaupteten Arbeitsunfähigkeit und deren Dauer. Einen irgendwie gearteten Vertrauenstatbestand könne der Kläger nicht in Anspruch nehmen. Auch bestehe ein diesbezügliches Erfordernis nicht. Für die Arbeitgeberin liege die Frage, ob bei ihrem Arbeitnehmer eine Arbeitsunfähigkeit vorliege, nicht in ihrer, sondern in einer fremden Sphäre. Deswegen müsse sie darauf vertrauen, dass die ihr vorgelegte ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zutreffend sei. Insoweit sei es nur konsequent, wenn sie dies dem Schädiger entgegenhalten könne. Anderenfalls würde sich ein Wertungswiderspruch ergeben bzw. müsste die Arbeitgeberin dann gegenüber dem Schädiger einen Nachweis führen, der einen außerhalb ihrer Sphäre liegenden Sachverhalt betreffe und der ihrem Einfluss- und Erkenntnisbereich entzogen sei.

Schlussendlich habe der Gerichtssachverständige festgestellt, dass eine relevante Schädigung der Nerven von Anfang an nicht vorgelegen habe.

Ein Feststellungsinteresse hinsichtlich vermeintlicher zukünftiger materieller Schäden sei nicht zu erkennen. Nach den Ausführungen des Gerichtssachverständigen seien weitere operative Eingriffe nicht veranlasst. Die Behandlung sei insoweit offenbar abgeschlossen. Selbst wenn ein Anfall weiterer Behandlungskosten unterstellt würde, wären diese vom gesetzlichen Versicherungsträger zu übernehmen.

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Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten könnten nur aus dem Gegenstandswert von 7.616,65 € beansprucht werden. Bei Zugrundelegung einer 1,3-Geschäftsgebühr lasse sich ein Betrag von 710,85 € ermitteln. Abzüglich bereits gezahlter 334,75 € verbleibe mithin ein Restbetrag von 376,10 €.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie die Sitzungsniederschriften des Senats vom 02.02.2022 und vom 22.06.2022 Bezug genommen.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens durch den Sachverständigen Prof. Dr. med. Wolfgang Bpppp Auf den Inhalt des schriftlichen Gutachtens vom 12.04.2021 wird Bezug genommen.

Der Senat hat mit Beschluss vom 23.02.2022, auf dessen Inhalt verwiesen wird, Beweis erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. med. Bpp. vom 10.03.2022 und auf seine ergänzenden Erläuterungen im Termin vom 22.06.2022 Bezug genommen.

B.

I. Die Berufung und die Anschlussberufung sind zulässig. Sie haben indes keinen Erfolg.

1. Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg, soweit sie sich dagegen wendet, dass das Landgericht ihm Verdienstausfall für nur 2 1/2 Monate und nicht für die gesamte Zeit der Krankschreibung bis zum 14.09.2020 zugesprochen hat.

1.1

Der nach §§ 249 ff., 842, 843 BGB (bzw. § 11 StVG) zu ersetzende Erwerbsschaden umfasst zwar nicht nur den Verlust des Einkommens, sondern alle wirtschaftlichen Beeinträchtigungen, die der Geschädigte erleidet, weil er seine Arbeitskraft verletzungsbedingt nicht verwerten kann (Küppersbusch/Höher, Ersatzansprüche bei Personenschaden, 13. Aufl., Rn. 41; Jahnke/Burmann, Hdb. Personenschadensrecht, 2. Aufl., 3. Kap., Rn. 440; Burmann/Jahnke, DAR 2020, 503).

Nach den Feststellungen des sachverständig beratenen Landgerichts, die mit der Berufung auch nicht angegriffen werden, war aber aufgrund der Verletzungen eine Krankschreibung von nur vier Monaten unfallbedingt gerechtfertigt. Unter Berücksichtigung, dass der Kläger für 6 Wochen Entgeltfortzahlung erhielt, war ihm daher lediglich Verdienstausfall für weitere 2 1/2 Monate i.H.v. 352,73 € zuzusprechen.

1.2

Ein Anspruch auf weiteren Verdienstausfall für den weiteren Zeitraum der Krankschreibung bis einschließlich 14.09.2020 besteht hingegen nicht. Denn auch bei berechtigtem Vertrauen auf die objektiv falsche Krankschreibung liegt gegen den Schädiger ein erstattungsfähiger Schadensersatzanspruch des Geschädigten nicht vor (Küppersbusch/Höher, a.a.O. Rn. 106).

Gegenteiliges lässt sich auch nicht aus den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 16.10.2001 (Az.: VI ZR 408/00, MDR 2002, 29, 30) und vom 23.06.2020 (Az.: VI ZR 435/19, VersR 2021, 1497, 1499 f. Tz. 21) herleiten. Gegenstand beider Klagen waren Schadensersatzansprüche der Arbeitgeber der jeweils Geschädigten auf Erstattung gezahlten Lohnes, wobei die Zahlung in dem Fall, der der Entscheidung vom 16.10.2001 zugrunde lag, aufgrund vertraglicher Vereinbarung, und in dem Fall, der der Entscheidung vom 23.06.2020 zugrunde lag, auf der Grundlage des Entgeltfortzahlungsgesetzes erfolgte. In den Entscheidungen hat zwar der Bundesgerichtshof jeweils ausgeführt, dass dem Arbeitnehmer, der berechtigterweise auf die ihm bescheinigte Arbeitsunfähigkeit vertraut und deshalb nicht arbeitet, hierdurch ein ersatzfähiger normativer Schaden in Höhe des Gehalts entsteht. Hieraus folgt aber nicht ohne Weiteres, dass dem Geschädigten der Verdienstausfall unabhängig davon, ob die Arbeitsunfähigkeit kausal auf den Unfall zurückzuführen war, vom Schädiger allein deswegen zu erstatten ist, weil der Geschädigte – wie hier der Kläger – auf die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Arztes berechtigterweise vertraute und deswegen nicht arbeitete.

