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Verkehrsunfall – Verdienstausfallrente bei physischer Erkrankung

OLG Frankfurt – Az.: 13 U 199/12 – Urteil vom 12.02.2014

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Einzelrichters der 9. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 16.11.2012 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Unter Abweisung der weitergehenden Klage werden die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger den rückständigen Verdienstausfall in Höhe von 275,63 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.04.2006 zu zahlen.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, die für das erste Quartal 2006 fällige Verdienstausfallrente in Höhe von 10.842,51 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 20.04.2006 zu zahlen.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, dem Kläger für 3 Monate im Voraus beginnend ab dem 01.04.2006 bis zum 31.03.2016 eine Verdienstausfallrente in Höhe von 10.842,51 € zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger bis zur Vollendung des siebenundsechzigsten Lebensjahres sämtliche Verdienstausfallschäden weiterhin zu ersetzen, die auf eine unfallbedingte vollständige oder teilweise Erwerbsunfähigkeit zurückzuführen sind, soweit solche Änderungen im Zuge einer fachpsychiatrischen Untersuchung und fachärztlichen Prognose zufolge festgestellt werden.

Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Kosten der ersten Instanz hat der Kläger zu 30 % und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 70 % zu tragen.

Von den Kosten der Berufung hat der Kläger 20 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 80 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Jede Partei kann die Vollstreckung durch die jeweils andere Partei durch Sicherheitsleistung von 110 % des gegen sie vollsteckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des Betrages leistet, dessen Vollstreckung sie betreibt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger ist gelernter … in der …. Er begehrt von den Beklagten Verdienstausfall auf Grund eines Verkehrsunfalls, der sich am …05.2005 gegen 17.40 Uhr ereignet hat und bei welchem er erheblich verletzt worden ist.

Der Beklagte zu 1), dessen Fahrzeug bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert ist, befuhr mit seinem Pkw … mit dem amtlichen Kennzeichen … die L … von Stadt1 kommend in Fahrtrichtung Stadt2. Der Kläger, der zum gleichen Zeitpunkt mit seinem Fahrrad auf dem entlang der Landstraße führenden markierten Radweg fuhr, wurde von dem Beklagten zu 1) bei dessen Wechsel auf die Rechtsabbiegerspur übersehen. Der Wagen des Beklagten zu 1) stieß mit seiner linken Fahrzeugfront gegen das Hinterrad des Fahrrades des Klägers, der daraufhin stürzte und vor dem Pkw des Beklagten zu 1) zum Liegen kam. Nach einer Erstversorgung durch den Notarzt wurde der zu diesem Zeitpunkt 3x Jahre alte Kläger in die Klinik1 zur weiteren Behandlung mit dem Rettungshubschrauber geflogen.

In der stationären Behandlung der Klinik1 blieb der Kläger laut Arztbrief (Anlage K1 – Bl. 7 d.A.) vom …05.2005 bis zum …06.2005. Weiter heißt es in diesem Arztbrief zur Diagnose: Schädelhirntrauma 1. Grades, eine Contusio spinalis, einer Risswunde Tuberositias Tibiae links, eine Schürfung am linken Handgelenk und eine Schürfung am rechten Ellenbogengelenk. Der Facharzt für Orthopädie A hat mit Bescheinigung vom 13.12.2006 (Bl. 163 d.A.) eine Arbeitsunfähigkeit des Klägers vom …06.2005 bis zum …01.2007 festgestellt.

Das Ermittlungsverfahren gegen den zum Unfallzeitpunkt achtzigjährigen Beklagten zu 1) wegen fahrlässiger Körperverletzung wurde nach Zahlung einer Geldauflage von der Staatsanwaltschaft nach § 153 a Abs. 1 StPO eingestellt. Auf die beigezogene Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Darmstadt Az. … wird Bezug genommen. Die Alleinschuld des Beklagten zu 1) an dem Unfall ist unstreitig.

Die Beklagte zu 2) hat auf den Gesamtschaden des Klägers einen Vorschuss in Höhe von insgesamt 25.000,0 € zur freien Verrechnung geleistet.

Der Kläger befand sich nach dem Unfall mehrfach in stationärer psychiatrischpsychotherapeutischer Behandlung:

Vom ….10.2008 bis ….01.2009 in der Klinik2 in Stadt3. Dort wurden eine posttraumatische Belastungsstörung, eine rezidivierende depressive Störung und eine Agoraphobie mit Panikstörung diagnostiziert (Bl 437 ff d.A.).

Vom …07.2009 bis …09.2009 in der Klinik3. Dort wurden eine posttraumatische Belastungsstörung nach schwerem Verkehrsunfall und eine andauernde Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung diagnostiziert (Bl 440 ff. d.A.).

Vom …06.2010 bis …08.2010 in der Klinik4 in Stadt4. Die Diagnose lautet posttraumatische Belastungsstörung und eine rezidivierende depressive Störung mit einer gegenwärtigen schweren Episode ohne psychotische Symptome (Bl 500 ff d.A.).

Vom …06.2011 bis zum …08.2011 in der Klinik4 wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung, einer suizidalen Krise bei rezidivierender depressiver Störung mit schweren Episoden (Bl 641 ff d.A.).

Das Landgericht hat Beweis erhoben über die Behauptung des Klägers, er sei als Folge des Verkehrsunfalls vom …05.2005 zu 100% erwerbsunfähig durch Einholung eines fachmedizinischen Zusammenhangsgutachtens mit mehrfachen Ergänzungen der Gutachten auf Grund der Einwendungen der Parteien. Auf den Inhalt der Gutachten Blatt 186 ff., Blatt 205 ff., Blatt 267 ff., Blatt 393 ff., Blatt 406 ff., Blatt 418 ff., Blatt 541 ff und Blatt 685 ff. wird Bezug genommen.

Das Landgericht Darmstadt hat nach Anhörung der Sachverständigen SV1 und SV2 mit dem angefochtenen Urteil der Klage ganz überwiegend stattgegeben. Es hat dem Kläger einen Verdienstausfallsschaden für das Jahr 2005 unter Abzug des Vorschusses zugesprochen, sowie einen Anspruch auf Geldrente in Höhe von 10.842,51 € per Quartal ab 2006 bis zum 17.12.2038 und zur Begründung ausgeführt, dass der Kläger infolge der durch den Unfall verursachten physischen und psychischen Beeinträchtigungen erwerbsunfähig geworden sei. Auf Grund der eingeholten Gutachten, Ergänzungsgutachten und der Anhörung der Sachverständigen sei das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger an einer posttraumatischen Verbitterungsstörung leide, welche eine spezifische Form der Anpassungsstörung sei. Diese führe zum Zeitpunkt der Untersuchung zu einer Erwerbsunfähigkeit i.H.v. 80 bis 100%. Hinsichtlich der von Beklagtenseite aufgestellte Behauptung, die Erkrankung des Klägers sei durch die Vorerkrankung der Pansinusitis (chronische Stirn- und Nasennebenhöhlenentzündung) verursacht und nicht durch das Unfallgeschehen, hat das Erstgericht ausgeführt, dass diese Behauptung nachvollziehbar und überzeugend durch die Sachverständigen verneint worden sei und es der Einholung eines weiteren Gutachtens gemäß Beklagtenschriftsatzes vom 06.10.2011 nicht bedürfe. Hinsichtlich der Höhe des Verdienstausfalls hat sich das Landgericht auf das bei der Firma B vereinbarte Gehalt von monatlich 5.000,0 € ab Juli 2005 gestützt und ein steuerbereinigtes Jahreseinkommen für das restliche Jahr 2005 von 25.275,63 € errechnet (bei einem kompletten steuerbereinigten Jahreseinkommen von insgesamt 43.370,04 €) und abzüglich des Vorschusses der Beklagten von 25.000,0 € einen Restbetrag von 275,63 € als Verdienstausfallschaden für das Jahr 2005 zugesprochen.

Des Weiteren hat das Erstgericht ausgehend von dem oben genannten Jahreseinkommen von 43.370,04 € eine Verdienstausfallsschadenrente vom ersten Quartal 2006 ab bis zum 17.12.2038 in Höhe von 10.842,51 € pro Quartal zugesprochen. Bezüglich der tatsächlichen Feststellungen und die Entscheidung tragenden Gründe wird auf das Urteil vom 16.11.2012 (Blatt 770 – 786) Bezug genommen.