Insoweit ist die getroffene Feststellung des Bundesgerichtshofs im Zusammenhang der Urteile zu sehen. In beiden Entscheidungen erfolgten die Feststellung zum Schaden im Rahmen von Hinweisen an die Instanz, an die der Rechtsstreit zurückverwiesen wurden, unter dem Gesichtspunkt, dass der Beweismaßstab nach § 287 ZPO eröffnet ist. In der Entscheidung vom 23.06.2020 hat der Bundesgerichtshof zunächst darauf hingewiesen, dass der Forderungsübergang gemäß § 6 EFZG voraussetze, dass dem geschädigten Arbeitnehmer auf Grund gesetzlicher Vorschriften von dem Schädiger Schadensersatz wegen des Verdienstausfalls beanspruchen könne, der ihm durch die Arbeitsunfähigkeit entstanden ist, und der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz Arbeitsentgelt fortgezahlt habe. Der Arbeitgeber habe daher außer der Entgeltfortzahlung darzulegen und zu beweisen, dass dem geschädigten Arbeitnehmer gegen den Schädiger ein Anspruch auf Ersatz des (normativen) Verdienstausfallschadens aus § 823 Abs. 1 BGB oder § 7 Abs. 1, § 11 Satz 1 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 VVG zustehe. Es würden insoweit keine anderen Grundsätze gelten, als wenn der Geschädigte seinen Schadensersatzanspruch selbst geltend machen würde (BGH, VersR 2021, 1497, 1498 Tz. 10).

In seinem in der Entscheidung vom 16.10.2001 gegebenen Hinweis (BGH, VersR 2021, 1497, 1499 f. Tz. 21) hat der Bundesgerichtshof zunächst ausgeführt, dass für die Frage, ob die Beschwerden zur krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit und damit zum (normativen) Verdienstausfallschaden führten (haftungsausfüllende Kausalität), das erleichterte Beweismaß des § 287 ZPO gelte. Dabei werde der Tatrichter zu berücksichtigen haben, dass er den Beweis, es habe ein krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorgelegen, normalerweise als erbracht ansehen könne, wenn eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorliege, und dass dem Arbeitnehmer, der berechtigterweise auf die ihm bescheinigte Arbeitsunfähigkeit vertraue und deshalb nicht arbeite, hierdurch ein ersatzfähiger normativer Schaden entstehe. Bereits nach dem Wortlaut ergibt sich, dass Voraussetzung für den zu erstattenden (normativen) Verdienstausfall ist, die Arbeitsunfähigkeit ist krankheits- bzw. unfallbedingt. Käme es für die haftungsausfüllende Kausalität und damit die Bejahung eines Schadens allein auf das berechtigte Vertrauen des geschädigten Arbeitnehmers in die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung unabhängig von deren objektiven Richtigkeit an, bedürfte es dieses Beweises nicht. Anknüpfungspunkt wäre dann nämlich nur das berechtigte Vertrauen des geschädigten Arbeitnehmers in die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und nicht die tatsächliche Unfall- bzw. Krankheitsbedingtheit der Arbeitsunfähigkeit. Es wäre dann allenfalls über das berechtigte Vertrauen des Arbeitnehmers Beweis zu erheben. Anhaltspunkte dafür, dass hieran Zweifel bestanden, lassen sich den Urteilen indes nicht entnehmen. Mit dem Hinweis, dass dem Arbeitnehmer, der berechtigterweise auf die ihm bescheinigte Arbeitsunfähigkeit vertraut und deshalb nicht arbeitet, ein ersatzfähiger normativer Schaden entsteht, konkretisiert daher der Bundesgerichtshof lediglich den Begriff des normativen Schadens in der vorliegenden Fallkonstellation. Anhaltspunkte, dass der Bundesgerichtshof dem geschädigten Arbeitnehmer einen vom Schädiger zu erstattenden Schaden auf Erstattung des Verdienstausfalles unter wertender Betrachtungsweise auch dann zubilligen wollte, wenn die Arbeitsunfähigkeit ganz oder teilweise nicht auf den Unfall zurückzuführen ist, aber der Geschädigte berechtigterweise auf die Richtigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vertraut, sind nicht ersichtlich. Zu berücksichtigen ist, dass in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Begriff des „normativen Schadens“ für die Fälle entwickelt wurde, wenn die Differenzbilanz die Schadensentwicklung für den Normzweck der Haftung nicht hinreichend erfasst und daher normativ wertend zu korrigieren ist. Dies ist unter anderem dann anzunehmen, wenn die Vermögenseinbuße durch Leistungen von Dritten, z. B durch Lohnfortzahlungen des Arbeitgebers, die den Schädiger nicht entlasten sollen, rechnerisch ausgeglichen wird (BGH, Urteil vom 22.11. 2016, Az.: VI ZR 40/16, MDR 2017, 336 f. Tz. 15). Dafür, dass der Bundesgerichtshof den normativen Schadensbegriff auch auf Schäden ausweiten wollte, wenn eine Rechtsgutsverletzung überhaupt nicht oder in einem deutlich geringerem Maße vorliegt als in der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung angenommen, ist nichts ersichtlich (vgl. Burmann/Jahnke, DAR 2020, 503, 504).