Gegen das Urteil haben die Beklagten Berufung eingelegt mit der Begründung, das Urteil des Landgerichts Darmstadt leide an einem wesentlichen Verfahrensmangel. Mit Schriftsatz vom 10.04.2012 hätten die Beklagten ausdrücklich die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens beantragt. Jedenfalls halten sie an ihrer Auffassung fest, dass die chronische Entzündung der Nasennebenhöhlen eine Reihe anfänglicher Beschwerden des Klägers erklären könne.

Der weiteren Einzelheiten des Vorbringens wegen wird auf den Inhalt der Berufungsbegründungsschrift vom 19.12.2012 und die Schriftsätze Bezug genommen.

Die Beklagten beantragen, das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 16.11.2012 (Az. 9 O 136/06) wird abgeändert und die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger beantragt, die Berufung kostenfällig als unbegründet zurückzuweisen und hilfsweise den Antrag, es wird festgestellt, dass die Berufungskläger und Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger bis zur Vollendung des siebenundsechzigsten Lebensjahres sämtliche Verdienstausfallschäden weiterhin zu ersetzen, die auf eine unfallbedingte vollständige oder teilweise Erwerbsunfähigkeit zurückzuführen sind, soweit solche Änderungen im Zuge einer fachpsychiatrischen Untersuchung und fachärztlichen Prognose zufolge festgestellt werden.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Das Landgericht habe zu Recht von der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens abgesehen. Bereits in der neuropsychologischen Begutachtung der Klinik5 vom 05.07.2006 sei festgestellt worden, dass keine Anhaltspunkte für eine organisch bedingte Leistungsminderung vorlägen. Und auch die Sachverständigen SV3, SV2 und die Psychologin C hätten in ihren Gutachten festgestellt, dass die Erkrankung des Klägers unfallbedingt sei und nicht durch die Vorerkrankung der Pansinusitis verursacht worden sei.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens des Klägers wird auf den Inhalt der Berufungserwiderung vom 10.04.2013, sowie die weiteren Schriftsätze Bezug genommen.

Mit der Ladungsverfügung vom 11.09.2013 hat das Berufungsgericht den Parteien zur Vorbereitung der Verhandlung rechtliche Hinweise erteilt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil sowie auf die von den Parteien zu den Akten gereichten Schriftsätzen und Unterlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, in der Sache hat die Berufung jedoch nur teilweise Erfolg.

Der Senat geht mit dem Landgericht davon aus, dass dem Kläger infolge des Unfalls gegen die Beklagten einen Anspruch auf Zahlung des Verdienstausfallschaden für das Jahr 2005 gemäß § 823 Abs. 1, 252, 842 BGB, §§ 7, 18 StVG, § 3 Nr. 1 PflVG a.F. in Höhe von 275,63 € zusteht.

Des Weiteren steht dem Kläger infolge des Unfalls ein Anspruch auf Geldrente gemäß §§ 823Abs. 1, 252,842,843 BGB, §§ 7, 18,13 StVG, § 3 Nr. 1 PflVG a.F. in Höhe von 10.842,51 € pro Quartal ab dem ersten Quartal 2006 bis erstes Quartal 2016 zu.

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Hinsichtlich des darüber hinausgehenden Zeitraums ist der Leistungsantrag abzuweisen und dem Feststellungsantrag stattzugeben.

Der Senat ist in Übereinstimmung mit dem Erstgericht davon überzeugt, dass die von dem Kläger beklagten psychischen Beschwerden auf den Verkehrsunfall vom ….05.2005 zurückzuführen sind.

Grundsätzlich gilt, dass derjenige, der schuldhaft die Körperverletzung oder Gesundheitsbeschädigung eines anderen verursacht hat, für die er haftungsrechtlich einzustehen hat, auch für die daraus resultierenden Folgeschäden haften muss. Das gilt sowohl für organische als auch psychisch bedingte Folgeschäden. Die Schadenersatzpflicht für psychische Auswirkungen einer Verletzungshandlung setzt nicht voraus, dass sie eine organische Ursache haben, es genügt die hinreichende Gewissheit, dass die psychisch bedingten Ausfälle ohne den Unfall nicht aufgetreten wären (BGH Urteil vom 30.4.1996 in NJW 1996, 2425 ; OLG Koblenz Urteil vom 30.07.2012 in Schaden-Praxis 2013, 217).