Die Auffassung, dass es für die Frage eines Verdienstausfalles nicht darauf ankommt, ob die behauptete Arbeitsunfähigkeit auf den Unfall objektiv kausal zurückzuführen ist, sondern es allein ausreicht, dass der geschädigte Arbeitnehmer berechtigterweise auf die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vertrauen durfte, steht auch im Widerspruch zu den Grundsätzen, die der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 17.09.2013 (Az.: VI ZR 95/13, zfs 2014, 19, 20 Tz. 14) dargelegt hat. Danach sind die Aufwendungen für den Arzt und für die von ihm aufgrund seiner Verdachtsdiagnose eingeleiteten Maßnahmen und auch die Kosten eines von ihm ausgestellten Attestes, das der Geschädigte zur Durchsetzung seiner Ersatzansprüche wegen der vermeintlich erlittenen Personenschäden verwenden will, nur entschädigungspflichtig, wenn die angenommene unfallbedingte Körper- oder Gesundheitsverletzung tatsächlich verifiziert wird, weil nur sie und nicht schon der Unfall als solcher gesetzlicher Anknüpfungspunkt für die Haftung gemäß § 7 Abs. 1 StVG, § 823 Abs. 1 BGB ist. Es ist nicht ersichtlich, weshalb die Heilbehandlungskosten anders behandelt werden sollten als der Verdienstausfall (Burmann/Jahnke, DAR 2020, 503, 504).

Es ist ferner zu berücksichtigen, dass die zitierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofes vom 16.10.2001 und vom 23.06.2020 im Zusammenhang mit dem Drittleistungsrecht ergangen sind. Drittleistungsrecht, z. B. Arbeitsrecht und Sozialrecht, einerseits und Zivilrecht andererseits sind streng voneinander zu unterscheiden. Die Handhabung und Leistungsverpflichtung im Drittleistungsrecht muss durchaus nicht zwangsläufig eine Entsprechung im Zivilrecht finden (Jahnke/Burmann, a.a.O., 3 Kap. Rdnr. 442).

1.3

Dahinstehen kann, ob für die Frage der Arbeitsunfähigkeit des Klägers nach dem 05.09.2019 der erleichterte Beweismaßstab des § 287 ZPO – so BGH, VersR 2021, 1497, 1499 Tz. 21 – oder der Strengbeweis des § 286 ZPO – sowohl Jahnke/Burmann, a.a.O., 3. Kap. Rdnr. 442 m.w.N. – gilt. Denn auch im Rahmen des erleichterten Beweismaßes des § 287 ZPO ist zur Überzeugungsbildung eine hinreichende bzw. überwiegende Wahrscheinlichkeit erforderlich (BGH, Urteil vom 21.01.2019, Az.: VI ZR 113/17, DAR 2019, 507, 508 Tz. 12). Der Senat hält indes eine Arbeitsunfähigkeit des Klägers wegen der bei ihm vorhandenen neuropathischen Schmerzen über dem 05.09.2019 hinaus nicht nur nicht für hinreichend bzw. überwiegend wahrscheinlich, sondern ist davon überzeugt, dass der Kläger ab dem 06.09.2019 trotz der weiter bestehenden neuropathischen Schmerzen arbeitsfähig war – dass bezüglich der primären (operationsbedingten) Wundheilung eine Krankschreibung nur bis zum 05.09.2019 gerechtfertigt war, nimmt der Kläger hin.

a) Der Kläger kann sich für seine Behauptung, er sei über den 05.09.2019 hinaus bis einschließlich 14.09.2020 wegen seiner neuropathischen Schmerzen arbeitsunfähig gewesen, nicht mit Erfolg auf die Krankschreibungen seines behandelnden Arztes berufen. Abgesehen davon, dass sich bei der Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit nicht um eine Wahrnehmungs-, sondern um eine Wertungsfrage handelt (Jahnke/Burmann, a.a.O., 3. Kap. Rdnr. 444), ist zu berücksichtigen, dass der Arzt, welcher einen Unfallgeschädigten untersucht und behandelt, diesen nicht aus der Sicht eines Gutachters betrachtet, sondern ihn als Therapeut behandelt, d. h. für ihn die Notwendigkeit einer Therapie im Mittelpunkt steht (BGH, Urteil vom 03.06.2008, Az.: VI ZR 235/07, zfs 2008, 562, 563 Tz. 11; Jahnke/Burmann, a.a.O., 3. Kap. Rdnr. 442 f.). Die Frage, ob die vom behandelnden Arzt angegebene Krankschreibung über den 05.09.2019 hinaus gerechtfertigt war, bedurfte daher einer Überprüfung durch einen neutralen Sachverständigen.

b) Der Senat hat aus diesem Grunde Beweis erhoben zu der Frage, ob aufgrund der im nervenärztlichen Gutachten vom 12.04.2021 festgestellten anhaltenden neuropatischen Schmerzen des Klägers eine Krankschreibung bis zum 14.09.2020 gerechtfertigt war. Der Sachverständige Prof. Dr. med. Bpp. hat die Frage sowohl in seinem Gutachten vom 10.03.2022 als auch im Rahmen der Erläuterung seines Gutachtens im Termin vom 22.06.2022 ausdrücklich verneint. Der Sachverständige hat in seinem ergänzenden Gutachten vom 10.03.2022 ausgeführt:

Bei dem Kläger seien die neuropathischen Schmerzen nach einer Verletzung von peripheren Nerven entstanden, entsprechend einem sogenannten chronisch regionalen Schmerzsyndrom Typ 2 (CRPS Typ 2). In der älteren Literatur werde diese Schmerzform auch als Kausalgie bezeichnet. CRPS Typ 2 entstehe nach heutiger medizinisch-biologischer Auffassung in Gefolge von Regenerationsprozessen und fehlerhaft neu entstandenen Verschaltungen nach entsprechenden Nervenverletzungen, möglicherweise in der sensorischen Verarbeitung im Bereich des Rückenmarkes. Die neuropathischen Schmerzen entwickelten sich also nicht unmittelbar in kurzer Zeit nach den Nervenverletzungen, sondern erst im Rahmen von vielen Tagen und Wochen. Wenn sie einmal entstanden seien, hätten sie eine schlechte Prognose hinsichtlich einer spontanen Rückbildung. Neuropathische Schmerzen könnten gedämpft werden durch Einnahme von Medikamenten, wie sie auch der Kläger erhalten habe. Umschriebene und regional begrenzte Areale mit neuropathischen Schmerzen könnten weiterhin lokal mit wiederholter Anwendung von Lidocain und Capsaicin-Pflaster oft sehr gut therapiert werden. Eine solche Behandlungsform habe der Kläger nach seinen eigenen Angaben nicht erhalten. Die Behandlung mit Lidocain und Capsaicin-Pflaster werde ambulant durchgeführt. Der Zeitaufwand einer solchen Anlage eines Pflasters betrage bei Capsaicin ca. 30 Minuten bis 40 Minuten. Die behandelnden Personen seien unmittelbar sofort wieder gehfähig und bedürften keiner besonderen Schonung oder Überwachung. Da der Kläger einen lokal umgrenzten Bezirk der neuropathischen Schmerzen aufweise, wäre er ein gut geeigneter Kandidat für eine solche Anlage eines Schmerz-Pflasters. Für die Fragestellung, ob aufgrund der neuropathischen Schmerzen eine Arbeitsunfähigkeit bis zum 14.09.2020 gerechtfertigt gewesen sei, folge hieraus, dass nach Abschluss der primären Wundheilung am 15.09.2019 (wohl 05.09.2019) keine Begründung für eine längerfristige Arbeitsunfähigkeit mehr aufgrund von neuropathischen Schmerzen gegeben gewesen sei. Bei Angabe von neuropathischen Schmerzen, welche sich im Verlauf erst nach Wochen nach dem Trauma eingestellt haben können, wäre eine ambulante Vorstellung und Beraten auf neurologischem und gegebenenfalls schmerztherapeutischen Fachgebiet ausreichend gewesen. Auch die entsprechende spezifische Behandlung hätte ohne weiteres nach Abschluss der Wundheilung ambulant erfolgen können. Eine berufliche Tätigkeit hätte die Entwicklung und das Ausmaß der neuropathischen Beschwerden nicht verschlimmert. Eine Indikation für eine Arbeitsunfähigkeit bis zum Ablauf eines ganzen Jahres, bis 14.09.2020, lasse sich nicht rechtfertigen oder infolge von Therapiemaßnahmen begründen. Zudem könne im Allgemeinen davon ausgegangen werden, dass bei Ablenkung und Hinwendung der Aufmerksamkeit zu anderen Inhalten, wozu auch eine Arbeitstätigkeit gehöre, die Überwindung und Gewöhnung an die Missempfindungen eher begünstigt werde. Lediglich eine mechanische Reizung der betroffenen Areale solle vermieden werden. Eine völlige Schonung der betroffenen Extremität führe in der Regel eher zu einer Verschlechterung mit weiteren sekundären Folgen, wie Ödembildung und tropischen Hautveränderungen. Eine solche Entwicklung sei beim Kläger im klinischen Befund nicht erkennbar gewesen.

Im Rahmen der Erläuterung seines ergänzenden Gutachtens hat der Sachverständige vor dem Senat ausgeführt, dass wegen der neuropathischen Schmerzen keine Veranlassung einer andauernden Krankschreibung bestanden habe. Denn die Intensität der Schmerzen habe den Kläger auch ein Jahr später nicht daran gehindert, zu arbeiten. Auch ein Jahr später habe der Kläger seine ganz normale Lebensführung fortgesetzt und wieder normal gearbeitet. Es sei für ihn – den Sachverständigen – nicht plausibel, warum dies nicht ein Jahr vorher auch schon der Fall gewesen sein sollte, zumal sein Bein im Übrigen funktionsfähig gewesen sei. Restbeschwerden, also die Schmerzen, hätten ihn nicht am Arbeiten gehindert. So habe der Kläger auch bei seiner Begutachtung durch den Sachverständigen unter ähnlichen bzw. gleichen Schmerzen gelitten. Es sei dabei ersichtlich gewesen, dass er in seiner alltäglichen Lebensfähigkeit und auch in seiner Arbeitsfähigkeit nicht dergestalt beeinträchtigt gewesen sei, dass ihm eine Arbeitsaufnahme nicht möglich gewesen wäre.

Die Feststellungen des Sachverständigen sind eindeutig und überzeugend. Der Sachverständige ist dem Senat aus mehreren Prozessen als kompetenter und gewissenhafter Gutachter bekannt. Seine Ausführungen sind in sich stimmig und auch für einen Laien nachvollziehbar. Gegen die Richtigkeit seiner Ausführungen werden auch von Seiten des Klägers keine stichhaltigen Einwendungen erhoben.

1.4

Eine Haftung der Beklagten für den über den 05.09.2019 hinausgehenden Verdienstausfall des Klägers kommt auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines ärztlichen Behandlungsfehlers in Betracht, weil sein Hausarzt den Kläger nicht mit Lidocain und Capsaicin-Plaster behandelte.

a) Zwar muss sich der Geschädigte einen Behandlungsfehler des Arztes in der Regel nicht zurechnen lassen. Die Grenze, bis zu welcher der Erstschädiger dem Verletzten für die Folgen einer späteren fehlerhaften ärztlichen Behandlung einzustehen hat, wird in aller Regel erst überschritten, wenn es um die Behandlung einer Krankheit geht, die den Anlass für die Erstbehandlung in keinem inneren Zusammenhang steht, oder wenn der Zweitschädigung herbeiführende Arzt in außergewöhnlich hohem Maße die an ein gewissenhaftes ärztliches Verhalten zu stellenden Anforderungen außer Acht gelassen und derart gegen alle ärztlichen Regeln und Erfahrungen verstoßen hat, dass der eingetretene Schaden seinem Handeln haftungsrechtlich-wertend, allein zugeordnet werden muss (BGH, Urteil vom 20.09.1988, Az.: VI ZR 37/88, NJW 1989, 767, 768; Grüneberg/Grüneberg, BGB, 81. Aufl., vor § 249 Rdnr. 47).