Mit dem Nachweis, dass der Unfall am ….05.2005 zu einem Schädelhirntrauma, einer contusion spinalis, sowie Riss- und Schürfwunden geführt hat und damit eine Körperverletzung des Klägers zur Folge hatte, steht der Haftungsgrund fest. Ob über diese Primärverletzungen hinaus der Unfall auch für die psychischen Beschwerden ursächlich ist, beurteilt sich im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität am Maßstab des § 287 ZPO (BGH Urteil vom 16.03.2004 in NJW 2004, 1945 ; BGH Urteil vom 04.11.2003 in VersR 2004, 118 [BGH 04.11.2003 – VI ZR 28/03]; BGH Urteil vom 28.01.2003 in VersR 2003, 474). Im Rahmen der Beweiswürdigung nach § 287 ZPO werden geringere Anforderungen an die Überzeugungsbildung des Gerichts gestellt. Im Gegensatz zum Vollbeweis nach § 286 ZPO kann der Beweis nach § 287 ZPO je nach Lage des Einzelfalls bereits dann erbracht sein, wenn eine höhere oder deutlich höhere Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der zu beweisenden Tatsache spricht (BGH Urteil vom 28.01.2003 a.a.O.). Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Kausalität zwischen den vom Kläger beklagten psychischen Beschwerden und dem Unfallereignis zu bejahen.

Der Kläger wurde von den gerichtlich bestellten Sachverständigen SV4, SV1, SV3, SV2 mehrfach begutachtet, mehrmals Ergänzungsgutachten eingeholt und schließlich SV1 und SV2 persönlich vom Landgericht in der Sitzung vom 01.09.2010 angehört. In der zusammenfassenden Bewertung vom 01.08.2011 gelangen die Sachverständigen zu dem abschließenden Ergebnis, dass das Krankheitsbild und der Krankheitsverlauf mit der Diagnose „posttraumatische Verbitterungsstörung“ aus psychiatrischer Sicht am treffendsten diagnostiziert werden könne und diese Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung vorzuziehen sei. Auf Grund der psychischen Erkrankung, so die Gutachter, bestehe derzeit eine Leistungsminderung von 80% bis 100%.

Der Senat folgt dieser Einschätzung der Sachverständigen. Der zum Unfallzeitpunkt 3x Jahre alte Kläger befand sich gerade in einer beruflichen Neuorientierung. Im … 2005 hatte er eine Einarbeitungsphase bei der … Firma B begonnen. Diese sollte drei Monate dauern. Ab … 2005 wollte der Kläger bei der Firma bei einem monatlichen Honorar von 5000,0 € zuzüglich Prämien und Spesen mit dem Aufgabenbereich auftragsbezogene Projektarbeit weltweit tätig werden. Auf Grund des Unfalls haben sich diese beruflichen Zukunftspläne des Klägers und damit seine Lebensperspektiven zerschlagen und in der Folge hat sich die posttraumatische Verbitterungsstörung entwickelt. Die mehrfachen stationären psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlungen seit 2008 belegen dies plausibel. Im Jahr 2011 erfolgte sogar eine Aufnahme des Klägers in der Klinik4 in einer beschützten Station wegen einer suizidalen Krise (Bl 641 ff d.A.).

Soweit die Beklagten mit der Berufung den Einwand erheben, das Erstgericht habe ein Beweisangebot übergangen und die Beweiserheblichkeit in seinem Urteil nicht verneint, kann dies der Berufung nicht zum Erfolg verhelfen.

In der Berufungsbegründung heißt es, die Beklagten hätten mit Schriftsatz vom 10.04.2012 ausdrücklich beantragt, ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen, da sie an ihrer Auffassung festhalten würden, dass eine chronische Entzündung der Nasenneben- und Stirnhöhlen eine Reihe von anfänglichen Beschwerden des Klägers nach dem Unfall erklären könnten.

Mit diesem in der Berufungsschrift genannten Schriftsatz (Bl 714 bis 722) haben sich die Beklagten kritisch mit der im Ergänzungsgutachten vom 23.02.2012 getroffenen Aussage der Sachverständigen SV3, SV2 und der Psychologin C auseinandergesetzt, wonach eine Pansinusitis (chronische Stirn- und Nebenhöhenentzündung) keine Relevanz für den Rechtsstreit habe. Auf Blatt 9 des Schriftsatzes der Beklagten (Bl 722 d.A.) heißt es:

„Es wird beantragt, den gerichtlich bestellten Sachverständigen von seiner Bestellung zu entbinden und einen neutralen und fachlich geeigneten Gutachter zu beauftragen. Sollte das Gericht dieser Anregung nicht folgen wollen, wird in der Urteilsbegründung ausführlich darauf einzugehen sein.“

Bereits sechs Monate zuvor hatten die Beklagten mit Schriftsatz vom 06.10.2011 (Bl 656 bis Bl 665 d.A.) gerügt, dass in keinem der Gutachten die schwere Pansinusits abgeklärt und hinsichtlich deren Bedeutung für die Ausbildung von körperlichen und psychischen Symptomen beurteilt worden sei. In diesem Schriftsatz hatten sie eine Entbindung der gerichtlich bestellten Sachverständigen beantragt, hilfsweise die bestellten Sachverständigen aufzufordern, ihr Gutachten zu ergänzen oder hilfsweise die Sachverständigen zu dem Aspekt Stellung nehmen zu lassen.

In Folge dieses Schriftsatzes vom 06.10.2011 hat das Erstgericht mit Beschluss vom 03.11.2011 (Bl. 682 d.A.) die Sachverständigen aufgefordert, auf die von den Beklagten vom 06.10.2011 erhobenen Einwendungen schriftlich Stellung zu nehmen. In dem Ergänzungsgutachten vom 23.02.2012 (Bl 685 d.A.) der Sachverständigen SV3, SV2 und der Psychologin C heißt es, dass für die Beurteilung einer Pansinusitis ein Hals-Nasen-Ohren-Sachverständige hinzuziehen wäre. Dass aber aus psychiatrisch-psychologischer Beurteilung heraus die Pansinusitis keine Relevanz für den aktuellen Rechtsstreit habe.

In seinen Urteilsgründen hat das Erstgericht zu dem Aspekt Pansinusitis und deren Relevanz ausgeführt, dass die Sachverständigen nachvollziehbar und überzeugend dargelegt hätten, dass die festgestellte Erkrankung durch das Unfallereignis und nicht durch die Vorerkrankung der Pansinusitis verursacht worden sei. Insofern bedürfe es der Einholung des durch die Beklagten beantragten weiteren Gutachtens (Schriftsatz der Beklagten vom 06.10.2011 Bl 657 d.A.) nicht, da die von den Sachverständigen festgestellte Erkrankung der posttraumatischen Verbitterungsstörung sich vollumfänglich im Rahmen der besonderen Fachkunde der Sachverständigen bewege und es eines HNO-Gutachtens daher nicht bedürfe.

Diese Einschätzung des Erstgerichts begegnet keinen Bedenken. Die nachvollziehbaren und begründeten Feststellungen der Sachständigen auf ihren Fachgebieten tragen auf der rechtlichen Ebene die Wertung, dass der Verkehrsunfall vom ….05.2005 kausal für die festgestellte Manifestation der psychischen Verarbeitungsstörung gewesen ist. Die Zurechnung des Schadens scheitert nicht daran, dass sie auch auf einer konstitutiven Schwäche des Verletzten beruht. Der Schädiger kann sich nach ständiger Rechtsprechung nicht darauf berufen, dass der Schaden nur deshalb eingetreten oder ein besonderes Ausmaß erlangt hat, weil der Verletzte infolge körperlicher Dispositionen besonders anfällig gewesen ist. Wer einen gesundheitlich schon geschwächten Menschen verletzt, kann nicht verlangen, so gestellt zu werden, wenn der Betroffene gesund gewesen wäre (BGH Urteil vom 30.4.1996 a.a.O.; OLG Saarbrücken Urteil vom 21.7.2009 in OLGR 2009, 897; OLG Koblenz Urteil vom 30.7.2012 a.a.O).