b) Der gerichtliche Sachverständige hat zwar im Rahmen seiner Anhörung vor dem Senat ausgeführt, es sei ihm nicht nachvollziehbar, weshalb der behandelnde Arzt keine weiteren therapeutischen Maßnahmen, z. B. die Einleitung einer Schmerztherapie, ergriffen, sondern sich darauf beschränkt habe, den Kläger krankzuschreiben. Selbst wenn darin ein Behandlungsfehler zu sehen wäre, wäre dieser aber nicht kausal. Denn der Sachverständige hat die Interpretation seines Ergänzungsgutachtens durch den Kläger, er wäre nur arbeitsfähig gewesen, wenn er mit Lidocain bzw. Capsaicin-Pflaster behandelt worden wäre, nicht bestätigt. Wie bereits dargelegt, bestand nach den Feststellungen des Klägers Arbeitsfähigkeit auch ohne eine entsprechende Behandlung.

2. Die Auffassung des Landgerichts, dass dem Kläger gemäß § 823 Abs. 1, § 153 Abs. 2 BGB, § 7 Abs. 1, § 11 StVG für die aufgrund des Unfalles vom 08.05.2019 erlittenen Verletzungsfolgen ein Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 9.000,00 € zusteht, d. h. die Beklagten über den bereits außergerichtliche bezahlten Betrag von 5.000,00 € hinaus zur Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldbetrages in Höhe von 4.000,00 € zu verurteilen waren, ist nicht zu beanstanden.

2.1 Das Schmerzensgeld hat eine doppelte Funktion: Der Verletzte soll einen Ausgleich für erlittene Schmerzen und Leiden erhalten; das Schmerzensgeld soll ihn dazu in die Lage versetzen, sich Erleichterungen und Annehmlichkeiten zu verschaffen, die die erlittenen Beeinträchtigungen jedenfalls teilweise ausgleichen (Ausgleichsfunktion). Darüber hinaus soll das Schmerzensgeld dem Verletzten – insbesondere bei vorsätzlichen und grob fahrlässigen Taten – Genugtuung für dasjenige verschaffen, das ihm der Schädiger angetan hat (Genugtuungsfunktion) (BGH, Urteil vom 06.07.1955, Az.: GSZ 1/55, BGHZ 18, 149, 154; BGH, Beschluss vom 16.09.2016, Az.: VGS 1/16, zfs 2017, 201, 203 Tz. 48; OLG Düsseldorf, Urteil vom 28.03.2019, Az.: 1 U 66/18, zfs 2019, 378, 379; OLG Brandenburg, Urteil vom 16.04.2019, Az.: 3 U 8/18, DAR 2020, 25, jeweils m.w.N.). Für die Bemessung des Schmerzensgeldes ist es dabei gleichgültig, ob der Schädiger nur nach Gefährdungshaftung oder wegen Verschuldens haftet (OLG Brandenburg, a.a.O., m.w.N.). Bei Verkehrsunfällen tritt die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes in der Regel zurück, wo die Ausgleichsfunktion im Hinblick auf die erlittenen Verletzungen und unfallbedingten Verletzungsfolgen im Vordergrund steht. Zwar kann durchaus auch der unstreitige oder erwiesene Unfallhergang nicht außer Betracht bleiben, wenn er ein grob fahrlässiges Verhalten des Schädigers belegt (OLG Saarbrücken, Urteil vom 26.02.2015, Az.: 4 U 26/14, zfs 2015, 683, 684). Voraussetzung ist aber, dass der Schaden, der durch das grobfahrlässige oder sogar vorsätzliche Verhalten des Schädigers hervorgerufen ist, sich verbitternd auf den Verletzten auswirkt (BGHZ 18, 149, 158).

2.2 Die Bemessung des Schmerzensgeldes hat unter umfassender Berücksichtigung aller maßgeblicher Faktoren zu erfolgen und muss in einem angemessenen Verhältnis zur Art und Dauer der Verletzung stehen. Dabei sind in erster Linie der Grad und das Ausmaß der entstandenen Lebensbeeinträchtigung zu berücksichtigen (BGH, zfs 2017, 201, 205 Tz. 54; OLG Brandenburg, a.a.O.). Für die Bemessung der Schmerzensgeldhöhe sind Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen, Verbleiben ggf. dauernder Behinderungen die wesentlichen Kriterien. Als objektivierbare Umstände besitzen vor allem die Art der Verletzungen, Art und Dauer der Behandlungen sowie die Dauer der Arbeitsunfähigkeit ein besonderes Gewicht. (OLG Saarbrücken, zfs 2015, 683, OLG Brandenburg, a.a.O.).

2.3 Da es eine absolut angemessene Entschädigung für nichtvermögensrechtliche Nachteile nicht gibt, weil diese nicht in Geld messbar sind (BGHZ 18, 149, 156, u. 164; OLG Hamm, Urteil vom 12.09.2003, Az.: 9 U 50/99, zfs 2005, 122, 123), unterliegt der Tatrichter bei der ihm obliegenden Ermessensentscheidung von Gesetzes wegen keinen betragsmäßigen Beschränkungen. Die in Schmerzensgeldtabellen erfassten „Vergleichsfälle“ bilden nur „in der Regel den Ausgangspunkt für die tatrichterlichen Erwägungen zur Schmerzensgeldbemessung“. Sie sind nur im Rahmen des zu beachtenden Gleichheitsgrundsatzes als Orientierungsrahmen zu berücksichtigen, nur ein „Mittel zur Überprüfung des gefundenen Ergebnisses“. Sie stellen demgemäß zwar ein unverzichtbares Hilfsmittel bei der Bemessung des Schmerzensgeldes (OLG Brandenburg, a.a.O.), aber keine verbindlichen Präjudizien dar, deshalb können aus der Existenz bestimmter ausgeurteilter Schmerzensgeldbeträge keine unmittelbaren Folgerungen abgeleitet werden (OLG München, Urteil vom 11.04.2014, Az.: 10 U 4757/13 BeckRS 2014, 10204; OLG München, Urteil vom 24.07.2015, Az.: 10 U 3313/13, juris, Rn. 43; Slizyk, Schmerzensgeld, Rn. 23, jeweils m.w.N.).

2.4 Gemessen an diesen Grundsätzen erscheint weder eine Erhöhung des Schmerzensgeldes auf einen Betrag von 10.000,00 € noch eine Reduzierung des Schmerzensgeldes auf einen Gesamtbetrag von 5.000,00 € angebracht, so dass sowohl die Berufung als auch die Anschlussberufung zurückzuweisen waren.

a) Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass ein das Schmerzensgeld erhöhender Umstand in der mit dem Unfall einhergehenden Angst des Klägers zu sehen ist, sein Bein zu verlieren und bereits in jungen Jahren zum Invaliden zu werden.

Der Kläger räumt selbst ein, dass objektiv keine Gefahr einer Beinamputation bestanden habe, er jedoch in den folgenden Wochen und Monaten mit dieser Gefahr konfrontiert worden sei. Dies ist seitens der Beklagten bestritten worden. Der Kläger stützt seine Behauptung bezüglich der psychischen Belastung hinsichtlich der angeblichen Gefahr einer Beinamputation im Wesentlichen auf den als Anlage K7 vorgelegten „Ausführliche Auskunft“ des pp.klinikums vom 16.01.2020. Von der Gefahr einer Beinamputation, die Grundlage seiner psychischen Probleme sein könnte, wird in der Stellungnahme nichts erwähnt. Auch aus den weiteren vorgelegten ärztlichen Unterlagen ergeben sich keine Anzeichen dafür, dass die Amputation des linken Unterschenkels des Klägers ärztlicherseits einmal angedacht war. Der Kläger hält auch ansonsten keinen Vortrag, dass einer der ihn behandelnden Ärzte sich ihm gegenüber dahingehend einließ, es könne eine Beinamputation drohen, geschweige denn bietet er hierfür Beweis an.

Zwar ist richtig, dass sich der gerichtliche Sachverständige in erster Linie mit dem Gesundheitszustand des Klägers im Rahmen seiner persönlichen Untersuchung am 08.03.2021 befasst hat. Aber auch die behauptete enorme psychische Belastung durch den Unfall im Zeitraum davor rechtfertigt keine Erhöhung des ausgeurteilten Schmerzensgeldbetrages.

Allerdings wird in der „Ausführlichen Auskunft“ vom 16.01.2020 von einer depressiv-gereizten Stimmungslage gesprochen. Sowohl in den Diagnosen auf Seite 1 der Auskunft als auch auf Seite 5 wird jedoch ausgeführt, dass die depressive Störung unfallunabhängig ist.

Im Gegensatz zu der eindeutigen Feststellung im gerichtlichen Sachverständigengutachten, wonach eine posttraumatische Belastungsstörung ausgeschlossen werden kann, wird eine solche in dem Bericht vom 16.01.2020 festgehalten und eine Fortführung der ambulanten Psychiotherapie angeregt. Selbst wenn eine posttraumatische Belastungsstörung zum damaligen Zeitpunkt vorgelegen hat, kann nicht übersehen werden, dass diese bereits zum 08.03.2021, das heißt ein Jahr später, ausgeheilt war. Dies spricht bereits gegen eine erhebliche Störung. Im Übrigen hält der Kläger auch keinen substantiierten Sachvortrag dazu, in welchem Umfang ihn die posttraumatische Belastungsstörung in seinem seelischen Wohlbefinden beeinträchtigte. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang vorgetragen hat, er sei in psychologischer Behandlung, fehlt es an substantiiertem Vortrag zum Umfang der Behandlungen und welche Feststellungen die ihn behandelnde Psychologin getroffen hat, so dass sich auch aus diesem Umstand keine Anhaltspunkte für eine Erhöhung des Schmerzensgeldes ergeben.

Der Kläger ist schwer verletzt worden. Es steht auch außer Frage, dass die Verletzung mit Blick auf den noch nicht völlig abgeklärten Heilungsausgang den Kläger stark psychisch belastete und dies auch zu einer Unzufriedenheit bei ihm führte. Dass diese zeitweisen psychischen Belastungen aber derart ausgeprägt waren, dass sie eine weitere Erhöhung des durchaus im oberen Bereich liegenden Schmerzensgeldes rechtfertigten, kann nicht angenommen werden.

b) Vorab ist zu sagen, dass die erlittenen Schäden sowohl in den von der Beklagten herangezogenen Urteile als auch in dem vom Landgericht seinem Urteil zugrunde gelegten Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main nur schwer mit denjenigen des Klägers zu vergleichen sind.