Das nachdrückliche Verweisen der Beklagten auf die Pansinusitis kann daher für die Feststellung der psychischen Erkrankung des Klägers keine Relevanz zugemessen werden. Ein Schädiger hat keinen Anspruch darauf, einen gesunden und psychisch stabilen Menschen zu schädigen, bei dem in kürzester Zeit die physischen Verletzungen verheilen und die psychische Verarbeitung problemlos erfolgt. Im Übrigen haben die gerichtlich bestellten Sachverständigen gerade hierauf hingewiesen, dass der Pansinusitis für den Rechtsstreit keine Relevanz zukommt und damit auf die Zurechnung angespielt, nachdem das Erstgericht den Einwänden der Beklagten im Schriftsatz vom 06.10.2011 sehr wohl nachgekommen ist und eine ergänzenden Begutachtungen angeordnet hatte.

Der Vorwurf des Übergehens eines Beweisangebotes ist daher unzutreffend, da auch eine weitere Begutachtung unerheblich gewesen wäre, weil es ausgeschlossen war, dass diese Begutachtung sachdienliche Ergebnisse zur Zurechnung hätte erbringen können.

Es kann daher auch keine Rolle mehr spielen, dass die Beklagten in ihrer Berufungsbegründung auf einen Schriftsatz abstellen, in welchem sie gerade keinen Beweisantrag gestellt haben, sondern eine Anregung nach § 412 ZPO ausgesprochen hatten, wonach die bestellten Sachverständigen entbunden und ein neutral und fachlich geeigneter Gutachter beauftragt werden möge. Für einen solchen Austausch der Sachverständigen, der nach § 412 Abs. 1 ZPO im Ermessen des Gerichts steht, lag entsprechend der obigen Ausführungen kein nachvollziehbarer Grund vor.

Die Ausführungen des Erstgerichts zur Schadensberechnung und die Höhe des Verdienstausfalls begegnet keinen Bedenken und werden mit der Berufung der Beklagten auch nicht angegriffen. Soweit erstmals mit Schriftsatz vom 21.01.2014 von den Beklagten vorgetragen wird, dass die Firma B zwischenzeitlich liquidiert worden sei und die Konzernmutter sich offenbar in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befinde, handelt sich um eine Behauptung ins Blaue hinein.

Bedenken begegnet die erstinstanzliche Entscheidung jedoch hinsichtlich der vom Landgericht ausgeurteilten Dauer der Rentenzahlung bis zum 17.12.2038.

Die Dauer der Rente steht im richterlichen Ermessen, sofern das Klagevorbringen genügend Grundlagen für die Bemessung der Rente enthält (vgl. beispielsweise Erman BGB 13. Auflage § 843 Rdnr. 21). Bereits das Reichsgericht hat zur zeitlichen Begrenzung einer nach § 843 BGB zuerkannten Rente ausgeführt, dass auch in der Frage, für wie lange eine Rente zu gewähren sei, kein strenger und vollständiger Beweis verlangt werde, sondern gemäß § 287 ZPO nach freiem Ermessen unter Würdigung aller Umstände eine Schätzung vorzunehmen sei, wobei häufig ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit für den der Schätzung zugrunde zu legende Verlauf der Dinge genügen soll (RGZ 83, 65 ff).

Unberücksichtigt hat das Erstgericht bei der zeitlichen Bemessung bis ins Jahre 2038 die Angaben der Sachverständigen in ihrem fachpsychiatrischen Zusatzgutachten vom 01.08.2011 (Bl. 541 bis 612) gelassen, wonach aus psychiatrischer Sicht davon auszugehen sei, dass eine finanzielle Absicherung (vorübergehende Berentung) psychische Valenzen wieder freisetzen könnte, so dass nicht zwangsläufig von einer Verschlechterung im weiteren Verlauf auszugehen sei, eventuell dann auch eine Verbesserung eintreten könnte. Die Gutachter empfehlen die Überprüfung in 2 Jahren.