Das Landgericht Aachen hat indes im Urteil vom 21.07.1999, Az.: 4 O 15/98 (Slyzik, Schmerzensgeld 2022, Nr. 2984) bei einer Unterschenkel- und Oberschenkelverletzung in Form von tiefflächigen Hundebissverletzungen mit Schädigungen der Nervenstränge und mit bleibenden Narben ein Schmerzensgeld von 6.136,00 € ausgeurteilt. Der Geschädigte befand sich 16 Tage stationär in Behandlung, es gab eine komplizierte Heilung mit Spalthauttransplantationen und lang andauerndem Taubheitsgefühl sowie ausgeprägtem Knochenschwund. Als Dauerschaden blieben zwei deutlich sichtbare Narben an Oberschenkel und Unterschenkel. Das Oberlandesgericht München hat mit Urteil vom 14.10.2010 (Az.: 1 U 1657/10, Slyzik, a.a.O., Nr. 5887) ein Schmerzensgeld von 7.500,00 € zugesprochen. Dem Rechtsstreit lag eine Schädigung des Nevus peroneus, das heißt des Wadenbeinnerves, wegen verspäteter operativer Behandlung eines Kompartmentsyndroms zugrunde. Der Geschädigte erlitt eine Gehbehinderung als Folge der Lähmung der Muskeln, welche die aktive Fuß- und Zehenhebung ermöglichen. Das Oberlandesgericht Köln hat mit Urteil vom 23.04.2012 (Az.: 5 U 144/08, Slyzik, a.a.O., Nr. 4582) ein Schmerzensgeld von 10.000,00 € ausgeurteilt. Grundlage der Entscheidung war eine Verletzung des Nervus tibialis und Nervus peroneus sowie des Nervus suralis. Der Geschädigte erlitt eine Bewegungsbeeinträchtigung und eine Belastungsbeeinträchtigung des Fußes.

Die Entscheidungen sind, was die Verletzungen betreffen, mit dem vorliegenden Fall vergleichbar. Die Verletzungsfolgen, die der Kläger erlitt, sind indes größer als diejenigen, die der Entscheidung des Landgerichts Aachen zugrunde lagen. Sie sind aber vergleichbar mit denjenigen, die den Entscheidungen des Oberlandesgerichts München und des Oberlandesgerichts Köln zugrunde lagen. Zwar ist nach den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen eine Fußhebung grundsätzlich möglich. Es lag auch zu keinem Zeitpunkt eine relevante Nervenschädigung vor. Insoweit bestehen auch keine weiteren Dauerschäden. Auch wenn der gerichtliche Sachverständige eine relevante unfallbedingte psychische Erkrankung ausschloss, bestätigte er, dass der Kläger unter schmerzhaften Empfindungen am Rücken sowie chronischen neuropathischen posttraumatischen Schmerzen im linken Unterschenkel leidet. Diese haben – so der Sachverständige – eine schlechte Prognose – außer einer medikamentösen Dämpfung. Mit diesen Schmerzen wird der Kläger wohl auch in Zukunft leben müssen. Daher sind diese Schmerzen durchaus mit den Beeinträchtigungen der Fuß- und Zehhebung, wie sie den Entscheidungen des Oberlandesgerichts München und des Oberlandesgerichts Köln zugrunde lagen, zu vergleichen.

Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte zu 1) grob fahrlässig oder vorsätzlich handelte und deswegen die Genugtuungsfunktion ein erhöhtes Schmerzensgeld rechtfertigen könnte, sind nicht ersichtlich. Aus diesem Grunde erscheint bei der erforderlichen Gesamtbetrachtung ein Schmerzensgeld in Höhe von 9.000,00 € für angemessen, aber auch für ausreichend.

3. Keinen Erfolg hat die Anschlussberufung der Beklagten, soweit sie sich gegen den Feststellungsausspruch richtet.

3.1 Die auf die Feststellung der Ersatzpflicht künftiger Schäden gerichtete Klage ist zulässig.

a) Zwischen den Parteien besteht ein Rechtsverhältnis i.S. des § 256 Abs. 1 ZPO, weil der Beklagte zu 1) nach § 7 Abs. 1 StVG, § 823 BGB und die Beklagte zu 2) als deren Haftpflichtversicherung nach § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG für den Schaden einzustehen haben, der dem Kläger wegen des Unfalls am 08.05.2019 entstanden ist und noch entstehen wird (vgl. KG, Urteil vom 16.04.2018, Az.: 22 U 158/16, zfs 2018, 687 m.w.N.).

b) Es besteht auch ein Feststellungsinteresse i.S. des § 256 ZPO. Das Feststellungsinteresse eines Schadensersatzanspruches, der noch nicht abschließend mit der Leistungsklage geltend gemacht werden kann, ist grundsätzlich dann zu bejahen, wenn der Anspruchsgegner seine haftungsrechtliche Verantwortlichkeit in Abrede stellt und durch die Klageerhebung einer drohenden Verjährung nach § 14 StVG i. V. m. § 852 BGB entgegengewirkt werden soll. Geht es – wie vorliegend – um den Ersatz erst künftig befürchteter Schäden aufgrund einer bereits eingetretenen Rechtsgutverletzung geht, setzt das Feststellungsinteresse die Möglichkeit des Schadenseintritts voraus; diese ist nur zu verneinen, wenn aus der Sicht des Klägers bei verständiger Würdigung kein Grund besteht, mit dem Eintritt eines derartigen Schadens wenigstens zu rechnen (BGH, Urteil vom 16.01.2001, Az.: VI ZR 381/99, VersR 2001, 874, 875).

c) Diese Voraussetzungen liegen vor.

Nach den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen leidet der Kläger weiterhin an neuropatischen Schmerzen, die zu behandeln sind und ihn auch künftig belasten werden.

3.2 Der Feststellungsantrag ist auch begründet.

a) Begründet ist ein Feststellungsantrag, wenn die sachlichen und rechtlichen Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruches vorliegen, also ein haftungsrechtlich relevanter Eingriff gegeben ist, der zu möglichen künftigen Schäden führen kann (BGH, VersR 2001, 874, 875; BGH, Urteil vom 17.10.2017, Az.: VI ZR 423/16, r+s 2018, 43, 49 f. Tz. 49). In den Fällen, in denen die Verletzung eines Rechtsguts und darüber hinaus ein daraus resultierender Vermögensschaden bereits eingetreten ist, besteht kein Grund, die Feststellung der Ersatzpflicht für weitere, künftige Schäden von der Wahrscheinlichkeit des Eintritts abhängig zu machen. Da der Feststellungsausspruch nichts darüber aussagt, ob ein künftiger Schaden eintreten wird, ist es unbedenklich, die Ersatzpflicht des Schädigers für den Fall, dass der Schaden eintreten sollte, bereits jetzt festzustellen (BGH, r+s 2018, 43, 50 Tz. 49).

b) Darüber hinaus ist der Eintritt künftiger materieller Schäden in Bezug auf die zu behandelnden neuropatischen Schmerzen, z.B. in Form von Zuzahlungen oder Fahrkosten, naheliegend. Hinsichtlich der immateriellen Schäden sind mit Rücksicht auf das Interesse des Klägers an einem Schutz vor der Verjährung seiner Ersatzansprüche an die Wahrscheinlichkeit, das spätere Schadensfolgen eintreten können, stets maßvolle Anforderungen zu stellen (KG, zfs 2018, 687 f.). Es ist durchaus nicht fernliegend, dass bezüglich der weiterhin bestehenden neuropatischen Schmerzen eine unvorhersehbare Verschlechterung eintritt, die durch das ausgeurteilte Schmerzensgeld nicht abgegolten ist.

4. Die Feststellung des Landgerichts, dass dem Kläger ein Anspruch auf Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 599,28 € zusteht, ist nicht zu beanstanden. Die Berufung des Klägers, mit der dieser eine Erhöhung der Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten um 200,52 € anstrebt, und die Anschlussberufung der Beklagten, mit der diese eine Reduzierung der Verurteilung der Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten um 223,18 € begehren, waren daher zurückzuweisen.

4.1 Der dem Geschädigten zustehende Schadensersatzanspruch umfasst grundsätzlich auch den Ersatz der durch das Schadensereignis erforderlich gewordenen Rechtsverfolgungskosten, vgl. § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB. Der Schädiger hat indes nicht schlechthin alle durch das Schadensereignis adäquat verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, sondern nur solche, die aus Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren (BGH, Urteil vom 05.12.2017, Az.: VI ZR 24/17, NJW 2018, 935 Tz. 6 m.w.N.).

Beauftragt der Geschädigte einen Rechtsanwalt mit der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegenüber dem Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer, so ist der Umfang des Ersatzverlangens nur für die Abrechnung zwischen dem Geschädigten und seinem Anwalt maßgebend (Innenverhältnis). Kostenerstattung aufgrund des materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs kann der Geschädigte vom Schädiger dagegen grundsätzlich nur insoweit verlangen, als seine Forderung diesem gegenüber auch objektiv berechtigt ist. Die von einem – einsichtigen – Geschädigten für vertretbar gehaltenen Schadensbeträge sind demgegenüber nicht maßgeblich. Denn Kosten, die dadurch entstehen, dass dieser einen Anwalt zur Durchsetzung eines unbegründeten Anspruchs beauftragt, können dem Schädiger nicht mehr als Folge seines Verhaltens zugerechnet werden. Damit ist dem Anspruch des Geschädigten auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten im Verhältnis zum Schädiger grundsätzlich der Gegenstandswert zugrunde zu legen, der der berechtigten Schadensersatzforderung entspricht (BGH, NJW 2018, 935 [BGH 05.12.2017 – VI ZR 24/17] Tz. 7 m.w.N.).

4.2 Das Landgericht hat gemessen an diesen Grundsätzen zu Recht für die nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB zu erstattenden vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten einen Gegenstandswert von bis zu 13.000,00 € zugrunde gelegt.

Dieser setzt sich wie folgt zusammen:

  • Schmerzensgeldanspruch 9.000,00 €
  • Verschlechterungsanspruch 1.000,00 €
  • Verdienstausfall 352,73 €
  • Mehrkosten für das Ersatzfahrzeug 2.000,00 €
  • sonstige materiellen Kosten 263,92 €
  • Gesamt: 12.616,65 €

4.3 Wegen der sich aus diesem Gegenstandwert von den Beklagten der Höhe nach zu erstattenden außergerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren wird auf die nicht zu beanstandende Berechnung des Landgerichts verwiesen.

5. Wegen des Zinsanspruchs wird auf die Feststellungen im Urteil des Landgerichts Bezug genommen.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO; diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

III.

Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zuzulassen, soweit die Berufung des Klägers hinsichtlich der Erstattung eines weiteren Verdienstausfalles zurückgewiesen worden ist.

Der Rechtsstreit hat insoweit grundsätzliche Bedeutung. Es gibt – soweit ersichtlich – weder höchstrichterliche noch obergerichtlichen Entscheidungen zu der Frage, ob im Verhältnis zwischen Schädiger und Geschädigten letzterem ein Anspruch auf Verdienstausfall für die gesamte Zeit der Krankschreibung zusteht, wenn er – wie hier der Kläger – hierauf berechtigterweise vertraut, sich aber im Nachhinein herausstellt, dass eine Krankschreibung objektiv nicht oder zumindest nicht während der gesamten Zeit der Krankschreibung unfallbedingt und damit berechtigt war. Das Auftreten der Frage ist in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten und berührt daher das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts (Zöller/Heßler, ZPO, 34. Aufl., § 543 Rdnr. 11). Zudem ist die rechtliche Würdigung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 16.10.2001 und vom 23.06.2020, die allerdings im Bereich des Drittleistungsrechts ergangen sind, wie sie der Kläger vornimmt, nämlich dass bereits das berechtigte Vertrauen des Geschädigten auf die Krankschreibung maßgebend für einen Anspruch auf Verdienstausfall wegen Arbeitsunfähigkeit ist, durchaus vertretbar.

 

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