Diesen Ausführungen der Sachverständigen sind die Parteien nicht entgegen getreten und vom Senat nach § 529 Abs. 2 S.2 ZPO auch ohne Berufungsangriff der Beklagten zu berücksichtigen. Die Parteien sind in der Ladungsverfügung auf diesen Gesichtspunkt hingewiesen worden.

Die durch § 287 ZPO eingeräumte freie Würdigung bezüglich der Bemessung der Dauer einer Rente führt zu einer Zuspruch der Verdienstausfallrente bis zum 1. Quartal 2016. Für den Zuspruch der Rente für eine Zeitspanne von mehr als zwanzig Jahre bis 2038 liegen keine tragfähigen Anhaltspunkte im klägerischen Vortrag vor und erschließt sich auch nicht aus den Ausführungen der Gutachter. Ausgehend von der Annahme der Sachverständigen in ihrem Zusatzgutachten vom 01.08.2011 ist die Zahlung einer Rente von zwei Jahren bemessen ab dem Quartal der Urteilsverkündung begründet. Was zur Folge hat, dass der Kläger nach Verkündung des Urteils während einer Zeitspanne von zwei Jahren eine finanzielle Absicherung erfährt. Bei Festlegung dieser Zeitspanne lässt sich der Senat von den Überlegungen leiten, dass bei dem Kläger in Folge des Unfalls keine dauerhafter physischer Schäden, beispielsweise den Verlust von Gliedmaßen oder Organen, erlitten hat. Ein derartiger Verlust wäre unumkehrbar. Anders liegt der Fall beim Kläger. Seine physische Erkrankung bietet Veränderungspotential, auch wenn in den letzten Jahren eine Verschlechterung eingetreten ist. Der Kläger befand sich in den letzten Jahren immer wieder in stationärer Behandlung. Im Jahre 2011 wurde sogar eine suizidale Entwicklung in den Klinik4 diagnostiziert. Gleichwohl halten die Gutachter ein Freisetzen von psychischen Valenzen durch eine finanzielle Absicherung für möglich. Mit dem Zuspruch der Verdienstausfallrente für die Vergangenheit und einer solchen für zwei Jahre nach Urteilsverkündung, entsprechend der Empfehlung der Gutachter, würde eine solche finanzielle Absicherung des Kläger eintreten, die zum Freisetzen von Valenzen führen könnte. Es könnte sich eine berufliche Entwicklung, beispielsweise im erlernten Beruf des Klägers, eröffnen, die auch zu einer neuen Lebensperspektive und neuen Lebensmut beim Kläger führen könnte. Die gegenwärtige Erwerbsunfähigkeit ist jedenfalls nicht bis zur Verrentung des Klägers festgeschrieben und unumkehrbar.

Demgegenüber ergibt sich aus den vorgenannten Überlegungen, dass der von dem Kläger als Hilfsantrag formulierte Feststellungsantrag begründet ist. Die bisher gezeigten gesundheitlichen Beeinträchtigungen bergen die Gefahr einer auch negativen psychischen Entwicklung, die die Erwerbsfähigkeit des Klägers auch in den kommenden Jahren aufheben oder massiv einschränken könnte. Eine Überprüfung der psychischen Erkrankung und Entwicklung ist in der von den Gutachtern ausgesprochenen Zeitspanne von zwei Jahren vorzunehmen.

Die Kostenentscheidung ergibt aus § 92 Abs. 1 ZPO

Der Streitwert der Berufung wird auf 227.968,34 € (= 275,63 € + 10.842,51 € + 216.850,20 €) und der Gegenstandswert des Hilfsantrag des Klägers auf 173.480,16 € festgesetzt.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708Ziffer 10, 711 ZPO. Die Schuldnerschutzanordnung konnte gemäß § 713 ZPO vorliegend nicht unterbleiben. Zwar wird die Revision gegen die Entscheidung nicht zugelassen, gleichwohl eröffnet § 544 ZPO zumindest die Möglichkeit, eine Nichtzulassungsbeschwerde zu erheben.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Zulassungsgründe des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht vielmehr auf einer tatrichterlichen Würdigung des Sachverhalts.

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